aarne, antti: leitfaden der vergleichenden märchenforschung

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Helsinki: Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia, 1913. IV + 87 pp. Folklore Fellows' Communications No. 13.

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FF COMMUNICATIONS N:o 13

l E I T F A D E f t

DER

Y l R f i U I [ H f n O f n M l f t ( H ( f t n R U H U n ~VON

ANTTI AARNE

HAM INA 1913 ,

SUOMALAISEN TIEDF.AKATEMlAN KUSTANTAMA

O r ig in al f rom

U N IV E R S IT Y O F M IC H IG A N

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1-

HAMINA 1913,

I"IAMJN,.\.N SUOM/t . .LAINEN SANOMAlEHTI~ JA KIRJAPAINO~O.·Y.

)(,oogk Original from

U N IV E R S IT Y O F M I C H IG A N

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Vorwort ..

Das vorliegende Werk beabsichtigt die Marchenforscher

mit der geographisch-historische nUn tersuc hungsmethodebekannt zu machen. 1m ersten Absehnitt werde ich emige

Gesichtspunkte allgerneiner Art fiber die MArchen darstellen,

besonders ilber deren Ursprung, soweit die gegenwartige

Forschung diesc Dinge ZUi erkennen vennag. 1m zweiten

Abschnitt werde ich die in den Marchen geschehenden

Veranderungen beschreiben, von deren Kenntnis die Ermit-

tdung der Schicksale der Marchen zunlchst abhAngt. Nach-

dent wir dann ir n dritten Abschnitt mit der Untersucbungs-

methode selbst bekannt geworden sind, Iolgen im vierten

praktische Winke far die AusfCthrung der Forsebungsarbeit.

Schliesslich referiere ich den Hauptinhalt der Marchen,

die als Beispiele zur Beleuchtung verschiedener Umstande

gewohnlich herbeigezogen sind, Als Erganzung zu dem

\~lerkewjrd in der folgenden Nummer von FFC eine Uber-

sicht der bei der Untersuchung notigen Ma.rchenHteratm'

erseheinen.

Man kann verschiedener Ansicht daruber sein, ob das

von mir angewandte Verfahren, einige wenige Mlrchen als

Beispielezu benutzen, der AufklArung der Dinge zum Vorteil

gereicht hat, Es ist zuzugeben, dasseine grOssere MArchen-

menge eine mehr variierende Beispielwabl n~Oglich gemacht

bltte. Meine Behandlungsweise hat sich zunaehst von dem

Wunsche hergeleitet, das Werk so zu gestalten, dass auch

die mit den Marchen weniger Vertrauten esanwenden

kOnnen. Und unzweifelhaft ist es fOr jeden leichter, die

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IV ANrt1 AARNE, Leitfaden.-- ------ --~~- ~- ---~. - -

ffC 13

Beispiele aufzufassen, wenn sie aus MlrcheD genommen

sind, die er genau kennt und die man bei Bedarf in dem-

selben Werke wieder lesen kann. Bass die von mir be -

nutzten Mlrchen hingereicht haben, Beispiele fOr die ver-

schiedenen Falle zu bieten, das wird, hoffe ich, aus dem

\Verke deutlich werden.

Den herzlichsten Dank drOcke ich hiermij den Herren

Prof. Kaarle Krohn und Axel Olrik aus f O r die von ihnen

erhaltene Unterstiitzung. Der erstere hat ausser dem, was

er durch seine grundlegenden Untersuchungen fOr die Sachegetan hat, mir im Laure meiner Arbeit durch seine Rat-

schlage geholfen, und der letztere hat mil"Manuskripte eines

unter Arbeit befindlichen, die Grundfragen der Volksdich-

tung behandelnden grOsseren Werkes .zur Einsicht Ober·

lassen.

Berlin, den 15. November 1913.

Coogle

,,. . .

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U N IV E RS IT Y O F M IC H IG A N

Antti .Aarne.

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l. Ursprung der Marchen.

Die Frage nach dem Ursprung der Marchen hat den

Marchenforschern viel Anlass zurn Nachdenken gegeben.

Was sind die Ma.rchen, wo und wann sind sie entstanden,woher ruhrt das Vorkommen ahnlicher MArchen in ver-

schiedenen Landern '!

Die Beantwortung dieser Fragen terschien denen beson-

ders schwierig, die als die ersten die MArchen wissenschaft-

Iich 7.U erforschen begannen,. den deutschen Brndern Grimm,

Ihre ausfOhrliche Kenntnis der Literatur und ihr tief- und

weitgehender Blick erzeugten bei Ihnen ganz andere Gedan-

ken fiber die MArchen als diejenigen, die zu damaJiger Zeit

gang und gflbe waren und heute noch in dem Publikum

vorherrschen, das der Entwicklung der wissenschaftlichen

Forschungsarbeit nieht folgt, den von ihr gewonnenen

Ergebnissen fernsteht. Man hielt die Ma.rchen "fOr wun-

derliche Erzablungen, wie sie sieh Mntter und Warterinncn

erdenken, urn damit die Kinder zu unterhalten. Es sind

leichte, regellose Machwerke einer spielenden Einbildungs-

kraft. Ein jeder kann dergleichen machen, welcher diese

Kraft besitzt, Wenn sie aber gut erzahlt worden, so kOnnen

wohl auch Erwachsene daran Gefallen Iinden", Mit diesen

Worten hat im Jahre 1864 der Osterreicher J. G. VOIIHahn I) die populate Auffassung geschildert.

Den Grund zur MArchenforschung legten die Bruder

Grimm durch ihre bekannte Ma.rchensammlung »Kinder- und

1) Hahn v., J. G., Griechische und albanesische MArchen I

(186.j..), Einleitung S. 1.

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2 ANTI .• AARNE, Leitfaden.~-~

FFC 13

Hausm"rchen.:l, die im zweiten Jahrzehnt des 19. jahrhunderts

erschien. lhre Gedanken fiber den Ursprung der Mlrcbenhaben sie teils in den an die Sammlung anknupfenden

"Anmerkungen ( I , teils anderswo dargesteUt.

Die grimmsche MArchensammlung unterscheidet sich

von den Iruheren ahnliehen Sammlungen dadurch, dass

darin die Volkserzahlungen in der Form, wie sie aus dern

Munde des Volkes gekommen waren, ohne absichtliche

Veranderungen beibehalten werden sollten. Das Bestreben

der Bruder Grimm, die Ma.rchen in der volkstumliehen Form

zu erhalten, fliesst aus der Auffassung her, die sie von den

Marchen hatten. Sie setzten narnlich die Marchen in Zu-

sammenhang mit denfalten Mythen. Sie sind, sagten sie,

das letzte Echo der allen arischen My then und leiten auf

diese Weise ihren ersten Anfang aus dem gemeinsamen

Urheim der arischen Vo~ker ber. Als die Mythen sich bei

den verschiedenen Volkern mit del' Zeit veranderten und

urnformten und zuletzt ganz verfielen, entstanden aus den

Oberresten derselben die Volksmarchen. Die Bruder Grimm

schreiben also die MArchen zunachst den arischen VOl kern

als Eigentum zu, weshalb man die von ihnen vertretene

Gedankenrichtu.ng die ar is c he The 0rie nennen kann.

Ober die gemeinsamen Ausseren Grenzen der Ma.rchen und

ihre Verwandtschaft aussert Wilhelm Grimm u. a.: 1) "Die

Grenze wird bezeicbnet durch den grossen Volksstamm, den

man den indogermanischen zu benennen pflegt und die

Verwandtschaft zieht sich in immer engern Ringen um dieWohnsitze der Deutsehen, etwa in demselben Verhaltnis,

in welchem wir in den Sprachen der einzelnen, dazu geho-

rigen Volker Gemeinsames und Besonderes entdecken."

Die \Vanderung der Marchen von einem Lande zum ande-

ren leugnen die Bruder Grimm [edoch nieht ganzlich, sie

halten es sogar in einzelnen Fallen fnr wahrscheiulich, dass

1) Grimm. KHM (Reclam) III S. 435.

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F F C _ ] _ 3 _ . . ~ _ _. . __!l_r~prung der MArchen. 3

ein MArchen von einem Volke zum andern o.bergegangen

und dann auf dem Iremden Boden fest gewurzelt sei. I )

Um den Wert del" Volksmarchen in den Augen der-

[enigen zu erhohen, die ihnen wissenschaftliche Bedeutung

nicht zuerkennen wollten, finder es Jacob Grimm angezeigt,

die wissenschaftliche Hehandlung der Marchen zu verteidigen.

In der Einleitung zu Felix Liebrecht's deutscher Ubersetzung

des Pentamerone aussert er nArn1ich: I) "Gegenwlrtig bedarf

es keiner Entschuldigung daftir, class diesen merkwOrdigen

Oberlieferungen aller Ernst und aile Genauigkeit des For-schens und Untersuchens zugewandt werde, die wir der

Sprache und den Liedern des Volks endlich uberhaupt

wieder angedeihen lassen. Sie mogen fortfahren, wie sie

es lange Zeit hindurch unvermerkt im stillen getan haben,

zu erheitern und zu unterhalten; allein sie dOrfen [etzt

zugJeich wissenschaftlichen Wert in Anspruch nehrnen, der

ihnen vie) weitere und allgemeinere Anerkennung sichert, 61

Die grimmschen Ansichten nber den Ursprung der

Marchen gewannen allgemeine Anerkennung. Einer ihrer

Anhanger war der schon erwahnte Osterreicher J. C. v.

Hahn, der nach grimmscher Auffassung das erste MArchen-

typensystem bildete :i), ferner der bekannte Orientalist Max

Muller, der Italiener Angelo de Gubernatis und mit ihnen

viele andere, die von dem Standpunkt der Naturerschei-

nungen das Entstehen del' Mythen und der MArchen zu

erklaren versuchten. Von der Beschaffenheit der letzter-

wAhnten Gedankenrichtung gibt die folgende Deutung AndreLefevre'» fiber das Rotkappchenrnarchen eine Vorstellung : .')

I) Grimm, KHM (Reklam) III S. 428.

•) Liebrecht. Pent. (1846) 1 s. VIII; in H. Floerkes neuer

Bearbeitung (1909) s . IX.

S) Hahn V., J. G., Griechische und albanesische Marchen I

(1864), Einleitung.

') Martens, Charles, L'origine descontes populaires (1894)

S. 27 u, Forke, A'I Die indischen Marchen (1911) s . 24.

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ANTIt AARNE, Leitfaden, FFC m3~------,--- - - -- _.- ~~.-~- ---------

"Die rote Kappe ist das Rot der MorgenrOte, und Rot-

kappchen selbst fst die MorgenrOte, Der Kuchen und der

Topf Butter, die sie bringt, weisen vielleicht auf die Opfer-

brote und die als Opfer dargebrachte Butter, Die Gross-

mutter ist eine Persenifikaeion der alten MorgenrOtt".,

dern sich [ede neue anschliesst, Der Wolf ist entweder

die verzehrende Sonne oder die Wo1keund die Nacht ..1

In solcbem Phantasiespiel ginR man so weit, dass der

wissenschaftliche Ernst ganzlich zu verschwinden begann.

Es vergjng eine lange Zeit, ehe die grimrnschen An-sichten auf ernsteren Widerstand stiessen, Im Jahre 1859

stellte der gottluger Sanskritforscher Theodor Ben.l~vin der

Einleitung zu der deutschen Obersetzung des Pantschatantra

fiber den Ursprung der MArchen eine neue Auffassung auf,

die die MArchen von del" ihnen von den Brndern Grimm

gegebenen geheimnisvoUen mytbischen H u n e befreite und

sie mit der Literatur verband, Nach Henley stammen beinahe

alle Marchen aus Indien, wo der Buddhismus sie geschaffen

hat _. davon der Name ~nd is c h e The 0rie - und von

dort sind sie hauptsachlich durch die Vermittlung der Lite-

ratur fiber die ganzeWelt gewandert, Nur die Tiermarehen,

die in den Asopischen Fabeln tltere Vertreter haben als in

den indischen, haben sich in entgegengesetzter Richtung

bewegt, von Griechenland nach Indien, In ihrer Art waren

die indischen Mlrchen 50 vorzngllch, dass sie bald die bei

den verschiedenen Vc,lkern moglicherweise bekannten Ahn-

lichen Erzlhlungen verdrangten und leicht nationalisiert

wurden, Benfey meint, die Verbreitung der Milrchen sel

vonr 10. Jahrhundert an gesehehen, als die islamidschen

VOlker sich immer mehr mit Indien bekannt zu machen

begannen und die indischen Erzshlungssammlungen aich

durch Obersetzungen in den islamitischen Reichen in Asien,

Afrika und Europa und dureh sie in dem christlichen

Okzident verbreiteten, Nach den Gebieten im Osten und

Norden hatten die ~nd~schen Mlrcben schon fruller Init der

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fo'FC13 Ursprung der MArchen.--------------~--~-~-.----- 5

buddhistischen Literatur zu wandern begonnen. Die lite-

rarische Verbreitung vermittelten in erster Linie das per-sische Tuti-Nameh und die arabischen und hochst wahr-

scheinlich die jud:ischen Schriften. I)

AhnJiche Ansichten scheinen schon fruher unter den

Forschern bekaont gewesen zu sein. Das beweisen folgende

von Jacob Grimm in del" Einleitung zu F,Ux Liebrecht's

Obersetzung des Pentamerone 1846 geausserteWorte: 1 1 ) "Man

lasse fahren den Wahn, die Marchen seien an irgendeiner

begOnstigten Stelle aufgewachsen, und von da auf lusserlich

nachweisbarem Weg oder Pfad in die Ferne getragen worden.

Das ist jetzt schon durch sorgfaltige Sammlungen widerlegt."

Benfey's Auffassung gewann leicht an Boden, beson-

ders unter den eigentlichen Marchenforschern, die schon

aufzutauchen begannen. Die bemerkenswertesten seiner

Anhanger sind Reinhold Kohler und Em. Cosqui«. Der

erstere betonte die Wichtigkeit der Behandlungsweise, die

die einzelnen Marchen in der Zeit so weit als mOglich

zuruckverfolgeu woHte, und dachte, dass man auf diese Weiseimmer nach Indien komme. Der letztere ging so weit, dass

er schon die Existenz der modernen indischen Parallel1en

(fir genugend hielt, den indischen Ursprung zu beweisen.

Gegen die benfeysche Auffassung vom Entstehen der

MArchen in historischer Zeit erhob sich unter den Anthro-

pologen eine andere, die ihren Ursprung in die Iruhesten

Zeiten der VOlker verlegte. Die Hauptvertreter dieser sog.

ant h r0polo g is c hen The 0rie sind die englischcn

Gelehrten E. B. Tylor und besonders Andreu. Lang. Tyler

war in seinen Forschungen auf dem Gebiete der menschlichen

Sitte und des menschlichen Glaubens zu der Erfahrung

telangt, dass die altesten religiosen Grundsatze, Z. B. die Auf-

fassungen von dem gegenseitigen Verhaltnis des Korpers und

I) Benf'ey, Th., Pantschatantra I (1859). Vorrede XXI ff.

t) Liebrecht, Pent. (1846) I S. IX; in H. Floerkes neuer Bear-

beitung (1909) s. X.

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6 ANTlI AARNE, Leitfaden. F.FC 13

der Seele, von den Geistern u, a. bei allen VOlkern die

gleichen waren, ohne dass man von dem Einfluss einesVolkcs auf das andere sprechen konnte. Nach diesen

GrOnden schliessen die Anthropologen: da die ursprang-

~iche Denkart, del" Gleube und die Phantasie bei allen

Velkerri sehr ahnUch sind, folgt daraus, dass in verschiede-

nen Gegenden selbstandig 4hnliehe Marchen entstanden

sind. Die gleichen seelischen Voraussetzungen erzeugen ja

gleiche Produkte. Die Obereinstimmung der Mlrchen bei

den verschiedene~ VOlkern braucht also nicht aufeinegegenseitige Abhangigkeit oder EnUehnung 'hinzudeuten,

sondern sie ist ein Ergebnis des mehrmaligen Entstehens

der Mlrchen.

Es zeugt von dem Fernblick der Bruder Grimm, dass

sie schon in ihrer Zeit die Ml'Jglichleit auch derartiger

Ansfehten bernerkten. Wir wollen mit dem Vorangehenden

folgeode aus dem dritten Sande der ",Kinder- und Haus-

~nlrchenu entnommene Worte vergIeichen: I) "Es giebt abe ...

Zustande, die so einfach und naturlich sind, dass sie fiber·

all wiederkehren, wie es Gedanken giebt, die sich wie von

selbst einfinden, es konnten sich daher in den verschie-

densten] Landern dieselben oder doch sehr ahnli,che MAr-

chen unabha.ngig von einander erzeugen: sie sind den ein-

zelnen VvOrtern vergleichbar, welche aueh nicht verwandte

Sprachen dureh Nachahmung der Naturlaute mit geringer

Abweichung oder auch ganz uberdnstimmend hervorbrin-

gen. if Neben der Hauptauffassung der Bruder Grimm wurdendiese Hue Gedanken jedoch weniger beachtet,

Von diesen drei fUr die ErklArung des Ursprungs der

Ma.rchen eingetretenen Hauptrichtungen hat die grimmsche

heute nur wenig Bedeutung mehr, zu der bCllfeysch2'n

bekennen sich noch einzelne Forscher, obgleich die Ein~

seitigkeit der Ansichten Benfeys starkgemildert werden

i) Grirmn, KHM (Reclam) III S. 427.

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FFC 13 Ursprung der Marchen.----~-----------

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musste, die neueste, engJiscbe dagegen hat noch viele

Anhanger,Gegen alle diese Theorien. sind Einwande erhoben

worden.

Was zuerst die grimrnschen Ansichten betrifft, reicht

die von ihnen dargestellte Herleitung der Marchen von

ihrem ersten Ursprung aus der Urheimat der arischen Velker

keineswegs hint die Obereinstimmung zu erklaren, die

zwischen den Ma.rchen der verschiedenen LAnder besteht,

Wenn diese Ubereinstimmung in dieser Weise entstanden

ware, wurde sie sich in keinem Faile weiter als auf den

Grundgedanken oder die Hauptzftge der Erzahlung erstrecken.

Jetzt bemerkt man [edoch oft auch in den unbedeutendsten

Nebenumstanden Ahnlichkeiten, und die Zusammenstel1ung

langer, komplizierter Erzahlungen ist in verschiedenen

Landern dieselbe.

Die grimmsche Ansicht, dass die Marchen besonders

den indogermanischen Volkern zugehorcn, kann in unserer

Zeit keinen Glauben mehr finden. Die enorm angewachse-nen volksUim1ichen MArchenvorrate und die vorgeschrittene

F orschung haben unwiderleglich bewiesen, dass die MAr-

chen nieht nur den indogermanischen Volkern zugehoren,

sondern dass man dieselben MArchen bei den verschiedensten

V(')lkern antreffen kann. Wenn die Bruder Grimm die

Forschungsmittel unserer Zeit zur VerfGgung gehabt hatten,

wire ihr Gedanke von dem Indogermanismus der MArchen

nie entstanden. Sie bezweifelten aueh selbst teilweise die

Dauerhaftigkeit dieser Ansicht, wie wir aus folgenden Warten

Wilhelm Grimm's entnehmen konnen: I) "SO gewiss fUr

jetzt die angegebene Grenze gilt, so ergiebt sich vielleicht,

wenn noch andere Quellen sich aufthun, die Notwendigkeit

einer Erweiterung, denn mit Erstaunen erblickt man in den

Marchen, die von den Negern in Bornu und den Bet-

I) Grimm, KHM (Reclam) III S. 435.

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ANTTI AARNE, Lehfaden. FFCI3.~.~~

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schuanen, einem Wandervolk in Sudafrika, bekannt gewor-

den sind, einen nicht wegzuleugnenden Zusammenhang mitdeutschcn, wahrend ihre eigentumliche Auffassung sie

wiederum von ihnen trennt."

Die benfeysche Theone zeigt einen grossen Fortsehritt

darin, dass sie die Obereinstimmung der Marchen in den

verschiedenen Landern auf gegenseitige Entlehnung zurfick-

fuhrt. Nach ihr haben die Marchen einen bestimmten

Geburtsort, von dem sie sich anderswobin verbreitet haben,

Ein offenbarer Irrtum aber ist es, die Heimat beinahe aller

.MArchen nach Indienzu verlegen. Der Umstand, dass in

Indien in alten Zeiten viele Marchen bekannt und beliebt

waren, berechtigt nieht zu dieser Annahme, Warum sollten

wir bei anderen Volkern die Fahigkeit der MArchenschopfung

leugnen? Die Sache wurde umso bedenklicher, als Benfer

den Tiermarchen eine Ausnahmestellung zuwies, indem er

sie aus Griechenland herleitete. Hiergegen hat man mit

Recht bemerkt, dass es widersinnig sei, den Griechen die

Schopfung der einen Marchenart zuzuerkennen, sie ihnenaber auf anderen Gebieten abzusprechen. Die benfeysche

Ansicht fiber den indischen Ursprung der Mlrchen hat aile

ihre Bedeutung verloren, nachdem die Forschung erwiesen

bat, dass viele MArchen anderswo als in Indien entstanden

sind.

Unrichtig ist bei Benfey aueh die zu grosse Bewertung

der Literatur bei der Verbreitung der MArchen. Dazu ver-

leitete ihn wahrscheinlich die Reichhchkeit der alten indischenMa.rchen~iteratur, als deren Gegengewicht man das volksttim-

liche MArchenmaterial zu seiner Zeit noch ziemlich wenig

kannte, Es ist cine sehr natOrliche Bemerkung, dass die

a.1tere Iiterarische Existenz der indischen Mlrchen noch

nicht bedeutet, dass diese schriltlichen Bearbeitungen die

Urquelle der Marchen waren, welche in anderen Landern

als volkstiimliche Erzahlungen bekannt sind. Die letzteren

haben, wer weiss wie lange, in dem Munde des Vo1kes

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FFC 13

gelebt, Und ausserdem hat die Forsehung fiber die ein-

zelnen Mlrcben festgestellt, dass das volkstumliche MArchen

gewehnlich eine altere Mlrchenform reprasentiert als die

indischen oder beliebige andere Iiterarische Bearbeitungen

und dass der Forscher darum sein besonderes Augenmerk

auf das volksttimliche Marchen zu riehten hat.

Was wiederum die anthropo1ogische Theorie anbelangt,

enthalt sie unbestreitbar viel Anregendes und theoretisch

wohl Durehdachtes, und auf bestimmten Forschungsgebieten

hatsie ohne Zweifel doe grosse Bedeutung, aber die Fragenach diem Ursprung del' MArchen ist sie nur in sehr gerin-

gem Mass,e imstande zu beleuchten, Es ist zwar moglich,

dass bel den Volkern, die im Naturzustande leben, ahnliche

Gedanken und Phantasiebilder entstehen, Das GefQhl von

dem Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tiere

istz. B. so unbestimmt, dass man den Menschen selbstan-

dig in verschiedenen Gegenden in einen naheren Zusarnmen ..

bang mit dem Tiere, ja Bogar miteinem leblosen Gegenstand

setzen kann, er wahlt ein Tier zu seiner Gemahlin, man

denkt slch den Ubergang der Seele aus dem Menscben

irgendwohin usw., aber von hier ist es noch ein weiter

Weg zu den MArdllen. Die Marchen sind keine primitiven

VorsteUungen und Phantasiebilder, und die Uberelnstimmun-

gen zwischen den MArchen der verschledenen Lander

beschranken sich nichtauf einen solehen Zug allgerneiner

Art, sondern erstreeken slch, wie in der Besprechung del'

grisnmschen Ansichten schon erwahnt .wurde, einerselts aufEinzelheiten der Erzlhlung~ bisweilen sogar auf den Aus-

druck und aadererseitseuf das Ganze der Erzlhlung. Ein'e

derartige Obereinstimmung kann nicht so entstanden sein,

wie sie die anthropologisehe Ansicht erklart, Nehmen wir

ermge Beispiele. Wie ware es rnoglich, dassaus der ahn-

lichen primitiven Denkart und Phantasie der Naturvolker

Iolgte, dass z. B. in dem Zauberringmarchen sowohl in

Indienals ill Finland die zu tOtenden Tiere, Katze und Hund,

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:10 ANTIl AARNE, Leitfaden .. FFC 13

mit Geld freigekauft werden, die gerettete Schlange ihren

Retter zu ihrern Vater geleitet, damit er die Belohnung, den

Stein (Ring)" bekomme, dass die Maus (Ratte) als MitheUerin

der Katze und des Handes ihren Schwanz in den Mund

des Entwenders des Rings steckt, um ihn den Ring auf

den Roden ausspucken III lassen, class die Katze bei dem

Uberschwimmen des Wassers auf dem Hunde sitzt usw.

Und wie konnte die Zusamrnenstellung einer sokompIi~

zierten Erzahhmg sich mehrmals ingleicher Weise bilden.

Uno ebenso schwer lasst es sieh denken, dass auch kurzereGcschichten wie das Fischen des Ba.ren mit elem Sehwanze

oder das Erbeuten der Fische durch den Fuchs mit allen

ihren ubereinstimmenden Einzelheiten mehr als ein Mal

entstanden w:iren.

Neben diesen Hauptrichtungen erwahne ich besonders

die Ansichten Kaorte Krohu's, zu denen er durch seine

Tiermarchenforschungen I) gelangt ist, Krohn stellt sich

auf den benfeysehen Standpunkt darin, dass die MArchen

erst Ergebnisse der historischen Zeit sind, abe" er 'wider-

setzt sich ihrer Verbreitung hauptsachlich durch die Ver-

mittlung der Literatur und betont dagegen die grosse Bedeu-

tung der volkstumlichen Ma.rchen und deren altere Existenz

neben den literarischen Bearbeitungen. Was das Schaffen

de r Marchenanbelangt, raumt er den versehiededen VllI-

kern ihren Anteil daran eln, "Ebenso wenig wie urrsere

Kultur", aussert er darnber in der Vorrede zu dem Werke

.,Mann und Fuchs" : t ) , "ausschliesslich einer Nation undeiner Hasse Z1 1 verdanken 1St , sind die Volksma.rchen aus

dergenia]en T~Uigkeit eines einzigen Volkes entstauden,

Sie sind vielmehr das durch vereinte Arbeit erworbene

gcmeinsame Eigenturn der ganzen mehr oder weniger civi-

I) Krohn, K., Bar (Wolf') und Fuchs, eine nordische Tier-

marchenkeue (journal de la Societe Finno-ougrienne VI 188g)" und

M ann und Fuchs II89 r).

. .!) Krohn; K, Mann LInd Fuchs S. 10.

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FFe 13 11

lisirten Welt und somit ein Gegenstand der internationalen

Wissenschaft. II

Die auf ein reiches Material gegrnndeten Forschungen

Krohns und die von ihm entwickelte Forschungsmethode ha-

ben das richtige Verstandnis der Marchen wesentlich geklart.

Noch manche anderen Gedanken sind vorgebracht

worden fiber den Ursprung der Marchen und fiber die

urrloslich darnit verbundene Frage, wie die Obereinstimmung

zwischen den MArchen der verschiedenen Lander zu begrei-

fen ist, Insbesondere in den spateren Zeiten, als der Mar-chenforschung eine gressere Aufmerksamheit zuteil wurde,

sind diese Fragen oft beruhrt worden. Meines Erachtens

haben die Forscher jedoch selten etwas Neues vorgebracht,

zumeist haben sic nur verschiedene Seiten der schon

erwahnten Hauptauffassungen entwickelt und vervollstandigt,

Auf cine eingehende Wiedergabe der Ansiehten verzichte

ich deswegen hier und werde meine Aufmerksamkeit nur

einigen, Ofters hervorgetretenen Gedanken zuwenden.

Bei der ErmittJung des Ursprungs der MArchen geht

man mitunter von der Auffassung aus, class die MArchen nieht

immer so gewesen sind, wie sie heutzutage vorkommen,

sondern class ursprunglich i r n fernen Altertum n U T einzelne

MarchenzUge, sog. Marehenmotive existiert haben, die sich

dann durch ziemlich willkurliche Mischung und Verbindung

zu Ganzen, zu Marcht>n geformt haben, Diese Ansicht

spiegelt sich in der von A. Rittrrshatts in ihrer als Einlei-

tung zu der Samrnlung "Die neuislandischen Volksmarchen"gegebenen Untersuchung wieder.

Dergleichen Ansichten leiten sich von mangelhaftem

Vertrautsein mit den Marchen her. Wenn man von der

Voraussetzung ausginge, dass anfangs nur Erzahlungs-

motive existiert hatten, die dann willkurlich miteinander

verbunden wurden, welche Verwirrung ware die Folge

clavon? Zu den MArchen; wie wir sie jetzt kermen, gelang-

ten WiT auf diese Weise nicht. Oberflachlich gesehen konnen

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12 A:\TTI AARSE, Leitfaden. FFC 13

die Marchen wie eine Strahne verwirrten Garnes erscheinen,

durch welche zu dringen unmoglich ist, aber der ernsteForscher erkennt sie bald als stehende Erzahlungen, die in

dem Munde des Volkes nebeneinander leben. Sie beein-

flussen sich zwar gegenseitig, vermiscben und verwickeln

sich, bald verengern sie die voIIstAn dige Form, bald erweitern

sie sich wieder usw., aber eine EigentQmlichkeit der Mar ·

chen ist es, dass sie in ihren einzelnen Ziigen und Teilen

Schwankungen zeigen, wahrend der Stamm der Erzahlung

derselbe bJeibt. Dies kommt daher, dass sie von Anfang anin ihrer Komposition bestimmte Erzlhlungen gewesen sind,

deren ursprnngfiche Farm man ausfindig machen kann.

Und dass die Sache sich so verhalt, hat die auf zahlreiche

volksttlmliche und altere literarische Varianten gegrnndete

vergleichende Forschung unwiderleglich Iestgestellt,

Beispiele davon, wie in den MArcben, von den in

ihren einzelnen Teilen geschehenen Formveranderungen

abgesehen, der Stamm der Erzlhlung sicb doch erhalt,

ergibt uns [edwede vergleichende Marcbenforscbung. Das

MArchen lebt ein Jahrhundert nach dem anderen in seinen

Hauptztigen unverandert, Es kommt z. B. niemand in den

Sinn zu bezweileln, dass das im persischen Tuti-Nameh

von Nachschebi befindliche, aus der volkstnmlichen Cher·

lieferung sich herleitende Zaubervogelmarehen dasselbe

ist wie das in den verschiedenen Teilen von Europa und

Asien gegenwartig im Munde des \"olkes lebeode gleiche

MArcheD. Nachschebi's Tuti-Nameh stammt aus dem Anfangdes J 4. Jahrhunderts 11. Chr, Also hat das 600--jabrige

Leben im Munde des Volkes das Mlrchen in seinen Grundtei-

len nicht verandert,

jedes Ma..rchen ist abo ursprunglich eine feste Erzah-

lung. die nur einrnal an bestimrnter Stelle und zu bestimmter

Zeit entstanden ist. Dieser Gedanke ist einer der Grund-

~t,;'danken der Marcbenforschung. Unter denjenigen, die

ihn leugnen, ist man bisweilen dahio gekommen, die M6g·

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1 3

lichkeit alief Marchenforschung zu bezweifeln, wenigstens wo

sie sich bestrebt, die Ursprungsschicksale des Mlrch.ens zu

bestimmen. Zu diesem Standpunkt jst 1I. a. A. Rillwshaus

ge1angt. In der erwahnten Untersuchung fiber den Ursprung

der Ma.rchen lussert sie u. a.: ') ,,'Vann und wo diesc

MArchen entstanden, ist dann eine Frage, die wir wohl nie

werden beantworten konnen, da ihre Entstehungszeit oft

irr eine Zeit zurnckreichen mag, in die der Menschengeist

nicht vordringen kann. Speziell die M4rchen mit all ihren

wunderbaren Geschehnissen reichen viel1eicht ncch in dieZeit, da die junge Menschheit sich noch im ersten Kind-

heitszustande befand und von ihr a1le Naturobjekte als

beseelte und belebte Wesen aufgefasst wurden uno wo die

Marchen, wie heute noch fUr unsere Kinder, die erste Form

der Erzahlungen waren."

Was die Zuruckfuhrung der Marchen in die primitivsten

Zeiten del' VOlker betrifft, ist sie offenbar Ialsch, Der gan7.e

Ball der MArchen beweist, dass sie sich nicht in allerpri-

mitivsten Verhaltnissen gebildet haben, sondern Erzeug-

nisse der geschichtlichen Zeit sind. Es seien z. B. viele

in Ihnen vorkommende spltere Begriffe,.kulturelle Tiere u. a.

bemerkt. Ich meine natOrlich die clef Erzahlung ursprtmg-

lich angehorenden Znge und nicht die spater hinzugekomme-

nen oder durch Modernisierung eines alten Begriffes oder

Gegenstandes entstandenen Bildungen, die hier keine Bedeu-

tung haben konnen, Den spateren Ursprung der Marchen

beweist auch der Umstand, dass man sie nicht bei den aufeinem niedrigeren Standpunkt stehenden Volkern als autoeh-

thon antrifft, sandern ais anderswoher gekommen. Die

finnisch-ugrischen Vr,lker in Russland z. B. haben ihre

Mlrchen von den Russen, Die Ma.rchen unterscheiden sich

in dieser Beziehung von den Sagen. Die Sagen sind alter

I) Rittershaus, A., Die neuislandischen Volksrnarchen ([902)

S. XLIII.

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'4 ANTII AARNE, Leitfaden. FFC 13- ---_--- - ------."~~ -- - _- ----~-~-----

als die MArchen und aile, auch die niedrigsten Volker,

haben sie geschaffen. "Die Sagen sind alles in allern viel

altertOmHcher als die M~rchen; die Sagen sind narnlich

kunstlos und einfach" I sagt Friedrich v. d. Leyen. I)

Wenn sich die MArchen aher ursprunglieh aus der

gescbichtlichen Zeit herleiten, wie sind dann die in die

Urzeiten der VOlker hindeutenden Denkweisen zu verstehen,

deren Vorkommen in den Moirchen niemand leugnen kann?

Friedrich v. d. Leven aussert folgende, zutreffende

Worte: 2) "Wir mussen in unserer Untersuchung streng

unterscheiden zw ischen M A rchenm otiv und MArchen. So

seltsam das klingt, so vergassen und vergessen ooeh die

Forscher nichts ofter, als gerade diese einfachste der

Tatsachen. Hatte man sich immer an sie erinnert, so wire

eine ganze Reihe Yon Theorien und wissenschaftlichen

Fehden gar nicht entstanden; denn diese beruhten zum

grc5ssten Teil auf der Verwechslung von MArchenmotiv und

MArchen.1I

Es ist unleugbar, class jene uraltcn "MArchenmotive'" das

richtige Verstandnis der Marchen ganz wesentlich erschwert

haben. Daraus, dass sie Reste aus sehr alten Zeiten sind,

(olgt nicht, dass es so auch mit den MITchen sci. Zu diesen

uralten Motiven gehoren namlich nur einige EinzelzOge der

MArchen, viele andere und zwar der grosste Teil von ihnen

weisen auf spatere Zeiten hin. Die Sache verhalt sich einfach

so, class die M:trchen selbst aus der geschichtlicben Zeit

stammen, aber bei ihrer Zusammensetzung wurden auch ausalten Zeiten qrerbte Begriffe und Sitten in Anwendung gr-

bracht . Es ist kaum glaublich, dass der Verfasser des MArchens

diese altertOmlichen Vorstellungen auch nur fur wahr gehal-

ten oder es mit seiner Erzahlung immer ernst gemeint babe.

Die MArchen sind wahrscheinlich schon von Anfang an ZUlU

L ) Leyen, F. Y. d., Da- Marchen t 191 I) s. 75.~)Ders. S. 27.

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- ------~~

grOssten Teil mit der Absicht Vergnugen zu bereiten abge

fasst worden, und die Auffassung ist Ialsch, class man sie

in den alten Zeiten anfangs ernst genommen habe, wie es

heutzutage unter den Kindem der Fall ist, und sie erst

sparer Vergnugens halber zu erzahlen begonnen hatte,

Einige von den Freunden der anthropologischen Auf-

fassung, die zwar der Wanderung der Marchen von einem

Volke zurn anderen eine grossere Bedeutung zuerkennen

als die Grunder del" Schu1e, versuchen den Wert der Ent-

lehnung durch die Behauptung Zl1 verrnindern, dass vieleAhnlichkeiten, in welchen die Forscher Entlehnungen

vorausgesetzt haben, ihr Entstehen dem Zufall verdanken.

In diesem Sinn a.ussert sich u. a. A. Forke in seinem Werke

"Die indischen Ma.rchen" (191 I). 1m Leben kommen viele

Ubereirrstimmungen vor, erklart er, die auf Zufall beruhen.

Es gibt Falle, wo die Denker, ohne VOIl einander xu wisseri,

gleiche Konzeptionen gehabt haben, ein chinesischer Philo-

soph und do indischer Weiser haben z. B. fiber das mensch-

liche Leben solche Anschauungen ausgesprochen, dass der

gr~sste Tei1 des Lebens von der Kindheit, dem Alter und

dem Scblafe ausgefullt wird und den Rest noeh Schmerz,

Krankheit und Sorge storen, Ebenso sind in dell Marchen

viele Ahnlichkeiten entstanden; so z. B. die Ubereinstimmung

in der asopischen Fabel vom Fuchs, der, nachdem er das

Herz des getOteten Hirsches gefressen, ZUlU LOwen sagt,

der Hirsch babe gar kein Herz gehabt, und in dem MAr-

chen vom Dracbentoter, wo del" als Retter der Konigstoch-ter auftretende Marschall behauptet, die Drachen hatten

Gberhaupt keine Zunge - er hat die .lungen herausge-

schnitten und mitgenommen -. entstammt dem Zufall. Es

ist wahr, dass man in den Marchen bisweilenauch zufallige

A.hnlichkeiten trifft, und Forke's Foigerungen kfmutn thea-

retiseh betrachtet zutreffend erscheinen, aber ill \Virklichkeit

verschwindet ihre Bedeutung fast ganzlich. Es ist namlich

zu bemerk.en, class del" erfahrene Forscher ziemlich leicht

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die zufalligen Ahnlichkeiten von den aus Entlehnungen

herfliessenden unterscheidet, Einzejne FAUe, in denen demForscher die Beschaffenheit der Ahnlichkeit nicht bewusst

wird, beeiaflussen die Hauptsacbe sehr wenig. Und ausser-

dem ist immer zu bedenken, was schon klargelegt wurde,

dass die MArchen ga.nze Er,za.hlungen sind, and wenn von

A.hnlichkeiten die Rede ist, sind sie als Enihlungen zu

behandeln und nicht als einzelne Zuge oder Episoden,

jeder Zug und jede Episode hat urspriinglich ihren Platz

in einem bestimmten Marchen, aus dem sie sich bisweilengelost baben konnen, und in diesem Sinn ist von ihnen

zu sprechen, Und von der in den ganzen Erzahlungen

sicb bemerkbar rnaehenden Ahnlicllkeit sagtauch Forke:

"Dann ist an einem Zusammenhang kaum zu zweifeln",

Wo und wann die M4rchenenstanden sind, h.at in

[edern einzelnen Fane die Spezialuntersuchung zu ermitteln,

Bei der Kritik der benfeyschen Ansichten sahen wir, dass

Indien nlcht die Heimataller MArchen sein kann, und

ebenso wenig ist es ein anderes einzelnes Land. Marchen

sind offenbar in versehiedenen Gegenden entstanden. Dass

einige von Ihnen aus Indien stamrnen, mOchteo auch die

eifrigsten Gegncr del' indisehen Theorie nieht leugnen.

Eine bewiesene Sache ist auch, dass Mlrchen in Europa

entstanden sind. Der Entstehungsort von M a.rchen , die

aussehliesslich in Europa angetroffen werden, z. B. der

Marchen "die Tiere im Nachtquartier", udie drei Zauber-

gegenstande und die wunderbaren Fruchte", "Titelitureil

(Mt. 500) u.a. ist gewlss in unserem Erdteile 7.U suchen,

Die einzeluen ausserhalb Europas, z..B. in Amerika, begeg-

nenden Varianten, sind deutHch in spaterer Zeit von

Europa herubergekommen, Einige Abenteuer des dummen

, Baren und des schlauen Fuchses, Z : • . B. das Fischen mit dem

Schwanze, sind ihrem Ursprung nach als nordeuropaisch

erwiesen worden ..

Obgleich aber MArchen in versehiedenen Geg,enden

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~~FC13

verfasst worden sind, ist es doeh nieht wahrscheinlich,

dass sie aberall entstanden seien, Ich glaube, class sie

zum grossten Teil an bestimmten Orten zustandegekommen

sind. Einige Volker und Gegenden haben besondere

Voraussetzungen fOr das Schaffen von Marchen gebabt.

Einen solchen fOr die Entstehung der Marchen gOnstigen .

Enlboden hat der Orient und vor allem das vielbesprochene

Indien gehabt. Meine Auffassung ist, dass Indien, dem

einige fur die Entstehung der Marchen beinahe aile Bedeu-

tung haben absprecben wollen, doch einen bemerkenswerten "Antell an ihrer Schopfung hat. Die Reichhaltigkeit der

alten indischen MlrchenHteratur zeigt, dass die Mlrchen

in Indien sehr beliebt waren. 1m Hinbliek darauf scheint

es sehr natOrlich, dass di.e Indier Marchen auch verfasst

haben. Es ist Ialsch, sie in Benfey's Art aus del' bud-

dhistisehen Literatur herzuleiten, aber die volkstiimlichen

Vorbilder, auf welche sich die schriftlichen Bearbeitungen

grunden, kr,nnen die ursprOng1ichen Formen der Erza.h-

lungen vertreten. Es sei jedoch hervorgehoben, dass eine

solche Frage nieht auf einmal definitiv entschieden werden

kann. Der Antell der verscbiedenen Volker an der MAt-

chenschOpfung wird sich erst dann aufklaren, wenn zuerst

die Schicksale und der Entstehungsort jedes einzelnen

Mlrchens durch Spezialuntersuchungen bestimmt worden

sind. Reinhold Knltler und andere, die mit ihm die einzelne

Mlrchen betreffende Behandlungsart betouten, haben die

kanftige Forschung auf den richtigen Weg hingewiesen.Die Vormglichkelt del" marge nlandischen MArchen wird

auch daraus ersichtlich, dass nach ihnen und durch Steffan-

leihen bei denselben in Europa, wie es scheint, neue Mlr-

chen zusarnmengesetzt worden sind, die den hiesigen Ver-

haltnissen besser entsprechen, Ein solches ist das Ma"chen

"die Tiere im Nachtquartier", dessen Vorbild das morgen-

landische Marchen von. den auf der Reise belindlichen

HausgerAten gewesen ist, und ebenso das europaischc

2

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18

Fortunatusmarchen. Sowohl die Haupthandlung als einige

einzelne ZUge des letztgenannten kommen in denahel1

morgen land ischen MIrehen vor.l)

Ebenso wie einige VOlkel' grOssere Voraussetzangen

fGr das Schaffen von MITchen gehabt haben, so bat es sicb

augenseheinlich mit eimgeu Zeitepochen verhalten. In

Indien hat es wahrscheinlich in alteren Zeiten besondere

mlrchenerzeugende Epochen gegeben, In Europa scheint

das .Mittelalter eine solehe gewesen zu sein, Die kGnft ige

Forschung wird wahrscheinlich viele von den in Europaentstandenen Marchen als mittelalterlieh erweisen. Der

aberglaubische Geist des Mittelialtf'rs, das Geheimrrisvolle

und der Mystizismus desselbeu sind geeignet geweseu, lias

Entstehen der an dip. Wirklichkeit sich w.enigkehrenden

Mlrchen zu begunstigen,

Die einzelnen Mlrehen konnen also ihrern Alter nach

sehr verschieden sein. Ein agyptlscher Papyrusfund beweist,

class das Marchen von 2 Brndern und deren Abenteuern

(Mt. 303) in Agypten schon urn ii i300 V. ChI'. bekanru war.

und der Grieche Herodotos erzahlt das bekannte Rarnpsinit-

marchen (Mt. 950) schon im fo.nften jahrhundert vor unserer

Zeitrechnung. Andere Marchenw~eder stamrnen aus ver-

haJtnismassig spateren Zeiten, Die meisten neuen Marchen

sind Schwanke.

Die weitere Verbreitung eines Marchens von seinem

Entstehungsorte aus konnte durch die mOndJi.che ErzAhlung

und durch die Vermitdung del' Literatur stattfiuden. Dassdie Marchen sich rnundlich verbreiten, beweist unleugbar

die Tatsache, class die MatrchenvorrAte zweier Nachbarvolker

einander mehr gleichen als diejenigen solcher VOlker, die

weiter voneinanderwohnen. Die mtlndliche Verbreitung

del' Marehen leugnet kaum jemaud mehr. Leicht bemerkt

man auch in ihrer Verbreitung den Einfluss del" Literatur,

I) .M emoi res de 1 . 1 . 1 Sod ete Fmno-eugrien ne XX V S. qo--- l.p.

;

,

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FFC 13 Ursprung der MAr'chen. 19

So haben solche in vielen Sprachen veroffentlichte, 3 1 1 1 . .

gemein benutzte Bucher wie "Tausend und eine Na,cht4<und

die "Kinder~ und Hausmarehen" der Bruder Grimm die

Verbreitung und Verallgemeinerung elRlger Mln::hen

augenscheinlich befordert, Eine grossere Bedeutung aber

hat die Literatur Hir die Verbreitung der MArchen nieht

gehabt, Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst muss

deren Einfluss sehr unbedeutend gewesen sein. Man erinnere

sich. dass die Bacher in den alteren Zeiten sehr selten

waren, und dass auch lange nach der Erfindung des Buch-drucks die Kunst des Lesens wenig verbreitet war. lnbezug

auf einzelne Mlrchen hat die Forsebung nachgewiesen,

dass man in dem volkstumlichen Mlrdlen niehts oder sehr

wenig von einem Einfluss del' a.lteren literarischen Verianten

merkt. In der neuesten Zeit sind die Voraussetzungen (01' die

literarische Verbreitung der Ma.rcben viel grOsser gewesen,

und eine solche ist auch in grOsserem Masse erfolgt als

fruher, obgleich nieht in dent Grad wie manche erwarten

mochten. Der Schwede A ..Ahlstrl)m ist durch seine Forschun-

gen zu der Uberzeugung gekommen, dass in den schwe-

disehen MArchen bls in das letzte Jahrhundert kaum der

geringste Iiterarische Einfluss zu bemerken ist. Als H_vlten-

Caval/ius und StepJums um 1840 ihre - grosse MArchen-

sammelarbeit ausfuhrten, war von der schwedischen Volks-

bucher-Literatue fast keine Spur in dem volkstemlichen

Marchenschatz zu finden. Aus den allerletzten Zeiten hat

er ofters Aulzeichnun,gen bemerkt, die sich unmittelbar odermiuelbar aus Bnehern herleiten, J ) Hauptsachlich zu demsel-

ben Ergebnis, glaube ich, kommt die Forschung auch

anderswo,

Die Verbreitung del" M.§.rchen hat durch Jahrhunderte

hindurch stattgefunden und geschieht noeh jeut inerster

Linie auf mnudlichern Wege, Die M.archen wandern Jill

I) Ahlstrom, A., Om Iolksagorna (l8gS) S. 32~33.

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20 ANlTI AARNE,Leitfaden. FFC 13

Volke so leicht, und sie haugen nicht von mer Verschieden-

heit der Sprachen abo Die Sprachgrenze bringt das \\Tan-

dern der metrischen Erzeugnisse des Volksgeistes zum

Stehen oder erschwert es wenigstens sebr, abe r das Wan-

dern des ungebundenen Mlrchens hindert sie kaum. Fur

die Verbreitung der Ma.l'chen bedarf es nur des gegen-

seitigen Verkehrs der Individuen und der V~lker. Ebenso

wie sie in einunddemselben Volke von einer PersOnlichkeit

zur anderen Qbergehen, ebenso bringt der nahere Verkehr

zwischen den VOlkern sie von einem Volke zum anderen.Was das verschieden haufige Vorkommen einzelner Mlrchen

und ihr weiteres oder engeres Verbreitungsgebiet betrifft,

h4ngt dies teils von dem Alter des Marchens. von seiner

\Vanderungszeit, aber auch viel von seiner eigenen Beschal-

Ienheit abo Wei1 die MArchen als Mittel zur Erheiterung

gt'lnaucht werden, ist es naturlich, dass die unterhaltenden

MAn'hen, von denen die Horer mehr angez.ogen werden.

sich schneller als die trockenen verbreiten, Das Mlrchen

"die Tiere im Nachtquartier" ist offenbar durch seinen

Irohlichen Ton in den verschiedenen Landern Europas so

allgemein geworden, wAhrend das verwandte MArchen von

den auf der Reise befindlichen Hausgeraten sich mit einer

viel unbedeutenderen Verbreitung zufrieden geben musste,

Die Anziehungskraft des Inhalts hat aueh die March en von

dem Manne, der sagte, er komme aus dem Paradies (Paris)

(Mt. 1540), von den drei Zaubergegenstlnden und den wun-

derbaren Frnchten u, a. ".7.U den hauligsten MArchen Europasgema('ht.

Gegen die mandliche Verbreitung der Marchen ist

mitunter die Behauptung aulgestellt worden. dass dasselbe

Mlrchen bei zwei welter voneinander lebenden VOl kern

vorkommen, hingegeu hei dern zwischen ihnen wohnen-

den Volke Iehlen 'kann .. Diese Erscheinung beweist jedoch

nichts in Bt·;l.ug auf die Verbreitung der Ma.rchen, denn sit'

beruht fast immer auf de-Ill Mangel an Sammlungen und ist

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FFC13 21

mit dern Fortschritt der Sammelarbeit immer seltener gewor-

den. MOglich ist in einzelnen Fallen auch, dass das MAr-

chen bei dem zwischenw ohnenden Volke in Vergessenheit

geraten ist.

\Venn man VOI1 der Verbreitung der Marcherr spricht,

werden oft die geschichtlichen V nl kerwanderungen als

Zeugnisse genommen. Eine grosse Bedeutung pflegt man

z. B. dem bekannten Einfall der Mongolen in Russland

zuzuschreiben, wo sic rur tAngere Zeit wobnen blieben.

Es ist naturlich, class derartige Ereignisse die Ubertragungder Ma.rchen von Volk zu Yolk verrnitteln konnteu. 'Venn

man aber andererseits die grosse Leichtigkeit in der \Van-

derung der MArchen in Betracht zieht, sind die Wanderun-

gen del' VOlker meines Erachtens mit Vorsicht als Zeug-

nisse anzuwenden, So verhalt es sich besonders, wenn sie

in den Alteren Zeiten vor sich geg-angen sind, denn die

MArchen haben Zeit gehabt, im Laure del" jahrhunderte

weite Wege von Mund zu Mund selbst zu wandern,

und ausserdem fAllt es dem Forscher gewOhnlich schwer zu

ermitteln, was fO r MArchen das in jedem Fall in Frage

kommende Volk beim Antritt seiner Wanderuog gekannt

hat. was doch notwendig ist, ehe die Ubersiedlung Beweis-

kraft haben kann. Mehr Bedeutung haben die spateren

lhnJichen Erscheioungen. So hat man inbezug auf die

finnischen MArchen Zeitbestimmungen gewonnen dureh die

urn ]600 geschehene Ubersiedlung von Savolaxern nach

Schweden, vor allem nach del' Landschaft Wermland, wo

sie sesshaft blieben.

Die Mlrchen bilden eine Schicht von Erzahlungen, die

von einem Orte zum anderen wandernd, in der Erinnerung

des Volkes Iortlebt, Sie wird von den an verschiedenen

Orten und zu verschiedenen Zeiten entstandenen elnzelnen

Erzahlungen gebildet, die in ihrer Art mit der Literatur

vergleichbare Erzeugnisse sind. Ursprunglich gehoren die

Marchen augenscheinlich alle dem alten Kontinent an,

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22 ANTT l AARNE,. Leltfaden, FFCl3

obgleich sie durch Ubersragung tells auchausserhalb dessel-

ben bekannt werden konnten, Ihre leichte Wanderung

leiter s:ichaus ihrer von Ort und Zeit unabhangigen Beschaf-

fenheif her, die sie nberall anpassungsfahig und wiUkommen

macht, Neue Marchen kOnnen auch noch entstehen, obgleich

die Phantasie des Volkes im allgemeinen besehrankt ist, sie

schaffa in unserer Zeit sehr selten etwas vollstandig Neues.

Die Mar,chen haben ihren eigenen Inhalt, der von dem

der anderen Volkspoesie durehaus verschieden ist, Selten

haben sie und die anderen Erzeugnisse der Volkspoesiesich miteinander vermischt. Esgibt einzelne Fane, t n denen

eln MArchenmotiv als eine Ortlieh und zeitlieh gebundene

Sage oder als lied in gebundener Form erscheint. Ein

MarcbenerzAhl.er kann blsweilen seine Erzahlung mit einern

Spruche verschnnern. Es jst aueh nicht unmogllch, einem

RAtse1 mit dern Marchen verbunden zu begegnen, In eini·

gen Mlr,chen bildet das Erraten des Ratsels einen wesent-

lichen Teil der Erz.Ahlung. Alles dies sind jedoch Ausnah-

meHll:Ie. Mehr Auhnerksamkeit verdient in der Erforschung

der Marchen nur das Vorkommen der Mlrchenmodve ill

den alten Volksepen.

Man hat olt die Marchenforschung als Nebensache mit

irgendeinem anderen Forschungsgebiet vereinigen wollen,

Das hat man von der ersten Zeit clef Forschung all getan

und tut ,es noeh heute, Die Freunde del' grimmschen Schule

sind rneistens Mythologen und Linguisten, die der benfey-

schen Schule Literaturhistoriker und die der englisehenSehule Anthropologen gewesen, [Jaher haben sich viele von

den Einseitigkeiten nod Irrtnmern hergeleitet,wekhe in der

Forscbung der Mlrchen vorgekommen sind. Die MArchen

bilden ein besonderes Forschungsgebiet mit eigenem Inhalt

und eigenen Forschungsmethodera, una sie mussen5elbstln~

dig untersucht werden, wobei natOlrlich die Beziehungen des

Forscbuogsgebiets zu einigen anderen nahestehenden "'is~

seuschahazweigen in Betracht luziehen ist,

J

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FFC 13 Die Veranderungen in den MArchen. 23----===--- -=-~ - -- -- --- -~~ - -- - -~--- . -..,....--.., -- - - - - ..-: - -~---=-....,...------=-

II. Die Veranderungen. in den March en.

Das innere Leben der Marchenist sehr anziehend.

i\US der Art infer Erhaltung foigt, class sie im Laufe der

Zeit Veranderungen unten\torfengewesen sind und noeh

fortwahrend sind. Wir kounen ein und dasselbe Marchen

mehrere hundert Male aus dem Volksmunde aufzeichnen,aber

zwei auch in ihrer \Vordonn gauz gleiehe Varianten sind

lIInmij.g~icb zu finden. Dies ist eine Folge des beschrankten

Erinnerungsvermdgens, Die Verfasser der literarischenBear-

beitungen der Mlrchen sind mit den volkstumlichen Erzah-

lern xu vergleichen. Auch in ihren Handen hat sich die

Erzlhlung verandert, obgleieh die Ursaehen del' Verlnde-

rungen teilweise anderer Art sein kounen. Der Schreiber

hat seine Veranderungen Ofter a~s clef volksttimliche t:rzlhler

absiehtlich gemacht, Seine Arbeit wurde von einem bestimm-

ten, z. B. sehonliterarischen oder didaktischen Ziel geleitet,

Es ist dem Forscher 1l' l!c"Jglich tlber die Verhaltnissedes inneren Lebens der M lrchen Klarheitzu gewinnen.

Hie Veranderungen Iolgen namlich bestimmten Gesetzen

des Denkens und clef Phantasie, die mit den in den sprach-

~ichen Erscheinungen herrscbenden Gesetzen der Sprache

zu vergleichen sind. Die Veranderungen .sind durch be-

stimmte Ursachen hervorgerufen, 1 - : 5 geschehen zwar auch

vom Zufa.111abhangige Verandcrungen, aber sie sind selten

Ul1Id dem erfahrenen Forscher Ieicht erkennbar,

Ieh werde im Folgenden die hemerkenswertesten diesel'

Gesetze darstellen ..

Wenige Um st.a n de v e r u r sa.c h e n in den MAr·

chen so vie l e Vcr and c ru n g e n w ie d a s Vergess·en

e in e s Z u g e s (einer Person, ejnes Gegenstendes, eines

Ereignisses u. a.), Das Vergessen betrilit seltener die fih' die

Ganzheit der Erzahlung wichtigen Grundzuge. Gewohnlich

gerat ein Um stand in Vergessenheit, cler mit deruhrigen

)(,oogk Original from

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FFC13

Erzahlung nicht in Iesterem Zusammenhang steht und dessen

\Vegbleiben deswegen keine anderen bemerkenswerteren

Veranderungen zur FoIge hat. In dem Ma.rchen von den

Tieren im Nachtquartier ist oft die die Tiere betreffende

Todesdrohung vergessen, derentwegen die Tiere das Haus

verlassen, In del' Ma.rchenform, wo der Menscb in Ge-

meinschaft mit den Tierenals Teilnehmeran der Reise

vorkommt, ist oft die ganze Darstel1ung des Aufbruehes

zur Reise weggeblieben und ohne nahere AufklArung wird

nul' gesagt, dass del' Mensch die Tiere bei sich hal. In

dern M:'lrchen von den drei Zaubergegenstanden und denwunderbaren Fruchten, durch deren Hilfe die Entwenderin

der Gegenstande gezwungen wird, dieselben zurOckzugeben.

ist zuweilen die Dreizahl der Empfanger der Zaubergegen-

stande vergessen worden. 1m Zaubervogelmarchen ist die

Erzahlung von dem Reichwerden des Vogelempflngers

durch das Verkaufen der Eier vergessen, und das Ver-

schwinden des Reichwerdens hat seinerseits das Vergessen

der ursprunglichen Annut des Mannes erleichtert. Die

Armut ist namlich ursprOnglich als Gegensatz zum Reich-

"verden vorgekomrnen, uod nachdem das Reichwerden

weggeblieben ist, ist es nicht mehr notwendig gewesen, die

Armut des Mannes hervorzuheben.

Das Vergessen hat in den inneren Schicksalen des

Moirchens einen grosseren Einfluss als irgendein anderer

Umstand. Ja man kann sagen, es hat einen grosseren oder

kleineren Anteil an den meisten in den MArchell vorsichge-

henden Veranderungen.De r G e g ens at z des V erg e sse n sis t die E r-

weiterung d e r ErzAhlung durch u r s pr a n g lj cb

n ic h t z u ih r g e h l '> rig eSt 0 ff e. Auch die Erweiterung

ist eine der allgemeinsten Erscheinungen in den Mlrchen.

Das was hinzugefugt wird, entnimmt man meistens dem

schon vorhandenen Stoffvorrat, gewOhnlich anderen Mllrchen.

Mitunter erfindet del' Erzahler selbst eine Erglnzung an

O r ig in al f rom

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FFC 13 Die Veranderuagen in den MA.rchen. 25--~--------- ----~ - ---

einer Ste1le, die ihm in irgendeiner Beziehung mangelhaft

erseheint, M it de r Jo:rzahh.mg werden ga.nze Episoden oderStucke einer solehen verbunden, I I I den sich vereinigen-

den Teilen muss ein zusammenfassender gemeinsamer Zug

oder etwas Ubereinstinunendes sein, Erweiteruugen konnen

in [edem Mlrchen auftreten, Mit de-Ill Aberueuer von den

im Nachtquartier befindlichen Tieren hat sich die Geschichte

VOI1il BlrenfOhrcf, der mit Hilfe seines Baren den Teufel

verjagt, verbunden, Die Vereinigung ruhrt davon her, dass

es sich in belden Geschichten UIn die Vertreibung des

Gegners handelt und der Vertreiber in heiden ein Tier ist.

In dem Zaubervogelmarchen ist ein anderswoher gekomme ..

ner Zusatz der Diener, der den jungen zur Flucht verhillt,

die del: Liebhaber der Mutter getotet haben will. Der Diener

schlachtet die Jungen nicht, wie ihm aufgetragen ist, sondern

er bereitet fO r den Liebhaber eln Essen aus zwei jungen

Hunden zu, In der ursprtmgliehen Episode wird gewohn-

lich von dem Bringen des Tierberxens anstatt des Herzens

des zu tOtenden Menschen gesprochen, Ein solcher Zusatz,

den ein spaterer" Erzlhler selbst erdichtet hat, ist das Kaufen

der HAuser dureh den Besitzer des Beutels fOr seine Bruder.r

in einer Gruppe Iinnischer Varianten des Marchens"Die

drei Zaubergegenstande und die wunderbaren Frncbte",

Den Umstand, dass die anderen Emptanger der Zauber-

,g-cgenstande diese dem Besitzer des Beutels zur Verfugung'

stellen, hat man eines naheren Motivs bedurltig erachtet,

Ein solches Motiv hat man dutch den Kauf der Hauserbekomrnen, indem die Hergabe der Zaubergegenstande

als Belohnung fur diese Wohltat erscheint, Eine sparer

gebildete Episode desselben M~rchens ist augenscbeinlieh

auch das Sehonmachen als Eigenschaft der wunderbaren

Frnehte, wodurch die Aufmerksamkeit der Koulgstochter

auf die Fruchte gelenkt wird, und ebenso das Durehprugeln

der Konigstochter wodurch man die GrOsse der ihr auierleg-

ten Strafe verscharfen wollte.

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A~TTI AARSE, Leitfaden. FFC1]

nit' Erweiterung kann an jedem beliebigen Punkte des

Marchens einsetzen, aber besonders sind der An fan g und

das 'E n d e der Erzahlung dazugeeignet. Dit' Erzahler haben

eine besondere Vorliebe, die Eirrleitung der Erzahlung auszu-

dehnen und ebenso die E .fzahlung- m it Endzusatzen lortau-

spmnen. IIer Zusatz am Schloss g-estahet sich bisweilen zu

einem schnurrigen Epilog. Der Anfang und <las Ende des

Marchells zeigeu auch sonst eine grOssere Neigung sich zu

\'C'ra.ndernals seine ubrigen Teile. Werm wir z. B . die

Art und Weise des Empfangs der Zaubergegenstande i n

den Marchell "Die drei Zaubergegenstande und die wun-dcrbaren Fruchteli und . ,Die Zaubergaben t! betracbten,

treffen wir in belden eine Anzahl mehr oder weniger ver-

brei tete verschiedeuartige Bildung'en an. Einige von Ihnen

sind deutlich aus ianderen Mar-eben gf'kommen, z. B. in dem

erstgenannten Faile die F:riosung del' verzauberten jung-

Iraueu, die Entwendung der Zaubergegenstande aus den

Handen der wegen dC'T Teiluug sieh streitenden Teufel,

de.. Besuch des vaterlichen Grabes, die Segnung des unbe-

statteten Leichnams US\\"! und in dem letzteren das Empor-

klettern an einer grossen Pllanze ins Paradies, das Erhahen

der Zaubergegenstande von dern GlOck, von dem die Saat

des Mannes beschadigenden Vogels u .. 3.

Z u r E r w e i e r u n g g e h.o r t a u c h d i e V e r e i n i -

gung ve r sc h ie d e u e r Ma.rchen lU e in e m Ganzen.

Die ~:rla.h'er verbinden M:trchen miteinauder, in denen sich

irgendein g'emeinsamer, zusamrnenhaltender Zug hefindet.

Zusasmnenruckung kann man in einzclnen F411en in allen

beliebigen Macrchen Hnden, abel' einige MArchengruppen

zeigcn besoudere Neigung dazu, Solche sind zmdkhst die

Ticrmarchen. Fbenso wie die Zusanuuensteller del- mittel-

.alterischen Tierepen verschiedene Tiergeschjchten in einem

g"'l"I11l'insamell Rahmen uiiteinander verbanden, ebense

vereinigt auch <las Volk z. B. die Abenteuer des schlaucn

FUl'hsesuud des dummen B aren , Zusanunenruckuug he-

) (,oogk Original from

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merkt man auch in den Marchen von dern dummen Teufel,

den der kluge Mensch betrugt, und in den Schwanken,besonders in den Schildburgerschv ..anken. Es sei jedoch

bemerkt, dass die Zusammengehorigkeit verschiedener

Geschichten nicht immer ZusammenrOckung bedeutet, derm

sie kann teilweise auch ursprunglich sein.

E i n e A r t Er w ei t e r u n g i s t n o c h d i e V ' e r v ic I -

f a.1 tigun g. Auch darin vermehrt sich der ursprtmglich

in die Erzahlung gehorende Stoff. Die Personlichkeiten,

Gegenstande, Eigenschaften, Tatigkeiten u. a. verviellaltigen

sich. Es ist Verviellaltigung, wenn sich in dem Marchen

.,Die Tiere im Nachtquarticr" die Zahl del" Tiere verrnehrt:

neben dern Hahne erseheint ein Huhn, neben dem Ochsen

eine Kuh, neben den Haustieren Tiere des Waldes. In

der einfachen Vervielfaltigung multipliziert sich der Gegen-

stand oder der Begriff mit einem ode!" mehreren gleichen.

In dem erwAhnten Marchen sind bisweilen anstelle eines

Hahnes viele Ha.hne,anstelle einer Gans viele Ga.n!'f

gekommen usw. Gewohnlich beruhrt die Verviellaltigungnur einzelne von den auf der Reise befindlichen Tieren,

abe .. zuweilen ist die Zahl aller Tiere vervielfaltigt. In dern

Marchen von den auf der Reise befindlichen Hausgeraten

hat sich in einigen europaischen Varianten die zur Reise-

gesel1schaft gehOrende Nadel verdoppelt, ja bisweilen

sogar verdreifacht. In einer olo netzischen Variante des

Aladdin-Marchens sind statt einer Lampe viele Lampert,

aber die Zauberkraft gehOrt nur einer von ihnen, die

sich von den anderen durch ihre Schmutzigkeit untcrschei-

det. Die Verviellaltigung' ist also i.n diesem Falle nieht

vollstandig ,

Oft werden bei der VervielHlItigung bestimmte Zahlen

befolgt. Die Dr e i ah list in den Marchen sehr gewOhnlich.

Bruder sind oft drei vorhanden, yon denen der jfmgstc als

durnmster gilt, wahrend er in Wirklichkeit del' klugste ist,

Zaubergegenstande gibt es drei, die Zahl der Richter im

O r ig in al f rom

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28 .-\:,\TII AANNE, Leitfadee,--.- --" .. . - - "" -_ -~-_-- -- - --,_ -.~---.,.~ --~-

,!

Il

M"rchcn "Undank ist der Welt Lohn" ist drei usw I)

Bei der Allgemeinheit der Dreizahl ~n den Mlrchen istes kein Wunder, dass sieauch in der 'Vervie'lfAltigung oft

angewendet wird, In del' Geschdchte von dem Fischen des

B lren [1 t1 it dem Schwallzeist del" Bar m itunter drei NA chte

an das Eisloch gesetzt, in dem Marchen "Ba.renfrassNwo

der Mann dem Fuchse statt del" ihm versprochenen zwel

Ganse (Hulmer) zwei Hunde bringt, koeimt zuweilen anstelle

von drei, aber auch fOnf oder zehn Gansen dieselbe Anzahl

Hunde VOl"..

Dus Er g eb ni d e r VervieUlltigung i t oft

e in e D u pie t ten lor] )1, .d, 11. in der Erzahlung bildet sich

nach einem vorhandenen Zugeein neuer ihm· gleichen-

der ZUg". So ist es z. H. in der Fortunatus- Variante der

Gcsta Rosnanorum geschehen. wenn neben den aussatzig

machenden Fruchten ein Zauberwasser erschienen ist,

das das Fleisch von dell FOssen lOst. Das Wasser hat

eigentlich dieselbe\Virkung wie die Frnchte. Dassel be

Verhaltnis herrscht zwischen den gesundmachenden Fruchtenund dem entspreehendenWasser. Eine Duplettenlorm ist

auch die Wiederholung des Durchprugelns in einigen

Varianten des Marchens ..,Die Zaubergaben", Im Mlrchen

zwingt del' von selbst schlagende Knappe) (oder clef Sack,

am; dessert Innerem Jungen mit Stocken in den Handen

erscheinen] durch das Prugeln den Enrwender del' Zauber-

g:egenstdrrude dieselben ihrem Besitzer' zurtickzugebea. Nach

diesem ist das am Ende des Mlrchens blsweilen vorkom-

urende Durchprugeln des Weibes des Besitzers der Zauber-

gegensUlndc und ebenso in den Varianten mit zwei Zau~

berdingen das Durchprugeln der Ga.ste des reichen Bruders

g;ebi1det Die Entstehung de r Duplettenformen hat in die-

sem Falle wahrscheinlich del" amnsante Charakter des Zuges

'.

J

1) Vgl, O[rik. A., Episke love ifolkedigtningen (Danske Stu-

dier IgoB S. Bl).

)(,oogk Original from

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FFC 13

verursacht. In der Rauberfassung des Ma.rehens "Die

Tiere im Naehtquartier" ist eine Dupletten form die Verja-gUD;g der Besitzer des Nachtquartiers von ihrem Schmaus

bei der Ankunft der Tiere in dem Haus. Die Verjagung

ist hier eine Kopie der ursprQ nglich zu dem Marchen gehO-

renden Verjagung des in das Nachtquartier Eindringenden,

In der Urform des MArchens sind namlich die Besitzer des

Hauses bei der Ankunft der Tiere abwesend, Das Verkaufen

des Vogels in einigen Varianten des Zaubervogelmarchens

ist eine Duplettenform des Verkaufens der zu der Urform

des M4rcheos gehOrenden kostbaren Eier.

Die Duplettenform fQgt der Erzahlung in den erwahnten

Fallen einen neuen Zug bel. Es gibt auch Duplettenformen,

die die Erzahlung nieht erweitern, sondern einen in del'

EI7..ahlung schon vorhandenen Zug einem anderen Zug

angleichen. Diese sog. A n a log i for me 0, die den sprach-

lichen Analogieformen entsprechen, sind in den Mardlcn

sehr gewOhnlich. Sie sind zweierlei Art, jenachdem oh

das Vorbild der Form in demselben oder in einem anderenMarchen vorkommt.

Eine 7.U der ersteren Art gehorende A naJogiefonn ist

der Dienst, den die Katze und der Hund in einigen fin-

nischen Varianten des Marchens \'0111 Zauberring erweisen

durch die Rettung des Gebers des Gegenstandes aus dem

Feuer. J4:s ist dies eine Kopie von dem Zuruckbringeu

des entwendeten Zauberringes. Ja die Katze ist sogar oft

auch beim Durchdringen des Fellers, ebenso wie es beim

Oberschwimmen des Wassers dargestellt ist, auf den Rucken

des Hundesgesetzt. Die gleicbe Analogieform entsteht in

dem MArchen von den drei Zaubergegenstanden und den

wunderbaren Frachten, wenn die Entwendung des Zauber-

gegenstandes IIbringt einen, wohin man will" nach del'

Art der Entwendung der anderen Zaubergegenstande von

der femen Insel in das Halts tier Konigstochter ubergeht ,

lind ebenso in dem Zaubervogehnarchen, WCI1Il anstatt der

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30 ·--- -_._- -ANTI~ AARNE. Leittaden. FF'C f3

- -- -- ~ ~= ~-~= ~-------=

Abenteuer des Verzehrers des Herzens der eine Bruder zu

einem vornehmen Beamten bei seinem KOnig gewordenenBruder gemacht wird ..

Wenn im Marchen mehrere in derselben Stellung

befindlicheZGge' vorkommen, konnen diese alle sieh ex

analogia dem einen Zugegieich verandern. So geht es

x, H. im Mlrchen von den Tieren im Nacht.quartier,wenn

die Aufgabe oder der Beruf des eineu Wanderers allen

Mitgliedern del' Reisegesellschaf]; zugeeignet wird, So stellt

sich der .:rzAhler mitunter nach dem\Vidder, der in der

Urform des M,i:rchens eiu Schuhmacher gewesen ist, aile

Tiere als Schuhmacher vorl nach der Gans alle als Schnei-

der usw.

Ails Beispiel von Analogieformen, wo das eine MI.rchen

das andere beeinflusst, erwahne ich die Verwechslung der

PJa.tze des Haren und des Fuchses in der nordischen

Umformung des Mlrchens ",Der BAr mit den ZAhnen am

Schwanze des Pferdes ha.ngend... . In dleser ~ockt. der B ar

den Fuchs an den Schwanz des Pferdes, aber nach anderenAbcnteuern des Baren und! des Fuchses, in denen der Bar

immer als Betrogener und der Fuchs als Betrnger erscheiat,

ist auch hier zuwejlen der Bir an die Stene des Fuchses

als Fahrender, der Fuchs an die Stelle des 8ll'en als Ret-

gebel- gestellt worden.

Selten ist in dell Ma.r,chen a uc h n icht die

Sp e xi al is ie r e ng ei n e r ,allgemeinell· o der die

Ve r a l lgem.ei aes-u u g ei n er s pe ziel l e n Be a eic h-

nun g. Die t:rzAhler bestimmen gem naher, beschranken

eineu Begriff allgemeinerer Art und erweitern urngekehrt

eillenl"'ngerell Begrif] in seiner Bedeutung, Die letztere

Veranderuug kann bisweilen eine Folge des Vergessens

seiu, In dem Mar'chen voru Zauberring ist mitunter der

-Fisch, welcher den Zaubergegenstand verschluckt, seiner

Art nach als Hecht, Felchen u. BI. bestimrnt, und ebenso

hat man in dem Zaubervogelmarchen den Vogel stelleu-

Ii

iJ

. .

)(,oogk Original from

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FFCI3 Die Veranderungen in den MArchen. 31

we-ise Huhn, Gans, Ente u. a. Zl1 nennen begonnen. Eine

entgegengesetzte Erscheinung kommt in dem Marchen vonden drei Zaubergegenstanden und den wunderbaren Fruchten

vor, wenn die bestinunte Fruchtart, die Apfel, hie und cia

gemeinhin in Fruchte verandert worden sind, und im MAr~

chen von den Tieren im Nachtquartier, werm statt eines

bcstimmten Handwerks fUr verschiederie Tiere Benennungen

wie "einer'\ "jemand If angewendet worden sind.

M it den Er z a h l u n g e n k o n n en sich Lr e m d e

StoHe auch durch Vertauschung v e r b in d e n, d. h.

anstelle eines weggebliebenen Zuges erscheiut ein anderswo-

her gekommener anderer Zug, der mit jenem irgendwie

verwandt ist. Far den Schlussteil des Zaubervogelmarcheus

ist bisweilen derjenige des Marchens "Die elrei Zauber-

gcgensta.nde und die wunderbaren Fruchte+veingetreten.

Die Verbindung ist eine Folge del' ObereinstimlJlung in

den Haupthandlungen del' Erzahluugen. 1m Zaubervogcl-

marchen wird das betrugerische Weib mit einem zauber-

kr~ftigen Grase Inr die Entwendung del' uuentleerbarenGeldquelle, des Vogelherzens, bestraft, Im Marc-hen "Die

drei Zaubergegenstandeund die wunderbaren Fruchte " wird

das betrugerische Weib mit Hilfe der Fruchte gezwungen, die

ihnen entwendeten Zaubergegcnstande zurnckzugeben, unter

einen unentleerbaren Geldbeutel. Das Gras hat in einen

Esel verwandelnde, die Fruchte haben HOrner erzeugende

Kraft. In demselben Marchen wahlt ein Steigen gelassener

Vogel den Verzehrer des Kopfes ZUll1 KOnig, indem er sich

auf dessen Kopf niederlasst. Zur Erklarung del' Konigs-

wahl jst mit dem Zaubervogelmarcheu bisweilen das Mar·

chen von dem Drachentoter verbunden, in dent das KOnig--

werden auch enthalten ist : der Junge erlost die Knnigstoch-

ter aus del' Gewalt des Drachens, zur Belohnullg das Mad-

chen und das Reich erhaltend. An die Stene des unent-

leerbaren Beutels im Marchen "Die drei Zaubergegenstande

und die wunderbaren Fruchte" hit ans dcm Zaulx-rrim ..·. . ~

O r ig in al f rom

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.- \: \"11' .-\.ARSE, Leitfaden.- ---- - ---~-

FFC 1J.

marchen mitunter der Ring gekommen, der entweder seine

ursprtlugliche Eigenschaft "bekommt was man wunscht ..

erhalten oder sich in einen golderzeugenden Gegenstand

verwandelt hat, ebenso aus dem MArchen lillie Zaubergaben"

ein Ranzen.

Vertauschung erfolgt auch in ein und demselben Mar·

chen. Die Personlichkeiten, Eigensehaften, Tatigkeiten u. a.

IOsen sich aus ihrer ursprO nglichen Verbindung und

fngen sich zu neuen Verbindungen zusammen. Das was

urspriinglich von der einen Person oder dem einen Tier

erzahlt worden ist, hat mall dann von anderen erzahlt,

[Ill Marchen .,Die Tiere im Nachtquartier" werden die

Berufe und die Aufenthaltsorte del' Tiere vertauscht.

Das Schmiedehandwerk, das ursprnnglich dem Schweine

g'ehOrl, wird bisweilen einem anderen Mitglied del' Reise-

gesellschaft zugeeignet, del' Aufenthaltsort der Katze, der

Herd, wird von del" Gans eingenomrnen lISW.. FOr das

ursprtlngliche Tier wird dann ein anderes Handwerk. oder

ein anderer Aufenthaltsort erfunden.Die Vertauschung de r l e tzt e r w a hnt e n "Art

erfolgt mitunter nach dem Gesetzf des Ge g e n-

sa t z e s, wobei sich das Verhaltnis zweier Zfige entgegen-

geselzt verandert. Das geschieht z, H. dann, wenn in del'

norrlischen Umformung des Marchens .,Der BAr mil den

Zahnen am Schwanze des Pferdcs hangend", wie O. Ddlm~

ltardt gezeigt hat ~), der Bar anstelle des Fuchses zum Rat-

geber und de r Fuchs anstelIe des Haren zurn Fahrenden

geworden ist oder wenn sich im Zauberringmarchen das

I Iinuberschwimmen des Hundes und de r Katze bisweilen

so verwandelt hat, dass del' Hund auf den Rucken der

Katze gesetzt wird.

Eine gewOhnliche Er s c h e in u n g i t in d e n

Mal"chen die Vermcnschlichung d e r Ti e r a b e n-

I) DAhnhardt, 0., Natursagen LV (1 .91:2 ) S .. :iil35.

O r ig in al f rom

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t e u e r (Anthropomorphismus), Im Hinblick daraul, dass die

Tiere in den Mlrchen meistens den Menschen gleichwertig,

als sprechende und denkende Wesen dargestellt werden,

ist die Vermenschlichung eine sehr natflrliche Veranderung,

Sie ist verschiedenartig. Zuweilen wird der Mensch zu

den in der Erzahlung vorkommenden Tieren hinzuge-

fagt. So z. B. irn MArchen "Die Tiere irn Nachtquartier".

Das Mlrchen hebt dann gewohnlich so an, dass der Mann

sich mit Tieren auf der Reise befindet und in einem Haus

einkehrt, um dart zu abernachten. Eine andere Art Anthro-pomorphismus ist die Verwandlung des Tieres in einen

Menschen. In dem eben erwAhnten MArchen is t an die

Stelle des aus dem Nachtquartier vertriebenen Wolfes ein

Rauber gekommen, und diese neue Sildung hat dann weite

Verbreitung gefunclen. In dem MArchen von der Suche

nach einer Kinderwlrterin oder einem Klageweib erscheint

anstatt des Baren bisweilen ein Mann, der das Klageweib

fur seine Frau sucht. Wahrend der Sucher ein Mensch

geworden ist, sind die sich Anbietenden noch Tiere geblieben.

S e Ite n e r, 0b g lei c h n i h tun b e k ann t, i t die

Verwandlung eines Menschenabenteuers in ein

Tie ra ben t e u e r (Zoomorphismus). In einer syrischen

Variante des Zauberringrnarchens finden wir anstelle der

Hauptperson der Erzahlung einen BAr und anstelle des

Entwenders des Zauberrings, der Konigstochter, einen Wolf,

so dass das Marchen ganz zum Tiermarchen geworden ist.

Ebenso ist in einer syrischen Aufzeichnung des Zaubergaben-

marchens Ernpfanger der Zaubergegenstande ein Fuchs lind

Entwender der FUrst der Fnchse, Es sei jedoch erwahnt,

dass die Verwandlung der Menschen in Tiere in diesen

FAllen vom Erzahler beabsichtigt ist, als Foige des Wun-

sches des Aulzeichners Tierrnarchen, zu sammeln.

Nahe verwandt mit den z w ei letzterwAhnten

Erscheinungen ist die Damo n is ir u n g d e r Tf e r a-

ben t~,u e rod e rum g ek e h r t de rOb erg a n g d t' r T e u -

3

O r ig in al f rom

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Ielab e n t e a er un te r die Tiere.\Venn von einem Tier-

marehen vermenschlichte. Varianten existieren, trifft m.an

gewOhnUcb auch dAmon.isierte an. Ebenso wie im Mlrchen

"Die Tiere im Nachtquartier" der in das Haus Eindringende

zum Rluber vermenschlicbt ist, ebenso ist er oft aueh zum

Teufel oder Gespenst geworden. Anstelle des Gebers des

Zauberrings, der Schlange, erscheint in Finland und Inger-

manland zuweilen der Teufel. Die Abenteuer von. der Ernte-

teilung und vom Baumtragen u.. a .. kommen bald zwischen

dem Teufel und dem Manne, bald zwischen dem Baren und

dern Fuchse VOT. Nach ihrem Ursprung dnrften sie Teu-Ielsgeschichten sein, in den en spater Tiere als handelnde

Gestalten eingetreten sind.

Der Anthropomorphismus l s t bisweilen Ego-

mo.rpb lsmu s, wenn slch der Ersahler der Handlung, ge-

wohnlieh als Hauptpcrson deli' Erza.hlung hervortretencl,

hinzugesellt, Dadurch versueht er gewiseermassen die Ereig-

nisse sich und dem Horer oAher zu bringen, Der Ego-

morphismus, der durch die von dem Erzlhler benutzte erstePerson bekannt ist, hat in den MArcben jedoeh keine gros ..

sere Bedeutung. Ich habe niemals bemerkt, dass durch den

Egomorphismus eatstandene Fassungen weitere Verbreitung

gefunden hlt.ten. Einzelne Falle des Egomorphismuskaon

man dagegen in allen beliebigen Marchen antreffen. Das

Ma.rchen von den Tieren im Naehtquartier z. B. begiont

zuweilen etwa Iolgendennassen: AIs icheinmal mit einigen

Tieren auf der Reise war usw.

Die letzterwahnten Erscheinungen zeigen, dass auch

ganze MArche·ngruppen (Menschen-, Tier-, Teufel IDArcben)

sich miteinander vermischen und beeinflussen konaen.

Abgesehen von den sc h o n f r a h e r e rw a hn te n

- F'al len v o l l zi e h en sich in den MArchen auch

s o nst v i e l e V e r a n d e r u n g e n d u r e h d e n E i n f l u s s

des ein e n Z u g e s a u Ide n a t1de r e n. Die VerAnderung

cines Zuges zwingt die mit ihm in Zusammenhang stehen-

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FFC 13 D ie VerA nde ru ng en . in den . M A rchen_ :_ _ . 35

den anderen Zuge sich zu verlndern, damit die Harmonie

zwischen den Teilen der Erzahlung erhalten bleibe. Wennsich der ErzAhlunganderswoher gekommeoe Stoffe hinzu-

ragen, verlangt deren Verschmelzung mit ihrem neuen

Zusammenhang, class sicb die nachsten Teile der Erzlhlung

aneinander anpassen. Der Einfluss greilt auf diese Weise

mitunter auch tiefer in die ErzAhlung ein, Es gibt Falle,

wo eine einen einzelnen Zug betreffende, ursprOnglich

geringfogige Veranderung die ganze Erzahlung verdirbt.

Die folgenden Beispiele beleuchten diese in der Marchen-

forschung sehr bernerkenswerte Erscheinung.

Wenn im Zauberringmlrchen zum Geber des Zauber-

gegenstandes statt des Vaters del" von dem Tode geretteten

Schlange die Gerettete selbst geworden ist, so ist die Folge

davon gewesen, class der Ort der Abtretung des Gegen-

standes vom Hause der Geretteten oach dem Ort der Ret-

tung verlegt wird. Oer Gang nach dem Hause der Schlange

hat namlich mach der vorhergehenden Veranderung seine

Bedeutung verloren, denn der Zauberring kanngut bei derGeretteten sein. Wenn im MArchen von den drei Zauber-

gegensta..nden und den wunderbaren Frachten die Entwen-

dung des Zaubergegenstandes "bringt einen, wohin man

will 1 4 ex analogia in das Haus der Konigstochter iibertra-

gen wird, wodureh der Flug nach der Insel in Weglall

kommt, so haben anstelle der Inset als Standort der FrOchte

Orte zu erscbeinen begonnen, welche leicht zu erreichen

sind (del" Wald) oder man hat zu der Erzahlung eine

Nebengeschichte hinzugefugt, um die Uberschreitung des

Wassers zu erklaren, Das letztere Verfahren findet in einer

Gruppe finnischer Varianten Anwendung, es wird erzahlt,

wie der Junge, nach dem Verlieren der Zaubergegenstlnde

in Verzweiflung geraten, sich in einen am Meeresstrande

liegenden verfallenen Kahn wirft und der Wind ihn zu der

Insel bringt. Am Eode des Aladdinmlrchens erscheint der

Bruder des vergifteten Zauberers als heilige Frau, urn ibn

O r ig in al f rom

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ANTI) AARNf:, Leitfaden. File 13-_.- ----_._ ._------- ---

7.U raehen. Wenn bisweilen in die volksturnlichen Varianten

statt des Gifttranks der in den Marchen gewohnlichere

Schlaftrankgekommen ist, hat dies das Wiedererscheinen des

Zauberers im Palaste mOglich gemacht. In einer Iinnischen,

volkstumlichen Aufzeichnung desselben Mlrchens hat dati

Vergessen des Zauberrings einen umwa.lzendenEinHuss

ausgenbt, lm Anfang des M~rchens Ist der Ring nicht not-

wendig gewesen, denn die Lampe konnte statt des Ringes

den jungen aus der Erde heraufbringen, da aber der Ring

spater in der Erza.hlung nicht vorhanden ist, um die ver-

lorene Lampe zurtlckzuschaffen, ist es eine Notwendigkeitgewesen, die Entwendung der Lampe wegzulassen und den

Schluss der E.rzahlung ganz umzuformeu.

B e i m U b c r g a n g d e s M Q r c h e n s a u s einerGe-

gend in cine andere erf o l gt da rin oft Akklimati-

s i r u n g e in e s fremden Gegenstalldes. An die

Stene des fremden Gegenstandes wird ein in der Gegend

bekannter oder weoigstens bekarmterer Gegenstand gesetzt,

namlieh ein solcher, der seiner Art nach dem ursprtrng-

lichen nahesteht, So vertauschen sich z. 13. das Pferd und

der Esel, Was in Sud- und teilweise aueh in Mittdeurop.a

von dem Esel, das wird in Nordeuropa vom Pferde erza.h~t.

So verh~Ut es sich im MArdlen von den Tieren im Nach-

quartier, wo einer der Wanderer ein Pferd (Esel) ist, und

im Zanbervogelmarehen, wo es sich urn die Verwandlung

in elnen Esd handelt, Dem sehlauen Fuchse der euro-

paisehen Tiergeschichten entspricht a n Asien ein Schakal,

in Afrika ejne Schildkrote oder ein Hase, und bei denamerikanischen Negern ist das schlaue Tier das Kanieehen,

1m Ma.rchen von den drei Zaubergegenstanden und den

wunderbaren Fruehten haben sich die Apfel in Sndeuropa

.unci Agypten in die Fruchtarten der warm en Lander ver-

wandelt: in Feigen, Trauben und Datteln.

Diese Erseheinung hat il l del' MS..-chenforschung eine

grosse Bedeutung, Die Verwandluug des Fremdenin Be-

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Jio~FC 3 Die Veranderungen in den M arcllen .~-~.-~~--- . . . . . ---~......._ - - ---- "--- --~ ~-"-- - -~ 37---~--.

kanntes beschrankt sich nieht auf die Gegenstande, sondern

sie reicht del tiefer in die Erzahlung hinein. Obwohl die

E rzah lung, wenn sie von einem Volle ZUI11 anderen Ilber-

geht., in der Hauptsaehe ihrenTnhalt beibehalt, konnen die

einzelnen ZOge sich den Verhaltnissen, Sitten, Auffassun-

gen, der Religion usw. anpassen, jedes Volk drtrckt sozu-

sagen dent MArchen in irgendeloerWclse seinen Stempel

auf. Die verschiedenen Bildungsgrade der V()lker z. B.

hinterlassen ihre Spuren in der Erz.4blung. In dem Mei-

sterdiebe legen einige Volker das Schwergewicht daraul,dass der Held des M4rchens ein geschickter Dieb ist,andcre

wieder auf seine Klugheit unci Findigkeit,

Eine Abnlicbe Anpassung bemerkt man auch in den

Personen- und Ortsnamen, werm solche in den M:trcll1en

vorkommen. Wenn der Deutsche den. Helden des Mar-

chens Hans nennt I(Z. B. der starke Hans) und der Russe

entsprechend [wan, benutzt der Finne den Namen Ma.tz

(v4kevaMatti =er starke Matz), In dem Marchen vom

Manne, der sagt, er komme von Paris - Paradies, haben

in einigen Landern die Ortsnamen derselben durchzudrin-

gcn versucht, soweit diese zu einer derartigen Missdeutung

An lass geben konnten, So treffen wir In den skandinavischen

Landern solche Namenvermischungen wit: Ringerike - him-

mclrike, Ringerig ._ himmerland und in Finland ganz all-

g~mein Taivassalo ~ taivaansali (taivas::;;:::::der Himmel,

salo > sall =er Saal). Taivassalo 1St der Name eines sud-

westfimnischen Kirchspieles,VerAnderung des Frentden in Bekannt~s

i t a u c h d i e Mo d e r n is ie r ung e i e s v e r alteten

C; e g ens tan des 0de r Beg r iHe s. Ein Gegenstand.,

den unsere Zeit. nicht: rnehr kennt oder der wenigstens

nicht mehr dieselbe Bedeutung hat wie Iruher, wird mit

e iriern neueren vertauscht, In dieser Weise sind im Baren-

frassmlrchen statt der von dem Manne gebrauchten Zugtiere,

der Ochsen, an einigen Stellen Pferde erschienen, Ebenso

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3 8 , AN 'TTI AARNE, Le i t faden. FFCr3

findet sich im MArchen von der Ernteteilung zwischen dem

Teufel und dem Manne (dem Blren und dem Fuehse), \\"'0

der eine das Oberirdische, der andere das Unterirdische

erhah, an der Stelle der ursprOnglichen Rube zuweilen

deren neuzeitlicherer Stellvertreter, die Kartoffel,

Die VerAnderungen in den MArchen sind

b i we i e n s o n a t a r li h, d a s s ih r Ni c b t e i t r e -

ten m e h r be f rem den w 0 . r de ad s ih rEi n t ret en.

Die Beschaffenheit einiger Zage verfubrt direkt dazu gewisse

Anderungen vorzunehmen. Wenn z. B. im MAr,ehen von

den drei Zaubergegenstanden und den wunderbaren Frueh-ten die EmpU.nger der ZaubergegenstAnde dre] sind, aber

als Verlierer derselben nur einer VO'D ihnen vorkommt, ist

es ganz natndich, dass der Erzahler bisweilen entweder

auch die Anzabl der Empfanger auf einen zusammengeaogen

hat ode'rumgek~hrt [eden EmpfAnger seinen Gegenstand

hat verlieren lassen. Ebenso sind in das Zaubergaben-

mlrchen statt eines Empfangers der Zaubergegensttnde

zuweilen dreigekomment weil von dre] Gegenstanden die

Rede ist, Die Empfanger sind dann gewohnlich Brader, und

die Verlnderung ist augenscheinlich durch das allgemeine

Vorkommen der drei Brader ~n den MIFchengefOrdert

worden. Im ZaubervogeImlrchen beziebt sich die Zauber-

kraft ursprunglich uaf den Kopf und das Hen des Vogels,

sodass der Verzehrer dles Kopfes Kl'>nig wird und der des

Herzens das Vermogen Gold zu erzeugen gewinnt, Eine

naturliche Fomge der europaischen Zauberschriftbildung,

gernass deren die Zaubereigenschaft des Vogels durch eine

auf den F1ftgeln befindliche Schrift bekannt wird,ist die

bisweilen auftretende Verbindung der Zauberkraft mit den

FI(}ge~n gewesen. Die BiIdung hltte wahrscheinlich eine

weitere Verbreitung gefunden, wenn die Ungeniessba.rkeit

der FIOgd sie nicht daran gehindert hatte.

Hinsichtlich einiger Veranderungen ist es moglicb, dass

sie neben der gewohnlichen durch Entlehnung erfol!gten

,J

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FFC 13 Die geographiseh-historif'che Forschungsmethode. 39

Verbreitung mitunter auch selbstandig mehrere Male vor

sieh gehen konnten. So wahrseheinlieh in dem Mlrchen"Die Tiere im Nachtquartier", wenn anstatt der ursprnng-

~ichen Auslegung des Halmschreies solche allgemeine

Ausrufe wie "Nehmt ihn fest" und "Schlagt ihn tot" Ein-

gang gelunden babe-no Dieser Art sind zuntlchst die im

vorhergehenden Absatz angefuhrten, dureh ihre Natllrlichkeit

gekennseichneten Veranderu nge n.

III Die geographlseh ...historisehe Forsehungs- ..methode.

Der Urheber der gcographisch-historisehen Forschungs-

methode war der finnische Gelehrte julius Krohn, der sie

zur Ertorschung der Kalevalalieder iaowendete. Zu seinem

Verfahren gelangte er auf folgende Weise. A. A ..Borcnius

batte in seinern Aufsatz "Wo ist das Kalevala enstanden?"

~Suoll1en Kuvalehti 1873) mit sprachliehen und sachlichenGrunden gezeigt, dass die Kalevalalieder, die ostlich der

firmiseben Grenze bei den in Nordrussland wohnenden

Kareliern aufgezeichnet worden waren, nicht aus diesen

Gegenden stammen konnten, sondem dorthin von Westen

her aus Finland eingewandert seien, J. Krohn machte

ausserdem die Wabrnehmung, dass sich in den Liedern

auch sUdlichet aus Ingermanland end Estland gekommene

Elemente befanden, Urn sich klar zu machen, was in den

Kalevalaliedern aus demWest,en stamrnte, was aus dem

SOden gekommen und was wiederum karelischen Ursprungs

war, begann er die einzelnen Lieder eingehend zu durch-

forschen. Und er erkannte, dass sieh die Lieder bei ihrer

Wanderung von Westen nach Osten und von SOden nach

Norden in der Weise verandert hatten I dass sich die eine

Fassung aus der anderen in geographischer Reihenfolge

eritwickelte. Auf diesem Wege riickwArts gebend, versuchte

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ANTTl t\.\RNE, Leitfaden, FFC 1'3----- ------.--.-----~----.-

•er fur [edes Lied die Urform und zugleich die Heimat zu

ermitteln, 1)

1 ' : 5 warkein reiner Zufall, dass diegeographisch.

historische Methode zum ersten Malin Finland angewendet

wurde, Dies leitete sich zunachst aus der Reichlichkeit des

finnischen aus dem Munde des Volkes aufgezeiehneten

Forsehungsmateriales her. Aber die Methode selbst ist

vollstandig international und so naturlich, dass man zu ihr

selbstandig in jedem anderen beliebigen L.ande hatte kommen

konnen, und es sind auch Falle vorgekommen, \\'0 die Erfor-

scher der Volkspoesie unabhlngig voneinander daagleieheVerfahren anzuwenden begannen, "Auch ohne die finnisclu-

Forschung ware sie zurn Hauptwerkzeug des Forsehers ge-

worden A, hat. der dlnische Gelehrte Axel U/rill gelusscrt.

Auf das Gebiet der Marchenwandte die' geograpbisch-

historische Methode meines \Vissens zumersten Mal Kanr!,.

Kroh» in ' selnen Tlermarchenforschungen an, von denen

Im ersten Teile meines Werkes gesprocben wurde.

Der die geographisch-historische Forsehungsmethodebeuutzende Forscher stellt sich alserstes Ziel die AufsudlunR

del" uraprunglichen Form des M.archens.. 'Veil die Verande ..

rung-en nach bestimmten Gesetzen des Denkens und del"

Phantasie geschehen, ist er bestrebt, darauf fussend, durch

die Vergleiehung del' Marchenvarianten die Schicksa]e des

Ma.rchens rackwarts ZUi verfolgen, die Erzahlung von allem

zu reinigen, was spater hinzugekommen ist, und auf diese

Weise zu ermitteln, wie das MArchen beim Antritt seiner

Reise ausgesehen hat.

Aber das gesammelte Material ist in bestimmter ortlicher

und zeitlicher Ordnung zu vcrglelehen. Die Verlnderungeu

in den Marchen vollziehen sich gewohnlich allrnahlich beirn

Obergang des Mlrchens von einem Orte zu einem anderen

I

I~II

III

J

iI) Krohn; K.j Uber die finn. f olkloristische Methode lFinl!l.-Ugr, Forsch, 1910 S. 36).

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uad von. einer Zeit zu der anderen, und darum gleichen

sich zweigeographisch lind zeitlich einander nahestehendeMlrchenvarianten gewohnlich mehr als die Varianten, deren

Aufzeichnungsortc weiter voneinander entfernt liegen, Die

crste Aufgabe des Forschers ist 'es daher die Steffe nach

den Aufzeichnungsorten in geographische Ordnung und,

soweit ~Jte.re literarisehe Quellen existieren, in historische

Ordnung zu bringen.

Der in der vergleichendcn Marchenforschullg sehr be -

deutungsvolle Umstand, dass der Grad der Entstellung desvolkstamlichen M4rchens auf der Lange des zuruckgelegten

\Veges beruht, ist teilweise eine Folge davon, class fa,r

einen IAngeren Weg eine lAngere 1Nauderungszeit nOtig

ist, aber in bemerkenswertem Mass'e leitet er sich auch von

der Tatsache her, c lass als Ursachen der Veranderungen

zum grossen Teil die von aussen korumenden Einflusse

erscheinen, Einen je langeren \Veg das Marchen wandert,

in desto mehr variierende Verhaltnisse gerat es, d. h.: desto

mehr bekornmt es Anlass zu Veranderungcn. Ausserdern

muss man sich natnrlich eriunern, dass das Mlrchen sich

lm Laufe der Zeit auch in derselben Gegend verandert und

zwar in besonderen Fallen sogar sehr stark.

Das Mlm-chen 1St gewohnlieh aus verschiedenen Aben-

teuern zusammengesetzt. Da es aus diesem Grunde schwer

wird, die Erzahlung auf einmal in ihrer Gesamtheit durch-

zumustern, ist sie zuerst in ihre Hauptteile zu zerlegen lind

[eder TeH einzeln zu eriorschen, Aber auch ein ejnzelnesAbenteuer ist 7.U kcmpliziert, darum werden wir es wieder

der Reihenfolge nach in seine Hauptstoffe, in Zuge: die

Persenlichkeiten, Gegenstande, Mittel, Tatigkeiten usw, teilen

und deren ursprungliche Formen aufsuchen. FUr jeden

einzelnen Zug gehen wir den ganzen Stoffvorrat dUTCh ..

Die Aulsuchung der ursprunglichen Form des Ma.rchens

wird auf diese Weise zum Aufsuchen der Urform der

Bestandteile der Erzlhlung. Nur durch diese Behandluug

Coogle Or ig in a l f rom

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ANTII AARNE,Leitfaden .. FFC 1 3-~--

ist es uns mogtich in das bunte innere Leben des MArchens

ei nzudri ngen.Bei der Feststellung der Urform del' ZOge werden

folgende Umstande in Betracht gezogen.

Die a l lgem e in e rv 0 r k 0m men d e For In is t

h auf ig e r u r s p r i1 n g lie h a I s die s e It e n e r v 0 T-

k 0 In In end e. Die einzelnen oder sehr se1tenen Falle sind

gewOhnlich zulallige Erscheinungen. Die Mehrzahl der

Varianten kann jedoch nieht allein die Frage entscheiden,

sie kann auch trugen. Die Anzahl der Varianten beruht

z. B . auf der Intensitat der Sarnmelarbeit in verschiedenen

Gegcnden. Eine in genauer abgesuchten Gegendenvor-

kommende spatere Form kann auf diese Weise durch eine

gressere Anzahl Varianten vertreten sein als die ursprflng-

liche Form, die meistens den weniger durchsuchten Lokali-

taten angehort. Hie und da ist eine spatere Bildung durrh

Verrnittlung der Literatur sehr allgemein geworden. 1m

MArch en von den Tieren im Nachtquartier z. B. hat die

grimmsche Variante verursacht, dass die Rauberform heut-

zutage im Volksmunde viel allgemeincr ist als die ursprung-

liche Wolfform.

Neben der Anzahl der Varianten muss man daher beim

Aufsuchen der Urform sein Augenmerk noch auf andere

Umstande richten.

Ein solcher Umstand ist der Umfang der Verbreitungs-

gebiete der verschiedenen Formen des Zuges, Die in

e in e m w e i e r e n Gebiete vorkommende Formhat im allgemeinen den Vorzug vo r einer i n

eng ere m G e bie tea n get r 0 f fen e n For m. \\renn

die ursprOngliche Form aus irgendeinem Grund selten ge-

worden ist, wahrend die spateren Bildungen an RaUD l

g:cwonnen haben, zeigt das grossere Verbreitungsgebiet

der ersteren gewOhnlieh ihr hoheres Alter an. Es gibt

sogar F a : 1 J e , wo die spateren Bildungen in einem beschrank-

ten Gebiete die ursprungliche Form spurlos versehwinden

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FFC 1 3 Die geographisc~~~_i~~risc~e F_:_?!~~'~lIngsmethode. 43

lassen. Dies ist der Fall, wenn im Mlrchen von den drei

Zaubergegenstanden und den wunderbaren Fruchten der

urspriingliche Ort, \\'0 die FrOchte waehsen, die Mlnselu,

bei den Deutschen verschwunden ist. Dass die ,.,Inscl" frnher

auch bei den Deutschen bekannt gewesen ist, folgt aus deren

Vorkommen einerseits in Westeuropa, andererseits in Fin-

land und Russland, wohin das MArchen durch Vermittlung

der Deutschen gekommen sein muss. Es sei [edoch bemerkt,

dass ein einzelner Fall mitunter weit ausserhalb des Gebietes

erscheinen kann, auf welchem der in Frage stehende Urn standsonst angetroffen wird, ohne dass man ihm bei der Fest-

stellung des Ursprungs des Zuges besondere Bedeutung

beimisst. Er hat sich durch einen einzelnen Reisenden oder

auf andere zufAllige Weise so weit verirrt, So ist die

europaische Fassung des Zaubervogelmarchens, welche durch

die Zauberschrift gekennzeichnet ist, einmal auf der Insel

Mauritius an der Ostkuste Afrikas aufgezeichnet worden.

Den europaischen Ursprung der Variante beweist neben der

Zauberschrift das Versprechen des dem Vogel Nachstellenden,

die Toehter des Ernpfangers des Vogels unter der Bedingung

7.U heiraten, dass der Vogel zur Hoehzeit zubereitet wird, was

ein rein europaischer Zusatz ist. Ebenso sind die euro-

paischen Marchen bisweilen in Amerika. angetroffen worden.

Ferner sind die Verbreitungswege des

MAr c hen sin Bet r a c h t 7. U zie hen. Das kommt

dann in Frage, wenn die al1gemeine Verbreitungsrichtung

des Mlrchens aus irgendeinern Grund vollsUlndig sieherzutage tritt, obgleieh die naheren Umstande erst durch eine

eingehendere Untersuchung festgestellt werden. W iT kOnnen

z. B. in der Geschichte von dem Fisehen mit dem Schwanzc

beim Untersuchen anderer ZOge nieht unterlassen in Betracht

zu ziehen, dass das Eis als Ursache des Abbrechens vom

Barenschwanze das MArchen seinem Ursprung nach als

nordisch erweist und zugle!ch seine Verbreitungsrichtung

von Norden nach SOden bestimmt.

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ANTII AARNE, Leitfaden, FFC 13

Eine Handhabe liefert bei der Beurteilung noch die

allgemeine Heschaffenheit der Variente, E i1 e in e in e r

gut erhaltenenVa.riante v o r k o m me n d e Form

des Z u g e s hat g r ,(')sse r e n \V e r t, 3 .] s di e in ein e r

ver d o r b e n e n vorkommende. Dieser Urnstand erklart

sich aus der allgemeineu Regel, dass die Teile der Erzahhmg

unter nabem gegenseitigen Einfluss stehen. Die Entstellung

eines Zuges verursacht Entstellung anderer lhm nahestehen-

der Zuge, Wenn die schlechtere Beschaffenheit der Variante

auf schwacher Erinnerung des Erzahlers beruht, steht jsuch

in diesem Falle die Beschaffenheit des einzelnen Zuges inl:inklang mit der Beschaffenheit der ganzen Variante.

Auch ist die verschiedene Verbreinmgsfahigkeit des

Zuges, des ursprungtichen oder spater entstandenen, 7 .U

beachten, Solche U rn st a n de, die durch i r e n tr e]-

f e n den o d e r u n t e r h a lte e d e n Charakter ode r

a u s irgendeinem a nd e r e n Grund b e s o n d e r e r

Art den Sin n des Z u h 0 , r ~ r s f e sse 1n, e r h a Itt' 1 1

sic h be sse run d v era 1]g em e i. n ern 5 m c hie i b te r.

Von einzelnen Zugcn gilt dies ebenso wie von ganz,en

Mitrchen. Wegen Hues Humors ~st im Zauberringmarchcn

so hiuf]g die Geschichte von der Maus erhalten, die durch

das mit ihrem Schwanze auf dell Lippen des Entwenders

des Zauberrings verursachte Kitzeln diesen zwingt, dell

Ring auf den Boden auszuspeien. lm Ma.rchen von den

Tieren jm Nachtquartier hat der Hahn haufiger als irgendein

anderes Tier seinen Platz unter den Teilnehmern an der

Reise behalten, weil er beim Vertreiben des in die Stube

Eindringenden eine 80 besondere Aufgabe hat. Von seinem

hohen Aufenthaltsort auf dem Balken verkundet er dem Ent-

lliehenden seine strenge Drohung. Das mita.nderen zu

den Wanderern hinzugefugten Waldtieren verglichen hau-

fige Vorkommeu des Hasen est durch das dem unruhigen

Hupfen desselben angepasste treffende Moth" von dem

Suchen der Waffe verursacht worden.

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Ejnes der wichtigsten Beweismittel fur die Feststellung

der Ursprunglickeit des luges ist dessen Naturlichkeit,

D a s N a t u r li h e is t n e b e n d e m L l n u a t u r l i h e n

a I 5 U r S P r iln g 1 ic h z u bet rae h ten. Dieses Argument

scheint vielleicht auf den ersten Blick zweifelhaft, denn man

IllUSS lug-eben, class es an sichetwas Subjektives enth41t.

Der eine kann das eine natiirlicher finden als der andere.

In unsicheren Fallen, wenn nicht andere in dieselbe Rich-

tung deutende Umstande erscheinen, ist es auch am besten

die Entscheidung zu unterlassen, Deonoeh entwickeln dieErfahrung und das grnndliche Bekanntwerden mit dem

inneren Leben der Volkspoesie in grossem Masse das Urteils-

vermogen des Forschers in dicser Beziehung und beschranken

die eventuelle Subjektivitat,

\Venn z, B. im Marcllen von den Tieren im Nachtquar-

tier die Katze ganz allgcmcin auf die Feuerstelle (den Herd)

gesetzt wird, von wo aus sic dem in die Stube Eindrin-

genden das Gesicht zerkratzt, und der Hahn auf den Hal -

ken. urn zu krahen, ist es unzweifelhaft, dass die Tierr-

schon in der Urform des Mlrchells gerade diese fur sie so

naturlichen Aufenthaltsorte gehabt haben. Die Naturlichkeit

entscheidet auch die Frage, ob del' in den nordischeu

Varianten vorkommende Bar oder der hauptsachlich in den

sudliehereu Gegenden anzutreffende \VoH in der Geschichte

vom Fisc-hen mit dem Schwanze ursprunglich ist. IJer

Zweck del" Geschichte ist ursprnnglich offen bar die Erkla-

rung der Kurzschwanzigkeit irgendeines Tieres gewesen,und der langgeschwanzte Wolf erscheint in diesem Faile

nicht passend. Die Urspriinglichkeit des Haren bekraftigen

einige andere Umstande. So hat die Unnaturlichkeit des

\Volfes zuweilen ver1eitet zu erklaren, class man fur ihn aus

Eisen oder Hanf einen neuen Schwanz beschafft hat, oder

class der Schwanz nicht ganz abbricht, sondern abgenagt wird.

N e b e n del' Naturlichkeit d e s u r s p r n n g-

lic h e n Zuges kommt d e m Forscher bei der

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ANTTl AAR,HE, Leitfaden.

Auffindung der Ll r Iorm mit unter die Folge ..

r j c h tig k e i t z u H i f e. Man hat auch Zweifel. darabergel.ussert, ob die M4rchen ihrem Ursprung nachfolge,

richtig seien. Dazu sei bemerkt, dass [ede Forschuog von

der Voraussetzung ausgeht, dass das von lhr benutzte

Material aus vernnnftigen Konzeptionen hervorgeht, ohne

diese existiert keine Wissenschaft, Und dass es mit den

M4rchen so ist, das ist im Vorhergehenden scbon gezelgt

worden, Es ist gelungen, die Schicksale laager kompliziester

Ma.rchen zu erklaren, und als Resultat hat sicb.-eine ein-

heitliche, hannonische Urformergeben. Irrtumer sind natnr-

lith auch auf diesem Gebiete mOglich, aber mit dem Fort-

schreiten der Forschung werden sieallrnahlich richtiggestelh

werden.leh werde dies durch folgende Beispiele beleuchten,

m n dem Zaubervegelmarchen ist neben der M.A.rcbenform

mit zwel Zauberkraften auch die Form mit einer Zauberkraft

ziemlich verbreitet, wozu nur das KOnig-werden gehr.trl

Wenn zu entseheiden ist, welche von diesen Fassungen

ursprunglich ist, muss man in Betracht ziehen, dass dieAnzahl del' Verzehrer des Zaubervoge'ls auch i n der M A r -

chenform mit einer Zauberkraft gewOhnUch zwei ist ,(Broder).

Zauber sind augenscheinlich ebenso viele wie Versehrer

vorhanden g'ewesen.V\renn einmal zwei Personen genannt

werden.vist es folgerichtig, dass man von jedem der belden

auch etwas Besoaderes zu eraahlen hat. Undl ein anderes

Beispiel aus dernselben Marchen. Wenn der Liebhaber de r

Frau verlangt, dass die jungen, die Verzehrer des Vogels,

geschlachtet und aus ihneu ein Braten zubereitet werden

soll, heisst es bisweilen in verschiedenen Gegenden, dass

die Mutter dieser grausamen Forderung ihren Beilall gibt,

Dies geschieht nieht so oft, class man den Zug wegen seiner

Hlufigkeit als ursprunglich auffassen kOnnte, aber in . die

\Vagschale Iallt noeh del' Umstand, dass die Jongen ver-

hAltnismassif;( oft am Schluss des M4rchens auch die Mutter

bestralen und zwar auch in solchen Fillleu, wo die Zustim-

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mung der Mutter nieht erwahnt wird. Wenn auch die

Mutter bestraft wird, ist sic gewiss ursprtlnglich auch schul-dig gewesen. \Veon im MArchen von den Tieren im Nacht-

quartier der auf den Wipfel des Baumes geflogene Hahn

in einem ferneo Hause Licht erblickt, wohin sich die Tiere

dann begeben, so ist dies ein spaterer Zug, denn er setzt

das Zubausesein der Bewohner und die zweite Verjagung

voraus, die als Duplettenform sparer entstanden ist, Es Ist

nicht anzunehmen, dass aus dem Hause ein Licht schiene,

wenndie Bewohner abwesend wAren.

Es ist auch in Betracht zu ziehen, ob del' durchzumu-

sternde Zug sich nur in dem zur Untersuchung vorliegenden

MArchen vorfindet oder ob man in einem oder anderen

Mlrchen einen gleichen oder einen nahe an ihn erinnern-

den Zug antrifft, D ern u r j n e in e m MAr c hen b e-

fin d lie h e Z u g k ann e her u r s p r u ng lie h s e ina I s

de r Z u g, w e l c her sic t it au c han de r 5 W 0 fin de t.

Dies folgt daraus, dass jeder Zug ursprunglich zu einem

einzigen MArchen gehort, Wenn der Zug in mehreren

MArchen angetroffen wird, kommt also der Einfluss des

einen .Ma.rchens auf das andere in Frage, Dies kommt in

der Forschung so oft VOl', dass es unnOtig erscheint hier

Beispiele dafur anzuftihrerr.

Und zurn Schluss ein Umstand, dessen der Forscher

sich bei seiner Arbeit auch zu erinnern hat. Die A h n -

lichkeit des Zuges kann in e in z e l n e n Fal1en

au e h z u f A ] 1ig 5e in. Zufalligkeit kann man wenigervoraussetzen, wenn -dieselben Variationen in einem einheit-

lichen, beschrAnkten Gebiete vorkommen, Die Frag-e de ..

Zufalligkeit wird durch die Beschaffenheit del' Varianten in

anderen Beziehungen entschieden. Wenn man in ihnen

keine andere nahere Ubereinstimmung bemerkt, handelt es

sich wahrschein1ich urn Zulalligkeit, So verhalt es sich z, B.

dann, wenn im M4rchen von den auf der Reise bcfind-

lichen Hausgeraten die zu qualende Person einerseits in

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ANTII AARNE, Leitfaden,- -

_ __ _ _ _ _ _ F~(::_l~

japan und Indien, andererseits jin einer europaischen Variance

ein Tier ist, 1He Varianten sind sonst so verschiedenartig,wie es in so weit auseinanderliegenden Gegenden aufge-

zeichnete Varianten liberhaupt im allgemeinen sind. So

ist das Tier schon seiner Art nach :in den verschiedenen

Varianten verschieden,,

, II

I,

I

Wenn "vir durch die zugweise veruleichende Unter-

suchung errnittelt haben, wit' [eder Teil der ErzAhlung beim

Entstehen des· Marchens ausgesehen hat, so gelangen wir

von bier durch Verbindung der einzelnen luge zn del'

Urform des g',anzeD Marchens. Das Ergebnis beschrankt

sich natarlieh auf den Inhale des Marchens, uber seine \Vort-

form konneu wir keine Klarheit ~ewinnen,

So interessant aber auch die Erkenntnis der Urform des

Mirchensals solches ist, ist es <loch nieht das schliessliche

Ziel d'er Forschung, sondern nur ein Mittel zur genaueren

Feststellung der Sehlcksale des March ens, Mit Hilfe del'

Urform des Ma.l'chens kl)nnen wir die Heimat, die Nationafi-

ta.t und die Verbreitungswege des MArchens naher erforsehen,und sic leiter tins auch bel der Bestirnmung del" Entstehung's-

zeit des Ma.rchel1s.

'Vas zuerst den Elltstchung'sort und die Ver-

breitungswege der Ma.rchen anbelangt, liefert uns die ver-

gleichende Forschung daruber seltener genaue, eingehende

Erg'ebnlss,e. Abel' Ortsbestiunnrmgen allgemeiner Art, z, B.

ob das Marchen morgen- oder abendlandisch ist, ob es aus

dem kalten Norden oder dem warrnen SOden 5t3 1 1 1 1 11t, was

fur allgemeinere Ricbtungen es g·ewandeli't ist u. a., sind

leicht zu crmjtteln. Oft kann man auch mehr oder weni-

g-er sicher den Toil Asiens oder Europas bestimmen, wo

das Marchen seine Wanderung begonner» hat, ja bisweiten

auch seine Nationalitat. Und die Forschung erk~art. auf

diese Weise die Ortsverhaltnisse nieht nur der selbstarrdi-

g'(;'n Marchen, sondern auch ihrer Variationen, der inihuen

erfolgten spateren Vcranderungen,

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FFC 1 3 Die geographisch·bistOl:!sche Forscbungsm~!h~~e .. 49

Die Schwierigkeiten bei der genaueren Bestimmung

des Heimatsortes des Mlrchens steben in Zusammenhang

mit der allgemeinen Beschaffenheit der Marchen. Die Mlr·

chen kammern sich sehr wenig um die Ortlichkeit. Sie

verknapfen sicb nieht in der Weise der Sagen mit einzel-

nen Orten oder PersOnlichkeiten. Von der Art der MArchen

gi.bt in dieser Beziehung am beaten der sie oft einleitende

Ausdruck "es war einmal" eine Vorstellung, aber auf das

"Wo" wird keine Riicksicht genommen.

Den Heimatsort des Mlrchens endgOltig zu bestimmengenQgt bisweilen ein einzelner Umstand, aber oft beschrankt

sich das Ergebnis auf die Wahrscheinlichkeit, und die Ge-

wissheit .verlangt. class mehrere Beweismittel in eine und

dieselbe Richtung deuten ..

Beim Bestimmen des Entstehungsortes des

MArchel1s ist es am praktisehsten zuerst die

a.lteren literarischen Varianten d u r c h z u m u-

stern, soviel deren bekannt sind. Wenn diesealle

in dieselbe Riehtung weiseo, gewinnt der Forscher darnit

einen guten Leitfaden fOr seine Bestrebungen. So verhAlt

es sich mit dem Zaubervogelmarchen, dessen Altere litera-

rische Varianten aIle morgenlandisch sind. Der Forscher

darf aber nicht vergessen, dass die literarischen Varianten

.Beweismittel zweiter Ordnung sind. Erstens sind sie gewohn-

lich, wie schon erwahnt, spatere Bearbeitungen der Erzah-

lungen, und zweitens sind die Sammlungenselbst oft durch

Ubersetzungen weit von ihren ursprnnglichen HeimatsortenObertragen worden, in ihrem Inhalt und ihrer Zusammen-

setzung mehr oder weniger verlndert. Urn sichere Ergeb-

nisse zu erzielen, sind wir daher neben den altereD litera-

rischen Varianten auf die von dem volkstumlichen MArchen

gebotenen Mittel angewiesen ..

Eines der wiehtigsten Beweismittel bei der

Bestimmung des Heimatsortes ist das Ve r b r e i-

tungsgebiet de s M4rchens. Wenn das MArchen nur- 4

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50__ .. .. AN])l ~RNEj Leitfaden, FFC ]3

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I, "I '. . . : 1

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in einem besebrankteren Gebiet bekannrtst, ist sein even-

tuelles Entstehungsgebiet in demselben Masse beschdlnkt.

Dass die M,lrchen von den Tieren m m Nachtquartier und

von den drei Zaubergegenstanden und den wunderbaren

Frnchten, die blnfig in . Europa vorkommen, aber ausser-

halb desselben nur alseineelne ausEuropa eingewanderte

Varianten, ursprunglich europaiseh sind, ist eine naturliehe

Sache.Die Umformung des, Mlrchens "Der Blr mit den

Zlh:nen am Schwanze des Pferdes ha.ngend'", wo der .BIr

den Fuchs an den. Schwanz des Pferdes lockt, ist in Nord-europa entstanden, denn sie wird Durin Skandinavien,

Finland und Estland angetroffen, Das ZLIl dem Zauber-

vogelmarehen gehorende EntzOnden der Kerze in del' Kirche

bel der Kr»nigswahl kommt nur in Finland und Russland

vor und hat sich natnrlieh auf diesem Gebiete geblldet,

augenscheinjich in Rusaland, wo die Kerzen 1m grleehiscb-

katholisehen Gottesdienst einen so bemerkenswerten Platz

einnehmen,

Wenn wir in solehen FaJlen den Entstehungsort des

Marchens genauer bestimmen wollen oder wenn der Verbrei-

tungsbe.zirk des Mlrchens niehl so besehraakt ist, m us s

man seine Schlfiss·e auf die H4ufigkeit u n d

Be s c h a ff e n h ei des MIrc hens in v e r s c bie den e n

G e g ell den g r Q n den. WenD das Zauberringmarchen in

den verschiedenen Teilen von Asien verhaltnismassig oft

angetroffen wird und welter im Osten Europas merklich hAu·

figer ist als im West;en - in Frankreich, Deutschland undEngland ist es gar niehr anzutreffen -, weist dies deutlich auf

die Herkuoft des MA.rehens aus Osten" aus Asien hin. Zu

demselben Resultat kommen wir wenn wir das Verhaltnis

der asiatischen und der europaischen Varianten mit der

Urfonn des Mlrcbens vergleicben. Die asiatischen stehen

nlmUch im allgemeinen der Urforrn naher, nod die im Ost~

lichen Europa gemachten Aufaeichnungen sind besser als die

weiter imWesten niedergeschriebenen. Das europaische

MarcheD von den drei Zaubergegenstanden und den wunder-

I.

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FFC 13 Die geographlsch-hisforiscbe Forschungsmethode. 5[--- -----

baren Frachten wird von Westen naeh Osten .zu entstcllt,

woraus wir schliessen konnen, class das M§.rchen in diesel

Richtunggewandert ist und also aus clem westlichen Europa

stammt.

Zur Auffindung des Heimatsortes b re te t

bi sw ei l e n vauc h d e r Inhalt des .Marchens ein e

Ha: n d h a b e, Es lOnnen in der Erzahlurrg sogar Umstande

vorkommen, die die Frage allein entscheiden, Wenn z, B.

in der Geschichte vom Fischen mit dem Schwanze, deren

Grundidee in der Erklarung der Kurzschwa.nzigkeit~esBaren besteht, das AbfaUen des Schwanzes Eis voraussetzt,

so zeigt dies, class das MArchen in den nordischen Landern

entstanden ist, wo die Gew4sser zufrieren, Uod wenn jemand

doch die Ursprunglicbkelt des Eises bezweifeln sollte, muss

der Zweifel schwinden, wenn eine allmahliche Entstellung

des Zuges von Norden nach Suden beobachtet wird, Auf die

kalten Gegenden weist auch die Hausbaulorm des Ma.rchens

"Die Tiere im Naehtquartier", Das Haus wird namlich zum

Schutzgegen die Kalte des Winters gebaut. Der Entste-

hungsort des Marchens druckt auch sonst dem Inhalt der

Erzahlung bisweilen seinen Stempel auf, woran er kenntlich

ist, So sind Kolorit und Stirnmung des Zauberringrnar-

chens morgenlandisch, Wenn man diesem Umstande auch

keine entseheidende Bedeutung be imessen kann, stiltzt er

doeh andere Argumente, die gleichfalls nach Osten weisen,

Die Verbreitungswege del' Marchen beruhen in

jedem einzelnen Faile auf dern Entstehungsort des Marchens.Sie ergeben siehin ihren Hauptztigen gewohnlich schon

beim Suchen nach der Urform des Ma:rchells und besonders

dann, wenn del' Heimatsort desselben bestlmmt worden ist.

Eingehendere Aufschlusse lassen sich durch doe besondere

Behandlung dieser Frage gewinnen.

Hinsichtlich derW.anderungswege der Ma.rchen ver-

d~'ent die Frage des Zusammenhangs zwischen

diem Morgen- und Ab e n dl an d eine besondere Auf-

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52 ANnI AARNE, Lei tfad en,~--~ -----~----- ~---~-- - .;.--~.=-=-==-=-~- ~-. ~

FFC 13 ,

I

J

merksamkeit, denn sie hat der Forseher so oft zu ent-

scheiden.

Wenn die Mlrcben auf mQndlkhem Weg vom Morgen-

land nach dem Abend~and oder umgekehrt ubergingen,

konnten sie zwei Hauptwegeeinschlagen: den sOdlichen

durch Sndwestasien und die Balkan-Halbinsel oder den

nerdlichen, der das Morgenlland und Russland entweder

durch Sibirien oder Kaukasien verbindet, Itn SOden konnte

eine Verbindungauch zwischen Asien und Nordafrika und

zwischen dem letztgenarmten uno SOdeuropaentstehen.

Da die lJrtlich einander naherstehenden Varianten sich

un allgemeinen mehr gleichen, ist das naterlichste Miue]

beim Untersuchen der Wanderungswege des Marchens, die

Beschaffenheit desselben in zwei einander am nAcbs,ten

negenden l.andern durchzusnustern, Wenn das Ma.rchen

in aneinandergrenzenden Tejlen Asiens und Europas bekannt

ist und dazu auf heiden Seiten eine n.Ahere Obereinstim-

mung bemerkbar ist, 50 ist es unzweifelhaft, dass es von

der einen Seite nacb der anderen gewandertist.W,enn z, B.das morgenlandlsehe Zauberringmarchen sowoh1 in : SUd·

westasien als auchauf der Balkan-Halbinsel b~kannt ist

und auf beiden Seiten solche besonderen ZUge vorkommen

wie das Siegel oder der Stein. des Ringes als Zauberge-

genstand, kann man sich nur vorstellen, <lass das Ma.rehen

auf diesem Wege nach Europa gekommen ist, Die Oberein-

stimmmungen in dem ebenso morgenlandischen Zaubervogel-

marchen zeigen, dass das Ma.rchen von Sudwestasien nach

Nordafrika und dem Balkan Obergegangen ist, und es wird

sogar deutlich, dass es vern Balkan und aster~eich-Ungam

nach Russland gewandert ist. Das Zaubervogelmarchen ist

einmal auch bei den sfbirisehen Tartaren aulgeaeichnet wor-

den, aber diese Variance bezeugt nieht, dass sieh das MAr-

chen auch auf dem nordlicheren Weg nach Europa bewegt

hltte, namlich direkt nach Russland, denn da kommt die

europaische Zauberschrih vor und ist der Vogel seiner Art

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~F~~ _ I!ie geogrdphisch-historisch~ Fors'chungsmetbo~~ __ 53

naeh, wie oft in Russland, eine Gans, woraus zu schliessen

die Varianteaus Russland stammt.Wenn man dem Obergang des MAr,chens vom Morgen-

land nach dem Abendland oder umgekehrt nachforscht,

bildet oft das Fehlenaslatischer Aufzeichnungen elne Sehwie ..

rigkeit. Der Forscher kann z, B. durchaus die Oberzeugtmg

gewinnen, dass das morgenlandlsehe M4rcben mimdlich

n.ach Europa gewandert ist, aber helm Fehlen von Auf-

zeichnungen welter westlich in Asien kann er die Wan-

demngswege nicht feststellen, Dies ist ejner von den der

F orschung noch anhaftenden Nachteilen, die bei der Ent-

wicklung der Sammelarbeit von selbst verschwinden werden.

Eini:ge LInder bildenInfolge ihrer geographischen Lage

Treffpunkteaus zwei Richtungen kommender MAr'cben-

strOme und erhalten dadurch fur die Erforschu ng def Mir-

chen besondere Bedeutung. AI!; Beispiel hierfur nehme ich

Finland, wohin Mlrcben von Westen, aus Skandinavien, und

von Osten. aus Russland, gestrOmt sind. Bisweilen bemerkt

man von ein und demselben MArchen deutlich zwei ver-

schiedene Fassungen, die auf dem Standpunkt der skandi-

navischen Varianten stehende westfirrnische und die den

russischen gleichende ostfinnisehe. Dies ist der Fall in dern

dreiteiligen die Verhaltnisse des Mannes, des Baren und

des Fuchses behandelnden Barenfrassmarchen. In. West-

finland und Skandinavien Tehlt der dritte Teil der Serie,

das Gesprlcb des Fuchses mit seinen Gliedern, der dagegen

zuweilen in Ostfil1]a.nd~ebenso wie gewOhnlich in Russ-land, vorkommt. ImMlrchen vom Fischen mit dem Schwanze

reisst in Westlinland und Skandinavien der Schwanz des

Baren beim Heben der vermeintlichen Fischlast oder beim

Erschrecken vor einern vom Fuehse herbeigerufenen Angrei-

fer ab, in Ostfinland und Russland erseheint a]s Tier ein

WoU, und die Angreifer kommen zufamg herbei,

Die Richtung der Einwanderung des Mlrchen.s in Fin-

land kann man gewohnlich wegen der Reichhaltigkeit der

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A NTI. AA RN E, Leitfaden. FFC 13

volksturnlichen MArchensammlungen entscheiden, Das Zau-

bervogelmarchen, dessen morgenlandischer Ursprung schon

die Ankunft des MArchens von Osten her voraussetzt, ist

in einigen Fallen besser in Ost- als in Westfinlandl erhal-

ten, und zwischen den Iinnisehen und russischen Varianten

besteht augenfa.IHge Obereinstimmung. Die Konigswahl

wird auch in Finland durch das russische Kerzenentzunden

in der Kirche entschieden ; in Ostfinland ist ebenso wie in

Russland der Zaubervogel ein Wasservogel, u n d o stall der

zum Schlachten bestimrnten Jungen werden junge HUDde

getotet, Die erwahnten im Marchen sparer erschienenen

Zo.ge sind in diesem vielleicht zurn Teil schon bei seiner Ein-

wanderung von Russland nach Finland vorhanden gewesen,

zum Teil erst nachher entstanden und in derselben Richumg

verbreitet worden. Als Beispiel der von Westen gekomme-

nen Marchen seien "Die Tiere im Nachtquartier" erwahnt,

Ausser dem Marchen selbst sind auch hier einige von den in

der Erzahlung spater geschehenen Veranderungen in dersel-

ben Richtung weitergewandert. Es verdient noch bemerktzu werden. class sich das Marchen dem Anschein nach nicht

von Finland nach Russland verbreitet hat. Die russische

Hausbaufassung dagegen ist nach Finland gekommen.

Auch beirn Suchen nach der Entstehungszeit des

Ma.rchens und der spater darin erfolgten Veranderungen

sind genauere Bestimmungen seltener mOglich.

Wenn die alteren literarischen Varianten die ursprung-

lichen Formen der Marchen reprasentierten und die Zusam-

mensetzung und das Alter der Sammlungen genau bekannt

waren, wurde die Ermittlung des Alters der Ma.rchen eine

leichtere Aufgabe sein. Aber als s p a t e r e Bearbei-

tungen der v o l ks t u m lic h e n Marchen k o n n e n die

l i er a r i c h e n Varianten nul' die s p a t e st e Grenze

f u r die Entstehung d e r MArchen mitteilen. U rn

wieviel das Marchen alter ist als die Sammlung, das kon-

nen wir nicht erfahren. Und auch jene spateste Grenze

wird dadurch oft unsicher, dass wir von dem Ursprung un d

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•.r~F_C13_!)ie ge~~raphil:ich-~storische F~n·schung:smeth?~e. __ ~

den Schicksalen del" alten Erza.hlungssammlungen oft so

un k lare Kenntnis besitzen. Wir konnen nicht bestimmen,

warm jedes einzelne Marchen in der Sammlung seinen

Platz erhalten hat. Das Erscheinen des Zauberringrnarchens

in der mongolischen Siddhi-Kur Sammlung z, B. beleuchtet

sehr wenig die Frage nach der Entstehungszeit d.ieses Mar-

chens, denn der Werdegang und das Alter des Siddbi-Kur

sind sehr mangel haft bekannt. Wenn wir dagegen das

.Zaubervogelmarchen in Nachschebi's Tuti-Narneh antreffen,

kOnnen wir schliessen, class das Marchen gewiss schon im

Anfang des vierzehnten Jahrhunderts in Persien bekanntgewesen ist, aber wenn zugleieb klar wird, dass das volks-

tiim1icbe Marchen alter als die Iiterarische Bearbeitung ist,

bleibt die Entstehungszeit des urspriinglichen Ma.rchens

doch unbekannt.

Gewisse Zeitbestimmungen bie t e t bi w ei l e n

a.U C h d e r I n h aIt d e sMa rchen s. Ebenso wie wir

bemerken, class der Entstehungsort des Marchens mitunter

Spuren in dessen lnhalt hinterlassen hal, so ist es auch mit

d.er Entstehungszeit desselben. Hierher gehort eigentlich die

schon fruher behandelte umfassendere Frage nach der Entste-

h.ungszeit del" Ma.rchen im allgemeinen. Viele in Ihnen vor-

kommende Kulturbegriffe erweisen sie als Ergebnisse der

kulturellen Zeit. Es seien z, B. im Ma.rchen von den drei

Zaubergegenstanden und den wunderbaren Fruchten die

Begriffe Soldat, Arzt, Geld, Apfel u. a. hervorgehoben. Im

Zaubervogelmarehen finden sich als ahnliche Anhaltspunkte

fur die Zeitbestimrnung das Gold und der zahme Esel oder das

Pferd. Die sparer in Europa erschienene Zauberschrift zur

Angabe der .Eigenschaft des Vogels leitet sich aus der Zeit

her, wo die Lese- und Schreibkunst schon bekannt waren,

Die Entzundung der Kerze in der Kirche beim Entscheiden

der Konigswahl ist ein Erzeugnis der ch.ristlichen Zeit usw,

Der Mangel in del' jetzigen MArc.benforschung, dass sie

nieht in allen Punkten vollstandig sichere und bestimrnte

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·FFC 13

Ergebnisse gewinnen kann, sondem sich bisweilen mit der

Wahrscheinlichkeit und mit al1gemeinen Schlussfolgerungen

begniigen muss, ist zurn grossen Teil eine Folge der Neuheit

des Forschungsgebiets und wird beirn ,Fortschreiten der For-

schung und beim Anwacbsen des Materials immer geringer

werden. Die inneren Schicksale des Mlrchens bergen

unzweifelhaft Umstande, we1che man bis jetzt noch nich;

bemerkt und voll erfasst hat. Die Untersuchung muss sich

auch zugleich mit dem Bestreben, die Urfonn, die Verhaltnisse

des Enstehungsortes, der Zeit und der Verbreitung zu ermit-

teln, das Ziel VOT Augen halten, sich immer tiefer mit denErscheinuogen des inneren Lebens der Ma.rchen bekannt zu

machen,

Die M4rchenforschung ist mit der Auffindung der Urform,

des Entstehungsortes, der Entstehungszeit und der Wande-

rungswege der MArchen keineswegs erschopft, "Erst danach",

hat Kaarle Krohn einmal scherzhaft geaussert, "beginnt

eigentlich die M:lrchenforschung". Mit Hilfe der gewonnenen

Resultate konnen wir nun die Elemente untersuchen, aus

welchen die M:t.rchen urspriinglich zusammengesetzt sind:

was in ihnen dem Volksglauben, den Sitten u, a. angebOrt.

Die Marchen werden zu wertvollen Hilfsmitteln im Dienste

einiger anderen Wissenschaften : der Ethnogra.phie, der

Archaologie usw, Aueh konnen WiT daran gehen die in

den Mctrchen vorkommenden volkspsychologischen Erschei-

nungen naher aufzuklaren, auf die schon in der vergleichen-

den Forschung soweit wie moglich eingegangen worden ist,

Fragen wie die, in welcher Weise jedes Volk die zu jhmgekommenen MArchen beeinflusst hat, sind [etzt an der

Reihe grOndlicher und erfoIgreicher untersucht zu wer-

den. Der gegenseitige kulturelle Einfluss der VOlker wird

beleuchtet durch die Wanderungswege der MArchen. Alles

dies sind Fragen, deren nahere Erorterung zu den Aufgaben

der zukunftigen Forscbung gehort und auf welche hier nur

hingewiesen werden kann.

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~'FC 13 Ilie Technik der MQrchenror~chung. 57-----_ .......- ._ . -- _, -, -----. ----'_. . . . . . . . _. ---,--'_ ---

IV. Die Teehnik der Marchenforsehung.

Um sich auf irgeadeinem Arbeitsgebiet erlolgreich beta ..

tigen zu kOunen, muss der Menscb das Arbeitsgebiet kennen;

wenn er die Arbeit zum erstenmal in Angriff nimmt, ist

seine erste Aufgabe, sieh mit dem Arbeitsgebiet bekannt zu

machen. Der Ma.rchenforscher muss sichauch

zu e r-s t v erb e r e i e n.d in d a s Forschungsgebi,et

e ina r -b eite n. Daz u gehOrt zunlchst das Lesen gu ter

Mlrchen.sammlungenJ wobei die Aufmerksamk.eit besonders

auf die Systematik der Mlrchen zu richten ist, Aber die

aufgezeicbneten UDd verOffentlichten Marchen sind schon

von ibren eigentlichen L'ebens,verhaltnisseugetrennt. Wer

mit den Mlrch~n intimer vertraut werden will, der muss

ausziehen und sie aus dem M.unde des Volkes sammeln.

FOr den Mlrchenforscher ist es sehr wanschenswert, dass

er selbst Marcben gesammeit hat. Und abgeseben von

den Materialien muss er danach streben, sich mit der For-

schung selbst bekannt zu maehen, sich schon im voraus

einen Begriff davon bilden, worum es sich in derselben

bandelt. Dazu ist die Lektare ttichtiger Spezialjorschun-

gen nOug.

Die a u s I u h r lic h e Kenntnis d e r Ma.rchen

is t eines der a l l e rwj e h t igs t e n Wel'kzeuge in

den Ha n d.en des Forschers. Dies ergibt sichteils

daraus, dass die Veranderungen so oft dureh den Einflussanderer M.archen verursacht werden. Je ausfOhrlichere

Kenntnisse der Forscher vom Inhalt del" Marchen hat, desto

Ieichter wird es ibm, den Ursprung del" Verandernngen zu

ermitteln, mit anderen Worten: destornehr Aussiehten hat

er fUr das Gemingenseiner Arbeit. Die Kenntnis clef M4r~

chen und besonders der MI.rchentyp,en bewahrt auch den

Forscher davor, MArchen mit einander zu verbinden, zwischen

denen kein wirlrJicher Zusammenhang besteht, Dergleichen

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58 AN1Tl AARNE, Leitfaden. FFCJ3

Fehler haben die mit den Ma.rchen weniger vertrauten

Forscher oft begangen.

\Ve n n die n lHig e 11 v 0 r b ere ien den Arb eien

au 5g e H i h r t sin d, s o l I de r For s c her d a s The rna

s e in e r For s c hun g wah len. Er muss das Marchen

oder die M<'1.rcbengruppe bestimmen, deren Schicksale er zu

erklaren beginnt. Hier ist hervorzuheben, dass das genaue

Bestimmen des Themas im voraus oft schwer ist. Beim

Fortschreiten del' Arbeit karin die geplante Aufgabe sich

erstens als zu beschrankt erweisen. Der Forscher kann

sich irren, indem er Variationen einunddesselben Mlrchens

fO r selbstandige Marchen halt, oder das von ihm zur Unter-

suchung herausgegriffene M1rchen ist mit irgendeinem ande-

ren Marchen so nahe verwandt oder mit ibm so vermischt

undverflochten, dass es schwer ist, die Untersucbung

desselben einzeln, von dem letzteren gesondert auszufCt.hren.

Derjenige Iehlt in der Wahl des Themas, der z. B. beginnt

die Form mit drei Zauberdingen vom Zaubergabenmarchen

zu behandeln, aber die Form mit zwei Zauberdingen unbe-

rucksichtigt lasst. WeI' das Titelituremarchen (Mt. 500)

untersuchen win, der muss auch das Marchen "Drei alte

Weiber als Hellerinnen" (Mt. S0l) mituntersuchen. Ebenso

sind die Marchen .,Das Madchen ohne HAndel! (Mt. 706)

und "Die drei goldenen Sohne" (Mt. 707) gleichzeitig zu

erforschen. Bisweilen ist wieder das gewa.hlte Themain

Wirklichkeit umfassender, als der Forscher sich vorgestellt

hat. Von diesen zwei bei der Wahl des Themas drohcn-

den Irrturnern hat del' erste verwirklicht schadlichere Folgen

als del' letzte. "Venn wir Material auf einem zu weiten

Gebiete gesammelt haben, ist es mOglich, zu beliebiger Zeit

das Thema zu beschranken, und del' Schade liegt nul' darin,

class wir etwas mehr Arbeit clarangewendet haben, als wir

diesmal gcdacht hatten. Aber nieht ebenso leicht ist es,.das zu knappe Thema zu erweitern. Die fO r die Forschung

notige Literatur ist von verschiedenen Seiten herbeizuschaf-

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~ F _ F _ C _ 1 3 ; : : . . . _ ~_D_ie_T_e_c_h_n_ik_derM A rchen!~schung .:__ ~~

fen, und einige Werke sind schwer in die Hande zu be-

kommen. Noch muhsamer ist das Sammeln des handschrift-

lichen Materials. Kein Forscher hat immer al1e Quellen

in der Hand. Wenn er im Laufe der Sammelarbeit oder,

was noch schlimmer ist, erst nach derselben bemerkt, dass

er sich in zu engem Rahmen bewegt hat, verursacht es ihm

Schwier.igkeiten den Irrtum gutzumachen und es ist zum Teil

vielleicht unmOglich. Be ide r Wah Ide s The mas fUr

eine U'n t e r s uc h u n g muss man daher vor allem

eine zu enge Beschr!lnkung vermeiden. Praktischund klug handelt, wer das Samrneln des Materials etwas

welter ausdehnt, als es seine Untersuchung eigentlich erfor-

dern wOrde. Die schliessliche Beschrankung des Themas

wird ihm spater von selbst klar werden.

Das Zi e! des Sammelns d er Materialien i t ei e

mo g lic h s t grosse Anza.hl Varianten von d em oder

den zur Untersuchunggewa.hlten MArchen zusam-

men z u b r in g en. Solche kennen wir in der Alteren Lite-

ratur, aber insbesondere in den aus dern Volksmunde auf-

gezeichneten Ma.rchensamlungenantreffen, die teils im

Druck veroffentlicht sind, teils nur handschriftlich existieren.

Die volkstOmliche M:lrchenliteratur ist im Laufe von hundert

Jahren ungemein stark angewachsen und besonders hat sie

sich wahrend der letzten Jahrzehnte, wo die MArchen die

Aufmerksamkeit mehr auf sich gelenkt haben, bedeutend ver-

mehrt. Und noch viel grosser ist die Anzahl der hand-

schriftlich aufbewahrten Aufzeicbnungen.Wegen der Reichlichkeit der M:trchenvorrAte ist das

Sammeln des Materials eine sehr arbeitsreiehe Aufgabe.

Die Schwierigkeiten werden noch durch die Vielspraehig-

keit der Aufzeichnungen mid deren Zerstreuthcit in ver-

schiedenen Landern erhOht.

Zur Erleichterung der Schwierigkeiten, welche sich

dem Forscher der Volkspoesie beim Sammeln des Materials

bieten, grfindeten einige fUr die Sache interessierte Folk-

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60 ASTTl AAR.~E,Leitfaden, FFC 13

loristen -. foh. Bolle, Kaarl« Krohn, Axel Dlrik und C . w.

v. 5_lIdow- vor einigen Jahren einen internationalen Bundmit dem Namen "Folklore Fellows" ("Folkloristischer For-

scherbund", "Federation des Folkloristes"). Die Statuten

des Bundes bestimrnen als Zweck desselben: I ) a) den For-

srhern volkskundliches (folkloristisches) Material aus den

verschiedenen Landern zugAnglich 7.U machen und Kataloge

derarliger Sammlungen herauszugeben, und b) die Heraus-

gabe wissenschaftlich befriedigender Publikationen volks-

kundlicher Materialien in einer leieht zuganglichen Sprache

oder mit Referaten in einer solchen zu fOrdern. Seine

Tatigkeit hat der Bund so geordnet, dass Inr [ede landschaft-

liche oder nationale Arbeitsgruppe, die im Bunde' durch

Mitglieder vertreten ist, eine Auskunftstel1e oder ein Ver·

treter eingesetzt ist; durch Vermittlung der Auskunftstellen

krmnen Abschriften, Auszuge und Obersetzungen von Hand-

schriften und schwer zuganglichen Druckwerken aus Offent-·

lichen und, so weit wie moglich, auch aus privaten Samm-

lungen beschafft werden. SoIche Auskunftstellen gibt esschon eine Anzahl Z } , und neue werden gebildet. Der For-

scher braucht sich also, um Materialien zu bekommen, nur an

die Auskunftstellcn zu wenden, diese sorgen fOr die Beschaf-

fung von Kopicn und auch notigen Ubersetzungen, alles

natiirlich gegen eine rnassige Entschadigung.

Grosser als anderswo sind die Schwierigkeite.n beim

Sammeln des Materials auf dem Gebiete der Ma.rchen. Der

Bund hat deshalb seine Aufmerksamheit zu allererst auf

die Marchen gerichtet. Urn Einheitlichkeit in den Marcheu-

veroffentlichungen und den Katalogen zu erziel en , ist von

dem Unterzeichneten ein zusarnmenhangendes Ma.rchenver-

zeichnis "Verzeichnis der Ma.rchentypen~ (FFC 3) ausgear-

1 ) Anhang zurn ersten Bande der Serie "Folklore Fellows

Communications".

2) Siehe "Bedchte Ober die Tatigkeit des folkloristischen

Forseherbundes "FF·· (FFC 4, ? u. 12).

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61

beitet worden, wiesie schon fruher von j. G . ",.H oh" J ) ,

SV. Grundtvig·) und einigen anderen herausgegeben worden

sind. Diesem Verzeichnis gernass sind die finnischen und

die finlAndisch-schwedischen Ma.rchen schon geordnet und

deren Kataloge zur VerfOgung der Forscher veroffentlicht

worden (FFC 5 u. 6), und i n . manchen anderen Landern hat

man es unternommen, Kataloge auszuarbeiten. Das Typen-

verzeichnis ist in seiner gegenwartigen Form noch nicht

vollstandig. Nach einiger Zeit, wenn mehrere spezielle

Verzeichnisse fertig sein werden, besteht die Absicht, vondemsclben eine vervollstandigte Ausgabe herauszugeben.

Der Bund Folklore Fellows ist noch in del' Organi-

sation begriffen. Aber sein Zweck ist sehr wichtig. Die

Fortschritte der Erforschung der Volkspoesie beruhen in

hohem Masse darauf, wie es ihm gelingen wird, sein Vor-

haben zu verwirklichen. Jeder Ma.,rchenforscher sollte daher

die Tatigkeit des Vereins unt~rsUitzen, sich als Mitglied

einer Auskunftstelle ansch1iessen oder mangels einer sol-

chen eine neue Auskunftstelle bilden usw.

Der neue Bund wird wahrscheinlich lange Zeit seine

Aufmerksamkeitvor aHem auf die handschriftlichen Material-

vorrate gerichtet halten und versuchen sic del' Wissenschaft

nutzbringend zu machen, abel' daneben bestrebt er sieh

gewiss auch, dem Forscher beirn Sammeln des gedruckten

Materials behulflich zu sein.

Obwohl das Zusarnmenbringen des Materials an sich

eine muhsame Aufgabe ist, geht sie in Wirklichkeit erheblich

leichter vonstatten, wenn die Arbeit in rechter Weise be-

gonnen und in rechter Ordnung ausgefiihrt wird.

I) Siehe S. 3.

t) Grundtvigs Verzeichnis (Reaistrantj jst beim Ordnen der

Ml.rchenvorrAt.e von "Dansk Folkernindesamling" hefolgt (Siehe

FFC 2), doch so, da ...s neben G:s Numrnern s.pAtt"rdie Nummern

des neuen Typenverzeichnisses gestellt sind.

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rl.NTTI MRNE, Leitfaden.- - - - _. ----- ---

FFCI3

Das Sammeln des Material s ist von d em Hei-

mat s Iand e des For s c her s au s v0r z un e h men. Jednhat die beste Gelegenheit, sich mit den Marchen seines

eigenen Landes bekannt zu machen, weswegen er von ihneo

gewohnlicbeine grOssere Anzahl von Varianten zusammen- I

bekommt. Mit Hilfe dieser bildet sich ihm von dem zu

untersuchenden MArchen eine Vorstellung, auf der sich das

spatere Sammeln gut aufbauen kann.

Darauf hat man sich mit. irgendeiner mit

guten Anmerkungen versehenen Marchensamm·I un g be k ann t z u mac hen. Die Herausgeber der Samm-

lunge" oder andere mit der vergleichenden Mirchenliteratur

mehr vertraute Personen haben namlich oft mit den MArcheo !

ein Verzeichnis ihrer anderswo angetroffenen Varian teo

verknnpft oder andere in der Forschung nfitzliche Mitteilun-

gen daruber gegeben. Solche Verzeichnisse kann man auch

zuweilen ausserhalb der Sammlung selbst Iinden, in irgend-

einer Zeitschriftusw. Der Wert der Anmerkungen ist

sehr verschieden, von der Menge der ihnen zu Grunde

liegenden MArchenliteratur abhangend, Bisweilen werden

in ihnen nur die MArchen des eigenen Landes oder dazu

diejenigen des Nachbarlandes in Betracht gezogen, aber

mitunter wird auf die. neuere und Altere MArchenliteratur

in ihrer ganzen Ausdehnung ausgegriffen. Auch ihrer Form

nach sind die Anmerkungen verschieden. Die einen Autoren

beschranken sich darauf, nU T zu erwahnen, wo sich die

Variante befindet, andere referieren auch deren Inhalt gaO loder teilweise, Wenn das Originalwerk schwer aufzutreiben

ist, kann ein solches Referat den Mangel desselben ersetzen.

Schon die Anmerkungen der ersten Sammlung konnen auf

diese Weise den Forscher zu vielen Varianten leiten, u n d

die Arbeit bekomrnt einen guten Anfang. An die neuen

Varianten knupfen sich wieder Hinweise, und so setzt man

die Arbeit von einem Werke- zum andern fort, soweit d i e

Literatur reicht, Im Faile es unmOglich ist, ein Werk in

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FFC 1 3- - - ~ -

Die Technik der Ma:rchernforschung.

die Hinde zu bekommen, muss man versuchen, sich durch

Briefwechsel mit dem Inhalt der darin befindlichen Variante

bekannt zu machen. Wenn es sich trotz aller Mahe UIln10g-

rich erweist die gewunschte Auskunft zu erhalten, muss der

Forscher auch einen kurzen Hinweis als solchen in Betracht

ziehen, denn derselbe beweist in jedem Faile, dass das Mar-

chen in der betreffenden Gegend bekannt ist.

Die Bedeutung der verschiedenen Marchensammlungen

in dieser Hinsicht geht aus meiner Darstellung der neu-

eren Ma.rchenliteratur hervor.Beim Sammeln der Varianten sind folgende Umstande

im Auge zu behalten:

a ) Das Material ist einer Kr iti k 7.U u n t e r-

z ie h e n, denn nur die zuverlassigen Stoffe haben wlssen-

schaftlichen Wert. Die Kritik muss erstens klarlegen, ob

das Marchen seine reine volkstnmliche Form behalten oder

ob der Herausgeber es bearbeitet hat. Es ist zu bernerken,

dass viele Sammlungen entweder ausschliesslich oder teil-

weise zur Unterhaltung der Kinder und der jugend bestirnmt

sind, und die in ihnen befindlichen Marchen sind dies em

Zweck moglichst angepasst worden. Besonders hinsichtlich

der alteren Sammlungen hat der Forscher Anlass vorsichtig

zu sem. Bisweilen erklaren die Herausgeber in der Ein-

leitung oder in den Anmerkungen, in welchem Grade sie

die Form del' Erzahlungen beeinflusst haben. Zweitens ist

das Verhaltnis der volkstumlichen Aufzeichnung zu der

neueren Mlrchentiteratur ins Auge zu lassen. Der Erzahler

bat vielleicht das Marchen in einem Buche gclesen oder

dies bat derjenige getan, del' es ihm erzahlt hat. Wenn

del" Forscher hier nicht auf der Hut ist, wird er verleitet,

falsche Schlusse zu ziehen, Drittens ist darauf zu achten,

dass der Aufzeichnungsort richtig mitgeteilt ist. Auch hierbei

ware es wichtig, dass man sich beim Sarumeln der M:lirehen

stets erkundigt, woher der Erzahler das M~rchen bekom-

men hat. In den gegenwartigen Sammlungen wird es se1ten

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64- - - _ - _ -~ANTIl AARNE, Leitfaden.

- ---~~ - ----_------~---FFC 13

erwahnt, Es ist moglich, class das MArchen in einer ganz

anderen Gegend gehort worden ist. In einzelnen Fillenkann die Variante sehr lange Strecken Qberf1iegen. Kaarlt

Kroh» erzahlt von seinen Sammelreisen folgendes derartiges

Vorkommnis: In Sudfinland wurde ibm ein Ma.rchen erzahlt,

in dem ein Zug in auffallender Weise an eine Iraher von

ibm am nordliehen Ladogaufer aufgezeichnete ostfinnische

Variante erinnerte. Er erkundigte sich bei dem Erzahler

genauer danach lind erhielt die Mitteilung, dass der Erzahler

das Marchen wlrklich in Ostfinland in derselben GegendgehtJrt hatte.

b) D asS a III In e I n III U sse r s c hOp fen d s ein. Es

soll mOglichst genau alle, sowohl die Alteren Iiterarischen

als die volksUlmlichen Varianten des zu untersuchenden

Mlrchens ausfindig machen. Was die letztgenannten betriftt,

ist besonders zu beacbten, dass das Sammeln sich auf

das ganze Verbreitu ngsgebiet des vol kstumlichen Marchens

erstreckt, Je vollstandiger das Material zusammengebracht

ist, desto sichrer werden die daraul gegrundeten Ergeb-. .

msse scm,

e) Der Forscher muss von irgendeiner Gegend

die Resultate eine r intensiveren Sammelarbeit

z u r VerfOgung b e k o rn m e n, Dies ist bei dem jetzigen

Stand der Forschung n6tig, Man muss sich nlmlich erin-

nern, class das Sammeln in einigen Landern, besonders

ausserhalb Europas, noch sehr mangelhaft gewesen ist. Wenn

der Forseher Gelegenheit hat, in einem beschrlnkten Gebietdie Entwicklung und Wanderung des Mlrchens eingehen-

der 7.U verfolgen, kommt ihm das bei der Enischeidung

weiterreichender Fragen zu Hille.

Die Varianten sind fO r die I r ntersuchung aufzuzeichnen,

Das vollstandige Abschreiben derselben kann jedoch nicht

in Frage komrnen, ausser wenn das zu untersuchende Mlr-

chen ganz kurz ist, Das Abschreiben lingerer Erzahlungen

erfordert zu viet Zeit und Mllhe, und es ist ausserdem

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FFef3 Die Technik der .Ma.rchenfor:-;chun~.

unbequem, sie bei der Ausfuhrung der Untersuchung anzu-

wenden, wobei die Varianten unzahlige Male durchzulesen

sind. Wi r soIl en deshalb n u r die H a up t z r . g e de r

Er z a h Iu n g a u Iz ei hn e n. Hier muss man sich jedoch

davor hnten, dass die Aufzeichnun.g eine zu kurze Fassung

erhalt, Auch far den erfahreneren Forscher ist es unmog-

lich, im Voraus genau zu sagen, welche Umstande in del'

Forschung Bedeutung haben werden. Deshalb ist es am

kliigsten, in die Aufzeichnung auch solches aufzunehmen,

was sich sparer mOglicherweiseals unbedeutend erweist.

Also Heber zu viel als zu wenig,

Jede Aufzeichung, so kurz sie auch sei, muss

fur si h auf ein Blatt Pa p i r geschrieben wer·

de n. Dieses Verfahren hat den Vorzug, dass es dem

Forscher die M~glichkeit bietet, die gesammelten Varianten

in die Ordnung zu bringen, in der sie in der Forschung

zu behandeln sind,

Auf das Sammetn des Materials folgt dessenE inor d nun g. Ai le Varianten ei nunddesselben Vol kes

werden zusarnmengebracht, und die V~lker werden nach

ihrer Verwandtschaft und geographischen Lage geordnet.

Da in der Untersuchung stets auf einzelne Varianten und

Variantengruppen hingewiesen wird, ist es wichtig, dass

man fur jede Variante do kurzes, aber verstandliches

Zeichen erfindet. Die Frage ist allerdings absolut praktischer

Art, und jeder Forscher kann darin handeln, wie esihm

am besten scheint. Die Varianten sind bisweilen [ede mit

ihrer eigenen Ordnungsnummer bezeichnet worden, abel'

darin liegt cler Nachteil, class das Zeichen der Variante gar

nicht die Nationalitat und den Aufzeichnungsort derselben

angibt. len Iuhre im Folgenden das von Kaarie Krohn

aulgestellte Bezeiehnuugssystem vor, das er als Anhang zu

dem ersten Bande Vall FFC veroffentlicht hat und das teil-

weise in den Untersuchungen benutzt worden ist. Darin

werden die grossen Sprachgruppen mit dern Anfangsbuchsta-

5

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66 . ANlTI AARN'E, l ..eitfaden. FFC 13

ben ihrer Namen bezeichnet, und' neben diesem wird der

Anfangsbuchstabe des einzelnen Volkes gesetzt, Wenn z. B.

die romanischen VOlker mit dem Buchstaben R signiert

werden, wird das Zeichen der Franzosen RF, d.er Italiener

RE, del" Portugiesen RP sein usw. Die einzelnen Varian-

ten der verschiedenen VOlker werden mit den auf die

Buchstaben Iolgenden Ordnungsnummern bezeichnet. Wenn

Iranzosische Varianten z, B. 10 vorhanden sind, bilden sich

Zeichen wie RF I, RF 5" RF 9 usw. Den Orduungsnummern

liegt der Ort der Aufzeichnung in dem betreffenden Landzu Grunde. K r 0 h n s S y 5 t e In sieht so aus:

Erster grosser Buchstabe:

C = Celten, F =Finnougrier, G = Gennanen, R =Romanen, S =laven, T = Ttlrken.

Erster und zweiter grosser Buchstabe:

CB =Bretouen, CI =rlander, CS =chottlander,

C\V =Waleser.

FE =sten, FF =Finnen , FL=

Lappen, FM =M a-

gyaren, FP =ermische VOlker (Syrjanen, Woljaken), FU =

Ugrische VOlker am Ural (Ostjaken, Wogulen), FW ~

Wolga-Volker (Mol'dwinen, Tscheremissen).

GD =arien, GE =nglander, GG =Germanen im

engeren Sinn. Deutsche, GH - Hollander, GI = Islander;

GN =Norweger I GS =chweden, GSF oder bloss GF =Schweden in Finland, germanische Finlander, GV =

Vlamen,

RE =panier, RF =Franzosen, RI = Italiener, R L

=adiner, Friauler und Rha.toromanell, RP = Portugiesen,

RR =Rumanen,

SH =ulgaren, sc = Lechen und Slovaken, SP =o-

len, SR = (Gross-jk ussen, SRW __:_Welssrussen, S5 =SeiLen, Kroatcn und Slovenen, SlJ = Ukrainier (Klein-

russell) und Ruthenen, S\V = Wenden.

'1'(: =Cuwassen, TK = Kirgisen, TO =Osmanen,

TT =Tataren.

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FFCI3 Hie Techni_k~der .~A!"chenforschun~,

Einzelstehende VOlker Europas werden nur mit drei

Initialbuchstaben, einem grossen und zwei k lei nen, bezeich net:

Alb = Albanesen, Bas =asken, Gre =riechen, Let

=Letten, Lit =Litauer, Sam = Samojeden.

Wie wir sehen, werden hier nur die europaischen VOI* '

ker in Betracht gezogen. Ein umfassenderes System ist

auch vorlaufig nicht notwendig. Varianten sammeln sich

heutzutage noch ausserhalb Europas gewohnlich in so be-

schrankter Zahl an, dass sich dec Forscher mit der Bezeich-

nung derselben leicht zurecht finder. Fur die verschiedenenErdteile schla,gt Krohn die Signaturen Eu, As, Af, Am,

Au VOT.

Gering an Zahl werden auch die alteren literarischen

Varianten sein. Man kann sie durch eine Abkurzung des

Namens des Werkes oder des Verfassers bezeichnen, z , H.

Kath. (Kathasaritsagara), T-N. (Tuti-Nameh), Strap. (Stra-

parolas' Dreizehn ergOtzliche Nachte),

Fur einige einzelne Lander sind noeh eigene Signa-

tursysteme gebildet worden, um deren einzelne Teile zu

bezeichnen. So 1.. B. in Finland und Daaemark.

Nachdem wir das Material geordnet haben, sind wir

soweit, dass wir an die Untersuchung selbst gehen kOnnen.

Zu d ies e m Zweck ist die Er z a h l u n g in ih re

IIa up tt e ie z u z e r leg eo, die T e i1e in ih r e Hau p t-

I: a g : e. Hier ist hcrvorzuheben, class das gcnaue Voraus-

bestimmen del' Hauptziige bisweilen mit Schwierigkeiten ver-

Lunden ist. We.m Unklarheiten auftauchcn, ist es unnOtig,sich filr deren Aulklarung anzustrengen, sondern man gehe

direkt zu den sicheren Zugen tiber. Beim Fortschreiten der

Untt"rsuchung narulich und beim allruahlichen Aufdeckcn der

Beziehungen zwischen den Teilen der Erzahlung' wird die

wirkliche Bedeutung jedes Umstandes deutlich,

Heim Aufsuchen der Urform des Ma.rchens kann man

lwei Verlahren auwenden : man kann entweder zncrst nul'

die volkstumlichcn Varianten zur Uutcrsuchung vornehmen,,,

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68 ANlTI AARNF., Leitfaden, FFC 13

d. h. die ursprungliche Form des volkstumliehe n Ma.rchens

aufsuchen und dann mit den erreichten Resultaten die

Alteren Iiterarischen Varianten vereinigen oder auf einmal

alles Material erforschen. Es ist schwer, lias eine Ver-

fahren vor dem anderen zu empfehlen, Doch wenn die

alteren literarischen Varianten grOssere Bedeutung haben,

ist es fur die Aufkla rung der Urform von Vorteil, wenn diese

mit den volkstumlichen Varianten zusammen behandelt

werden. In jedem Falle ist das gegenseitige Verhaltnis

des volkstamlichen Mflrchens und der alteren literarischenVarianten sparer fO r sich zu erklaren, damit errnittelt werde,

welche von den zweien die altere Form der Erza.hlung

darstellt.

Hiernach folgt d a s Aufsuchen del" Urform

del' ZOge. je de r ein zelne lug i t f u r sich zu

u n t e r 5 U c hen, wobei immer sein Verhaltnis zu den ihm

nahestehenden anderen Zugen im Auge zu behalten ist.

Der Erfolg der Forschung macht es erforderlich, an ein und

derselben Stene alle verschiedenen Fassungen des Zuges

ubersichtlich zu sammeln. Auf diese Weise konnen wir sic

am besten mit einander vergleichen. Urn die Behandlungsart

7.U erklaren, fiihre ich hier einige Beispiele an:

\Vir wollen zuerst zur Illustration die Art d er

Fl'O C h t e im MArchen von den drei Zauhergegenstanden

und den wunderbaren Fruchten nehrnen. Wenn wir den

Zug in [eder einzelnen Variante fur sich betrachten und

die ein lind dieselbe Fassung vertretenden Varianten zusam-menstellen, bekommen wir unter Anwendung von Krohns

Buchstabensystem das folgende Verzeiehnis: I)

Die Fruchte sind:

Apfel: CB I, CS I, 2, 4, FE, Fa 1-3), Fb ,. -3.6,

I) Da ich rnich hier ebenso wie in den folgenden Beispielen

auf meine eigenen Forschungen stutze, werden nur in denselben

vorkommende Varianten In Betracht gezogen.

:I ) Nach F stehende kleine Buchstaben bezeichnen die ver-schiedenen Provinzen Finlands.

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FFC 1 3 Die Technik del' Marchenfor:-;(,huI1K_

Fd 3, 4, Ff 2-·· S. Fj 4, S. Fk 1, 3, Fq 2, GG 2---4, 12,

13, GSF 2, RF 2, 4. 5. S C I, 2, SR 1,3,5,7--9, SRWI, 2, 4--6. SU 2, 3, Let. 2, Zig;

Apfel, aber diegesundmachenden Dinge sind:

Birnen : GG 2" 3, 13, RF 4. sc 2, SU 2;

Nusse : FE;

Salbe: GG [2:

Wasser: RF 5;

B eeren : Fb 4, Fd 2, Fe I, Ff 1'1 6, Fi 1-5, 7, 8, F],

J, 2, Fk - 1 - - . 6, Fm I, 3, .... Fn, Fp 2, 4, Fq I,S [,5, Sf{.h ]0. SRW 3. SU r :

Fruchte (Sorte nicht bestimmt): CI, Fe 2, Fk 2, Fp I,

RI 5, Let. I;

Hirnen: GG 11, HF I, RR I. SC 3;

Kirschen: CB 2, GO;

Nusse : Fd 1;

Pflaumen: GG 1;

Feigen : RE I, 2, RI 2. 3, 6, 8, II, 12, 1 5, SH 3,

Gre 2;

Trauben: Alb;

Dattetn: A I Arab.;Gras: Fb S, Fe I, 2, RF 3, HI 13, SC 5:

Salat: GG 9, 10, RI .h 12, SS 1.

Welche von diesen vielen Fruchtsorten ist im Mar,chen

ursprunglich gewesen '? Die Apfel haben sowohl die .Mehr-

zahl der Varianten als auch das weiteste Verbreitungsgebiet

fUr sieh. Sie sind irn ganzen Gebiete des Ma.rchens bekannt.Obwohl aber lwei so wichtige Umstande fUr die Ursprting-

lichkeit der Apfel spree-hen, erheischt es die schliessliche

Entscheidung der Frage, class auch die anderen Fruchtsorten

durchgeprult werden, vor allern ihr Verhaltnis zu den Apfeln.

Nach den Apfeln haben die Beeren die gTOsste Varianten-

zahl, aber ihr Verbrcitungsgebiet beschrankt sich auf Russ-

land und Finland. Die "Beerenu sind augenscheinlich eine

lokale Bildung, die eine g-ewisse Verbreitung gewonnen hat.

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70 ANTI. i\ARNE. Leitfaden. FFll3

Sie ist auch als eine abgeschwachte Bildung zu betrachten,

weil sie eine ganze Fruchtgruppe und nieht eine bestimmte

Fruchtsorte darstellt. Noch starker sind in dieser Hinsicht

die unbestimrnten "Fruchte'* entstellt, die ausserdem sehr

selten sind. Die Varianten mit den "Friichten" sind zufll·

lige Erscheinungen, Sie beruhen teils darauf, dass der

Erzahler vergessen hat, die Sorte der Fruchte zu erwahnen,

teils dOrften sie sich aus der Mangelhaftigkeit der benutzten

Aufzeichnungen erklaren,

Dass die Erzahler sich bestrebt haben, die Fruchtsorte

In eine andere zu verwandeln, besonders in eine in d . e r

betreffenden Gegend mehr bekannte, kann niemand wun-

dern. Von der Verwandlung sind bisweilen nul' die einen,

die gesundmachenden Fruchte betrollen : anstatt der gesund·

machenden Apfel finden sich Birnen, Nusse . oder irgend-

cin ganz fremder Stoff: Salbe, Wasser. DeT Erzahler hat

dadurch offen bar den doppelten Einf1uss der Fruchte auch

ausserlich sichtbar mechen wollen. Mitunter haben die Apfe l

ihren Platz vollstandig anderen Fruchtsorten uberlassen:Birnen, Kirschen, Nessen, Pflaumen und in den warmen

Landern den fUr diese charakteristischen Feigen, Trauben,

Datteln. Aile diese kommen so selten vor, dass keine ven

ihnen ursprunglich sein kann. Einige tragen deutJich loka-

len, andere zufalligen Charakter.

Noch nieht betrachtet sind das Gras und der Salat,

welche zwar auch selten sind, aber deren Verbreitungsgebiet

ausgedehnter ist, Das Gras und der Salat mit ihren in

Esel verwandelnden Zauberkraften gehoren jedoch in das

Zaubervogelmlrchen, das sich in allen diesen Varianten

mit dem Mlrchen HDie drei Zaubergegenstande und die

wunderbaren Fruchte" verbunden hat, und ihre Urspriing·

lichkeit in dern letztgenannten kann gar nicht in Fragc

kommen.

Alle Umstande beweisen also die Ursprnnglichkeit der

Apfel, und dasselbe zeigt das Vorkommen derselben in dem

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Im 15. Jahrhundert verfassten Volksbuche von Fortunatus

und seinen Zaubergegenstanden.:

AJs zweites Beispiel wahle ich aus dem Zaubervogel-

marchen den Zug die Stelle cler Zauberkraft in

de 11 1 V 0 gel. Die mit dem Vogel verbundene Zauberkraft

bezieht sich auf einen bestimmten Korperteil, Gehen wir

wieder den ganzen Materialvorrat durch und zeichnen wir

die verschiedenen Formen des Zugesaur. Die Zauberkraft

vereinigt sich

mit dem Kopf des Vogels : Fi 7, Fill It 2, Fp 8, Fs,

FL, FM, FP. GG 6, RE, RF, RI I, 4, 5. RR I, S I, 6,sc I. 2, 4 - , 7, SR I, 3-6, SS 1-3, 6~SU 2" 6, Let. I,

Gre, Zig., A I BeT. 3, As Turk. J, Arab. J I Ind. 2, 5;

mit dem Herzen: CB, Fb I,. Fe I, 2, Ff I. 2, Fi J I

Fj 1--3, FI, Fm 1, Fp 4, Fq I, Fs, FM, FP, GG 1-5,7.

RE, RF, RI 1-3, 5. RR IJ 2, S 6, S C It 2, 4,5,7, SR

I" 6, SS I, 3-7, SU 5, 6, Gre, Zig., A I Ber. r, 3, As

TUrk. rI Syr., Arab. I:mit der Leber: Fb 3, GG I, 2, 4, 7, RI 2-4, S 10,

SS 2, SU 5, Let. 2, Gre, As Ind. 5:

mit den Eingeweiden (dem Magen): Fi 7, Fq 9, RR I,

2, S I, 9, S C 5, SR 4, AI Ber. I, As Turk. I:

mit den Flngeln : FE, Fd 2, Fi 4, Fm 2'1 Fp J, 2, 8,

FL, S 3, 5, SR 2 , 3, SRW, S5 51 SU i,3, 4;

mit dern Kropf: AI Ber. 4, Arab. 2;

mit den Nieren: SS 2, 4;

mit del' Lunge: Let. 2;

m il der Brust: As Ind. 2;

mit dern Nabel: SR 2;

mit dem Hals: SR 5:

mit dem Knochen: Fm 2;

mit dem Fuss: SRW, Zig.;

der Vogel verdoppelt und mit jedem ein eigeuer Zau-

ber verbunden: Let. 1, AI Ber. I, As Ind. I, 3, Hinter-

indo 2.

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ANTI[ AARNF.,Leitfaden. F lOC 13

Von den verschiedenen Formen des Zuges kr.nnen

wir als spater entstanden gleieh die letzterwahnte weglas-

sen, ill welcher von zwei Vogeln die Rede ist, die beide

ihre eigene Zauberkraft besitzen, Die Zweizahl der Vogel

hat sich aus der ursprunglich zu dem MArchen gehorenden

Zweizahl der Zauber (das Konigwerden und das Vermogen

Gold zu erzeugen] ergeben, eine in den Mlrchen sehr nattlr-

liche Veranderung, In einigen finnischen Varianten (Fb r ,

Fe I, 2, Fe, Ff I) wird von 2 Eiern gesprochen, aus denen

je ein Zaubervogel hervorgeht, wenn sie genugend bebrntet

werden, Ais einzelne gelegentliche Falle konnen wir auch

Kropf, Nieren, Lunge, Brust, Nabel, Hals, Knochen und Fuss

ausscheiden, Sie dOrften sich teils aus der Schwache der

Erinnerung des Erzahlers herleiten, teils absicht1iche Verande-

rungen sein. Die Flugcl wiederum sind nur in einem Teile

von Europa (in Finland, Russland und einmal in Bulgarien)

bekannt, also in einern sehr beschrankten Gebiet. Das

Erscheinen der FIGge] habe ich Iruher als Beispiel von

solchen Veranderungen in den Marchen erwahnt, deren

Geschehen beinahe unabwendbar ist.Weil sich die Zau-

berschrift auf den Flugeln des Vogels befindet, ist es nanir-

Iich, dass die Erzahler zuwejlen darauf verfallen sind, die

Zauberkraft auch mit den Flugeln zu verbinden, so wenig

passend diese auch als Speise sind.

Obrig sind noeh Kapf, Herz, Leber und Ei ngeweide.

Von diesen gehoren das Essen des Kopfes und das Konig-

werden so standig zusamrnen, class sie gewiss schon in

dem ursprunglichen Milrchen vereinigt gewesen sind. So

ist es schon in den alten Varianten des Tuti-Nameh und des

Kandschur. Aber welcher Korperteil hat in der ursprung-

lichen Form des Ma:rehens das Golderzeugen verursacht?

Das Herz ist bedeutend haufiger als die Leber und die

Eingeweide und hat sich weit verbreitet, obwohl allerdings

auch die letztgenannten in verschiedenen Gegenden vor-

kommen. Die Sache wird entschieden, wenn wir wahrneh-

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FFC 1 3 Die Technik del' Marchenlorschung.------ 7 3

men, dass das Herz das ejrrzige ist, das allgemeiner neben

dern ursprtmglichen Kopfe erscheint, Die Leber Iindet sich in14 Varian ten nur zweim al zusammen m it dern Kopfe, aus-

serdem wird einmal von dern Kopie, dem Herzen und der

Leber gesprochen, die jedes fur sieh einen Zauber haben ..

GewOhnlicher ist neben cler Leber das Herz als Stellver-

treter des Kopfes. Die Ursprunglichkeit der Eingeweide

kann noch weniger in Frage kommen. Die Anzahl der

Varianten ist dafur eine zu geringe, und die Stellung der

Eingeweide ist auch sonst nieht feststehend. lhre Eigen-

schaftcn sind bald das Golderzeugen, bald das Verschaffen

eines hohen Arntes - also die Analogieform des Konig-

werdens usw, -. Bisweilen reprasentieren sie neben dem

Kopfe und dem Herzen einen dritten Zauber, Das Erschei-

nen der Eingeweide (des Magens) geht wahrscheinlich darauf

zurtick. dass, als der zauberkraltige Teil des Vogels verzehrt

wird, derselbe :in die Eingeweide ubergeht, Als die jungcn

des Besitzers des Zaubervogels durch das Verzehren des

Vogels die Bestrebungen des dem Vogel Nachstellenden

zunichte gernacht haben, versucht dieser die Stucke des

Vogels aus dem Magen der jungen wieder herauszube-

kommen, zuweilen wird sogar erzahlt, dass er bestimrnt,

aus den Eingeweiden der Jungen eine Speise zu bcreiten.

Es verdient auch in Betracht gezogen zuwerden, class

das Verzehren des Herzens im al1gemeinen ein wichtiger

Zauber ist. Das Vermogen Gold zu erzeugen ist in der

Urform des MA.rchens offen bar mit dem Herzen verbundengewesen.

Beim Aufsuchen der Urform des Zuges dftrftc es auch

nicht ohne Bedeutung sein, dass der Kopf und das Herz

(=die Seele) die wertvollsten Teile des Korpers sind. Da

es sich urn so bedeutungsvoIle Vorteile wie das Konig-

werden und das Vermogen Gold zu erzeugen handel t, scheint

es naturlich, €lass der Verfasser der Erzahlung sie gerade

mit den wichtigsten Korperteilen verbunden hat.

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7 4 AN1TI r\AH.N'E, Leitfadcn. FFCI3

Hiernach betrachten wir den Zug de r iI I d a s N a l'h t -

qua r ti rEi n d r in g end e in dern Man-hen ",Die Tiercim Nachtquartier".

In der Form A, in' der die wandernden Tiere sich i n

einern von Ihnen selbst gebauten Haus befinden, erscheint

der Zug in folgender Gestalt:

\Volf: FE 1:2 (+ Fuchs), Fb J I Fi 2~ 3, Fj 4, 5, (+ B:ln,

6, 9. 10, Fill 12, Fb J I I, F] I 12, I Lh .l15, Fs I 1 6, Fj

155, F\V 1 (+ Hase), 2, GN I, SR 3, SR 2 (+ Fuchs u.

B~rJ! 3 (+ Bar)I),

S~-"7, SR\V r ,2

(+ Bar), 6J SU 3, 5,i, 10 (+ Hase):

Bar: Fm 13, Fq IS. SI{ 4;

Rauber: GSF 3. SR I;

Teufel: Fj 19, ,)13.

Rauber und Teufel gehoren sehr allgemei n zu der

Marchenfonn B und haben sich daraus in die erwahnten

Varianten verirrt. Zwischen dem Wolfe und dem Barcn

wiederum entseheidet die Anzahl del' Varianten und das

Verbreitungsgebiet die Sache unstreitig zugunsten des erst-

g-cnannten. Del' Wolf und der B ar kornmen in den Tier-

marchen oft einer anstelle des andern VOl'. Das Erschri·

nen des Haren, Fuchses oder I iasen in einigen Varianten

neben dern Wolfe als in das Nachtquartier Eindringcnder

ist ein von solchen Tiermarchen vcrursachter spaterer Zusatz,

in denen die erwahnten Ticre zusarnmen sind. Der in das

Nachtquartier Eindringende ist also in der Form A ursprunz-

lich der Wolf gewesen.

Auch in diesem Beispiele, wie in den heiden vorhergc-

henden, ist die ursprungliche Form des Zuges zugleich die

am haufigsten vorkommende Form, In der Form H dt'~

Marchens "Dit! Tiere irn Nachtquartier "I in dcr die Tiere

11 1 einem frernden Hause ubernachten, ist der Sachverhalt

I) BAr erzahlt dem Wolle.

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F~'C13 IHe Technik der Man_·hcllforschung.---"'. - - . . . , . . . , -,...._,._ . . . . . . . . -.,. .. . - . 75

ein anderer, Die Durchmusterung des Zuges gibt uns darin

folgende Variantengruppen:Wolf: Alb., CB r 2, Fb 110, GD 20, GG 11, 14. 16,

24, GSF 7, GV 4, RE 3, RF I, 3, 5. 6, 10, 16, RP 11

R\\! J I), SB 1-3. SP 6, SS I I), 6, SU 2;

BAr: F,j J 53, GN 2;

Rauber: CI, CS, FE 2-· I I, J3-16, Fb 3 r, I 18-- [20,

Fe 128, 130, 131, 133, 134, Fd 137, Fh 152, Fj 158, Fk

[60, 162, 1631Fj I98, FM, CD 6, 8. 9, 14, 18, 22, 26-29,

31, GE 1-3, GG J, 4, 6~ 9, 12, 13, IB, GS 2. 5, GSF

2, 5, 6, 10, 12, 15, GV " 2, 5, 8--10. RE 2, RF 7-9,

II, R~ 4, RR 1,2, RW 2, 3, sC 1-5, SP I, 2, 4. S5

3, -J., SU , , 1 - , 9, I I, 12, S\V;

Teufel (Kobold, Gespenst. u. a.): FE I, Fq 16, J 7, Fj

18, 20-26, Fl 27, 28, Fa 29. 30, Fb 32-34, Fd 35. Fe

36-'-38, {O, {I, Ff 42, Fg 43, Fx 46, Fk 47, FI 49, 5'2,

53, 55 - 57, 61, Fm 63, 65 -67, Fn 68, Fo 69. Fs 72, Fx

73, 7 4 - , Fa 7S. 76• Fb 77-82,. Fe 83, Fd 84, Ff 85. Fd

87, Fe 89, 90, Fg"9I - 93, Fh 94. Fj 95-98, Fk 99, FI

IOO~· 106, Fa 108,. Fd 109, Fb 117, 121-12 .... [26,127,

)..c r29, 132, 135, Fd 136, J 38, q.I_(43. Fe 144--- r46,

Ff J47-I50, F] 15." 156, 157, Fk J 59. J6 I, FI 164, Fb

166-179, Fd 181--187, Fe I88~190. Ff 191-196. Fj

197, Fk 199-201, Fx 202,GD 1-4, 7. 10-13, 15, 16,

21, 24, 32, 33, GG 2, GSj I, 3, 4, 6, G5F r , 4; 9, 13,

14,. 16, SP 3. 5, 7-1'2, SU I;

Herr oder Bewohner des Hauses: Fb 180, CD 1·7, 19,23. 25, RF 4, RI I, SS 2. 5:

Tiger: Am Ind.

Unter diesen verschicdenen Fassungcn des Zugcs erken-

nen wir leicht die seltensten, die zweite, ffinfte und sechste

als spater entstanden. Der Tiger ist ein einzelnstehender

Fall und der Herr oder Bewohner des Hauses cine verall-

1) Wolf und Fuchs haben den Platz gewechselt.

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ANTn rlARNE. Leitfaden, FFC 13

gemeinerte Bildung.. Die Beschaffenheit des in die Stube

Eindringenden, die sonst in den verschiedenen Fassungen

erwahnt wird, bleibt da unbestimmt. Besitzer des Nacht-

quarriers ist er Oberall in der Form B. Was wiederum den

Bar betrifft, hat er, ebenso wie in einigen A-Varianten,

hier zweimal den Plat? des Wolfes eingenommen.

Um die U rsprunglichkeit rivalisieren also Wolf, Rauber

und Teufel. Wenn die Zahl der Varianten die Frage

entschiede, reprasentierte der Teufel die urspriing1iche Form,

aber bei der Durchsicht des Verzeichnisses ist leicht 7. U

bemerken, dass die grosse M,engc der Teufel-Varianten auf

der Haufigkeit der finnischen Aufzeichnungen beruht. Die

Teufel-Fassung erseheint nur an bestirnmten Orten = in den

skandinavischen Landern, in Finland und Polen (SU

stammt aus Galizien nahe .der polnischen Grenze), wozu

sie einmal in Estland autgezeichnet worden ist. Der Riese

in der deutschen Variante GG 2 durfte ein in seinem

Ursprung von den Teufel-Varianten unabhAngiger Fall sein,

Die Teufel-Fassung ist also unbekannt im grOss ten TeB von

Mitteleuropa, in Sudeuropa, auf den Brittischen Inseln und,

weil sic nicht zu der in Russland verbreiteten Form A

geh<)rt, auch in Osteuropa, Was die Wolf- und RAuber-

Fassungen anbelangt, kann man dagegen von heiden sagen,

class sic das gauze Gebiet des Ma.rchens beherrschen, obgleich

die letztere haufiger ist. Om zu ermitteln, welche von diesen

Fassungen in der Form B ursprunglich ist, muss die Auf-

merksamkeit auf folgende Umstande gelenkt werden : a) DasMarchen ist ursprunglich oHenbar ein Abenteuer zwischen

den Haustieren und den Tieren des Waldes gewesen, b) So

verhalt es sich in allen ~lte['en literarischen Varianten, von

denen zwei aus dern J 2. und lwei aus dem .r6. Jahrhun-

dert stammen, und in ihnen allen erscheint ausserdem als

der in das Haus Eindringende ein und dasselbe Tier, nam-

lich del' Wolf . Nach den Iiterarischen Varianten kann man

auch schliessen, dass die Rauber-Fassung Zl1 diesel" Zeit

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FFC 13 Die Tee..hnik del' Man'henror~('hullg, 77

noch nicht bekannt war. Es konnte jemand behaupten, dass

die \Volf-Varianten sich 1Il0g)icherweise von jenen litera-rischeri Fassungen herlciten, wenn es aber so ware, wiirde

man eine nahere Ubereinstluunung zwischen den erwahnten

B-Varianten und den a.ltcren literarischeu Varianten erwar-

ten. Eine solche ist [edoch nicht zu heiuerken. Mit diesel'

Annahme stande auch der Umstaud nicht in Einklang,

<lass der Wolf auch in del" Form A del" in die Stube Kin-

dringende ist. Ebenso wenig kann mall annehmen, class

der \Vo)f ursptiinglich nul' zu der Form A des MArchens

gehort hatte u nd von da in ei ne Gruppe VOI1 B-Varianten

ubergegangen ware, dcnn die erwahnten B-Varianten sind

meistens an solchen Orten aufgezeichnet worden, \\'0 die

Form A nieht bekannt ist.

Der RAuher ist also nach allem eine spatere anthro-

pomorphisierte und der Teufel eine darnonisierte Badung.

Die erstere hat die grimmsche Variante "Bremer Stadtmusi-

kanten II so allgemein geruacht, die aus dem Buche in den

Volksmund ubergegangen ist. Einige del' Rauber-Varianten

sind augenscheinlich unmittelbar aus dem Ruche gekomrnen.

Die Teufel-Fassung wiederum hat ihren Ursprung in der

Vcrbindung einiger Teufelsgeschichten mit dem MArchen,

z. B. der Geschichte von dem Spukhause, wo keiner Nacht-

ruhe findet (Mt, 326 u, I16o)",JJer Barenfuhrer und sein

Baru (Mt. 1161), der dem Teufel versprochene Jl.lnge u. a.

Wir werden vollkommen davon uberzeugt, dass del' in

das Nachtquartier del' Haustiere Eindringende auch in del'Form B ursprunglich der Wolf gewesen ist, dessen Platz

die anthropomorphisierte Rauber-Fassung und die damoni-

sierte Fassung sparer allgernein eingenommen haben.

Beim Suchen nach der Urform der Zuge hat man

Anlass, besonders noch das Iolgende Verfahren zu betonen :

We n n i ge n d ein e Form des Zu g e s d u r c h ihre

Hau Fi g k e it, ih r w ei e 5 V e r b I'e it l1 n g s g e b i t, j h r e

N a t u r l i h k e i o d e r a u s a n d e r e n G r u n d e n u r -

Original from

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.\:nT1 .\ARNF.,f ettfaden.

5P r (i n g lie h s c h e in t, j s t z u u n t e r sue hen ,ob sic h

andere FassunJ..!en l e ic h t daraus haben e r g e b e nk t, nne n . Nut' in dem Faile, dass es sich so verhalt, karm

man sic als ursprunglich betrachten.

We n n die ursprOngliche Form j e d e s Zuges

g e fun den is t, b i Ide t m a 11 5 i h d u r c h V e r bin dun g

d e r s e 1ben die U r f 0 r III des ga n zen M a . r C ' hen s, mit

II i fed e I'end e I" H e imat 50 I" t, die En t s t e hun g s z e it

un d diVe r b rei tun g5we g e des M a . r c hen 5 un t e r·

s u c h t werden in del' Weise, wie es im vorigen Abschnitte

des Werkes auseinandergesetzt worden ist,

E r s t n a c h de m d ie U n t e r s u c h u n g z u Endl'

g e f u h r t is t , kann d a s benutzte Material auf die

s c h li s s li h c Form v e r k u r z t w e r d e n. Die Ver-

knrzunz ist eine durchaus formelle Sac-he, die auf ver-

schiedene Art behandelt werden kann, Ich will jedoch

darauf auhnerksam machen, dass man beirn VerOffentlichen

des Materials oft un nlJtig viel Worte macht. Es ist aber-

flnssig, mehr zu veroffentlichen als die Zuge, die in der

Untersuchung vorkonunen, und da immer von derselbeu

Erzahlung die Rede ist, 1St ausserate Kurze mOglich. In

wenigen Zeilen kann man auf diese Weise eine ganze

Variaute vorfuhren. so class aile ihre speziellen Eigenschaften

ersichtlich werden. Die imrner wachseude Menge des Mate·

rials zwingt den Forscher direkt zu einer kurzen Wieder-

g-abe. B ei del' Verkurzung kann man sagar so ' ...eit gehen,

<lass nur einige bemerkenswertere Varianten eingehend rele-riert und die anderen nul' aufgez.a.hlt werden, Die Deut-

lien kei t erfordert jedoch ill d iesem Faile an ei n if,en Stellen

in del' Uutersuchuug selbst die Dinge ein wenig ausfuhr-

Iicher d arzustellen.

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FF'C 13 Die als Beispiele benutzten Ma.rchen.

V. Die sis B eispiele benutzten M arehen .

(Mt. = Marchentypus in FFC n:o 3.)

Die Ma.rchen fuhre ich in del" Form vor, die die ver-

gleichende Untersuchung als ihre Urform nachgewiesen hat,

doch be strebe ich mich in meiner Darstellung urich moglichst

kurz 7.U rassen. Siehe: Krohn, K., B ar (Wolf] und Fuchs,

eine nordische Tiermarchenkette (= Journal de la Societe

Finno-ougrienne VI 1889) und Mann und Fuchs, drei verglei-cbcnde M~rchenstudien (1891) und Aarne, Anlli, Verglei-

chende MArchenforschungcn (1907) I), Die Zaubergaben

(I909) (= Journal de la Societe Finno-ougrienne XXVII I)

un d Die Tiere auf del" W anderscha ft (1913) (= F 0Iklore

Fellows Communications Ir ) .

MI. I. Das Erbeuten del' Fische. Del' Fuchs sieht den

Mann mit dem Pferd' die Fischlast fahren und wirft sich

wie tot auf den Weg. Der Mann hebt in seiner Freude

aber den schonen Fuchspelz das Tier auf und schleu-

deft es hinter sich auf den "Vag-en. Selbst vorn auf dem

\Vagen sitzend Ht.hrt er welter, ohne zuruckzuschauen. Df"1'

Fuchs wirft einen Fisch nach dem anderen auf den \Veg.

Schliesslich springt er selbst hinunter.

MI. 2. Das Fischru mil drm Sduvanz«. Als del' Fuchs

im \Vinter Fische verzehrt, kommt del' Har zuihm und

bittet UIll einen Teil davon. Der Fuchs rat dem Haren, ill

r-iner kalten Nacht in einem Eisloch mi t seinem Schwanz

ZlI angeln, wie auch er es getan habe, DcI' BAr geht, um

das Mittel zu versuchen, Del' Fuchs rat, den Schwanz so

lang-e unbeweglich zu halten, bis die Fische anbeissen. A Is

er denkt, del' Schwanz sei eiugelroren, fordert cr den Baren

auf denselben zurtu-kzuziehe-n . Im Glaubeu, class er cine'

I) Vgl, die Be-prechunz K. Krohns in den Finniscb-ugrischen

Forschungen IX Anz. S. 5.

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80 ..\~'TT1 ..\ARNE, Leittaden, FFC 1 3

grosse Fischlast hebe, reisst der Bar , sodass der Schwanz

abgeht.MI. ) 7. nil' SIIl·hr uach riner Ki"drrw(Jrlen"" (einem

Klageweib). Del' Bar geht nach dem Tode der Barin, urn

eine Warterin fUr seine Jungen zu suchen. Den ihrn begeg-

nenden Hasen findet er nach PrOfung seiner Gesangstirnme

untauglich, den Fuchs hingege n tauglich und bringt ibn in

seine Hohie. Als der Ba.r ausgeht, urn Essen zu suchen,

verzehrt del" Fuchs die Jungen eins nach dem anderen. Rei

der Rnekkehr des Baren kornmt der Fuchs aus der Bohle,

ehe er ihn hineinlasst, und den Sachverhalt spOttisch ver-

kundend rennt er davon.

MI. 47. Drr Bar mil tin, Zahne» am Schu-ans» des

Pferdes hdngend. Der Fuchs frisst ein totes Pferd. Der

B ar kommt und fragt ihn, wie er es gefangen habe. Der

Fuchs sagt, er habe sich am Schwanze des in der Sonne

liegeoden Pferdes Iestgebissen und so gerissen, dass das

Pferd zu lauren anfing und lief, bis es tot urnfiel. Der Bar

geht, urn dassel be Mittel zu versuchen, und das Pferd Il.ufl

mit dem Bareu am Schwanze,

MI. 1)0. Die Tiere 1m Nachtquartier.

For III B: Eiuige Haustiere: ein Ochse, ein Pferd,

ein Widder, eine Katze, cine Gans und ein Hahn enttliehen,

da sie fUr ein Gelage oder aus einern anderen Grunde

geschlachtet werden sollen, und schliessen sich zu einer

Reisegesellschaft zusammen. Sie kommen zufallig zu einem

Wolfshaus, dessen Bewohner abwesend sind, und lassensich fO r die Nacht in dern Hause nieder. Das Pferd stellt

sich draussen auf, der Ochse irgendwo in der Nahe der

Tur, der Widder auf dem Fussboden der Stube, die Katze

nirnmt im Herd Platz, di.e Gans auf dem Tisch, und der

I-Iahn fliegt auf den Balkcn hinau£. Als die WOlfe in der

Nacht heimkommen, schickcn sieeinen aus ihrer Mittt'

hinein, urn zuerst nachzuschen, wer in der Stube ist, Die

Tierc aber sturzen hier auf ihn los und verjagen ihn. Als

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FP C 13 Die als Beispiele benutzten Marchen. 81

er am Herd Feuer anziinden win, zerkratzt ibm die Katze

das Gesicht und die Hande, die Gans zwickt ihn mit dem

Schnabel usw., wahrend der Hahn vorn Balken herab kraht.

Zu seinen Genossen gelangt, erzahlt der erschrockene Wolf,

\~ie ihn ein altes Weib am Of en mit Wollkamrnen zerkratzt

habe, ein Schneider habe ihn mit einer Schere geschnitten

US\\'., und von oben habe einer hinter ihm her gerufen :

)tGebt ihnaudt mir her!" Die WOlfe zl ehen entsetzt von

ihrern Haus weg und lassen dieses in den Handen del'

Haustiere.For III A: Die Tiere: ein Ochse, ein Widder, ein

Schwein, eine Gans und ein Hahn iibernachten in einem

von ihnen selbst gebauten Hause, wohin die WOlfe einen

aus ihrer Mitte hineinschicken.

MI. 154. "BtJrtHjrass". Der Mann pflOgt mit einem

Paar Ochsen am Waldessaum. Zomig schilt er die faulen

Tiere: nIhr Barenfutter !" Ais der BA.r das im Walde hort,

kommt er und Iordert die Ochsen. In seiner Not bittet der

Mann, mit Ihnen seine Arbeit beendigen zu darfen und

erhAIt die Erlaubnis dazu. Vom Baren nieht bernerkt,

schleicht der Fuchs zu dem verzweifclten Mann uno ver-

spricht, ihn aus der Not zu helfen, [a ihm sogar den Baren in

die Hande zu ljefern, wenn er als Belohnung ein Paar Ga.nse

bekomme. Nachdem er dies Versprechen erhalten, ver-

schwindet er wieder in den Wald, wo er anfarigt das Hetzen

del' Bunde nachzuahmen, Erschrocken fragt del' B4r: ,.Was

ist das fnr ein Gerausch?" Del' Mann antwortet: "DieJ:lger des KClnigs sind auf del' Barenjagd". Del' 841' bittet

den Manni ihn nicht zu verraten. Del' Fuchs ruft aus dern

Walde dern Manne zu : ,,\Vas hast du fUr Schwarzes neben

Dir'!" Der Mann, auf Belehl des Baren : "Einen Baum-

sturnpf". Del' Fuchs: "Hebe ihn auf dcin Fuhrwerk ! --

binde ihn fest! - schneide die Aste ab! --- haue die Axt

in den Haumsnunpf!" Der Bar: "Tue, als hobest du - als

bandest l I L L - als ob du abschnittest - als 0 1 1 du hiebest !"

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ANTTI ~\.ARNE. Leitfaden, FFC 13

Der Mann hebt ihn auf sein Fuhrwerk, bindet ibn wirk-

Iich fest, schlagt die Reine ab, haut mit der Axt an den

Kopf, so class der Ba r stirbt. Dann geht der Mann nach-

hause, urn das im voraus von ihm versprochene Gansepaar

zu holen. Vom Hause bringt er einen zugebundenen Sack

mit sich. Wie er ihn aber offnet, springt daraus ein

Hundepaar auf den Fuchs los, und der Fuchs entflieht in

seine Hohle. Das MArchen fa.hrt mit dem Gesprach des

Fuchses und seiner Glieder fort und endet mit dem Tode

des Fuchses,MI. 155. Undani: ist dey Wett Lohn. Ein Mann rettet

eine Schlange aus der Kluft unter einem Stein. Die Schlange

sagt, Undank sei der Welt Lohn, und droht den Maun zu

verzehren. Auf den Vorschlag des Mannes aber gehen sie,

bei drei ihnen entgegenkommenden Richtern Recht xu

suchen, Dieersten Richter: das Pferd und der Hund sind

mit del' Schlange einig, aber der dritte, der listige Fuchs

lockt die Schlange wieder in die Kluft, und del" Mann

tOlet sie.

MI. 210. Die HOllsgr.rtlll! u. a. auf der Reise. Ein Ei,

ein Skorpion (?),' cine Nadell ein Stuck Kot und ein MOrser

befinden sich zusammen auf der Reise. In dem Hause eines

alten Weibes angelangt, verstecken sic sich an verschiede-

nen Stellen. Als die Alte am Abend nachhause kommt,

geht sie zum Herd, urn Feuer anzuzunden , aber das Ei

zerspringt und beschmutzt ihr das Gesicht., dew Skorpion

sticht sic usw., bis der Ml'1rser sie erschlagt.MI. 5hO. Das Mtfrrhen VOIn Zauherring. Ein armer

Junge kauft fU r sein weniges (reId cinen Hund und danarh

cine Katze los, die beide getOtet werden sollen. Nach eini-

g-er Zeit rettet er eine in Todesgefahr sehwebende Schlange.

Dankbar fuhrt ihn dieselbe zu sich nachhause, \\'0 ihm ihr

Vater einen Stein gibt, mit Hilfe dessen er alles verwirk-

lichen kann, was er sich wunscht, DcI' Junge schafft sich

als Wohnung e-in prachtiges Schloss lind heiratet die

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KOnigstochter. Der Stein wird ihm aber gestohlen, das

Schloss und die Frau werden durch Zaubcrmacht weitwegzu einer andereu Person entruckt, und der Junge wird vom

KOnig ins Gefangnis geworfen. Nun machen sich die dank-

baren Tiere, die Katze und der Hund, auf, den Zauberge-

genstand zu suchen. Die Katze sitzt auf dem Rucken des

Hundes, als sic aber einen F1uss schwimmen. Am- Zielc

angekornrnen, bemerken sie, dass der Dieb den Stein im

Munde tragt, Die Katze fa.ngt cine Maus uno zwingt sie,

ihr den Stein zu verschaffen, Die Maus kitzelt in der

Nacht mit ihrem Schwanze die Lippen des schlafenden

Diebes, der den Stein auf den Boden ausspeit. Auf dem

Heimweg C a J 1 t der Stein ins Wasser, und ein Fisch ver-

schuckt ihn, aber sic finden den Fisch und gewinnen den

Stein zuruck, Schliesslich bekommt der Junge den Stein

wieder, Er zaubert sich sofort sein Schloss und seine Frau

wieder herbei,

MI. 56[. Aladdin. In der in Tausend und eine Nacht

vorkommenden Bearbeitung des Zauberringmarchens, in dem

sogenannten Aladdin-Marchen, erhalt der Held des MArchens,

do ungeratener Junge (Aladdin), den Zaubergegenstand,

cine Lampe aus der Erde, wohin ein afrikanischer Zaube-

rcr ihn geschickt hat, die Lampe zu holen, Da aber der

Zauberer den Gegenstand nicht schon zur Offnung heraus

bekommt, verschliesst er diese durch Zauberworte und lasst

Aladdin unter der Erde. Dieser reibt zulallig' an dern Ring,

den ihm der Zauberer gegeben hatte: der Geist des Ringeserscheint und fuhrt ihn ans Tageslicht. Dann wird erzahlt,

wie er die Tochter des Sultans heiratet, sich einen machti-

gen Palast hervorzaubert und wie der Zauberer sich durch

Betrug der Lampe bemachtigt. Del,' Geist des Ringes bringt

Aladdin zum verscbwundenen Palast. Der Zauberer wird

durch einen Gifttrank getOtet, und der Palast an seinen

Iruheren Platz zuruckgebracht, Schliesslich kommt der Bru-

der des Zauberers, urn als heilige Frau seinen Bruder zu

rachen, Aladdin aber totet ihn mit einem Dolch.

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ASTn AARNl:, Leitfaden. fFC 1.3

Mi. J6) u. J64. Die Zauhergaben.

Die Marchenform mit drei Zaubergegenstan-den; Ein armer Mann bekomrnt (vom Winde, der seinen

Acker beschadigt hat, als Vergutung) ein Zaubertischtuch,

das sich auf Befehl mit den besten Speisen bedeckt. Auf

dem Heimweg vom Geber des Zaubergegenstandes kehrt er

fur die Nacht in einern Gasthaus ein, Wah rend der Mann

schUlft, vertauscht der Wirt, welcher ihn am Abend das

Tischtuch hat anwenden sehen, dasselbe mit einem ande-

ren Ausserlich gleichen, seiner Beschaffenheit nach jedoch

gewohnlichen Tischtuch, mit dem der Mann am Morgen

seine Reise Iortsetzt. Zuhause angelangt, wendet er das

Tischtuch, urn sich Essen zu verschaffen, an, aber verge-

bens, der Gegenstand hat gar keine Wirkung. Da der

Mann verrnutet, er sei bei dem Geber des Zaubergegen-

standes betrogen worden" eilt er mit seinem Tischtuch dort-

hin zuruck und bekomrnt einen Zauberesel, der auf Befehl

so vie) Geld fallen IAsst, als man nur zu haben wunscht.

Aber der Esel wird ebenfalls in dem Gasthaus mit einemanderen, gewohnlichen Esel vertauscht. Der Mann unter-

nirnrnl noeh zurn dritten Mal dieselbe Reise und erhalt nun

einen Zauberkntlppel, der [eden unbarmherzig durchprugelt,

den der Besitzer zu sehlagen befiehlt. Der Mann kehrt

wieder in dern Gasthaus ein ; von dem Betrug des Wirtes

dieses Gasthauses hat er bereits vernomrnen, und indem

er dem KnOppel befiehlt, den Wirt durchzuprugeln, zwingt

er ihn das entwendete Tischtuch und den Esel zurack-

zugeben,

In der MA.rchenforrn mit lwei Zaubergegen-

s tA n den wjrd von einem Gegenstand zum Aufbewahren

von Essen erzahlt, der die wunderbare Eigenschaft besitzt,

dass auf Befehl die besten Speisen aus ihm kommen, und

von einem anderen Gegenst.and von gleichem Aussehen,

woraus Geister mit Stl'lcken in den Handen erscheinen UDd

Prugel austei1en. Der wohlhabende Nachbar des armen

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Manneskauh den essenspendenden Gegenstand fUr reueren

Preis, aber mit Hilfe des neuen Gegenstandes, der den mitseiner Beschaffenheit unbekannten Nachbar auf dessen Befehl

durchzuprugeln beginnt, bekommt der Held des Mirchens

den ersterwlhnten Gegenstand zuruck,

MI. 566. Die drei ZauhergegctlSlandr r 4 H t J die wunder-

buren Frachte. Es sind drei Bruder, Soldaten. Jeder von

inen wird Besitzer eines eigenturnlichen Zaubergegenstan-

des. Der eine bekommt einen unentleerbaren Geldbeutel,

der zweite ein Horn, das ein Heel" herbeizaubert, und derdritte einen Mantel, der seinen Besitzer hinbringt, wohin

er befiehlt, Die Konigstochter entwendet dem Besitzer des

Beutels seinen Zaubergegenstand und ebenso den von

seinem Bruder ibm gegebenen zweiren Zaubergegenstand.

Auch der _dritte der BrOder tritt dem Heiden des M4rchens

seinen Zaubergegenstand, den Mantel, abo Es gelingt ihm

mit Hilfe des Gegenstandes das Madchcn zur Strafe auf

eine ferne Insel zu schaffen. Aber das M.adchen betrugt

ihn wieder, kehrt auf dern Zaubermante1 nachhause zuruck

und lasst den Jungen auf der Insel sitzen. Dieser stosst

auf einen Apfelbaum, isst von dessen Fruchten, bemerkt

abel' zuglelch, dass ihm HOrner am Kopf gewachsen sind.

Er verzehrt andere Apfel, lind die Horner verschwinden.

Unerkannt verkauft der Junge von den ersten Apfe~n der

Konigstochter, die HOrner an den Kopf bekommt. Nach

einiger Zeit kommt 'er als fremder Arzt an den Hof des

Konigs, zwingt das MAdchcn, die entwendeten Gegenstandezuruckzugeben, und schliesslich beseitigt er die Horner ..

Varianten dieses Mlrchens linden sich auch in der

Geschichtensammlung G est a Rom a nor u m und in dcm

.Volksbuch von For tun a t u s, s e in emS a . C ' k e I u n d

s e in e m W u n s c h hut le i n.

MI. J67. Der Zaubervog,rl. Vas Schicksal macht eincn

armen Mann zum Besitzer eines Goldeier legenden Wun·

dervogels. Der Mann verkauft die kostbaren Eier lind wird

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86 Axrrt AAR~E, Leitfaden. fo'fC 1 3

reich. Einmal geht er auf Reisen und lasst den Vogel

seiner Frau zur Pflege zuruck. Unterdessen kommt derKAufer der Eier 7.U der Frau und verlockt sie durch ein

Liebesverhaltnis, ihm den wunderbaren Voge1 zur Mahlzeit

zuzubereiten. Der Vogel birgt eine Wunderkraft derart,

class. wer seincn Kopf isst, KOnig wird, und dass der, der

<las Herz verzehrt, das Vermogen Gold zu erzeugen bekommt.

Der Vogel wird zugerichtet, HUI t aber durch Zufall den

heiden Sohnen des verreisten Hausherrn in die Hande,

und die Jungen essen, ohne "Oil der wunderbaren Eigen-

schaft des Vogels zu wissen, den Kopf und das Herz. Der

Liebhaber aber weiss, dass do Braten, deraus den Ver-

zehrern des Vogels zubereitet wird, dieselbe Wirkung hat

wie del' gebratene Vogel sel bst, und verlangt, class die

jungeu gescblachtet werden, worein auch die Mutter ein-

willigt. Die Jungen entrinnen durch Flucht dem Mordan-

schlag, Der den Kopf gegessen hatte, geIangt in ein Reich,

"'0 nach dem Ableben des alten Herrschers gerade ein

neuer gewa.hltwird. Ein steigen gelassener Vogel 11sst

sich auf seinen Kopf nieder, und er wird als Herrscher

anerkann t. Ocr andere Bruder wird von einer Kenigstocbter

auf den Rat eines Zauberweibes veranlasst, das gegessene Herz

7.\1 erbrechen, Er verwandel t die Betrugerin durch ein Zau-

bergras in eine Eselin, die durch schwere Arbeit geplagt wird,

Schliesslich treffen die Bruder einander, die Eselin bekommt

wieder menschliche Gestalt, und die Mutter wird bestraft.

MI. 10) o. Ern te tr ilu n g. Mensch (Fuchs) und Teufel(Bar) betreiben einen gemeinsamen Ackerbau. Der dum-

mere, del' Teufel, wahlt von den Wurzelfruchten (RObe)

den oberen und von den Hahn- oder Hulsenfruchten (Gerste

den unteren Teil,

MI. 1052. Batm·t/r(lgl·n. Mensch (Fuchs) und Teufel

(Bar) tragen einen Baum. Ocr Teufel tragt am Wipfe],

ohne sich umzusehen, del' Mensch sitzt auf dent dicken

Stamrnende.

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In h 8 .1 t.

Vorwort . . . , . . . . . ., . .

I. Ursprung der MArchen '...

U. Die VerA.nderungen in den MArchen

III. Die geographisch-historische Forschungsmethode

IV. Die Technik der MArchenforschullg.

V. Die als Beispiele benutzten Ma.rchen . .. . . .

Ht'lle

lII-IV

1-22

~-39

39-56

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