4. korea -foundation -workshop und 1. korea …

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4. KOREA-FOUNDATION-WORKSHOP UND 1. KOREA-FOUNDATION-ALUMNI-FORUM KOREASTUDIEN IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM Datum: Fr., 4. – Sa., 5. November 2011 Ort: Ruhr-Universität Bochum Organisation Lehrstuhl für Sprache und Kultur Koreas Finanziert von

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Microsoft Word - Koreanistik_Workshop-Heft.docKOREASTUDIEN IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM
Datum: Fr., 4. – Sa., 5. November 2011 Ort: Ruhr-Universität Bochum
Organisation
Finanziert von
Panel 3: Nordkorea ··················································· 11
Panel 4: Literatur ····················································· 16
Treffen der Sprachdozenten ··········································· 31
Dr. Sonja Häußler [email protected]
Dr. Holmer Brochlos [email protected]
Dr. Eun-Hee Kim [email protected]
Dr. Hee-Seok Park [email protected]
Eric Julian Ballbach [email protected]
Dr. Thorsten Traulsen [email protected]
Dr. Andreas Müller-Lee [email protected]
Dorothea Hoppmann [email protected]
Samuel Melzner [email protected]
Christian Mularzyk [email protected]
Jinyoung Park [email protected]
Florian Pölking [email protected]
Felix Siegmund [email protected]
Gunhild Stierand [email protected]
Barbara Wall [email protected]
Hanju Yang [email protected]
Hwang
[email protected]
frankfurt.de
erlangen.de
Konstanz Georgij Nowossjelow georgij.nowossjelow@uni-
Jun.-Prof. Dr. You Jae Lee [email protected]
Dr. Moon-Ey Song [email protected]
Univ.-Ass. Mag. Dr. Andreas
3
Sitzungsleitung: Jörg Plassen
Vladimir Glomb (Prag):
»Zur allgemeinen Theorie der kwisin: von Hwadam bis Nongmun« (kein Abstract)
Florian Pölking (Bochum):
»Eine Untersuchung der Idee der Konfuziusreligion im Korea der frühen
Kolonialzeit anhand des Yugyo pogwllon«
Tobias Scholl (Tübingen):
tongjoron)«
5
»Eine Untersuchung der Idee der Konfuziusreligion im Korea der frühen
Kolonialzeit anhand des Yugyo pogwllon«
Bereits vor dem Beginn der Öffnungsperiode Koreas (kaehwagi) vertraten einige
konfuzianische Gelehrte die Ansicht, dass die institutionell organisierte Religion in
Form des Christentums der Grundbaustein für die Macht und Stärke der
westlichen Staaten sei. Auch nachdem der Konfuzianismus in Korea 1895 auf
formaler Ebene abgeschafft wurde und politisch wie gesellschaftlich seine
Wirkmächtigkeit verlor, suchte eine große Zahl von Gelehrten nach alternativen
Interpretationsmodellen der Lehre. Die Transformation in eine Religion nach
westlichem, sprich christlichem, Vorbild erschien dabei als eine der legitimen
Möglichkeiten, den Konfuzianismus vor dem Verschwinden in die vollkommene
Bedeutungslosigkeit zu bewahren. Yi Pyng-hon (1870-1940) gilt als einer der
letzten Vertreter aus der Gruppe von Konfuzianern, die auf Grundlage einer
klassischen Ausbildung der „westlichen Moderne“ begegneten. Er versuchte in
seinem Manifest „Über die Rückkehr zum Ursprung des Konfuzianismus“ (Yugyo
pogwllon), herausgegeben 1919, aufzuzeigen, dass es sich beim Konfuzianismus
ebenfalls um eine Religion handle, inwieweit er den westlichen Religionen
gleichkomme, worin seine Schwächen lägen und welche Anpassungen an ihm
vorgenommen werden müssten. Inspiriert durch die Überlegungen des
chinesischen Reformers Kang Youwei (1858-1927) folgte er dabei der
konfuzianischen Neutextschule und verband diese mit seinen Vorstellungen vom
Christentum. Seine Neuinterpretation des Konfuzianismus anhand
unterschiedlicher Definitionsmerkmale von Religion sollte diesen als Grundlage
der kulturellen Identität Koreas bewahren, dem Schutz und der Stärkung des
Landes dienen, und die Basis für seine „Konfuziusreligion“ darstellen.
6
tongjoron)«
und Erziehung der Koreaner zu loyalen Untertanen des japanischen Kaisers
zentrale Ziele der Politik des Generalgouvernement Koreas. In diesem
Zusammenhang wird häufig die Theorie von gemeinsamen koreanischen und
japanischen Vorfahren (Ilsôn tongjoron) genannt, meist jedoch ohne näher auf deren
Inhalt einzugehen. Dabei kann sie ohne weiteres als Grundlage für die politischen
Slogans des Generalgouvernements, wie beispielsweise „Einheit von Japan und
Korea (naesôn ilch’e)“ angesehen werden. Für Koreaner dagegen ist sie Inbegriff des
Versuches con Seiten der Japaner, Korea die kulturelle und nationale Identität zu
rauben.
In Anbetracht ihrer wichtigen Bedeutung für die Geschichte der japanischen
Kolonialherrschaft über Korea und für das koreanisch-japanische Verhältnis im
Allgemeinen sollen in meinem Vortrag kurz die Entstehung, die Entwicklung, die
wesentlichen Argumentationsmuster und schließlich die politische Verwendung
der Theorie für den Zeitraum von etwa 1880 bis 1945 skizziert werden.
7
Sitzungsleitung: LEE Eun-Jeung
Joanna Elfving-Hwang (Frankfurt):
»Consuming Bodies: On the Meanings of Men’s Cosmetic Practices in
Contemporary South Korea«
der Arbeitsmarktreformen in Südkorea«
8
Joanna Elfving-Hwang (Frankfurt):
»Consuming Bodies: On the Meanings of Men’s Cosmetic Practices in
Contemporary South Korea«
The South Korean’s apparent ‘obsession’ with cosmetic surgery regularly hits
headlines both in Asia and the ‘West’ mainly because its high take-up rate by both
women and men. While it is difficult to obtain reliable statistics of the numbers of
people who choose to undergo aesthetic surgery in Korea (mainly because the
industry globally is badly regulated, and Korea is no exception) the numbers are
significant. While aesthetic surgery practices are typically framed as a feminised
issue, this paper will discuss how such notions are problematised by an increasing
number of men’s willingness to engage with surgical practices. While some existing
literature suggests that this evidences a degree of ‘softening’ or even
‘effeminisation’ of Korean masculinities, this paper suggests that such notions
reveal more about the inherent West-centrism of existing research on the meanings
and practices of how contemporary Korean masculinities embodied and projected,
than they do about the actual symbolic meanings of men’s engagement with
cosmetic and bodily augmentation practices. Through examining and anlysing
discourses surrounding men’s grooming and cosmetic surgery practices in recent
media reporting and popular culture, this paper shows how these practices emerge
as a practice of negotiation between local and transnational standards of beauty,
caring for the self, marking social status and seeking success. It will also show how
instead of heralding a seismic shift in gender relations in terms of equality, or how
gendered identities are embodied and performed, they work toward upholding
existing hegemonic masculinities instead.
der Arbeitsmarktreformen in Südkorea«
Diese Studie beleuchtet die Aktivitäten der Policy-Experten in Fällen der drastischen
institutionellen Wandel, die nicht nur als passive Wissensvermittler – oder
Interpreter –, sondern als aktive 'Policy-Entrepreneurs' eine entscheidende Rolle
spielen. Dadurch orientiert sie sich daran, die bisherigen Analysen über die
Wandelprozesse der Wohlfahrtstaaten in Ostasien bzw. Südkorea vertiefend zu
verstehen, die meistens entweder nur die makro-gesellschaftlichen Arrangements
als die entscheidenden Faktoren zum Wandel betrachtet oder die aktive und
politische Rolle der Policy-Experten im Prozess der Policy-Transfer relativ
vernachlässigt haben. Empirisch analysiert werden in dieser Studie zwei Fälle der
institutionellen Reformen der Arbeitsmärkte in Südkorea, EIS (Employment
Insurance System) und EAS (Employment Allowance System), basierend auf den
Dateien, die direkt aus den Aussagen von den zwei entscheidenden Rollenspielern
bestehen. Die Analyse zeigt, dass die Policy-Experten Wissen über ähnliche
Institutionen aus anderen Ländern nicht nur passiv übermittelt, sondern kreativ
überarbeitet, neu konzipiert und endlich dazu beigetragen haben, institutionellen
Wandel zu beschleunigen. Durch diese Studie können wir auch die Rolle der
Akteure im Prozess der Policy-Translation noch verfeinern.
10
»Punk und Hardcore Musik in Südkorea – Politisierung der Jugend?«
Die in den 70er und 80er Jahren in den USA und Großbritannien entstandenen
Subkulturen Punk und Hardcore sind in der Gegenwart ein globales Phänomen. In
ihrer Anfangszeit vor allem modische und musikalische Stilrichtungen, die sich
bewusst von den bestehenden gesellschaftlichen Normen und etablierten
Ausdrucksformen abhoben, ohne jedoch einen tieferen ideologischen oder
politischen Anspruch zu formulieren, wandelte sich ihre Bedeutung im Laufe der
Zeit zumindest in Deutschland zu einer stark politisierten Szene, in der sich vor
allem Jugendliche und junge Erwachsene engagieren.
Ob und in welchem Umfang auch in der koreanischen Punk- und Hardcore
Bewegung eine politische Ausrichtung festzustellen ist, wurde mittels empirischer
und qualitativer Analysen von Songtexten, Interviews mit Aktivisten sowie Fan- und
Webzines untersucht. Trotz der geringen Zahl an Personen, die sich mit Punk und
Hardcore identifizieren, konnte festgestellt werden, dass es nicht möglich ist diese
innerhalb eines bestimmten sozialen Milieus zu verorten, vielmehr bildet sich hier
das gesamte gesellschaftliche Spektrum im Kleinen ab. Gemäß der langen
Tradition der Punk- und Hardcorebewegung setzen sich die Angehörigen der Szene
kritisch mit der Gesellschaft und sich selbst auseinander, eine klare politische
Ausrichtung oder eine Tendenz zur Politisierung der Szeneanhänger besteht
allerdings nicht. Der größte Teil der Szene ist keinem spezifischen politischen
Lager zuzuordnen, gleichwohl neben der großen Masse an apolitischen Anhängern
sowohl extrem linke als auch extrem rechte Gruppen vertreten sind, die jedoch, da
es sich um Fraktionen einer, gemessen an der Gesamtbevölkerung marginalen
Subkultur handelt, kaum Einfluss auf die Szeneangehörigen oder gar auf die
Gesellschaft haben können.
The School Girl’s Diary«
Sang-Yi O-Rauch (Bonn):
Eric Julian Ballbach (Berlin):
»The Emergence of a Critical Mass? Explaining the Kaesng Paradox«
12
The School Girl’s Diary«
Der Vortrag untersucht, wie das neuere nordkoreanische Kino familienzentrierte
Themen wie Zusammenhalt und Loyalität mit Fragen der Nation und bzw. Zukunft
der Nation miteinander verknüpft. Im Einzelnen wird anhand des Films "The
School Girl's Diary" (2006) aufgezeigt, auf welche Weise die Notwendigkeit der
Priorisierung des Kollektivs gegenüber persönlicher Begehren und Wünsche
unterbreitet und legitimiert wird.
Im Film wirft ein Teenager, eine High-School-Schülerin, ihrem Vater vor, nie für
sie bzw. für die Familie da zu sein. Im Verlauf des Films lernt die Protagonistin
jedoch, dass ihr Vater pausenlos zum Wohle der Großfamilie – der Nation – arbeitet.
Sie begreift, für welche hehren Ziele sich ihr Vater und auch ihre Mutter aufopfern
- Aufbau und Fortschritt des Vaterlandes - und schämt sich. Sie bereut ihr
selbstsüchtiges Verhalten und fügt sich dem Willen ihres Vaters und entscheidet
sich für ein technisches Studium, obgleich sie literarische Ambitionen hat. Der
Vortrag zielt darauf ab, herauszuarbeiten, wie im Film Emotion bzw. Scham als
erzieherisches Mittel eingesetzt wird, um die Menschen zu loyalen und bejahenden
Bürgern anzuleiten. Die Analyse des Films "The School Girl's Diary" zeigt, dass die
Protagonistin mittels Scham in die Familie (re)integriert wird und zur Brust des
geliebten Führers, Vaters, zurückgeführt wird. Scham fungiert somit als ein
soziales Korrektiv, welches die kommunistischen Ideale und Werte unterstreicht
und die Inklusion aller (Familien-) Mitglieder ermöglicht.
13
»Sprache und Ideologie in Nordkorea«
Mit der Beendigung des Zweiten Weltkriegs wurde Korea zum Schauplatz der
globalen Polarisation zwischen Kommunismus und Kapitalismus sowie der
unterschiedlichen geopolitischen Interessen der Großmächte UdSSR und USA.
Dies führte im Jahr 1948 zur Gründung der Demokratischen Volksrepublik Korea
im Norden und der Republik Korea im Süden. Die unterschiedliche Entwicklung
der beiden Länder und die damit verbundenen politischen Spannungen führten
zum Koreakrieg (1950-1953). Die politische und ideologische Spaltung hatte großen
Einfluss auf die Sprachpolitik und die Entwicklung der Standardvarietäten in
beiden Landesteilen, die sich praktisch ohne gegenseitigen Kontakt in
unterschiedliche Richtungen entwickelten. Dies führte dazu, dass die bis 1966
einheitliche Standardsprache Koreas P'yojun (Seoul-Dialekt) im Norden durch die
auf dem Pyongyang-Dialekt basierende Munhwa („Kultursprache“) ersetzt wurde.
Die Entwicklung der nordkoreanischen Standardsprache (NKS) ist das Ergebnis
einer ideologisch motivierten Sprachpolitik. Der konkrete Einfluss der Chuch’e-
Ideologie auf die Entwicklung der NKS zeigt sich deutlich in den auf
„Sprachbereinigung“ ausgerichteten sprachplanerischen Maßnahmen des Regimes,
die darauf abzielten, sowohl den Status als auch die Struktur der Sprache im
Einklang mit der Staatsideologie zu entwickeln. Diese wurden von dem Gedanken
geleitet, eine im ideologischen Sinne „kultivierte“ und „volksnahe“ Standardsprache
zu etablieren, die in adäquater und effektiver Weise zur Verbreitung der
Staatsideologie, zum Aufbau des Sozialismus und zur Bewahrung der nationalen
Identität geeignet ist. Der Einfluss der Chuch’e-Ideologie zeigt sich auch im
Sprachgebrauch so z.B. in der Presse, die sprachliche Mittel und Strategien gezielt
einsetzt, um ideologische Inhalte zu transportieren.
14
»The Emergence of a Critical Mass? Explaining the Kaesng Paradox«
The Kaesng Industrial Complex (KIC) is a joint North and South Korean industrial
park located about 106 miles southeast of P’yngyang and 43 miles north of Seoul
just across the demilitarized zone (DMZ). The main economic purpose of the
project, which started operation in late 2004, is to develop an industrial park which,
simply put, creates a win-win situation by combining South Korean capital and
advanced technology with highly skilled North Korean labor and abundant land,
thereby generating both a possibility for the North to counter its economic
difficulties and new business opportunities for the South. Moreover, the initiation
and development of the KIC was in line with the engagement strategies of both the
Kim Dae-Jung and Roh Moo-Hyun administrations, who hoped that the project
would provide an opening for North Korea to liberalize and reform its economy, and
at the same time ease tensions across the DMZ. Consequently, both administrations
granted comprehensive political support to this highly political endeavor. The
sensitive nature of the KIC became especially apparent after the inauguration of the
Lee Myung-Bak administration in February 2008, which profoundly changed
Seoul’s strategic outlook on P’yngyang. The successively increasing political
tensions on the Korean peninsula – culminating in the 2010 sinking of the South
Korean naval vessel Ch’nan and the North’s shelling of the Ynp’yng Island –
threw the further development of the project into serious doubt. Despite the
concomitant worsening of the political framework conditions, e.g. the May 2010
announcement of the Lee administration to halt inter-Korean economic relations
and ban additional investment in the KIC, however, the KIC not only managed to
survive but expanded even further. This seemingly contradictive development raises
two important questions, which were not yet systematically and comprehensively
addressed: Firstly, why did the Lee Myung-Bak government exclude the KIC from
its announcement to halt inter-Korean economic cooperation if it was the outspoken
goal to hit North Korea economically? Secondly, how can the persistency and further
expansion of the KIC be explained against the background of the decreasing political
support and the increase of political tensions on the Korean peninsula? Put
differently, what explains the “Kaesng paradox”?
It is argued that while traditional neorealist approaches have trouble resolving this
paradox, Albert Hirschman’s notion of the “influence effect” of trade gives
important indications with regard to the interrelation of power, influence and trade
– or the halt of trade, respectively. However, it will be shown that the Kaesng
15
paradox cannot be comprehensively explained by understanding the project’s
persistency as being the sole result of the Lee administration’s political strategy vis-
à-vis North Korea. Rather, it is indispensible to incorporate the project’s unique
structural conditions, namely the KIC’s actor configuration and the emergence of a
critical mass comprising a critical amount of governmental and non-governmental
actors with both economic and non-economic interests, as well as the project’s
favorable organizational structure. In sum, these favorable structural and
organizational conditions at least partly compensated the unfavorable political
conditions, and are thus an important factor in comprehensively explaining the
Kaesng paradox.
Gunhild Stierand (Bochum):
17
1. Einleitung
Der chinesische Roman Xiyouji („Reise nach dem Westen“) handelt von der Reise
des Mönchen Xuanzang und seiner vier Schüler, dem Affen Sun Wukong, dem
Schwein Zhu Bajie, dem Wassermonster Sha Wujing, und einem weißen Pferd,
nach Indien. Das Xiyouji wird zu den „Vier Herausragenden Büchern (
)“ Ming-Chinas gezählt. Seine Rezeption war allerdings weder auf China, noch
auf die Ming-Dynastie begrenzt. Es setzte sich über Zeit und Raum hinweg und
hatte, neben anderen Ländern, einen so starken Einfluss auf die koreanische Kultur,
dass heutzutage fast jedem Kind der Name des mächtigen Schülers Sun Wukong
bekannt ist. Die koreanische Rezeption des Xiyouji ist daher eine wichtige Quelle
für das Verständnis des kulturellen Austausches zwischen China und Korea.
Koreanische Autoren benutzten den Roman als Hypotext. Indem sie das Xiyouji
in einen neuen Sinnkreislauf einfügten, forderten sie ihre Leser zu einer
relationalen Lektüre auf. Aufgrund der begrenzten Zeit meines Vortrages werde ich
nur kurz auf die vormoderne Rezeption eingehen. Im Zusammenhang mit
Dachfiguren (chapsang, ) in Form des Sun Wukong, die schon im 17.
Jahrhundert nachzuweisen sind, werde ich für diese Zeit mehr Fragen aufwerfen
als Antworten präsentieren. Es folgt ein großer Sprung in die 1960er Jahre zu Ch’oe
In-huns Roman Syugi, auf den ich inhaltlich etwas genauer eingehen werde.
Abschließend stelle ich kurz den Reiz von Huh Young-mans manhwa Flying
Superboard ( ) als Transformation des Xiyouji vor.
Bevor ich in medias res gehe, möchte ich zunächst den Begriff der
Hypertextualität erläutern. Ich werde mich weniger mit bloßen Nacherzählungen
oder Übersetzungen des Xiyouji, als vielmehr mit Transformationen beschäftigen,
die grundlegende Veränderungen zum Originaltext aufweisen und auf diese Weise
einen Ausblick auf Strömungen des jeweiligen Zeitgeists erlauben. Gérard Genette
nennt diese Transformationen „Palimpseste“ oder „Literatur auf zweiter Stufe“. Als
Hypertextualität bezeichnet er folglich „jede Beziehung zwischen einem Text B
(Hypertext) und einem Text A (Hypotext), wobei Text B Text A auf eine Art und
Weise überlagert, die nicht die eines Kommentars ist.“ Ein Hypertext ist also „ein
Text, der von einem anderen, früheren Text abgeleitet ist.“1 Als Beispiel wird die
1 Genette, Gérard: Palimpseste. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 15.
18
Ich werde diese Methode auf die koreanischen Transformationen des Xiyouji
anwenden, werde aufzeigen, wie der Hypertext mit dem Hypotext spielt und
untersuchen, in welcher Beziehung der Hypertext zum entsprechenden
Zeitgeschehen steht. Im heutigen Vortrag muss ich mich leider auf einige wenige
Beispiele beschränken.
2. Wie kam Sun Wukong auf koreanische Paläste? Einige Fragen zur Rezeption des Xiyouji in der Chosn-Zeit
Als ich zum ersten Mal Sun Wukong als Dachfigur auf koreanischen Palästen
wahrnahm, gab meine Betreuerin Prof. Dr. Marion Eggert zu bedenken, dass es
sich dabei wohl um ein sehr spätes Phänomen handele, da das Xiyouji nicht zu der
vom damaligen Hof geschätzten Literatur gehöre. Außerdem sei die
Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Idee von Sun Wukong als Dachfigur von China
übernommen und nicht in Korea ins Leben gerufen worden sei. Darüber hinaus
schien es mir sehr widersprüchlich, das Zentrum des Konfuzianismus mit Figuren
zu schmücken, deren buddhistische Färbung nur schwer zu ignorieren ist.
Koreanische Paläste fielen oft Feuer zum Opfer, so dass es heute unmöglich ist,
ein genaues Datum für die ersten Dachfiguren in Korea anzugeben. Der früheste
Beweis, dass Dachfiguren in Korea bekannt waren, ist das Kwan`gyng sp`um
pynsang to (), welches das erste Kapitel des Meditationssutras (
) illustriert. Dieses Bild, das aus dem frühen 14. Jahrhundert stammt, zeigt
zwei, bzw. drei Dachfiguren auf jedem Palast.2 Zu Beginn der Chosn-Zeit erwähnt
das Kyngguk taechn () Handwerker, die auf die Herstellung von Dach-
figuren spezialisert waren (chapsang-jang, ).3 Allerdings verrät dieser Eintrag
noch nichts über das Aussehen der Figuren. Die Namen der Dachfiguren
erscheinen zum ersten Mal in Yu Mong-ins vermischten Erzählungen u yadam
(, 1622).
Wenn neu berufene Beamte zum ersten Mal ihre Vorgesetzten trafen, mussten
sie die Namen der zehn Dachfiguren der Palastgebäude zehn Mal aufsagen... Die Namen waren Taet`ang sabu ( =Xuanzang), Pilger Son (Son haengcha, = Sun Wukong), Zhu Bajie (), Mönch Sha ( = Sha Wujing), …4
2 Kim Yng-jae. Kory pulhwa (Buddhist Paintings of Goryeo). Unjusa, 2004, S. 56-59. 3 Kyngguk taechn, Kongchn (): . 4 Yu Mong-in. u yadam. Cha Kwi-sn, Yi Wl-yng trans., Hankuk munhwasa, 2004, S. 132:
, , …,, , , .
19
Etwa 20 Jahre später erwähnen auch die Ch`angdkkung suri togam igwe (
), die offiziell von Reparaturarbeiten am Ch`angdkkung 1647
berichten, Sun Wukong als eine der Dachfiguren auf dem Palast. Aber anders als in
den u yadam ist dabei keine Rede von Xuanzang, sondern ausschließlich von Sun
Wukong (Sonhaengcha) und seinem „Bediensteten“ (Sonhaengcha-mae,
).5 Auch im Gesetzeswerk Chnyul t`ongbo (, 1787) wird angeführt, dass
als Dachfiguren „seltsame Dinge“ wie der Pilger Sun angefertigt würden.6
Sun Wukong wurde darüber hinaus zum Namensvetter der Nägel, mit denen
Dachfiguren befestigt wurden. Diese wurden (Son) haengcha taech`l (),
also „Pilger Sun-Nägel“ genannt.7 Anders als in China, wo Dachfiguren in einen
Unsterblichen () an erster Position und fantastische Tiere (), wie Drachen,
Phönixe, löwen- und affenähnliche Tiere, unterteilt wurden, waren die
koreanischen Pendants stark vom Xiyouji beeinflusst. Yi Nng-ha8 stellt die
Vermutung an, dass dieser Einfluss auf eine Passage im Xiyouji zurückgeführt
werden könne, in der Kaiser Taizong von Dachziegeln werfenden, schreienden
Geistern vor seinem Schlafzimmer berichtet. Diese Ruhestörung hatte zur Folge,
dass der Kaiser fortan Wächter aufstellte, die die Dachziegel in der Nacht zu
beschützen hatten.9 Das affenähnliche Wesen unter den chinesischen Dachfiguren
mag die Assoziation zu Sun Wukong in Korea ausgelöst haben. Das setzt allerdings
dennoch voraus, dass Sun Wukong und mit ihm das Xiyouji, im Geistesleben der
höheren Klassen sehr gegenwärtig gewesen sein musste.
Um zu verstehen, wie stark der Einfluss des Xiyouji auf das Geistesleben wirklich
war, werde ich in diesem Vortrag lediglich auf einige Kommentare eingehen. Auf
vormoderne Hypertexte des Xiyouji werde ich zu einem späteren Zeitpunkt zu
sprechen kommen.
Die ersten Spuren in Korea hinterließ das Xiyouji10 in der späten Kory-Zeit als
5 Ch`angdkkung suri togam igwe (), 1647, Microfilm, AKS. 6 Chnyul t`ongbo, Vol.6, Seoul University Kyujanggak, 356: .
7 Siehe z.B. Sangsi pongwn togam igwe (), 1755, Knwllng chngjagak chungsu togam igwe () 1764; Suncho Illng salllng togam igwe ([]
)(2), 1834. Für eine ausführliche Aufstellung siehe auch Jang Young Ki, Chosn sidae kunggwl changsikki wa chapsang i kiwn kwa mi (Origin and Meaning of Decoration-tiles of Joseon Palaces), Master Thesis, Kookmin University, 2004, S. 10-11. 8 Yi Nng-ha. Chosn togyosa (History of Daoism in Chosn), Posng munhwasa. 1977, S. 273-274. 9 Wu Chengen. The Journey to the West. Yu, Anthony trans.. Chicago: The University of Chicago Press, 1977, S. 233. 10 Hier ist natürlich nicht der Roman aus dem 16. Jahrhundert, sondern eine frühere Fassung gemeint. Zur jahrhundertelangen Entstehungsgeschichte des Xiyouji siehe Isobe Akira (), Saiyki keiseishi no kenky (), Sbunsha, 1993 und Plaks, Andrew. The four
20
Text in einem Lehrbuch für die chinesische Sprache (Pakt‘ongsa , 1347).11
Kommentare ab dem 17. Jahrhundert belegen, dass das Xiyouji schon bald unter der
Gelehrtenschaft allgemein bekannt war.
Wenn ich mich vom Studieren erholen muss, dann ist das Xiyouji ein gutes
Mittel gegen den Schlaf.12 (H Kyun, 1569 - 1618) Auch wenn das Xiyouji und das Shuihuzhuan noch so außergewöhnlich in ihren
Wandlungen und thematisch sehr weit gefächert sind, ... so sind sie letztlich doch ohne Nutzen.13 (Kim Ch’un-t’aek, 1670-1717).
Meiner Meinung nach sind das Xiyouji und das Shuihuzhuan wirklich gut
geschrieben. Ich halte sie für Meisterwerke der Unterhaltungsliteratur. Es soll sogar einmal einen berühmten Gelehrten gegeben haben, der mit Hilfe dieser Bücher seinen Stil vollendet haben soll.14 (Sim Chae, 1722-1784).
Ich habe schon früh das Xiyouji und das Sanguo yanyi gelesen. Als mein Vater
jedoch davon erfuhr, schimpfte er mich aus: „Diese literarischen Auswüchse beschmutzen die offizielle Geschichte und sorgen beim Leser für eine böse Gesinnung. Wie könnte ich als strenger Vater und guter Lehrer es zulassen, dass du dich in solche Bücher vertiefst?“ Diese Ermahnung nahm ich mir zu Herzen und warf nie wieder einen Blick in geschichtliche Romane oder Unterhaltungsliteratur.15 (Yi Tng-mu, 1741-1793)
Auch die relativ negativen Kommentare lassen klar erkennen, dass das Xiyouji
allgemein bekannt und beliebt war, auch wenn man als Konfuzianer nur schwerlich
öffentlich zu diesem Lesevergnügen stehen konnte.16 Die Idee, jede Lektüre in den
Dienst der konfuzianischen Doktrin stellen zu müssen, war bis zum Ende der
Chosn-Zeit in vielen Kreisen nur schwer zu überwinden.17 Diese Umstände
mögen auch erklären, warum nicht Xuanzang, sondern Sun Wukong zur
masterworks of the Ming novel. Princeton: Princeton University Press, 1987, S. 184 ff. 11 Dudbridge, Glen. The His-yu Chi. A Study of Antecedents to the Sixteenth-Century Chinese Novel. Cambridge: Cambridge University Press, 2009, S. 60 ff. 12 Sngsobubugo, Syurokbal (, ): , . 13 Pukhnjip (): .... 14 Songchn p’ildam (): , , ,
. 15 Ch’ ngjanggwan chns ( ): , , , ,
. , , , . , . 16 Dass auch viele Könige Liebhaber chinesischer Romane waren, ist allgemein bekannt. Chng Ok- gn entlarvt in seiner Untersuchung zur Verbreitung von chinesischer Populärliteratur besonders Snjo als Liebhaber chinesischer Romane. Chng Ok-gn. „Chosn sidae i chungguk t‘ongsok sosl i chnp’a wa pangsik” in: Chungguk mun nonch’ong, Vol. 13, 1997, S.270 ff. 17 Kim Kwang-sun. „Chosn yuhakcha i soslgwan“ in: Kososl yngu, Vol.1, 1995, S. 35-59.
21
Hauptfigur auf den königlichen Palästen wurde. Auch wenn Xuanzang in manchen
inoffiziellen Texten als Dachfigur erwähnt wird, so sprechen doch alle igwe und
Gesetzeswerke ausschließlich vom Pilger Sun. Vermutlich wäre es unpassend
gewesen, das konfuzianische Zentrum mit einem buddhistischen Mönchen zu
schmücken. Auch Kim Hong-sik behauptet, dass es sich bei der Dachfigur an erster
Stelle nicht um Xuanzang, wie lange angenommen, sondern um Sun Wukong
handele.18 Auch er verweist auf die igwe und fügt hinzu, dass es zudem sehr
unangemessen wäre, Xuanzang in einer Rüstung darzustellen, wie es tatsächlich
bei der besagten Dachfigur der Fall ist. Diese Darstellung passt eher zu Sun
Wukong, dem Bezwinger aller bösen Dämone, der in dieser Rolle der traditionellen
Funktion von Dachfiguren als Beschützer gegen Feuer und böse Geister sehr nahe
kommt.19
3. Ch’oe In-huns Syugi und das Trauma der geteilten Nation
Ch’oe In-hun übernimmt nicht die Handlungslinie oder die Personen des Xiyouji,
sondern lediglich den Titel, einige Strukturelemente und Motive. Er spielt mit dem
Xiyouji als Hypotext und stellt auf diese Weise das voneinander abhängige Trauma
des geteilten Koreas und des Individuums dar.
Das Syugi beschreibt die Gedankenreise der Hauptperson Tok Ko-jun auf dem
Weg von Yi Yu-jngs zu seinem Zimmer. Diese Reise führt in Tok Ko-juns
Vergangenheit und in die koreanische Geschichte. Ch’oe übernimmt das
Reisemotiv aus dem Xiyouji, hält sich jedoch an keinen chronologischen Ablauf. Es
handelt sich um eine rückwärtsgewandte Zeitreise in die Vergangenheit.20 Erst am
Ende des Romans kehrt Tok Ko-jun zurück in sein Zimmer und in die
„wirkliche“ Zeit. Diese Rückwärtsgewandtheit, die den gesamten Hypertext
durchzieht, vernichtet alle durch den Titel und das Motiv ausgelösten Hoffnungen
auf einen erfolgreichen Ausgang der Reise.21
18 Kim Hong-sik. Chosn kunggwl i maksae kiwa munyang kwa changsik kiwa. Minsokwn, 2009, p.383. “Kunggwl chapsang udumri nn Son O-gong” (“The Head of the Roof Figures on Palaces is Sun Wukong”) in Munhwa Ilbo, March 23rd, 2010 ( http://www.munhwa.com/news/view.html?no=2010032301032230074002 19 Li Yunhe. Huaxia yiiang: Zhongguo gudian jianzhu sheji yuanli fenxi (:
), Taibei: Mingwen shuju, 1990, S. 276. 20 Cho Sn-hi. “Ch’oe In-hun sosl i siganjk t’ ksng yngu”(A Study on the Characteristics of Time in Ch’oe In-hun 's Parody Novels). Doctoral Thesis, Chungbuk National University, 2007, S. 73. 21 Sin Yng-ji. “Ch’oe In-hun p’aereodi sosl yngu: Kuunmong, Syugi i ssa kujo rl chungsim ro (A Study on Parody Novels by Choe In-hun – Focused on Narrative Structure of Kuunmong and Syugi)”, Master Thesis, Sungkyunkwan University, 1997, S. 91.
22
Neben dem Reisemotiv spielt auch das Motiv der Verwandlung im Syugi eine
wichtige Rolle. Während Sun Wukong im Xiyouji als Meister der
Verwandlungskunst auftritt22, wird Tok Ko-jun im Syugi eher mit Verwandlungen
konfrontiert. Die wohl dramatischste dieser Verwandlungen erfährt Tok Ko-jun am
eigenen Körper, als er sich während der Gedankenreise in eine große Schlange
verwandelt.23 Dieser Umstand macht es ihm unmöglich, weiterhin für seine beiden
jüngeren Geschwister zu sorgen. Sun Wukongs Verwandlungen stellen seine
Macht zur Schau, da er sie kontrollieren kann, während die Verwandlungen im
Syugi, besonders die oben beschriebene kafkaeske Tok Ko-juns, Schwäche
symbolisieren. Die Personen im Syugi werden zu Opfern der Verwandlungen und
geben so dem Leser das Gefühl, dass er sich auf nichts verlassen kann, weder auf
einen chronologischen Zeitablauf, noch auf eine Beständigkeit der Personen.
Während seiner Reise trifft Tok Ko-jun auf Personen unterschiedlicher
Zeitperioden, z.B. auf Nongae24, einer Kisaeng, die 1593 starb, nachdem sie einen
japanischen General umarmt und sich mit ihm in einen Fluss gestürzt hatte. Er
trifft auf Yi Sun-sin (1545-1598)25, auf Chn Pong-jun (1854-1895, Anführer der
Tonghak-Rebelliion)26 und Yi Kwang-su (1892-1950)27. Jede dieser Personen
bemüht sich darum, Tok Ko-jun auf seinem Weg aufzuhalten, indem sie ihn von
ihrer Position zu überzeugen versucht. Doch, obwohl er manchmal zögert, schließt
er sich niemandem an, sondern setzt seine Reise in Richung „jenem Sommer“ fort.
Während Xuanzang alle Hindernisse und Schwierigkeiten auf der Reise mit Hilfe
seiner Schüler überwindet, geht Tok Ko-jun Konfrontationen aus dem Weg, ohne
dabei eine zufriedenstellende Lösung zu finden.28 Auch Xuanzang hat
verschiedene Treffen zu bestehen, doch während er gestärkt aus ihnen hervorgeht,
wird Tok Ko-jun durch sie eher geschwächt.
Xuanzang und Tok Ko-jun streben auf ihren Reisen jeweils nach einem Ziel.
Xuanzang zieht es nach Westen, um dort in den Besitz von buddhistischen
Schriften zu kommen, während Tok Ko-juns Reise „jenem Sommer in der Stadt
22 Siehe zum Beispiel die Zurschaustellung seiner Verwandlung in einen Kieferbaum. Wu Chengen. The Journey to the West. Yu, Anthony trans.. Chicago: The University of Chicago Press, 1977, S. 92. 23 Choe In-hun. Syugi. Munhak kwa chisngsa, 2008, S. 216 ff. Diese Verwandlung erinnert sehr an Gregor Samsa, der sich in Kafkas Die Verwandlung in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt. 24 Ch’oe In-hun, a.a.O. , S. 42. 25 Ch’oe In-hun, a.a.O. , S. 49.. 26 Ch’oe In-hun, a.a.O. , S. 144. 27 Ch’oe In-hun, a.a.O. , S. 175 ff. 28 Park Hye-gyng. “Yksa rann irm i k’aos” in: Ch’oe In-hun. Syugi. Munhak kwa chisngsa, 2008, S.373.
23
W“ gilt. Damals hatte er als Junge, noch bevor er den Norden verlassen hatte, im
Arm eines Mädchens in einem Luftschutzbunker das Bewusstsein verloren.
In der Nähe konnten sie das Geräusch von explodierenden Bomben hören.
Explosionen, Dunkelheit. Die Hitze des Hochsommers und Menschen im Bunker aneinander gedrängt wie Sardinen in der Büchse. Als sie genau über ihren Köpfen eine gewaltige Explosion vernahmen, begann der Bunker zu wackeln. Sie umarmten sich. In ihrem Haar, welches weich seine Arme und sein Gesicht berührte, verlor er das Bewusstsein.29
Diese Erfahrung war ein Schlüsselmoment in Tok Ko-juns Leben und Auslöser
eines Traumas. Er wurde gleichzeitig mit Tod und Erotik30, Zerstörung und
Vereinigung konfrontiert. Zu Beginn seiner Gedankenreise erinnert er sich jedoch
nicht mehr an dieses Erlebnis, bis er sein Foto in einer Zeitung findet, die auf dem
Boden liegt. Neben dem Foto findet er die folgenden Zeilen.
Ich suche diese Person. Um uns selbst zu finden, um uns zu treffen, während
wir uns über die Offenbarung unterhalten, die wir an jenem Tag im Sommer erhielten. Von einer Person, die dich gut kennt.31
Darauf beginnt Tok Ko-jun, sich an die Explosionen, die Stahlvögel und an jenen
Tag im Sommer zu erinnern.
Der Tag, an dem ich mit meinem Schicksal konfrontiert wurde. Der Sommer
der Explosionen. Der Tag, an dem die Stahlvögel eine erbarmungslose Jahreszeit eröffneten und über die Stadt flogen. Ach, wie sehr ich mich danach sehne! Ich denke an das Zittern der Nadel, die mir den magnetischen Nordpol zeigte.32
Nun hat er ein Ziel. Er muss die Frau in der Stadt W wiedersehen, um sich selbst
zu finden. Er ist auf der Suche nach seiner Identität. Die Suche nach dem Selbst ist
genau die Funktion, für die das Xiyouji im Syugi gelobt wird.
Leblose Objekte und sich selbst überschätzende Tiere fliehen aus Buddhas Land,
um Unruhe zu stiften. Doch nach einem ermahnenden Wort Buddhas zeigen sie ihre wahre Erscheinung und kehren zurück wie Mäuse in ihr Mäuseloch. Diese Erzählung ist hervorragende Naturphilosophie, Logik und Theologie. Leblose Objekte täuschen in ihrer Illusion vor, etwas zu sein, was sie nicht sind. Sie
29 Ch’oe In-hun. Syugi. Munhak kwa chisngsa, 2008, S. 215. 30 Kim Sng-nyl. Ch’oe In-hun i p’aerdi sosl yngu (Study on Ch’oe In-hun’s Parody Novels), Prun sasang, 2011, S. 70. 31 Ch’oe In-hun. Syugi. Munhak kwa chisngsa, 2008, S. 14. 32 Ch’oe In-hun, a.a.O. , S. 15.
24
verlassen Buddhas Welt und irren umher. Durch Buddhas Wut oder seinen Ruf werden sie letztlich jedoch ent-täuscht und kehren an ihren ursprünglichen Platz zurück. Ist das nicht das Gleiche wie die christliche Idee von Schöpfung, Sünden und Offenbarung? Das Xiyouji ist ein hervorragendes Buch.33
Im Gegensatz zum Xiyouji hat Tok Ko-juns Geschichte allerdings kein Happy
End. Während Xuanzang mit Hilfe seiner Schüler alle Schwierigkeiten überwindet
und am Ende nicht nur die buddhistischen Schriften erhält, sondern auch
Erleuchtung erfährt, erreicht Tok Ko-jun einsam seine Heimatstadt, um dort als
Spion und Geisteskranker empfangen zu werden. Am Ende seiner Reise empfindet
er nichts als Scham.34 Ihm wird offenbar, dass es keine Lösung für ihn gibt.
Während der gesamten Reise scheint Tok Ko-jun in einem Labyrinth umhergeirrt
zu sein. Er traf auf Personen, die ihm Wege wiesen, die er nicht einschlug. Aber bis
zum Schluss suchte er vergeblich nach dem erlösenden Weg aus dem Labyrinth. Er
konnte weder eine Lösung für sein eigenes, noch für das nationale Trauma finden.
4. Flying Superboard und Sha Wujing als Symbol für den vorzeitigen
Ruhestand mit 45 (=)
Die Animation Flying Superboard basiert auf Huh Young-mans Cartoon Mr. Son
(1989). Sie hatte 1992 Zuschauerquoten von 42,8 %35 zu verzeichnen, was von
keiner anderen Animation bis zu jenem Zeitpunkt erreicht worden war. Huh
übernimmt zum Teil die Handlungslinie des Xiyouji, passt sie allerdings an die
Gegenwart an. So reitet Xuanzang nicht wie im Xiyouji auf einem Pferd, sondern
fährt Auto, gefolgt von Sun Wukong auf einem fliegenden Skateboard. Ein
besonderes Augenmerk in diesem Hypertext verdient allerdings die Rolle des Sha
Wujing.
Im Xiyouji ist Sha Wujing der dritte und unauffälligste Schüler Xuanzangs nach
Sun Wukong und Zhu Bajie. Isobe behauptet, Sha Wujing habe im Xiyouji die
Funktion, für einen harmonischen Ausgleich (zhongyong, ) zwischen den
ersten beiden Schülern zu sorgen. Daher könne sein Charakter auch nicht so
scharfkantig dargestellt werden.36 In Flying Superboard wird aus Sha Wujing ein
kleiner, lilaner Zwerg mit Kommunikationsschwierigkeiten. Da seine Ohren von
33 Ch’oe In-hun, a.a.O. , S. 261 f. 34 Ch’oe In-hun, a.a.O. , S. 350. 35 MK News, http://news.mk.co.kr/newsRead.php?year=2007&no=397585. 36 Isobe Akira (), Saiyki juyshi no kenky (), Taga shuppan, 1995, S. 440 ff.
25
den Falten seines Kopfes bedeckt sind, versteht er nicht, was andere Leute sagen.
Doch gerade durch seine unpassenden Antworten spielte er sich in die Herzen der
koreanischen Zuschauer. Seine Beliebtheit ging so weit, dass in den späten 90ern
Sha Wujing-Witze als unabhängiges Programm (Sa Ojng Series) ausgestrahlt
wurden. Dabei ging der Humor von Unterhaltungen aus, die auf
Missverständnissen und Kommunikationsproblemen basierten.
Wie konnte diese Rolle in Korea so erfolgreich werden? Song Jng-hwa vermutet,
dass die Beliebtheit auf verschiedene Phänomene in den 90er Jahren zurückgeht.37
Zu jener Zeit hatte Südkorea gerade die militärische Diktaturherrschaft hinter sich
gelassen und strebte nach mehr Demokratie. Es war die Dekade, die 1997 in die
IWF-Krise münden sollte. Um der Krise Herr zu werden, schickten viele
koreanische Firmen ihre Angestellten in den vorzeitigen Ruhestand. Diese
Angestellten wurden als „sa-o-jng” () bezeichnet, welches sich als
sinokoreanische Bezeichnung für vorzeitigen Ruhestand, nämlich für „Ruhestand
mit 45“, einbürgerte. Es scheint kein Zufall zu sein, dass dieses Wort genau so
ausgesprochen wird wie der Name von Sha Wujing auf Koreanisch. Sha Wujing
wurde zum Symbol der Angestellten, die in den vorzeitigen Ruhestand gezwungen
worden waren. Viele dieser Angestellten hatten zuvor fast ausschließlich für ihre
Arbeit gelebt, so dass sie in ihrem plötzlichen Ruhestand Schwierigkeiten hatten, in
anderen Kreisen zu kommunzieren. So wurde Sha Wujing eine Figur, mit der sich
viele Menschen identifizieren konnten.
5. Einige abschließende Bemerkungen
sinnträchtig; es ist alles für alle, wie der Apostel.“38
Da ich im heutigen Vortrag nur einige wenige Hypertexte darstellen konnte, ist der
Grad der Wandlungsfähigkeit des Xiyouji nur zu erahnen. Mein Anliegen bestand
zunächst darin, aufzuzeigen, wie groß der Einfluss des Xiyouji schon in der
Chosn-Zeit war und mit Ch’oe In-huns Syugi einen Ausblick darauf zu geben, auf
welche Weise mit dem Xiyouji als Hypotext gespielt wurde.
37 Song Jng-hwa. “Hanjungil taejung munhwa e nat’anan Sa O-jng imiji i t’eukching (Image and Character of Sha Wujing in the Popular Culture of Korea, China, and Japan)” in: Chungguk mun hakchi, Vol. 34, 2010, S. 231. 38 Genette, Gérard: Palimpseste. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 15.
26
»Japanbilder und -stereotypen in Kim In-gyms Ilttong changyuga«
Ilttong changyuga („Lied über eine herrliche Reise nach Japan“) von Kim
In-gym (1707-1772) beschreibt in chronologischem Tagebuchstil Ereignisse und
Eindrücke der Japanreise des Autors als Sekretär (sgi ) der koreanischen
Japan-Gesandtschaft (Chosn t’ongsinsa ) von 1763/64 – der letzten
Gesandtschaft in das Japan der Tokugawa-Zeit, die Edo erreichte. Unter der
Vielzahl an Quellen zu den Gesandtschaften ist Ilttong changyuga einer von
insgesamt nur zwei Texten, die in koreanischsprachiger kasa -Form
geschrieben wurden und dabei gleichzeitig eines der längsten kasa überhaupt.
Anhand exemplarischer Textauszüge, wie z.B. Beschreibungen von Begegnungen
mit Japanern oder japanischer kultureller Besonderheiten, aber auch Reflexionen
zur Beziehungsgeschichte und v.a. subjektiver Bewertungen des Erlebten und
Gesehenen wird der Frage nach dem durch den Text kommunizierten Japanbild
nachgegangen werden: Während z.B. die Schönheit der Landschaften und die
Pracht der Städte Japans positiv hervorgehoben werden, technische
Errungenschaften detailliert beschrieben werden und einzelne Japaner durchaus
die Sympathie des Autors finden, ist der Text aber auch durchzogen von
Erinnerungen an die japanischen Invasionen der Jahre 1592-98, angesichts derer
die aktuelle Reise als „Schande“ empfunden wird, pejorativen Bezeichnungen und
Beschreibungen der „unzivilisierten“ Sitten und Gebräuche der Japaner und
kulminiert an einer Stelle gar in einer Vernichtungsphantasie. In einer vorläufigen
Analyse werden den betreffenden Textstellen weiterhin die entsprechenden Stellen
aus Haesa ilgi , dem in chinesischsprachiger Prosa verfassten
Reisetagebuch des Obersten Gesandten (chngsa ) Cho m (1719-1777),
gegenübergestellt werden, um damit die Besonderheiten des Textes oder auch die
überindividuelle Verbreitung gewisser Japan-Vorstellungen aufzuzeigen.
Negative Japanbilder der späteren Chosn-Zeit wurden in der bisherigen
Sekundärliteratur hauptsächlich durch Verweis auf die japanischen Invasionen
sowie das sinozentrische Weltbild bzw. die Selbstwahrnehmung Koreas als
„Zentrum der Zivilisation“ Ostasiens nach dem Untergang der Ming erklärt.
Ethnozentrismus und stereotype Wahrnehmungen des „Anderen“ sind jedoch
keineswegs eine Besonderheit des koreanisch-japanischen Verhältnisses, sondern
sehr wahrscheinlich ein universelles Phänomen. In diesem Sinne soll abschließend
gezeigt werden, wie Ansätze der Historischen Stereotypenforschung für den
vorliegenden Fall nutzbar gemacht werden können.
27
Sitzungsleitung: Thorsten Traulsen
Andreas Schirmer (Wien):
koreanischer Literatur«
Albrecht Huwe (Bonn):
»Zur Frage der Imitation chinesischer Sigelzeichen bei der Schaffung der
koreanischen Schrift« (kein Abstract)
koreanischer Literatur«
Übersetzungskritik sieht sich oft mit dem Vorurteil konfrontiert, nichts weiter als
subjektive Werturteile bieten zu können. Auf der anderen Seite wird die
„Evaluierung von Translationsleistungen“ seitens der Translationswissenschaft
unter Einsatz von Modellen, Theorien und einem reichen Arsenal an
ansprüchlichen Imponiervokabeln zum wissenschaftlich zu fundierenden Tun
erklärt. Was Übersetzungskritik zu leisten vermag, kann aber letztlich immer nur
an einem konkreten Gegenstand, d.h. einer Übersetzung (als Text an sich und in
Zusammenschau mit dem Originaltext) dargestellt werden. Von herkömmlicher
philologischer Sprachbetrachtung und einem „close reading“ wird man sich dabei
nie weit entfernen können. Die Generalisierungen und sprachvergleichenden
Einsichten, zu denen man dabei ganz ohne Thesenzwang gelangt, könnten in
unserem Fall, der Übersetzung koreanischer Texte ins Deutsche, helfen, die
Qualität künftiger Übersetzungen zu verbessern, aber auch fundierte Einsichten in
ansonsten schwer bewußtzumachende Unterschiede zwischen den beiden
involvierten Sprachen zu gewinnen.
Das „close reading“ von Übersetzung und Originaltext muß sich dabei auch gegen
jene wirkmächtigen Theoretiker behaupten, die das einzige Heil in der
Relativierung sehen und stets nur mit falschen Vorstellungen von der
Beurteilbarkeit einer Übersetzungsentscheidung aufräumen wollen, – weil der
möglichen Gesichtspunkte, die für eine bestimmte Übersetzungsentscheidung
ausschlaggebend sein können, zu viele seien. Im eingebildeten Besitz eines
Wissensvorsprungs gegenüber hausbackenen common-sense-Auffassungen und
vermeintlich naiver Pedanterie lassen sich viele Vertreter der
Translationswissenschaft also gar nicht erst auf Fehleranalysen ein, sondern
verblüffen lieber mit Beispielen von prima vista falschen
Übersetzungsentscheidungen, die sich bei genauem Hinsehen als doch gut
durchdacht erweisen.
Nichts gegen eine Anerkennung legitimer Übersetzerstrategien und -zwecke, aber
das Verweisen darauf hat die seinerzeitige Kraft der Neuheit längst eingebüßt und
ist zum Denkklischee herabgesunken. Das Korrektiv, das nunmehr weit eher
nottäte, müßte vielmehr gegensteuern und wieder das Reden von Fehlern erlauben,
die tatsächlich auf Irrtümer zurückgehen bzw. einer kompetenten
Sprachbetrachtung nicht standhalten. Wird die Rede vom Fehler völlig
29
verunmöglicht, weil man schon aus Prinzip gleichwelcher Entscheidung ein
legitimes Kalkül zubilligt, ist das eine ebenso dogmatische Verirrung wie der
Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten der Interpretation: es gibt schließlich
auch „Grenzen der Interpretation“. Was ein geläuterter Eco zugestand, muß auch
für die Übersetzungskritik gelten: es gibt Übersetzungsfehler, und sie zu
thematisieren kann achtbare philologische Arbeit sein.
Übersetzungskritik steht aber nicht nur deshalb im Abseits, weil sie von Haus aus
ein philologisches Arbeiten ganz nahe am Text voraussetzt und damit der Theorie,
die von weiter oben herab alles Konkrete regieren will, ein schlechtes Gewissen
macht. Der Übersetzungskritiker, der nicht von geglückten (ja, gewiß: auch immer
wieder von nur prima vista verunglückten) Übersetzungsentscheidungen reden will,
hat zusätzlich auch das ganz banale Handicap, daß er, sofern er nicht seine eigene
Übersetzungen kritisiert, den guten Humor der Übersetzer, deren Entscheidungen
er kritisiert, auf eine sehr harte Probe stellen muß. Nun darf Übersetzungskritik
natürlich nicht „rücksichtslos“ betrieben und schon gar nicht zum Mittel
persönlicher Abrechnung werden. Es wäre aber allzu schade, sollte gerade in
diesem Bereich Kritik als Mittel des Erkenntnisgewinns und Fortschritts nicht
gestattet sein.
Unter dem Begriff "optionale Affixaufnahme" (OAA) verstehe ich ein
morphosyntaktisches Phänomen, bei dem die Möglichkeit besteht, das erste
Element der Koordination mit entsprechendem Affix zu markieren oder unmarkiert
zu lassen, z.B. trink- und essbar, macht- und hilflos, feind- und freundschaftlich oder
sogar (das Auto) meines Freund_ und Anwalts (Petr Müller) etc. Die agglutinierende
koreanische Sprache mit ihrer isolierenden und leicht trennbaren Morphologie
kann uns beim Verständnis dieses Phänomens helfen.
Der Schwerpunkt meines Vortrags liegt auf der Optionalität der
Inflektionsmarkierung in koreanischen Koordinationsstrukturen, sowohl verbalen
als auch nominalen. Ich argumentiere, dass solche Optionalität mit dem
Verbindungsmodell in starkem Zusammenhang steht: je näher die Konjunkte in
hierarchischen Strukturen zu einander stehen, desto weniger optional ist die
Affigierung.
Zuerst untersuche ich die koreanische Verbalflexion in komplexen Sätzen. Es wird
gezeigt, dass die verbale OAA nur dann erlaubt ist, wenn Teile des komplexen
Satzes semantisch symmetrisch sind, d.h. der Austausch der Satzteilanordnung
logische Wahrheitsbedinungen nicht verletzt.
Dann fokussiere ich mich auf nominale Affixe. Koreanische Nomina zeigen noch
engere Kohäsion (Zusammenhalt) zwischeneinander, bei der syntaktische Affixe
(Nominativ, Akkusativ und Genitiv) vom ersten Nomen obligatorisch ausgelassen
werden müssen. Doppelmarkierung ist nur bei den nicht-syntaktischen
(adverbialen) Afffixen möglich und trägt da eine funktionelle Bedeutung.
Schließlich werden meine Behauptungen typologisch überprüft. Ich untersuche, ob
Syntax und Semantik eine Auswirkung auf OAA in anderen Sprachen haben.
31
OH Moon-kyoung (Prag/Seoul):
» CEFR( ) « (kein
Abstract)