5. friedhelm vahsen: migration und soziale arbeit. konzepte und perspektiven im wandel
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Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 4. Jahrg., Heft 2/2001, S.283-296 295
ze“ formuliert, die daraus gewonnenen methodisch-didaktischen Überlegungen betonen die kulturelleBereicherung und den kulturellen Austausch.
DIETRICH geht in seinem Beitrag zur Sportdi-daktik (S. 343-358) insbesondere auf die spezielleFrage einer „Verankerung“ von Kultur in Körperund Bewegung ein, die es bewusst zu machen gilt.In der Physik zeigt sich schon für den relativ „ein-fachen“ Modus des Sehens und Erfahrens sowiedes darauf beruhenden Erkenntnisvermögens eineenge Beziehung zur Struktur von Kulturen (z. B.Differenz zwischen physikalischer und lebenswelt-licher Sicht). Physikalisches Verstehen ist stets dar-an gebunden, zwischen den Sehweisen wechselnzu können. Dem Biologieunterricht – dargestelltvon STRIPPOWEIT (S. 389-407) – sind inter-kulturelle Bezüge immanent und noch stärker be-wusst geworden, seitdem man um die globalenAuswirkungen von menschlichen Eingriffen in dasÖkosystem und den damit verbundenen Fragennach Normen und Wertmaßstäben weiß. Andersist da das Fach Geographie von jeher dazu auser-sehen, durch Berichten und Aufklären zu „ .... ge-genseitigem Verstehen der Menschen und Völkeruntereinander bei(zu)tragen und zur Toleranz (zu)erziehen“ (S. 410). Seit Anfang der 1990er-Jahrewerden auch hier neue Inhalte und Methoden (z.B.Handlungsorientierung) intensiv diskutiert; Mi-gration selbst kann zum Thema gemacht und die„regionale Identität“ erörtert werden. Dem FachTechnik wendet sich der Beitrag von TRAEBERT (S.429-449) zu. Neben der ökonomischen verfügt dasFach über eine – zunehmend wichtiger werdende –ökologische und eine human-soziale Dimension,die auf eine menschengerechte Gestaltung abhebt.Mehrere Denkmodelle (vgl. S. 437ff.) weisen dieunter interkulturellem Aspekt relevanten Lernbe-reiche aus. Auch das in der fachdidaktischen Tra-dition herausgebildete Selbstverständnis des Fa-ches Mathematik als „zeitlos“, „neutral“ und„kulturfrei“ erschwert das Verhältnis zum Kultu-rellen und Sozialen. SCHROEDER (S. 451-468) stelltvier Konzeptionen vor, die die Beziehung vonMathematik und Kultur zumindest reflektieren unddamit für eine interkulturelle Bearbeitung An-knüpfungspunkte vorgeben können.
An der Vielfalt und Unterschiedlichkeit derProbleme und Wege die interkulturelle Per-spektive in den einzelnen Schulfächern zu berück-sichtigen, wird deutlich, wie bedeutsam das Vor-antreiben der fachdidaktischen Reflexion ist. Al-
lerdings zeigen sich angesichts des überwiegendnoch wenig zufrieden stellenden Diskussionsstan-des des wiederholten Findens von Ansatzpunkten,des Zurückgreifens auf didaktische Grundsatzerör-terungen Überschneidungen in der Diskussion, dieauch „gebündelt“ hätten erörtert werden können.
5. Vahsen, Migration und soziale Arbeit. Ausdem Kontext der Sozialarbeitswissenschaft stam-mend, wird in dem vorliegenden Band nicht aus-drücklich ein Bezug zum Bereich ‚Schule und Mi-gration‘ hergestellt. In dem Projektrahmen „Alternin fremden Kulturen“, erscheinen Konsequenzeneher für die Migrationssozialarbeit angezeigt, zu-mal auch ein Beitrag zur Professionalisierung undzum Ausbau von Qualifikationen im Bereich dersozialen Arbeit geleistet werden soll.
Im Zentrum der Darstellung stehen Migrations-verläufe älterer türkischer Frauen, die seit mehre-ren Jahren in der Bundesrepublik leben und vondenen zwei in die Türkei zurückgekehrt sind. Dazuwurden elf Interviews von zwei türkischen Stu-dentinnen der Sozialen Arbeit am Fachbereich So-zialpädagogik in Hildesheim geführt. Mit der Un-tersuchung soll der Frage nachgegangen werden,ob die Migrationsprozesse Lebensperspektiven fürdie Migrantinnen schaffen konnten, die in der ei-genen Selbstwahrnehmung als „sinnvoll gelebtesLeben“ zu interpretieren sind bzw. zu einem „Pro-zeß der Ausgrenzung“ (S. 6) werden. Die gewon-nenen „Daten“ aus der Interviewsituation wurdennach den Merkmalen Alter, familiale Aufenthalts-dauer und berufliche Situation ausgewertet (S. 7)und auf hervortretende Lebensereignisse wie Tren-nungen, Brüche, Spannungen im familialen Kon-text hin untersucht. Als ein zentrales Ergebnisstellt sich dar, dass die Zuordnung von Migrationund ökonomischer Zwang als Motiv sehr stereoty-pisierend-verkürzend dargestellt ist. Familiale Ori-entierungen können z.B. eine ebenso starke Ge-wichtung erhalten. Der Autor spricht denn auchvom eigenen „Migrationsprojekt“ der Migrantin-nen, das in der Grundtendenz sogar positiv auf dieeigene Lebensgestaltung und die Familie am Her-kunftsort gerichtet sein kann. Als Dimensionen derMarginalisierung werden Verarbeitungsformenund -prozesse vor allem während der Anfangs-phase in der BRD beschrieben, die mit den Er-fahrungen des Fremd- und Ausgegrenztseins zutun haben, aber auch von der Definition der eige-nen Rückkehrperspektive abhängen (S. 21). Mit
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dem als Interpretationshilfe hinzugezogenen Kon-strukt der „doppelten Marginalisierung“ (S. 19ff.)wird eine Entfernung von der Herkunftskultur so-wie ein Einschätzen der eigenen Position als „Au-ßenseiter“ in der neuen Kultur thematisiert. DieThese ist aus dem gewonnenen Datenmaterial her-aus zu relativieren (S. 22), obwohl es durchausAmbivalenzerfahrungen gibt. Wenngleich die em-pirische Basis äußerst schmal ist, verdienen es dieErgebnisse und ihre breit ausgeführte In-
terpretation – zumal in Verbindung mit weiterenForschungskontexten – zur Kenntnis genommenzu werden.
PD Dr. Annegret Eickhorst, TechnischeUniversität Braunschweig, Institut fürSchulpädagogik und Allgemeine Didaktik,Blütenweg 74/75, 38106 Braunschweig
Auswahlbibliografie Neuerscheinungen(Besprechung vorbehalten)
• Christian Alt: Kindheit in Ost und West. Wandel der familialen Lebensformen ausKindersicht. Opladen: Leske + Budrich 2001. 296 S. Preis: 48,00 DM.
• Birgit Althans: Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit. Frank-furt/Main: Campus Verlag 2000. 473 S. Preis: 78,00 DM.
• Georg Auernheimer (Hrsg.): Migration als Herausforderung für pädagogische Insti-tutionen. Opladen: Leske + Budrich 2001, 201 S. Preis: 39,80 DM.
• Dietrich Benner: Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtlicheEinführung in die Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns. Weinwein:Juventa 2001. 312 S. Preis: 34,00 DM.
• Steve und Shaaron Biddulph: Lieben, lachen und erziehen in der Zeit von der Geburtbis zum sechsten Lebensjahr. München: Dorling Kindersley Verlag 2000. 240 S. Preis:39,90 DM.
• Günther Bittner: Der Erwachsene. Multiples Ich in multipler Welt. Stuttgart: Kohl-hammer 2001. 249 S. Preis: 48,50 DM.
• Egon Bloh: Entwicklungspädagogik der Kooperation. Zur ontogenetischen und päd-agogischen Dimension einer sozialen Kompetenz- und Interaktionsform. Münster:Waxmann 2000. 580 S. Preis: 78,00 DM.
• Lothar Böhnisch/Wolfgang Schröer: Pädagogik und Arbeitsgesellschaft. HistorischeGrundlagen und theoretische Ansätze für eine sozialpolitisch reflexive Pädagogik.Weinheim: Juventa 2001. 247 S. Preis 32,00 DM.