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Ökologische Hierarchie-Theorie 38 3 Ökologische Hierarchie-Theorie "Für einen Beobachter aus der Philosophie war die erste Lektion auf dieser Konferenz, daß die Benutzung des Wortes 'Hierarchie' erstaunlich vieldeutig ist." (GRENE 1969, 56) Hierarchie-Theorie ist kein festumrissenes Theoriegebäude, auf das man sich ohne Mehr- deutigkeiten beziehen könnte. In dem 1969 erschienenen Kongreßbericht 'Hierarchical Structures' (WHYTE / WILSON / WILSON 1969), der ältesten von mir in dieser Arbeit benutzten Quelle, weist die oben zitierte Philosophin Marjorie Grene darauf hin, daß sich verschiedene Konzepte unter dem Dach 'Hierarchien' finden. Andererseits wendet sich bereits dieser Sammelband an alle, "die ein Interesse an den Problemen im Zusammenhang mit Organisationsebenen [levelsl, Hierarchien, Tei- len, Ganzen, Reduktionismus, Holismus und Allgemeinen Systemen - in welchem Gebiet der An- wendung auch immer - haben" (ebd, viii). Damit ist zumindest eine charakteristische Reihe von Begriffen genannt, die auch in den von mir hier als 'ökologische Hierarchietheorien' bezeichneten Überlegungen eine Rolle spielen. Seit wann in den Systemwissenschaften Überlegungen zu Hie- rarchien angestellt werden und in welchen Diskussionen zu anderen Themen relevante Inhalte der Hierarchie-Theorie bereits angesprochen wurden, untersuche ich hier nicht. Der zeitliche Referenz- rahmen dieser Arbeit beginnt 1969, ein deutlicher Schwerpunkt liegt dabei auf Veröffentlichungen, die ca. seit 1980 erschienen sind. Der Begriff 'ökologische Hierarchie-Theorie' ist eine von mir hilfsweise benutzte Bezeichnung. Ich benutze sie und gelegentlich auch einfach 'Hierarchie-Theorie', weil es diese Arbeit unlesbar (und auch unschreibbar) gemacht hätte, an jeder Stelle immer ganz genau abzugrenzen, welcher Teil aller veröffentlichten Arbeiten gemeint ist und welcher nicht. Im folgenden soll deutlich gemacht werden, auf welches Feld innerhalb des umfangreichen Gebiets 'Hierarchie-Theorie' ich mich be- ziehe, wenn ich in dieser Arbeit von ökologischer Hierarchie-Theorie spreche. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Hierarchie-Theorie, die der nordamerikanische Ökologe Timothy F. H. Allen 21 in Zusammenarbeit mit verschiedenen anderen Wissenschaftlern veröffent- licht hat. Zu diesen Wissenschaftlern gehören u.a. Thomas B. Starr 22 , Valerie Ahl 23 , T.W. Hoekstra 24 und R.V. O'Neill 25 . O'Neill unterscheidet in der Ökologie vier Hauptansätze innerhalb des Feldes 'Perspectives in Hierarchy and Scale' 26 : - Den 'empirischen Ansatz', den er in einem seit mindestens seit den 60er Jahren verfolgten In- teresse an Mustern und Maßstäben von ökologischen Daten sieht. Dieses Interesse existiert in u.a. Landschaftsökologie, Geowissenschaften / Geomorphologie und aquatischer Ökologie (vgl. O'NEILL 1989, 141, insbesondere die umfangreichen Literaturangaben dort; als Sammel- band z.B. KOLASA / PICKETT 1991). - Den 'evolutionären Ansatz', u.a. vertreten durch Salthe und Eldredge, der sich vor allem mit biologischem Wandel und Entwicklung auf verschiedenen Maßstäben beschäftigt. "Die Beto- nung liegt eher auf der Entwicklung einer philosophischen Basis der Evolution(stheorie, ms) als auf der Abgabe spezifischer, überprüfbarer Voraussagen." (ebd., 142) - Den stark mathematisch geprägten Ansatz der 'Netzwerk-Theorie' [network theory] von Patten, Ulanowicz et al. (vgl. ebd., 142 f.) - Den Ansatz von Allen et al., der mit dem evolutionären und dem Netzwerkansatz die Herkunft aus der Allgemeinen Systemtheorie und mit dem empirischen Ansatz das Interesse empirisch 21 Professor für Botanik, 'Environmental Studies' und 'Integrated Liberal Studies' an der Universität von Wisconsin 22 Ökologe an der Universität Wisconsin 23 Psychologin an der Universität Wisconsin 24 'Research Wildlife Biologist' an der Rocky Mountain Forest and Range Experiment Station, Colorado 25 'Senior Scientist' am Oak Ridge National Laboratory 26 'Perspektiven von (Beschäftigung mit, ms) Hierarchie und Maßstab (Maßstäben)'

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Ökologische Hierarchie-Theorie

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3 Ökologische Hierarchie-Theorie

"Für einen Beobachter aus der Philosophie war die erste Lektion auf dieser Konferenz, daß die Benutzung des Wortes 'Hierarchie' erstaunlich vieldeutig ist." (GRENE 1969, 56)

Hierarchie-Theorie ist kein festumrissenes Theoriegebäude, auf das man sich ohne Mehr-deutigkeiten beziehen könnte. In dem 1969 erschienenen Kongreßbericht 'Hierarchical Structures' (WHYTE / WILSON / WILSON 1969), der ältesten von mir in dieser Arbeit benutzten Quelle, weist die oben zitierte Philosophin Marjorie Grene darauf hin, daß sich verschiedene Konzepte unter dem Dach 'Hierarchien' finden. Andererseits wendet sich bereits dieser Sammelband an alle, "die ein Interesse an den Problemen im Zusammenhang mit Organisationsebenen [levelsl, Hierarchien, Tei-len, Ganzen, Reduktionismus, Holismus und Allgemeinen Systemen - in welchem Gebiet der An-wendung auch immer - haben" (ebd, viii). Damit ist zumindest eine charakteristische Reihe von Begriffen genannt, die auch in den von mir hier als 'ökologische Hierarchietheorien' bezeichneten Überlegungen eine Rolle spielen. Seit wann in den Systemwissenschaften Überlegungen zu Hie-rarchien angestellt werden und in welchen Diskussionen zu anderen Themen relevante Inhalte der Hierarchie-Theorie bereits angesprochen wurden, untersuche ich hier nicht. Der zeitliche Referenz-rahmen dieser Arbeit beginnt 1969, ein deutlicher Schwerpunkt liegt dabei auf Veröffentlichungen, die ca. seit 1980 erschienen sind.

Der Begriff 'ökologische Hierarchie-Theorie' ist eine von mir hilfsweise benutzte Bezeichnung. Ich benutze sie und gelegentlich auch einfach 'Hierarchie-Theorie', weil es diese Arbeit unlesbar (und auch unschreibbar) gemacht hätte, an jeder Stelle immer ganz genau abzugrenzen, welcher Teil aller veröffentlichten Arbeiten gemeint ist und welcher nicht. Im folgenden soll deutlich gemacht werden, auf welches Feld innerhalb des umfangreichen Gebiets 'Hierarchie-Theorie' ich mich be-ziehe, wenn ich in dieser Arbeit von ökologischer Hierarchie-Theorie spreche.

Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Hierarchie-Theorie, die der nordamerikanische Ökologe Timothy F. H. Allen21 in Zusammenarbeit mit verschiedenen anderen Wissenschaftlern veröffent-licht hat. Zu diesen Wissenschaftlern gehören u.a. Thomas B. Starr22, Valerie Ahl23, T.W. Hoekstra24 und R.V. O'Neill25. O'Neill unterscheidet in der Ökologie vier Hauptansätze innerhalb des Feldes 'Perspectives in Hierarchy and Scale'26:

- Den 'empirischen Ansatz', den er in einem seit mindestens seit den 60er Jahren verfolgten In-teresse an Mustern und Maßstäben von ökologischen Daten sieht. Dieses Interesse existiert in u.a. Landschaftsökologie, Geowissenschaften / Geomorphologie und aquatischer Ökologie (vgl. O'NEILL 1989, 141, insbesondere die umfangreichen Literaturangaben dort; als Sammel-band z.B. KOLASA / PICKETT 1991).

- Den 'evolutionären Ansatz', u.a. vertreten durch Salthe und Eldredge, der sich vor allem mit biologischem Wandel und Entwicklung auf verschiedenen Maßstäben beschäftigt. "Die Beto-nung liegt eher auf der Entwicklung einer philosophischen Basis der Evolution(stheorie, ms) als auf der Abgabe spezifischer, überprüfbarer Voraussagen." (ebd., 142)

- Den stark mathematisch geprägten Ansatz der 'Netzwerk-Theorie' [network theory] von Patten, Ulanowicz et al. (vgl. ebd., 142 f.)

- Den Ansatz von Allen et al., der mit dem evolutionären und dem Netzwerkansatz die Herkunft aus der Allgemeinen Systemtheorie und mit dem empirischen Ansatz das Interesse empirisch

21 Professor für Botanik, 'Environmental Studies' und 'Integrated Liberal Studies' an der Universität von

Wisconsin 22 Ökologe an der Universität Wisconsin 23 Psychologin an der Universität Wisconsin 24 'Research Wildlife Biologist' an der Rocky Mountain Forest and Range Experiment Station, Colorado 25 'Senior Scientist' am Oak Ridge National Laboratory 26 'Perspektiven von (Beschäftigung mit, ms) Hierarchie und Maßstab (Maßstäben)'

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überprüfbaren ökologischen Daten gemeinsam hat. "Dieser vierte Ansatz ist besonders nütz-lich bei der Anwendung hierarchischer Inhalte [hierarchical implications] auf größere Maßstäbe wie die Landschaft gewesen." (ebd., 143)

Für meine Arbeit benutzt habe ich Veröffentlichungen dieser vierten 'Schule' (vgl. auch SALTHE 1993, 38) aus den Jahren 1982 bis 1996, an denen Allen immer und die anderen genannten Wis-senschaftler wechselnd als Koautoren beteiligt waren27. Unter diesen Quellen sind drei grundlegen-de Bücher (ALLEN / STARR 1982, AHL / ALLEN 1996 und ALLEN / HOEKSTRA 1992)28, die eine we-sentliche Basis für meine Vorstellung der Grundbegriffe der Hierarchie-Theorie und ihrer möglichen Anwendung im Zusammenhang mit landschaftsplanerischen Aufgaben bilden.

Dabei ist 'Hierarchies' von 1982 vor allem auf Probleme aus der Biologie und Ökologie bezogen, während 'Hierarchy Theory' von 1996 stärker darauf abzielt, Hierarchie-Theorie als allgemeine Er-kenntnistheorie zu etablieren. Es enthält neben - im Verhältnis zu 'Hierarchies' leichter verständli-chen - Erklärungen der meisten Begriffe dieser Hierarchie-Theorie Beispiele aus anderen Wissen-schaften als der Ökologie, insbesondere aus den Sozialwissenschaften und der Psychologie. In 'Toward a unified ecology' von 1992 wird (u.a.) Hierarchie-Theorie auf die Kriterien 'herkömmlicher' Ökologie bezogen und stärker auf Anwendungsmöglichkeiten in ökologischer Forschung und Ma-nagement eingegangen.

Daneben habe ich von Allen et al. eine Reihe von Aufsätzen verwendet (ALLEN / WYLETO 1983; ALLEN / O'NEILL / HOEKSTRA 1987; ALLEN / HOEKSTRA 1987, 1990 und 1991; ALLEN / O'NEILL 1991) in denen Einzelfragen oder -themen vertieft oder Anwendungsbezüge aufgezeigt werden.

Nach meiner Recherche ist mit diesen Quellen die Hierarchie-Theorie von Allen et al. im engeren Sinn weitgehend abgedeckt29.

Folgt man der Auffassung von Wu und Loucks (WU / LOUCKS 1995, siehe auch Einleitung) sind die theoretischen Entwicklungen von Allen et al. Teil einer größeren Entwicklung in der Ökologie, den sie sogar als Paradigmenwechsel bezeichnen. Die 'Überschrift' über diesem Wechsel ist nach Wu und Loucks 'Hierarchical Patch Dynamics'. Auch Allen und Hoekstra selbst weisen auf die Verbin-dung zwischen ihrer Arbeit und anderen Ansätzen in der Ökologie hin: "Der Ideenkomplex, den wir benutzen, hat in der Ökologie in über einem Jahrzehnt unter den Überschriften Hierarchie-Theorie, patch dynamics, Maßstabsfragen [scale questions], Allgemeine Systemtheorie, multiple stable points, Überraschung / Zufall [surprise], Chaos, Katastrophen, Komplexität und selbstorganisieren-de Systeme an Bedeutung gewonnen [has been gaining credence]."(ALLEN / HOEKSTRA 1992, 10)

Natürlich kann in dieser Arbeit dieses Spektrum nicht bearbeitet werden. Ergänzend zu den Arbei-ten von Allen et al. habe ich aber einige andere Quellen, die entweder direkt zum Thema 'Hierar-chie-Theorie' (z.B. WHYTE / WILSON / WILSON 1969; SALTHE 1985 und 1993) oder zu dem eben angedeuteten Feld gehören als Ergänzung oder Erweiterungen benutzt. Da es eine Motivation für diese Arbeit war, ein für Landschaftsplaner eher fremdes Gebiet zu erkunden, versuche ich an ei-nigen Stellen Ausblicke über den engeren Rahmen dieser Arbeit zu geben. Diese Ausblicke verste-hen sich vor allem als Angebot, sich selber im Feld von 'Hierarchical Patch Dynamics' umzutun - z.B. mit Hilfe der im Internet erhältlichen Literaturliste 'References on Hierarchy in Ecology' (Ad-resse siehe Literaturverzeichnis).

Als deutsche (Sekundär)literatur direkt zur Hierarchie-Theorie lagen mir Aufsätze von Wiegleb und Tobias vor (vgl. WIEGLEB 1996; TOBIAS 1991), von denen der 1996 erschienene Aufsatz 'Konzepte

27 Wenn in dieser Arbeit von 'ökologischer Hierarchie-Theorie' die Rede ist, dann meine ich diese Schule. 28 'Hierarchien - Perspektiven für ökologische Komplexität' und 'Hierarchie-Theorie - Eine Vision, ein Voka-

bular und eine Erkenntnistheorie'. 29 Abgesehen von einer Lücke: O'NEILL et al. 1986 habe ich nicht direkt verwendet. Das Buch ist ein eben-

falls oft zitiertes Werk zur ökologischen Hierarchie-Theorie, stark am Kriterium 'Ökosystem' ausgerichtet.

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der Hierarchie-Theorie in der Ökologie' von Gerhard Wiegleb30 sich explizit mit der von mir in die-ser Arbeit behandelten Schule um T.F.H. Allen befaßt.

In neueren Veröffentlichungen des Arbeitskreises 'Theorie in der Ökologie' der Gesellschaft für Ökologie (vgl. TAGUNGSBAND ZUM ARBEITSKREISTREFFEN 'THEORIE IN DER ÖKOLOGIE' 1997) wer-den eine Reihe von neuen Aspekten ökologischer Komplexitätsforschung behandelt, dabei ergeben sich einige thematische und Quellen-Überschneidungen zu dieser Arbeit.

3.1 Hierarchie-Theorie: Anfänge, Namen, Umfeld

In diesem Kapitel werden ökologische Hierarchietheorien mit einem deutlichen Schwerpunkt auf den Arbeiten der 'vierten Schule' (nach O'Neill, siehe oben) vorgestellt. Die Darstellung ist nach Begriffen / Konzepten geordnet. Eine chronologische Darstellung der Theorieentwicklung und / o-der ein Überblick über den Gesamtkomplex 'Hierarchie-Theorie' kann nicht gegeben werden. Trotzdem möchte ich hier kurz auf das personelle und theoretische Umfeld hinweisen, in dem sich die in diesem Kapitel dargestellten Konzepte bewegen.

Wie schon angedeutet, steht die Entwicklung hierarchietheoretischer Ansätze in engem Zusam-menhang mit der Geschichte der Systemtheorie (vgl. z.B. CHECKLAND 1981, 74 ff.). Checkland nennt als bedeutende Autoren am Anfang dieser Entwicklung (Veröffentlichungen zwischen 1962 und 1973) u.a. Simon, Pattee, Whyte et al. (auf deren Sammelband ich mich am Anfang dieses Kapitel bezogen habe), Mesarovic et al. und Milsum31. Diese Aufzählung ist, verglichen mit ande-ren Literaturverzeichnissen, in gewisser Weise 'repräsentativ'. Insbesondere der Ökonom Herbert A. Simon und der Systemwissenschaftler H.H. Pattee sind auch in den Veröffentlichungen von Al-len et al. Referenzautoren für die frühe Entwicklung der Hierarchie-Theorie. Ein anderer wichtiger Autor aus dieser Periode ist Arthur Koestler: Allen und Starr bezeichnen sein Buch 'Ghost in the machine' (KOESTLER 1967) als "erste ausgedehnte Beschäftigung mit der allgemeinen Idee von hierarchischer Struktur". "Andere hatten bereits vorher hierarchische Strukturen betrachtet, aber die einzigartigen Beiträge dieses Buches waren die Entwicklung einer nutzbaren Terminologie und die Darstellung eines breiten Überblicks über hierarchische Kommunikationsmuster." (ALLEN / STARR 1982, 8)

Bereits in dieser Frühphase gibt es eine Reihe von inhaltlichen Differenzierungen und ein breites Spektrum an Anwendungsbereichen, an die mit Ansätzen der Hierarchie-Theorie herangegangen wird, wie man z.B. anhand des bereits genannten Sammelbandes 'Hierarchical Structures' (WHYTE

/ WILSON / WILSON 1969) nachvollziehen kann. Auf die Verbindungen zu anderen Wissensbereichen als die der Biologie / Ökologie weisen auch die von Allen und Ahl in ihrem 1996 erschienenen Buch 'Hierarchy Theory' angegebenen Querverweise auf 'Geistesverwandte' in anderen Disziplinen hin. Genannt werden insbesondere der Chemiker Ilya Prigogine und der Psychologe Jean Piaget (vgl. AHL / ALLEN 1996, 12 f.)

Aus einem eher allgemeinen systemtheoretischen Anfang wie eben skizziert entwickelt sich bis heute der hierarchietheoretische Ansatz in der Ökologie. Allen, Starr, Hoekstra, O'Neill etc., die 'vierte Schule' nach O'Neill, gehören, beurteilt nach der Nennung in Literaturverzeichnissen oder auch nach der Darstellung von Gerald Wiegleb (vgl. WIEGLEB 1996), zu den meistgenannten und wichtigsten Autoren in diesem Bereich. Ein anderer vielzitierter Autor, der ein grundlegendes Buch zur Hierarchie-Theorie vorgelegt hat, ist Stanley N. Salthe (SALTHE 1985: 'Evolving Hierarchical Systems'). Ich greife an einigen Stellen auch auf ihn zurück, obwohl er der genannten 'Schule' nicht zugeordnet werden kann; nach O'Neill gehört er zum 'evolutionären Ansatz' (siehe S. 36).

Wu und Loucks, die den Paradigmenwechsel hin zu 'hierarchical patch dynamics' in der Ökologie erkennen, sehen an diesem Wechsel die Vertreter der Hierarchie-Theorie (bei ihnen auch ungefähr 30 Lehrstuhl für Allgemeine Ökologie an der BTU Cottbus 31 Diese Autoren finden sich sämtlich und bis auf Mesarovic et al. auch mit den von Checkland gemeinten

Veröffentlichungen im Internet-Literaturverzeichnis (siehe Literaturverzeichnis)

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in dem skizzierten personellen und Literatur-Spektrum) zusammen mit denen beteiligt, die sie zum Feld 'patch dynamics' zählen (vgl. WU / LOUCKS 1995). Durch diese Kombination werden eine Viel-zahl von ökologischen Arbeiten seit dem Ende der 70er Jahre, darunter auch landschaftsökologi-sche Veröffentlichungen von Autoren wie Forman und Godron (vgl. z.B. FORMAN / GODRON 1986) oder Pickett und White (vgl. PICKETT / WHITE 1985)32, mit Hierarchie-Theorie in Verbindung ge-bracht.

In diesem Abschnitt sollte gezeigt werden, aus welchem Umfeld Hierarchie-Theorie kommt und von wem ökologische Hierarchie-Theorie hauptsächlich vertreten wird. Dabei kann ich keinerlei An-spruch auf Vollständigkeit erheben, aber über die hier genannten Quellen kann man - wenigstens was die Namen von Autoren und Veröffentlichungen angeht - sich das Feld selber erschließen. In Analogie zu Methoden der Pflanzensoziologie könnte man die hier aufgeführten Namen vielleicht auch als 'Trenn-Namen' benutzen, um Veröffentlichungen dem Feld von 'hierarchical patch dyna-mics' eher zuzurechnen oder davon zu trennen; der Begriff 'Hierarchien' ist zu allgemein, als daß alle Ansätze, die das Wort in Überschriften oder Begriffen benutzen, zum hier skizzierten Feld ge-hören würden.

3.2 Komplexität als Herausforderung - Warum Hierarchie-Theorie?

"Öffne Deine Augen. Nicht einmal, was Du vor Dir siehst, kann jemals vollständig ausgedrückt werden.

Schließe Deine Augen. Noch nicht einmal, was Du jetzt siehst." (Michael Frayn, nach CHECKLAND 1981, 247 f.)

Wie die meisten theoretischen Entwicklungen, die grundsätzlich etwas am Selbstverständnis und den Methoden einer Wissenschaft ändern möchten, beginnt auch Hierarchie-Theorie mit Unzufrie-denheit an bestehenden Paradigmen. Allen et al. sind unzufrieden mit Grundstrukturen wis-senschaftlichen Denkens, die sie 'Reduktionismus', 'reduktionistische Orthodoxie' oder 'primitiven, realistischen Determinismus'33 nennen und die sie für ungeeignet halten, komplexe Probleme zu lösen. Auf dieser Ebene (besonders ausgearbeitet in 'Hierarchy Theory' von 1996) kann ihre Ar-beit, wenigstens teilweise, als allgemeine Wissenschaftskritik und Entwicklung einer allgemeinen Erkenntnistheorie verstanden werden. Diese Tendenz findet sich auch in anderen Veröffentlichun-gen aus dem Feld der Hierarchie-Theorie (vgl. z.B. PATTEE 1979; SALTHE 1985, 3-17)

Allen und Starr haben dagegen 1982 in 'Hierarchies' den Akzent stärker auf Biologie bzw. Ökologie gesetzt und versucht, einen stark auf deren Probleme zugeschnittenen Denkrahmen anzubieten, dabei si allerdings bereits Probleme der allgemeinen Erkenntnistheorie berührten.

Ich werde hier zunächst kurz die allgemeine wissenschaftstheoretische Motivation und im Anschluß daran den Bezug zu biologischen und ökologischen Problemen darstellen.

32 Von O'Neill werden diese Autoren teilweise dem 'empirischen Ansatz' zugeordnet (vgl. O'NEILL 1989,

141). 33'rude, realist determinism' (ALLEN / AHL 1996, 28)- in diesem Zusammenhang ist 'realist' mit 'realistisch' kaum

angemessen übersetzt, zur erkenntnistheoretischen Bedeutung siehe S. 52 ff.

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"Der Komplexität unserer Zeit begegnen"

"In allen Zeitaltern stand die Menschheit komplexen Problemen gegenüber. Der Unterschied zwi-schen früher und heute ist, daß die Gesellschaft der Gegenwart den Wunsch hat, komplexe Pro-

bleme durch technisches Verständnis zu lösen."

(AHL / ALLEN 1996, 1)

"Ich habe bis jetzt noch kein Problem, egal wie kompliziert, gesehen, daß nicht, wenn man es in der richtigen Weise betrachtet, noch komplizierter geworden wäre."

(Poul Anderson nach PATTEE 1979, R 242)

Das Hauptziel von Hierarchie-Theorien fast allen mir bekannten Veröffentlichungen ist es, eine He-rangehensweise an komplexe Probleme zu entwerfen. Eine genaue Definition von 'Komplexität' ist ein Thema für sich (vgl. z. B. SALTHE 1993, 2 ff.), gleichzeitig ruft das Wort bereits ohne wissen-schaftliche Diskussion Assoziationen hervor. Ich gebe hier zwei Definitionen aus dem Bereich der Hierarchie-Theorie wieder, die meiner Ansicht nach gleichzeitig auf den Problemtyp des Fallbei-spiels Döberitzer Heide und die Herangehensweise von Hierarchie-Theorien zutreffen:

- Salthe gibt in seiner Diskussion verschiedener Komplexitätsdefinitionen eine Definition von Rosen wieder: "Rosen hat eine metasystemische Definition von Komplexität vorgeschlagen, nach der ein System komplex ist, wenn es auf viele nichtäquivalente Weisen beschrieben wer-den kann" (ebd., 4) Diese Definition eignet sich zum einen für den Zusammenhang dieser Ar-beit, weil das Fallbeispiel tatsächlich durch die verschiedenen möglichen, nichtäquivalenten Beschreibungen (auf Artenebene, Lebensgemeinschaftsebene, als Struktur, von den Sukzes-sionspotentialen her etc.) schwierig / komplex ist. Zum anderen betont sie die Rolle des Beob-achters, aus dessen Beschreibungen sich die Komplexität ableitet - das paßt zur Hierarchie-Theorie, die stark auf die Wechselwirkungen zwischen Beobachter und Beobachtetem abzielt.

- "Komplexe Systeme sind definiert als solche Systeme, die es erforderlich machen, feine De-tails mit weitreichenden Auswirkungen [large outcomes] zu verbinden. Diese Verbindung so zu schmieden, daß sie Voraussagbarkeit erlaubt, macht es notwendig, mehrere Level der Analyse gleichzeitig zu behandeln." (AHL / ALLEN 1996, 11) Diese Definition bezieht sich auf den in der ökologischen Hierarchie-Theorie von Allen et al. zentralen Begriff der 'Level', der im Laufe die-ses Kapitels näher erläutert werden wird.

Breckling et al. benutzen in ihrer Übersicht über Konzepte zur Untersuchung ökologischer Komple-xität eine Definition, die mir wegen ihrer Offenheit und Verständlichkeit besonders geeignet für die Beschreibung landschaftsplanerischer Probleme scheint:

- "Eine Situation, ein Problem oder eine Fragestellung sehen wir als komplex an, wenn sich durch Vielfältigkeit, Unübersichtlichkeit, Differenziertheit und durch unterschiedliche Wechsel-wirkungsarten und -intensitäten Verhältnisse ergeben, die mit wenigen Variablen nicht ausrei-chend beschreibbar und interpretierbar sind. Der Komplexitätsbegriff bezieht sich auf die be-trachteten Gegebenheiten ebenso wie auf Fähigkeiten und Möglichkeiten des Betrachters, auf seine Kapazität, mit Vielfalt und Heterogenität umzugehen." (vgl. BRECKLING et al. 1997, 107)

Es ist in der westlichen, wissenschaftlichen Kultur üblich, komplexe Probleme durch 'technisches Verständnis' zu lösen. Dies ist für Allen und Ahl verbunden mit einer handlungsorientierten Strategie der Problemlösung: Komplexe Probleme werden darauf reduziert, kleine Teilprobleme möglichst genau zu kontrollieren oder so umformuliert, daß sie durch Vereinfachung bearbeitbar werden, und zwar mit den Mitteln exakter Naturwissenschaften - Newtonsche Physik, Mathematisierung z.B. durch Differentialgleichungen etc. (vgl. ebd., 1). Das Programm der modernen Naturwissenschaf-ten, von Salthe als "die Baconsche/Cartesische/Newtonsche/Darwinsche/Comtische (BCNDC) Version, die während des 20. Jahrhunderts im Aufstieg begriffen ist" (SALTHE 1993, 1 f.) bezeich-net, ist dabei darauf angewiesen, "Aspekte der Welt aus ihrem Zusammenhang zu isolieren, ohne ihre Natur zu ändern" (ebd., 3).

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Dies klingt zunächst ein wenig nach der bereits im ersten Kapitel erwähnten Kritik des ökologischen Weltbilds an der zerstörerischen Zerteilung der Welt durch den Reduktionismus der modernen Na-turwissenschaften, zumal wenn man liest, daß Hierarchie-Theorie eine holistische Theorie sei (vgl. z.B. AHL / ALLEN 1996, 28). Bei näherem Hinsehen unterscheidet sich dieser Ansatz aber deutlich von einfacher 'ökologischer' Wissenschaftsfeindlichkeit dieser Art (die ja gleichzeitig meist Wissen-schaftsgläubigkeit an eine neue, irgendwie 'ökologisierte' Wissenschaft ist).

Zum einen gestehen z.B. Allen et al. dem reduktionistischen Vorgehen der exakten Naturwissen-schaften durchaus zu, beträchtliche Erfolge erzielt zu haben und für bestimmte Problemtypen das angemessene Vorgehen zu sein (vgl. ebd., 1 oder ALLEN / STARR 1982, 129/130). Andererseits richtet sich ihre Kritik weniger auf die praktischen Konsequenzen dieser wissenschaftlichen Den-kungsart im Sinne von 'Die modernen Naturwissenschaften haben keine Achtung vor dem Ganzen der Natur und sind daher hauptverantwortlich für die Naturzerstörung'. Eher sehen sie reduktionisti-sches Vorgehen allein in der Gefahr, eine Reihe von Fehlern zu machen, die in erster Linie damit zusammenhängen, die Rolle des Beobachters bzw. Forschers im Forschungsprozeß zu vernach-lässigen und sich außerdem nicht bewußt zu sein, auf welcher Ebene das Problem, das man gera-de detailliert untersucht, liegt.

"Die Stärke des Reduktionismus liegt in seinen Fähigkeiten, zwischen konkurrierenden Modellen zu unterscheiden [im Sinne von: Hypothesen überprüfen, ms]. Reduktionismus opfert die philoso-phische Integrität, um damit die kritischen Daten zu erhalten, die der Holismus möglicherweise ver-paßt." (ALLEN / STARR 1982, 130). Die Schwächen des Reduktionismus treten aber vor allem bei der Untersuchung komplex strukturierter Probleme auf:

- Er kann - wegen des fehlenden Blicks auf das 'Ganze' - Phänomene zu erklären versuchen, die weniger aufschlußreich als andere sind bzw. umgekehrt in die Versuchung geraten, "Nicht-Ereignisse zu erklären" (ebd.). "Es ist zum Beispiel verfrüht, für das Ergebnis von Konkurrenz [im Sinne von Konkurrenz zwischen Arten oder Individuen in der Biologie, ms] Erklärungen zu suchen, bevor nicht zuerst getestet wurde, ob Konkurrenz in dem vorliegenden System über-haupt ein Phänomen von Interesse ist." (ebd.) Mit anderen Worten: Bevor man sich mit Ener-gie und allen Kniffen des wissenschaftlichen Handwerks auf die Zerlegung eines Phänomens in untersuch- und berechenbare Einzelschritte stürzt, sollte man zuerst die Frage stellen, welche Bedeutung im Zusammenhang das Phänomen hat, und ob man nicht möglicherweise dabei ist, Ergebnisse zu produzieren, die für ein Verständnis dieses Zusammenhangs keine Bedeutung haben. "Es gibt wenig in der reduktionistischen Methode, das den Forscher vor diesem Fehler warnen würde." (ebd.)

- Die zweite Gefahr des Reduktionismus hängt noch stärker mit den von Allen und Starr unter-stellten unterschiedlichen Hierarchieebenen zusammen: "Das zweite Problem für den Redukti-onisten ist, daß es nichts in seiner Methode gibt, das ihm erlauben würde zu sehen, ob die Er-klärung, die von der Hypothese, die er zu verifizieren sucht, angeboten wird, die einfachstmög-liche ist.34" (ebd.) Komplexere Erklärungen sind möglicherweise nur Erscheinungsformen ein-facherer Erklärungen, die aber nur auf höheren Hierarchieebenen möglich sind.

Die aus dieser Analyse abgeleitete Empfehlung: "Eine reduktionistisch-holistische Doppelstrategie ist eindeutig die beste." (ebd.) Diese Doppelstrategie wird als Komplementarität bezeichnet: Man kann komplexe Systeme mit zwei Erklärungsmustern analysieren, die beide notwendig und nicht aufeinander reduzierbar sind (vgl. PATTEE 1979). Das paßt zur zitierten Komplexitätsdefinition von Rosen: Es scheint mir plausibel, daß Systeme, die auf viele nichtäquivalente Weisen beschrieben werden können, auch nichtäquivalente Erklärungsansätze erfordern.

34 Das Prinzip der einfachstmöglichen Erklärung ist bereits im Mittelalter von Ockham formuliert worden. Es

läßt sich in den Kernsätzen 'Die untersuchten Entitäten sollten nicht unnötig vermehrt werden' und 'von konkurrierenden Erklärungen sollte die einfachste akzeptiert werden' zusammenfassen (vgl. CHECKLAND 1981, 35).

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Die Opposition gegen den Reduktionismus ist also offensichtlich weniger weltanschaulich als for-schungsstrategisch motiviert, und Holismus scheint eher etwas mit der Haltung des Betrachters gegenüber Ganzheiten und den verschiedenen Hierarchieebenen ihres Auftretens zu tun zu haben, als mit dem Anspruch, das Ganze an sich erfassen zu können.

Komplexität in Biologie und Ökologie - middle-number-systems

"Manche wissenschaftlichen und technologischen Bemühungen sind außerordentlich fruchtbar ge-wesen. Physik und Elektronik sind in dieser Hinsicht spektakulär. Selbst Proteinchemiker beginnen, eine klare Übersicht über ihren Gegenstand zu entwickeln. Dann gibt es da noch die armen Ver-wandten, die Disziplinen, auf die nicht weniger Hingabe und Intelligenz verwendet wurde, die aber immer noch primitiv zu sein scheinen, deren Geheimnisse noch gut versteckt sind. Ökologie ist ei-ne solche Disziplin. Daß die Ökologie noch jung ist, reicht als Begründung nicht aus, denn die Jahr-hundertwende sah erheblich bessere Beschreibungen von Prärien als von Proteinen. Es muß an etwas anderem liegen." (ALLEN / STARR 1982, xi)

Allen und Starr beginnen das Buch, in dem sie ihre Vorstellung von Hierarchie-Theorie einführen, damit, daß sie Ökologie, ihre eigene Disziplin, zum 'armen Verwandten' [poor cousin] anderer Dis-ziplinen erklären. Ihre Kritik an den in der Ökologie existierenden Paradigmen richtet sich dabei nicht nur, wie im zweiten Kapitel erwähnt, gegen 'institutionalisierte Waldspaziergänge', also gegen das Verharren in den aus Alltagswissen vertrauten Maßstäben, sondern auch gegen bestimmte Modernisierungsversuche im Zeichen der Systemtheorie: "Die hier gesammelten Ideen kommen aus dem Bereich der Allgemeinen Systemtheorie, der jenseits mechanistischer kybernetischer An-sätze liegt. Diejenigen, die unsere Enttäuschung über tapsige Simulationen [lumbering simulations] teilen, sollten nicht alle Formen der Systemanalyse ablehnen. Es gibt einen besseren Weg, als 500 Differentialgleichungen aneinanderzureihen, eine Perspektive, die sich dem Eindringen des Menschseins [humanity] des Wissenschaftlers in seine Beobachtungen bewußt ist." (ebd., 4)

Daß sowohl Waldspaziergänge als auch Computersimulationen der Komplexität ökologischer Sys-teme nicht gerecht werden, liegt für Allen und Starr am speziellen Charakter dieser Systeme. We-sentlich für ihre Argumentation ist der Begriff 'middle-number-systems': Systeme, deren Elemente zu zahlreich sind, um alle einzeln betrachtet und behandelt zu werden und zu wenige, um ihr Verhal-ten in Durchschnitten auszudrücken. "Die Arme-Verwandten-Disziplinen, also die, deren Er-rungenschaften eher beschränkt sind, haben es oft in ihrer täglichen Arbeit mit diesen komplexen middle-number-systems zu tun. Ökologie ist in genau dieser Lage." (ebd., xii) Systeme mit wenigen Elementen lassen zu, das Verhalten einzelner Elemente zu beobachten und ggf. zu berechnen, ein Beispiel wären die Flugbahnen von Planeten im Sonnensystem. Systeme mit sehr vielen Elemen-ten lassen zu, das statistische Mittel des Verhaltens der vielen Elemente als Gesetz zu benutzen. Das gilt z.B. für das Verhalten von Gasen und Flüssigkeiten, in denen man nichts über die unter-schiedlichen Verhaltensweisen jedes einzelnen Moleküls wissen muß und trotzdem Gesetze über Verdunstung, Ausdehnung etc. zuverlässig angewendet werden können. Solche Gesetze sind letzt-endlich statistische Verallgemeinerungen (vgl. ebd., xi f.; ALLEN / HOEKSTRA 1992, 64/65).

In middle-number-systems gibt es "zu wenig Elemente um ihr Verhalten zuverlässig zu ver-durchschnittlichen [average] und zu viele um jedes einzeln mit seiner eigenen Gleichung zu behan-deln" (ALLEN / STARR 1982, xi). Ähnlich begründet wird die besondere Schwierigkeit im Umgang mit Ökosystemen übrigens auch im Ökologie-Lehrbuch von BEGON / HARPER / TOWNSEND 1990 (S. 819).

Allen und Starr unterscheiden verschiedene bisher angewandte Strategien mit diesen Schwierigkei-ten umzugehen, auch wenn sie natürlich von anderen Richtungen in der Ökologie nicht unbedingt mit diesen Worten beschrieben werden:

- Man kann versuchen ökologische Elemente zu isolieren und mit den Mitteln der "klassischen Newtonschen Mathematik" zu beschreiben. Dies erfordert gewisse vereinfachende Grundan-nahmen bzw. Versuchsaufbauten oder empirische Feldstudien an wenigen Elementen ohne

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Berücksichtigung des Umfelds. Allen und Starr sehen das - unter Berufung auf andere Autoren - als das Vorgehen der theoretischen Ökologie an: "Robert May würde das theoretische Öko-logie nennen, E.C.Pilou nennt es mathematische Ökologie." (ALLEN / STARR 1982, xii) Die Schwäche dieses Vorgehens sehen sie darin, daß die notwendigen Vereinfachungen, um mit einzelnen Teilen des Systems rechnen zu können, von vornherein das Vertrauen in die so ge-wonnenen Ergebnisse untergraben.

- "Andere Schulen versuchen eine statistische Herangehensweise zu benutzen, um ausgedehnte Feldstudien [field collections] zu organisieren. Es gibt heftige Diskussionen über den Wert die-ser oder jener taxonomischen Methode." (ebd., xii) Von der großen Bedeutung von klassifizie-renden, taxonomischen Methoden - gerade auch für die Landschaftsplanung - war bereits in Kap. 2 die Rede. Die methodischen Verfeinerungen dieser Klassifikationen, z.B. in der Pflan-zensoziologie (Tabellenarbeit), beinhalten u.U. auch statistische Elemente. Allen und Starr räu-men einer statistischen Herangehensweise an ein System, dessen Hauptcharakteristikum sei-ne Heterogenität ist, keine großen Erfolgschancen ein und nennen so erzielte Resultate 'un-scharf' [fuzzy]. "Vielleicht ist es diese Unbestimmtheit, die eine derartige Leidenschaft [der Diskussionen, ms] ermöglicht. Wo man mit wenig Eindeutigem weitermachen muß, bleibt nur Überzeugtheit übrig." (ebd.)

- Allen und Starr nennen als dritte Strategie den seit den 60er Jahren im 'Internationalen Biologi-schen Programm' verfolgten Ansatz. Dort war, unter starkem Einsatz von neuer Computer-technik, Ökosystemforschung einschließlich rechnergestützter Simulationen durchgeführt wor-den. Trepl hatte dieses Programm mit dem Ökosystemansatz und dem Wandel der Ökologie von der Amateurwissenschaft zur 'Big Science' in Verbindung gebracht und als neuen ökologi-schen Forschertypus den 'Modellbildner' und 'Manager' bezeichnet (vgl. TREPL 1987, 199/200). Allen und Starr, obwohl der Allgemeinen Systemtheorie verpflichtet und grundsätzlich von dem Konzept 'Ökosystem' ausgehend, bezeichnen ein Vorgehen wie im Internationalen Biologi-schen Programm als "Reduktionismus im großen Maßstab": "Es funktionierte bei der Atom-bombe, warum also nicht auch für die Umweltkrise?" (ALLEN / STARR 1982, xii) Zwar erkennen sie gewisse Prognosemöglichkeiten aufgrund umfangreicher Datenverarbeitung an, speziell für das Verhältnis von Industrie und Umwelt (also z.B. Emissionsentwicklung), halten aber die Möglichkeiten großangelegter Simulationsprogramme, zu "nichttrivialen" Aussagen über Öko-systeme zu kommen, für begrenzt. Bessere Ergebnisse würden von einem exponentiell stei-genden Bedarf nach Rechnerausstattung (also auch Geld) abhängen und selbst bei besten technologischen Möglichkeiten durch die Eigenheiten von middle-number-systems und unkon-trollierbare Randbedingungen nur begrenzt möglich sein.

Im Endeffekt kommen nach dieser Kritik alle drei Strategien nicht als allgemeine Paradigmen für die Ökologie in Frage. Damit ist dargelegt, was aus Sicht der ökologischen Hierarchie-Theorie das Besondere bzw. Komplexe am Gegenstandsbereich der Ökologie ist, und wieso bestehende Lö-sungsansätze dafür nicht geeignet erscheinen. In der Hierarchie-Theorie besteht dagegen der An-spruch, Komplexität nicht bloß als Hindernis anzusehen, sondern einen Ansatz zu formulieren, der Komplexität als das Wesentliche für Biologie und Ökologie betrachtet.

3.3 Verführerische Sicherheit

Bereits mehrfach war davon die Rede, daß es Hierarchie-Theorie nicht nur in der Ökologie gibt. Die ersten Ansätze wurden im Umfeld der allgemeinen Systemtheorie entwickelt und beinhalteten auch allgemeine erkenntnistheoretische Elemente. Dieses Interesse setzt sich in der ökologischen Hierarchie-Theorie von Allen und anderen bis heute fort.

Weil es für das Verständnis der Hierarchie-Theorie als ökologische Systemtheorie entscheidend ist, auf welcher erkenntnistheoretischen Grundlage sie beruht, stelle ich diese Grundlage hier kurz dar.

Ökologische Hierarchie-Theorie

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Abb. 3.1: Beobachtung beinhaltet niemals den Zugang zum wertfreien materiellen System, weil Wissenschaftler nur Zugang zu definier-tem Systemverhalten haben, was den wertbeladenen Beobachter in den Beobachtungsprozeß verwickeln muß. So etwas wie Objektivi-tät gibt es in der Wissenschaft nicht - wenn man Glück hat, ist man sich höchstens seiner Voreingenommenheit bewußt. Abbildung und Erläuterung -frei übersetzt- aus: AHL / ALLEN 1996, 36

Die Abbildung stellt die Grundannahme der Hierarchie-Theorie über das Verhältnis jedes Beobach-ters zur Welt dar: "Stell Dir die Welt als einen andauernden, dynamischen Fluß vor. Im Gegensatz zum Beobachter ist das Beobachtete einfach da draußen, tut, was es eben tut, und beachtet dabei weder den gelegentlichen Betrachter noch den professionellen Wissenschaftler." AHL / ALLEN 1996, 39)35

Allen, Starr, Ahl und Hoekstra36 werden nicht müde, diesen Standpunkt bei nahezu jeder ihrer Defi-nitionen und theoretischen Vorschläge zu wiederholen. Ihrer Ansicht nach kann es keinen unvermit-telten Zugang zur materiellen Welt um uns herum geben. Die Vermittlung zwischen jedem Beobach-ter der Welt und der Welt selber sind die Konzepte und Werte, die der Beobachter mitbringt und die seine Wahrnehmung und sein Denken in bestimmte Richtungen lenken. Verfügt er über kein Konzept der Situation, die er antrifft, so wird er sich als erstes eines zurechtlegen, möglicherweise aus Bestandteilen von Konzepten, die in anderen Situationen für ihn gut funktioniert haben.

Von diesem grundsätzlichen Standpunkt aus sehen Allen et al. insbesondere zwei Haltungen, die gerade unter Biologen und Ökologen häufig anzutreffen seien, als Irrtümer an, denen gegenüber sie ihre Position für überlegen halten: Reifikation und Realismus. Beide Begriffe sind im deutschen ungebräuchlich (Reifikation) oder laden zu Mißverständnissen ein (Realismus). Ich erläutere daher beide kurz in dem Sinn, wie sie von den Verfechtern der Hierarchie-Theorie gemeint sind.

35 "Think of the world as constant dynamical flux. In contrast to the observer, the observed is symply out

there, doing what it does, without regard for either the informal observer or the formal scientist." (ALLEN / AHL 1996, 39)

36 Die genannten vier sind die Autoren der grundlegenden, eine Übersicht über das Thema organi-sierenden, Bücher.

Ökologische Hierarchie-Theorie

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Reifikation

"Bei der Reifikation liegt die Verführung darin, etwas als real zu betrachten, weil man seine Exis-tenz behauptet.37 Wenn man reifiziert, glaubt man, etwas sei real, weil Menschen das so entschie-den haben" (ebd., 73; frei übersetzt)

"Reifizieren - Eine beobachtete Tatsache im ontologischen Sinne für real halten" (ALLEN / STARR 1982, 276 [Glossar])

Reifikation ist demnach eine Verhaltensweise, für die es kein gebräuchliches Wort gibt, weil wir 'normalerweise' stets reifizierend denken. Erst von dem Ausgangspunkt, daß wir die Dinge 'da draußen' nie ohne Vermittlung wahrnehmen können, braucht man einen Begriff dafür, Dinge ganz unvermittelt für real zu halten. Allen et al. wenden den Begriff auf so gut wie alle Begriffe der Biolo-gie einschließlich ihrer eigenen an - sie machen stets den Vorbehalt, man dürfe nicht in den Irrtum verfallen, Begriffe wie z.B. 'Hierarchieebenen' für etwas zu halten, das es 'wirklich' geben müsse. Diesem Irrtum kann man leicht verfallen: "Die Annahme, die Welt sehe so aus, wie sie es tut, weil sie so auch wirklich ist, besitzt eine gewisse Attraktivität." (ALLEN / WYLETO 1983, 530)

Einem großen Teil der allgemeinen Ökologiediskussion, so er sich um den Gegensatz 'abstrakt-konkret' dreht - gerne auch Streitthema in Studienprojekten am FB 7 (14) - wird damit der Boden unter den Füßen weggezogen. Allen und Ahl bringen das Beispiel eines Biologen, der die Nase voll hat vom "abstrakten Ökosystem-Unsinn" und sich wieder lebendigen Organismen zuwendet, weil die wenigstens "real" seien - er müsse sich nur einmal fragen, ob Begriffe wie 'Art', 'Familie', 'Klas-se', 'Gilde' etc. nicht auch "pure menschliche Abstraktionen" seien (vgl. AHL / ALLEN 1996, 73)38.

Realismus

Realismus ist in gewissem Sinne das Gegenteil von Reifikation. "Philosophischer Realismus ist die Ansicht, daß es möglich ist, herauszufinden wie die Welt - außerhalb und unabhängig von unserer eigenen Praxis - ist." (SALTHE 1993, 2) Im Gegensatz zum Prozeß der Reifikation, in dem eine menschliche Definition (z.B. 'Pflanzengesellschaft') für ein real existierendes Ding gehalten wird, glaubt der Realist an real existierende Dinge, die menschliche Definitionen auslösen, etwa wie in Platos Höhlengleichnis, wo die Menschen in der Höhle Schatten an der Wand sehen - verzerrte Schatten möglicherweise, aber immerhin Schatten von Dingen, die sich tatsächlich vor der Höhle befinden und Schatten werfen. Allen und Ahls Problem mit dieser Sichtweise ist, daß sie zwar nicht einfach menschliche Definitionen als Realität projiziert, aber immer noch davon ausgeht, 'da drau-ßen' gebe es "Dinge als Dinge" (vgl. ALLEN / AHL 1996, 74). Für Allen und Ahl ist aber die materiel-le Welt in ihrer Hierarchie-Theorie ein nicht direkt erfahrbares Irgendwas - schon die Vorstellung von wirklichen Dingen, die unsere Definitionen näherungsweise beschreiben, weckt die Illusion, wir könnten irgendwann genau wissen, was dieses Irgendwas wirklich ist.

Ich füge hier noch eine längere Passage zum erkenntnistheoretischen Standpunkt von Allen und Ahl an, damit das bis hierher Dargestellte noch einmal in ihren Worten zu lesen ist und weil in diesem Zitat noch andere Probleme angesprochen werden, die ich nicht länger behandeln werde:

"Unsere Position ist antirealistisch, aber sie verkündet keinen Solipsismus, [das wäre, ms] eine Philosophie die behauptet, daß alles eine Sache menschlicher Konstruktion sei. Im Solipsismus gibt es keine Welt draußen, weil alles eine menschliche Konstruktion sei. [...]

Unsere Position ist, daß es wahrscheinlich eine Welt der Existenz gibt, aber daß die Dinge dort nicht als Dinge existieren. Wir haben nie Zugang zur Welt als solcher, aber lernen aus der Interakti-on mit ihr. Wissen besteht aus unserer Interaktion mit dem Beobachteten. Im Konstruktivismus sind die Dinge, die in der Interaktion erscheinen, ein Produkt der Interaktion und besitzen keine dem 37 "In reification, the seduction takes the form of considering that something is real because one has asser-

ted its existence." (ebd., 73) 38 Auf S. 30 war die Rede von 'natürlichen' und 'Künstlichen' Systemen der Arten - ein klarer Fall von Reifi-

kation.....

Ökologische Hierarchie-Theorie

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vorhergehende Existenz als Dinge. Eine andere Interaktion würde eine andere Reihe von Katego-rien produzieren. Konstruktivisten würden sagen, daß Newtons Gesetze der Schwerkraft nicht zwingend notwendig sind, obwohl sie ein sehr gutes Modell sind. Ein anderes intellektuelles Gerüst, resultierend aus einer anderen konstruktivistischen Interaktion, würde zu einer anderen Festlegung geführt haben. Schwerkraft als solche wartet nicht da draußen darauf, entdeckt zu werden, obwohl einiges dafür spricht, daß Newton seinen Job sehr gut gemacht hat [...]." (AHL / ALLEN 1996, 74)

3.4 Hierarchische Strukturen und Holons

Im Zentrum der Hierarchie-Theorie steht ein Konzept davon, auf welche Weise man sich die Zu-sammenhänge zwischen den in der Welt beobachtbaren Dingen und Phänomenen vorstellen kann.39 Allen et al. - und andere Hierarchie-Theoretiker - gehen davon aus, daß man sich diese Dinge und Phänomene als auf unterschiedlichen Ebenen einer Hierarchie stehend vorstellen kann. Dieses Konzept scheint zunächst aus vielen Zusammenhängen bekannt: Überall im sozialen Leben sind Organisationen hierarchisch aufgebaut und auch aus der Biologie sind hierarchische Darstel-lungen vertraut. Die Abfolge Zelle - Organ - Organismus - Population - Lebensgemeinschaft ist eine bekannte hierarchische Ordnung. Über die Gültigkeit dieser Abfolge ist in der Biologie viel disku-tiert worden und es gibt eine ganze Reihe von Versuchen, möglichst treffende Darstellungen der Hierarchie in der Natur zu entwickeln (vgl. SALTHE 1985, 163 ff.).

Abb. 3.2: Zwei Beispiele für Hierarchiedarstellungen. Aus: SALTHE 1985, 179

Hierarchie-Theorie ist aber nicht die Suche nach der 'wahren Hierarchie' der Natur. "Die hier prä-sentierte Analyse enthüllt, daß jeder Versuch die wahre ökologische Hierarchie zu finden (z.B. MacMahon et al. [siehe Abb.3.1, ms]) auf inadäquaten erkenntnistheoretischen Grundlagen beruht und notwendigerweise scheitern muß." (ALLEN / O'NEILL / HOEKSTRA 1987, 76; Verweis auf Mac-

39 Nachdem im vorigen Abschnitt der erkenntnistheoretische Standpunkt der Hierarchie-Theorie von Allen et

al. dargelegt wurde, setze ich im folgenden Begriffe wie 'Dinge', 'System' etc. nicht in Anführungsstriche. Es sind in jedem Fall Konzepte und nicht 'wirklich' existierende Dinge gemeint.

Ökologische Hierarchie-Theorie

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Mahon im Original) Man muß sich das Konzept und die Definitionen der Hierarchie-Theorie näher ansehen, um festzustellen, worin sie sich von solchen Bemühungen abhebt.

Generell geht es in jeder Betrachtung von Hierarchien darum, Elemente der Hierarchie zu identifi-zieren und ein Modell davon zu entwickeln, wie diese angeordnet sein könnten und einander beein-flussen.

Die folgenden Abbildungen sind Beispiele für die Darstellung von Hierarchien - allerdings nicht in jedem Fall für die ökologischen Hierarchie-Theorien, um die es hier geht.

Abb. 3.3: Hierarchiedarstellungen aus - im Uhrzeigersinn - SALTHE 1985; TOBIAS 1991 (nach Grossmann); ALLEN / STARR 1982

Das Besondere an ökologischer Hierarchie-Theorie sind nicht die Darstellungen in 'Käst-chenbildern' - die aber zur Verdeutlichung dienen können - sondern die Art und Weise, wie ein Teil der materiellen Welt (der Natur) angeschaut und dargestellt wird. Diese Art und Weise besteht aus bestimmten Grundhaltungen und wissenschaftstheoretischen Annahmen ebenso wie aus einem speziellen Vokabular und einem methodischen 'Werkzeugkasten'. Meine Darstellung behandelte bis hierher die grundsätzliche Herangehensweise (Was ist überhaupt das Problem?, Was kann man überhaupt wissen?). Jetzt soll eine Reihe von grundlegenden Begriffen der Hierarchie-Theorie er-läutert werden, sodaß sich daraus ein Bild ihres theoretischen Vorgehens ergibt.

Im nächsten Abschnitt werde ich zwei grundlegende Begriffe zur Kennzeichnung der hierarchischen Strukturen behandeln, 'Holon' und 'Begrenzung' bzw. 'Beschränkung' [constraint]. Daran anschlie-ßend wird es um Größenordnungen und Maßstäbe [scales] gehen, zentrale Kategorien der Hierar-chie-Theorie, die insbesondere für Ökologie und meiner Meinung nach auch für Landschafts-

Ökologische Hierarchie-Theorie

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planung von Bedeutung sind. Im darauffolgenden dritten Abschnitt zu Grundbegriffen der Hierar-chie-Theorie geht es um Oberflächen [surfaces] und Filter.

Ganzheiten und Teile - Holons

"Jedes Holon hat die zweifache Tendenz, einerseits seine Individualität als ein quasi autonomes Ganzes zu schützen und zu behaupten und andererseits als ein integrierter Teil eines (bestehenden oder entstehenden) Ganzen zu funktionieren. Diese Polarität zwischen selbstbehauptenden und integrativen Tendenzen ist im Konzept hierarchischer Ordnung enthalten und ein allgemeines Cha-rakteristikum des Lebens. Die selbstbehauptenden Tendenzen sind der dynamische Ausdruck der Ganzheit des Holons, die integrativen Tendenzen der seiner Zugehörigkeit [partness]." (KOESTLER 1967, 343)

Den Begriff 'Holon' haben Allen und Starr (und in den späteren Veröffentlichungen die anderen Au-toren neben Allen) in dem Sinne, der im obigen Zitat deutlich wird, von Arthur Koestler über-nommen. Er wird in dessen Buch 'The Ghost in the machine' eingeführt. Holon ist der systemtech-nische Begriff für die Teile eines Systems, für die Entitäten (Ganzheiten), die untersucht werden. Das können die Bäume eines Waldes, der Wald oder was auch immer sein - es kommt darauf an, was man untersucht.

Die Gemeinsamkeit von 'The Ghost in the machine' und 'Hierarchies' ist, daß beide Bücher auf ähnliche Weise versuchen, einen Denkrahmen für komplexe Phänomene zu entwerfen. In Koestlers Buch ist dieses Phänomen nicht das Verhalten ökologischer Systeme, sondern menschliches Ver-halten. Letztendlich geht es Koestler darum, menschliches Verhalten auf eine Weise zu begreifen, die sich von den von ihm beklagten wissenschaftlichen Orthodoxien seiner Zeit abhebt. Ähnlich wie Allen und Starr wendet er sich gegen Reduktionismus und Mechanismus, die er auf dem Gebiet der Psychologie durch den Behaviorismus von Watson, Skinner und anderen einflußreichen Psycholo-gen verkörpert findet. Ebenfalls ähnlich wie Allen et al. stimmt Koestler nicht mit dem Hauptstrom des Holismus überein, in der Psychologie für ihn durch den Gestaltansatz repräsentiert (vgl. ebd., 3-18). Damit begeben sich Koestler und Allen et al., bei allen inhaltlichen Unterschieden, auf struk-turell sehr ähnliche Positionen innerhalb des 'Koordinatensystems' ihrer jeweiligen Zeit und ihrer wissenschaftlichen Umgebung.

Im Zuge seiner Argumentation führt Koestler einige Begriffe ein, die für die Hierarchie-Theorie grundlegend sind, neben Hierarchien und Holons geht es bei Koestler u.a. um Schalter bzw. Auslö-ser (trigger), Filter und Rückkopplungen und es gibt - ebenso wie in 'Hierarchies' - einen längeren Abschnitt über Evolution. "The Ghost in the machine" fand sich im Literaturverzeichnis so gut wie aller von mir benutzten Bücher oder umfangreicheren Artikel zur Hierarchie-Theorie.

Für Koestler ist hierarchische Organisation nicht nur eine Methode, mit der man sich komplexe Systeme vorstellen kann, sondern auch eine inhaltliche Annahme über die Organisationsweise die-ser Systeme selbst. Daß komplexere Organisationsformen nicht in für sich bedeutungslose Einzel-teile zerfallen, sondern sich aus Holons - aus Teilen, die ihrerseits integrierte Ganzheiten sind - zu-sammensetzen, ist für Koestler eine Grundvoraussetzung dafür, daß Komplexität überhaupt zustandekommt. Im folgenden stelle ich zwei Gedankengänge dazu dar.

Zum ersten Gedanken gibt es in der Hierarchie-Theorie eine beliebte Anekdote, die der zwei Uhr-macher (vgl. KOESTLER 1967, 45-47 oder ALLEN / STARR 1982, 49-50 oder SALTHE 1993, 70), die ich hier verändert und erweitert am Beispiel zweier Landschaftsplaner darstelle: Beide Land-schaftsplaner müssen in kurzer Zeit einen Landschaftsplan erarbeiten. Der eine geht streng chrono-logisch in der Reihenfolge vor, die der fertige Landschaftsplan haben soll, beginnend mit der all-gemeinen Charakterisierung des Gebiets über detailliertere Bestandsaufnahmen zu einigen Schutzgütern etc. bis er am Ende zu den planerischen Empfehlungen kommt. Er überlegt sich je-den Schritt dann, wenn er in der Reihenfolge 'dran' ist. Am Ende erarbeitet er seine Karten und den endgültigen Text. Bei diesem Vorgehen wird jeder Fehler und jedes unvorhergesehene Ereignis zu einem erheblichen Zeitverlust führen und bereits erledigte Teile der Arbeit werden immer wieder

Ökologische Hierarchie-Theorie

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neu duchgeführt werden müssen. In der Bewertung könnte sich herausstellen, daß die 'fertige' Be-standsaufnahme bestimmte Fakten nicht liefert, am Ende lassen sich 'fertige' planerische Empfeh-lungen nicht im gegebenen Kartenmaßstab darstellen etc.

Der andere Planer - stellvertretend für die meisten Planer in der Realität - setzt seinen Plan aus Teilen zusammen, die er teilweise gleichzeitig bearbeitet und immer wieder miteinander abgleicht. Er beginnt mit einem Grobkonzept, das die Genauigkeit der Bestandsaufnahme, die Bewertungs-methode und erste Überlegungen zur Darstellung enthält. Gleich zu Beginn wird er Vorstellungen darüber entwickeln, zu welchen Sachverhalten er planerische Aussagen machen will. Das bedeutet, er arbeitet mit so etwas wie Modulen, die er immer weiter verfeinert. Jedes Modul sollte sowohl für sich selbst Sinn ergeben als auch in das angestrebte Gesamtergebnis passen. Bei Fehlern muß nicht ganz von vorn angefangen werden. Die Module zusammen ergeben die nächsthöhere Stufe der Hierarchie, den fertigen Landschaftsplan.

Offensichtlich wird niemand eine komplexe Aufgabe mit der Methode des ersten Planers bewälti-gen können, indem er mit einem ersten Schritt anfängt und dann einen Schritt nach dem anderen macht, ohne an mehr als an den gerade zu bewältigenden Schritt zu denken. Man muß 'hierar-chisch' vorgehen.

Der andere Gedanke bezieht sich darauf, daß ein komplexes System, im Beispiel wieder der Mensch, sein Verhalten nicht erzeugen kann, indem es alle seine Bestandteile einzeln kontrolliert. Um einen Brief zu schreiben, muß ein Mensch nicht jeden einzelnen am Schreiben beteiligten Mus-kel kontrollieren, er bedient den Stift oder die Tastatur weitgehend automatisch. Gleichzeitig zum mechanischen Vorgang des Schreibens erzeugt er die Nachricht, die der Brief enthält. Auch dabei steuert er nur den größeren Zusammenhang - den Inhalt des Briefs und evtl. den Stil - bewußt, wäh-rend er wenig oder keine Gedanken darauf verwendet, Wörter zu finden und Grammatikregeln an-zuwenden. Man kann sich jedes alltägliche Beispiel auf ähnliche Weise vorstellen - ohne für sich funktionierende 'Verhaltens-Holons'(bei Schreiben des Briefs z.B. Handschrift, Finden von Voka-beln, Bilden von grammatikalisch richtigen Sätzen), aus denen wir unser Verhalten zusammenset-zen, würden wir kaum in der Lage sein, irgendeine noch so alltägliche Tätigkeit auszuüben.

Beide Beispiele illustrieren, daß es nach Koestler Komplexität ausmacht, daß ein größeres Ganzes (z.B. ein bestimmtes menschliches Verhalten) aus Teilen zusammengesetzt ist, die für sich ge-nommen in gewisser Weise auch Ganzheiten sind. Jedes aus solchen Teilen zusammengesetzte Ganze kann seinerseits auch ein Teil von etwas anderem Ganzen sein - z.B. das Schreiben eines Briefs Teil einer Verschwörung oder Liebesgeschichte. Bei Koestler bleibt die Hierarchie nach 'o-ben' und 'unten' offen.

Checkland faßt diese Argumentation so zusammen: "Einfache mathematische Wahrschein-lichkeitsrechnung zeigt, daß die Zeit, die ein komplexes System für seine Entwicklung benötigt, be-deutend reduziert wird, wenn das System selbst aus einer oder mehreren Ebenen [layers] aus sta-bilen Subsystemen [stable component subsystems] besteht. Um das Argument umzudrehen: Be-rücksichtigt man das Alter dieses Planeten, hatten nur hierarchisch strukturierte Entitäten genug Zeit, sich zu entwickeln."(CHECKLAND 1981, 81)40

Was Allen und Starr allerdings von Koestler unterscheidet, ist, daß Koestler bei der Entwicklung des Begriffs 'Holon' bestimmte Stufen in der Hierarchie im Hinterkopf hatte, die mit dem allge-meinen und abstrakten Begriff 'Holon' zusammengefaßt werden können. Mit anderen Worten: Als 'Holon' kann man bei Koestler ein menschliches Organ bezeichnen, eine Schulklasse, einen Bun-desstaat oder an was immer man die Eigenschaft erkennen kann, Teil von einem Ganzen und gleichzeitig ein Teile integrierendes Ganzes zu sein. All diese Beispiele sind Dinge, die jeder als Ding erkennen kann. "Er ist interessiert daran, ein Modell für das Vertraute zu erarbeiten." (ALLEN /

40 Das Zitat deutet die evolutionstheoretische Pointe des Arguments an: Die Entwicklung komplexer Lebe-

wesen ist nicht allein auf Zufallsmutationen zurückzuführen, sondern spielt sich in einer hierarchisch struk-turierten Organisationsweise ab. Die Evolutionstheorie der Hierarchie-Theorie behandle ich in dieser Ar-beit nicht (vgl. z.B. Koestler 1967; Allen / Starr 1982, 37 ff.; Salthe 1985 und 1993).

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STARR 1982, 9) Allen und Starr kommen aber aus der Ökologie, in der es viele 'Ganzheiten' ganz unterschiedlicher Maßstäbe gibt, von denen einige, auch für Nichtökologen, offensichtlich sind (Bäume41, Tiere), andere aber schwerer zu erkennen und nicht von jedermann als Ganzes aner-kannt (Populationen, Pflanzengesellschaften). Sie haben andere Probleme im Kopf, an die sie mit dem Hierarchie-Begriff herangehen wollen und sie vertreten eine Erkenntnistheorie, in der es keine unumstößlich existierenden Dinge gibt (vgl. S. 52 ff). Wiegleb schreibt dazu in seiner Darstellung der Hierarchie-Theorie: "Die Einheiten [aus denen die Hierarchien gebildet werden, ms] sind e-pistemische Konstrukte, die keinen besonderen ontologischen Status beanspruchen." (WIEGLEB 1996, 9)

Dementsprechend gibt es bei Allen et al. keine Stufen in der Hierarchie, die man als Holons anse-hen muß. Eher ist die Hierarchie eine vertikal kontinuierlich verlaufende Abfolge, in der man sich Stufen bzw. Holons dort vorstellen kann, wo es am vorteilhaftesten für die Erklärung ist, die man sucht.

Das klingt zunächst sehr abstrakt und unpraktisch. Wenn es darum geht, mit den Begriffen der Hie-rarchie-Theorie irgendetwas zu erklären, dann wird man nicht anders können, als von den Stufen in der Hierarchie wie von diskreten, an einer bestimmten Stelle stehenden Stufen zu reden und von Holons wie von Dingen. Man wird die Hierarchie als Baum, Netz oder Stufenleiter darstellen und nicht als "vertikales Kontinuum". Allen und Starr bringen das Beispiel, daß man sich einen Men-schen, statt wie allgemein üblich an seiner Haut endend, auch mit der ihn umgebenden Luftschicht oder ohne seine Haut vorstellen könnte - keine der drei Möglichkeiten wäre "wirklicher" [more onto-logically real] als die anderen. Die vertraute Vorstellung ist allerdings von "größerer Relevanz" für viele Dinge, für die sich Menschen interessieren (vgl. ALLEN / STARR 1982, 10). Für die Ökologie bedeutet das meiner Meinung nach, daß man in dem Augenblick, in dem man sich in einem be-stimmten Modell bewegt, selbstverständlich nicht ständig daran denkt, daß alle darin vorkommen-den Dinge / Holons nur Ausschnitte aus einem Kontinuum sind. Bei der Überprüfung des Modells auf seine Aussagekraft aber kann es nötig sein, sich wieder auf diese 'abstrakte' Ebene zu bege-ben, um möglicherweise zu erkennen, daß sich mit anderen Holons andere Aussagen ergeben. Wahrscheinlich wird es selten darum gehen, ob es sinnvoll ist, von einem Baum als 'Baum' zu re-den, aber bei der Pflanzengesellschaft kann das anders sein.

Begrenzungen - Constraints

Die im letzten Abschnitt aufgeführten Beispiele anhand von menschlichem Verhalten sollten illust-rieren, wie Koestler die Idee von aus Holons bestehenden Hierarchien entwickelt hat. Sie führen aber, bezogen auf die Hierarchie-Theorie in der Ökologie, in einer Hinsicht in die falsche Richtung: In den Beispielen spielen die verschiedenen Hierarchie-Ebenen zusammen, um eine vom Holon Mensch beabsichtige Handlung auszuführen und müssen dafür bestimmte Funktionen erfüllen. Auf die Ökologie übertragen, wäre das dem Superorganismus-Konzept sehr nahe, wo z.B. die Pflan-zengesellschaft wie ein Organismus aufgefaßt wird, für den seine 'Organe' bestimmte Funktionen erfüllen.42 Das ist nicht der Zusammenhang zwischen den Ebenen der Hierarchie, den Allen et al. im Sinn haben.

"Die Ideen von Ordnung und Organisation sind zentrale Bestandteile der Allgemeinen Systemtheo-rie. Die Organisation in biologischen Systemen ist so beeindruckend, daß herkömmliches biolo-gisches Denken [conventional biological wisdom] Organisation immer in positiven Begriffen auf-

41 Die vermeintliche Eindeutigkeit der Ganzheit 'Baum' hört bereits bei unterirdisch verbundenen Pappeln

oder oberirdisch zusammenwachsenden Bananen auf (vgl. ALLEN / HOEKSTRA 1992, 16) 42 Koestlers Auffassung liegt teilweise nahe an solchen Vorstellungen, es besteht aber der wesentliche

Unterschied, daß die Holons auf jeder Stufe der Hierarchie als Ganzheiten die Tendenz haben, auch un-abhängig vom übergeordneten Organismus lebensfähig zu sein. Koestler nennt dazu eine Reihe von Ex-perimenten, bei denen die Lebensfähigkeit von Tierzellen und -organen unabhängig von ihrem 'Ursprungsorganismus', z.B. nach Verpflanzungen oder sogar dem Tod des Organismus bewiesen wurde. (vgl. Koestler 1967, 65-70)

Ökologische Hierarchie-Theorie

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faßt. Es ist aber manchmal vorteilhaft, Organisation nicht positiv als eine Reihe von Verbindungen zu sehen, sondern eher negativ als eine Reihe von Begrenzungen / Beschränkungen [constraints]. Geordnete Systeme sind nicht aufgrunddessen geordnet, was ihre Bestandteile tun, sondern we-gen dem, was sie nicht tun dürfen." (ALLEN / STARR 1982, 11)

Der Zusammenhang zwischen den Hierarchieebenen wird in der Hierarchie-Theorie nicht in der Steuerung des Verhaltens unterer durch höhere Ebenen oder umgekehrt in aktivem Wirken unterer Ebenen für den Erhalt der höheren gesehen. Er ergibt sich im Gegenteil durch Begrenzungen, die von höheren Hierarchieebenen auf die auf niedrigeren Ebenen stattfindende Dynamik ausgeübt werden (vgl. WEBSTER 1979, 124). Begrenzungen / Beschränkungen sind der entscheidende ge-dankliche Zusammenhang zur Strukturierung eines komplexen Sachverhalts im Sinne der Hierar-chie-Theorie. "Hierarchien können gut als Systeme der Beschränkung / Begrenzung angesehen werden. Ein in der Hierarchie höher stehendes Holon übt eine gewisse Beschränkung / Begrenzung auf alle niedrigeren Holons aus, mit denen es kommuniziert."43 (ALLEN / STARR 1982, 11)

Um dieser ziemlich abstrakten Beschreibung näherzukommen, muß noch ein weiterer wichtiger Begriff eingeführt werden: Kommunikation. Kommunikation versteht sich hier im Sinne der Infor-mationstheorie allgemein als das Senden und / oder Empfangen von Informationen bzw. Signalen. Das Vorhandensein von Wasser kann eine Information sein, der Stickstoffgehalt der Luft ebenso - der Begriff wird in einem völlig allgemeinen Sinn aufgefaßt. Wenn in dieser Denkweise von einem 'Zusammenhang' zwischen zwei Dingen die Rede ist, dann bedeutet das, daß ein Austausch oder ein Senden / Empfangen von Signalen stattfindet.

Die Beschränkungen, die höhere Holons auf niedrigere ausüben, werden über Informationen ver-mittelt. Abhängig davon, für welche Information man sich bei der gedanklichen Strukturierung ent-scheidet, sind Holons füreinander 'höhere' oder 'tiefere' Holons. Ein Räuber-Beute-Verhältnis kann z.B. anhand der Information 'kann den anderen fressen / sich von ihm ernähren' strukturiert werden, das ist der Fall in den normalerweise gezeichneten Nahrungsketten in Biologiebüchern. In diesem Fall ist der Räuber in der Hierarchie höherstehend als seine Beute, die er in einigen Belangen be-schränkt. So kann das Beutetier z.B. nur soviele Jungen aufziehen, wie nicht gefressen werden, muß sich auf bestimmte Habitate beschränken, in denen die Gefahr, vom Räuber entdeckt zu wer-den nicht allzuhoch ist etc. Es ist allerdings im Rahmen dieser Beschränkungen in seinem Verhalten vom Räuber nicht direkt zu kontrollieren. Man kann in diesem Beispiel die Strukturierung auch um-gekehrt vornehmen - die relevante Information wäre dann 'wird vom anderen als Nahrung benötigt' bzw. 'ist Energieressource'. In diesem Sinne steht die Beute in der Hierarchie höher, sie beschränkt den Räuber. Er kann nur in solchen Habitaten leben, in denen die Beute vorhanden ist, seine Re-produktion hängt von der Versorgung mit Nahrung ab etc. Offensichtlich können beide Zusammen-hänge auf ein Räuber-Beute-Verhältnis angewendet werden, es existiert also kein objektiv festste-hendes 'Oben' und 'Unten' in den Hierarchien der Hierarchie-Theorie (vgl. AHL / ALLEN 1996, 98 oder O'NEILL 1989, 146).

Generell beschränken aber 'langsamere' Holons die 'schnelleren'. Dabei beziehen sich 'langsam' und 'schnell' auf den Maßstab, den scale eines Holons (siehe Abschnitt 3.5) bzw. seine 'natürliche Frequenz' [natural frequency].

"Natürliche Frequenz [natural frequency] -

Der Kehrwert des Ausmaßes an Zeit und Raum für die Vollendung eines Zyklus ei-nes charakteristischen, von innen angetriebenen Verhaltens eines Holons oder eines beobachteten [Verhaltens]musters." (ALLEN / STARR 1982, 273)

43 Ich gebrauche ab hier den englischen Originalausdruck 'constraint'.

Ökologische Hierarchie-Theorie

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Abb. 3.4: Eine grafische Darstellung des Verhältnisses zwischen der für ein bestimmtes Verhalten benötigten Zeit [cycle time] und der natürlichen Frequenz (Auftreten des Verhaltens bezogen auf eine Zeiteinheit t. 1, 2 und 3 symbolisieren unterschiedliches Verhalten (z.B. Zellverdopplung, Reproduktionsraten etc.). Aus: ALLEN / STARR 1982, 12

Mit charakteristischem Verhalten kann auf der zeitlichen Ebene z.B. der Stoffwechsel, die durch-schnittliche Lebensdauer oder Reproduktionsraten, auf der räumlichen Ebene Größe oder räumli-che Reichweite gemeint sein.

Dabei gilt die Grundregel, daß sich in ihren Frequenzen sehr weit auseinander oder sehr nah anein-ander liegende Holons wenig beschränken: Wir Menschen werden z.B. von den Frequenzen der Milchstraße nicht berührt, weil sie so weit von uns entfernt stattfinden (im Maßstabssinn), daß sie uns konstant scheinen. Sie sind ein Teil unserer Umwelt - Allen und Starr sagen Kontext - ohne auf unser Verhalten einschränkend zu wirken. Andererseits kann ein 'Schwesterholon' (z.B. ein anderer Mensch) uns so ähnlich in seinen Frequenzen sein, daß es uns nicht kontrollieren kann (vgl. ALLEN / STARR 1982, 13).

Das alles sind relative Verhältnisse, die immer auf das Kriterium überprüft werden müssen, das gerade untersucht wird (vgl. ebd.).

Mit dem Begriff 'Holon' und der Strukturierung des Verhältnisses zwischen Holons in der Hierarchie durch Beschränkungen ist ein Grundgerüst skizziert. Bevor ich in den Abschnitten 3.4 und 3.5 wei-tere Begriffe erläutere, durch die das Grundgerüst erweitert und differenziert wird, soll noch eine

Ökologische Hierarchie-Theorie

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wichtige Unterscheidung für die Klassifizierung hierarchischer Systeme beschrieben werden, die insbesondere für die Unterscheidung der Hierarchie-Theorie von organismischen Ökosystem-theorien von Bedeutung ist.

Einschließende und nicht-einschließende Hierarchien

Das Vorbild für organismisch gedachte Systeme ist der (menschliche) Körper mit seinen Organen. Die Organe des Organismus finden sich in ihm, das System Körper enthält alle seine Bestandteile. Diesen Typ der Hierarchie nennen Allen et al. 'nested hierarchies'. Wiegleb nennt als entsprechen-den Ausdruck 'inklusive Hierarchien' (vgl. WIEGLEB 1996, 9). Ich benutze im folgenden den Aus-druck 'einschließende' [nested] und 'nicht-einschließende' [non-nested] Hierarchien.

"Eine einschließende Hierarchie ist eine, bei der das Holon an der Spitze alle anderen [niedrigeren] enthält bzw. aus allen anderen zusammengesetzt ist." (ALLEN / STARR 1982, 38) Diese Definition trifft auf Organismen zu, sie gilt aber auch für viele taxonomische Systeme der Biologie. Gattun-gen setzen sich aus Familien zusammen, Familien aus Arten, Arten besitzen evtl. Unterarten - um nur einige grobe Stufen der taxonomischen Hierarchie zu nennen. Die Biologie neigt Allen und Starr zufolge dazu, sich vor allem mit dieser Art von Systemen zu beschäftigen und sie für den Ideal- oder Normalfall von hierarchisch geordneten Systemen zu halten. "Die zwei Standardmög-lichkeiten, biologische Systeme zu organisieren, nämlich taxonomische Einheiten und strukturelle Verwandtschaft, repräsentieren beide einschließende Hierarchien." (ebd., 38)

Wenn aber der Zusammenhang zwischen Hierarchieebenen ganz allgemein in Kommunikation (im informationstheoretischen Sinn) und sich aus dieser Kommunikation ergebenden Beschränkungen liegt, dann sind einschließende Systeme nur eine Möglichkeit unter anderen - nämlich die, bei der die Information 'x ist Teil von y' bzw. 'y enthält x' vorhanden ist. Das Kriterium heißt 'Enthalten'.

Damit wird das organismisch gedachte Bild von Systemen aufgelöst, indem 'Enthalten' ein Kriteri-um unter anderen wird. "Ganzheiten auf höheren Leveln (1) haben relativ langsamere Verhaltens-frequenzen, (2) weisen weniger starken Zusammenhalt auf [behave with less integrity], (3) bieten den Kontext und daher (4) beschränken sie niedriger stehende Ganzheiten. Einschließende Hierar-chien sind demgegenüber solche mit dem zusätzlichen Erfordernis, daß niedrigere Level in höhe-ren enthalten sind." (AHL / ALLEN 1996, 107)

Einschließende Hierarchien sind offensichtlicher und können daher leicht für den 'Idealfall' gehalten werden. Sie bringen aber auch Probleme mit sich: Nur das Kriterium 'Enthalten' zieht sich als Zu-sammenhang durch alle ihre Level, andere Kriterien können möglicherweise nur auf einzelne Level anwendbar sein, weswegen die Erklärung eines Phänomens auf einem Level nicht unbedingt auf andere übertragbar sein muß. So können zelluläre Vorgänge im Menschen biochemisch erklärt werden, aber es wird unmöglich sein, das soziale Verhalten des ganzen Menschen aus solchen biochemischen Fakten 'hochzurechnen' (was der Zeitgeist derzeit allerdings suggeriert) (vgl. AHL / ALLEN 1996, 108 f.). Generell geht Hierarchie-Theorie davon aus, daß es 'emergente Eigenschaf-ten' gibt44, also Eigenschaften, die nicht auf eine Addition von Ereignissen auf niedrigeren Leveln reduzierbar sind, sondern erst auf einem bestimmten Level - u.U. nur dort - festzustellen sind (vgl. ALLEN / O'NEILL / HOEKSTRA 1987, 70.).

Anders als einschließende Hierarchien treten uns nicht-einschließende Hierarchien nicht einfach körperlich oder als Klasse mit festgelegten Zugehörigkeitsregeln entgegen, sondern müssen erst im Kopf des Betrachters zusammengesetzt werden. Deswegen ist es bei ihnen absolut notwendig, daß sich ein Kriterium durch alle Level zieht, z.B. Predation oder Energiefluß in einer Nahrungsket-te oder Kommando in einer Armee. Höhere Level enthalten die niedrigeren nicht, aber die Bezie-hung zwischen allen Stufen geht auf dasselbe Kriterium zurück (vgl. AHL / ALLEN 1996, 112 ff.).

44 In der deutschen Ausgabe des Ökologie-Lehrbuchs von Begon, Harper und Townsend als "zutage tre-

tende Eigenschaften" übersetzt (Begon / Harper / Townsend 1990, 679).

Ökologische Hierarchie-Theorie

56

Für die Strategie eines Beobachters / Forschers in einer neuen, komplexen Situation kann das hei-ßen: Zuerst werden einem wahrscheinlich einschließende Hierarchien auffallen, weil man keine wei-teren Systemzusammenhänge kennen muß, um auf sie aufmerksam zu werden. Nach einer ersten Phase der Untersuchung, wenn klar ist, was wozu gehört, werden oft andere Fragen interessant werden. Dann kann es vorteilhaft sein, sich Kriterien zu suchen und zu prüfen, ob sie Zusammen-hänge zwischen Leveln herstellen können, auch wenn diese möglicherweise nicht im Sinne von 'x enthält y' verknüpft sind - also nicht-einschließende Systeme darstellen.

In der Döberitzer Heide könnte das bedeuten: Zunächst wird untersucht, aus welchen Arten dort Wald, Wiesen etc. bestehen. Im Hinblick auf die ehemalige militärische Nutzung und zukünftige Pflege könnten aber dann andere Kriterien interessant werden, z.B. in welcher Weise Feuer oder mechanische Bodenverletzungen das Gebiet beeinflußten45. Die vom Beobachter entworfenen Hierarchie-Beziehungen sind also - nicht nur bei der Entscheidung zwischen einschließenden und nicht-einschließenden Hierarchien - abhängig von der gestellten Frage. Nach der Formulierung der Frage werden die zu untersuchenden Einheiten [entities] definiert, dann können Messungen vorge-nommen bzw. Beobachtungen gemacht werden. Durch diesen Prozess tauchen für den Beobach-ter erst die Phänomene auf, zu deren Erklärung er dann z.B. die von unterschiedlichen Leveln aus-geübten constraints oder andere Hierarchie-Modelle formuliert (vgl. AHL / ALLEN 1996, 35 ff.). Alle Informationen über die Natur werden im Prozess der Interaktion eines Beobachters mit der mate-riellen Realität erzeugt und können sich durch andere Interaktionen jederzeit ändern.

3.5 Scales - Maßstäbe und Größenordnungen

Die Beschäftigung mit unterschiedlichen Maßstäben ist ein zentraler Bestandteil der Hierarchie-Theorie und ein in der Ökologie insgesamt immer stärkere Aufmerksamkeit gewinnendes Thema (vgl. z.B. JAX / ZAUKE 1992). Es ergibt sich dadurch ein Anknüpfungspunkt zur Landschaftsplanung, in der die Arbeit in unterschiedlichen Maßstäben, die meist durch die unterschiedlichen Ebenen des Planungssystems der Bundesrepublik vorgegeben werden, zum Alltag gehört.

'Scale' / Maßstab ist auch ein Verknüpfungspunkt zwischen der Hierarchie-Theorie von Allen et al. und der Arbeit anderer Ökologen, die sich ebenfalls mit dem Begriff beschäftigt haben oder ihn benutzen. Ich werde in diesem Abschnitt auch auf einige eher technische Fragen der Maßstabs-verwendung in der Ökologie, die nicht direkt in der ökologischen Hierarchie-Theorie behandelt wer-den, anhand des Textes 'Scale Effects in Landscape Studies' von Vernon Meentemeyer und Elge-ne O. Box (1987) eingehen.

'Maßstab' ist ein vertrauterer Begriff als 'Holon' oder 'einschließendes und nicht-einschließendes System' und es gibt tatsächlich Aspekte der Maßstabsorientierung der Hierarchie-Theorie, die mit der gebräuchlichen Verwendung des Wortes gut in Einklang zu bringen sind. Ich will aber gerade mit der wenig vertrauten Seite der Verwendung des Maßstabsbegriffs durch Allen und Starr begin-nen. An ihr läßt sich zeigen, auf welche Weise sich die Autoren auf Informationstheorie beziehen, ein Aspekt, den ich im Zusammenhang mit den constraints nur kurz angedeutet hatte.

"[...] Hierarchien können durch constraints erklärt werden und constraints werden durch Qualität und Quantität von Informationsflüssen und deren Folgen beschrieben. Deswegen kann der Maßstab

45 Nach Wieglebs Darstellung ist die Unterscheidung von einschließenden und nicht-einschließenden Hie-

rarchien für "das Konzept der Hierarchie-Theorie ohne Bedeutung" (vgl. Wiegleb 1996, 9). Ich kann diese Aussage aus meinem Verständnis der Quellen nicht nachvollziehen.

Ökologische Hierarchie-Theorie

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einer Struktur durch die Raum- und Zeiteinheiten definiert werden, durch die sie Informationen emp-fängt und überträgt." (ALLEN / STARR 1982, 17)46

Die Herleitung des Maßstabs aus der Informationstheorie verlangt zunächst einiges an Abstrakti-on. Allen und Starr gehen vom Begriff 'Signal' aus. Als ein Signal wird eine Zeichenfolge ["a string of energy or matter"] verstanden, die sich auf dem Weg von einer Entität zur einer anderen befin-det. Sie ist zunächst unendlich fein gekörnt ["infinitely fine grained"]. Am Beispiel eines gesproche-nen Satzes hieße das: Der gesprochene Satz 'Das ist aber abstrakt', wenn man ihn abstrakt als Folge von Energie oder Materie sieht, kann aus vier Wörtern oder aus sechs Silben oder aus acht-zehn Buchstaben bestehen. Er besteht aber auch aus Sprechlauten (Phonemen) oder Teilen von Sprechlauten - je nachdem wie fein die Körnung bzw. Auflösung ist, die man wählt, also hier die kleinste Zeiteinheit, in die man das akustische Signal auflöst. Ebenso sind andere Integrationen möglich als die vier Wörter. Man kann zwei Gruppen mit je zwei Wörtern bilden oder...

Man müßte das Signal gleichzeitig mit unendlich feiner Auflösung zerlegen und alle möglichen In-tegrationen der so gefundenen Elemente zu Untereinheiten herstellen, um alle im Signal enthalte-nen Informationen zu erhalten. 'Information' meint hier also ausdrücklich nichts 'Sinnvolles'.

"Bei seinem Start stellt das Signal einen Schnappschuß [a freezing] der unendlich vielfältigen Dy-namik des aussendenden Holons dar, ausgedrückt durch das Medium der Energie oder Materie, aus welcher das Signal [the signal stream] gemacht ist" (ebd., 18)

Wenn es neben dem Sender einen Empfänger gibt, wird aus dem Senden von Signalen eine Kommunikation. Das verändert die Situation insofern, als das Signal eine Bedeutung für den Sen-der und eine für den Empfänger bekommt. Als Signal zwischen beiden bleibt es unendlich fein ge-körnt, aber als gesendete oder empfangene Botschaft besitzt es eine Bedeutung. Oft ist die Be-deutung für Sender und Empfänger die gleiche, aber jedes 'Stille-Post'-Spiel zeigt, daß es anders sein kann. 'Stille Post' ist ein gutes Beispiel für den Unterschied von Signal und Botschaft: Auf dem Weg vom ersten Sender zum letzten Empfänger machen die unendlich feine Körnung bzw. die un-endlichen Integrationsmöglichkeiten der verwendeten Signale die ursprüngliche Botschaft unkennt-lich - andere Integrationen der verwendeten Signale führen zu etwas veränderten Botschaften, so-fern überhaupt so etwas wie eine Botschaft übrigbleibt.

Jetzt kann der gemessene Maßstab eingeführt werden: Er ist die Zeitperiode oder Raumeinheit, in welcher Signale integriert bzw. zusammengeführt werden, um Botschaften zu ergeben (vgl. ebd., 18).47 Dieser Maßstab ist in diesem Sinne nichts, das irgendein Objekt oder Organismus, irgendein Holon als feste Eigenschaft besitzt. Er ist abhängig von dem, was ein Empfänger mit den von die-sem Holon gesendeten Signalen anfängt, um eine Botschaft zu empfangen.

Neben diesen, mit dem Modus der Beobachtung zusammenhängenden, Überlegungen, gibt es auch Aspekte des Maßstabs, die "eindeutig mit dem Beobachteten mehr als mit dem Beobachter zu tun haben" (AHL / ALLEN 1996, 55). Hat man eine bestimmtes Signal so verarbeitet, daß die Botschaft lautet 'dort steht eine Gruppe von Bäumen', dann wird die Größe dieser Bäume in Zenti-metern (oder jeder beliebigen festen Maßeinheit) unabhängig vom Betrachter immer gleich sein, egal ob er sie als Vorder- oder Hintergrund, von weitem oder aus der Nähe wahrnimmt. "Materielle Systeme haben unwandelbare maßstäbliche [scalar] Eigenschaften, aber das bedeutet nicht, daß die materielle Welt den Maßstab der Wahrnehmumg festlegt." (ebd.)

Der 'Maßstab der Wahrnehmung' ist vor allem von zwei Kriterien abhängig: der Auflösung [grain] und der Ausdehnung / Reichweite [extent]:

46 "In the previous chapter hierarchies are seen in terms of constraint and constraint is described in terms of

quality and quantity of information flow and its consequences. Therefore the scale of a structure can be defined by the time and space constants whereby it receives and transmits information."

47 "A scale is the period of time or space over which signals are integrated or smoothed to give message." (Hervorhebungen im Original)

Ökologische Hierarchie-Theorie

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- "Die Auflösung einer Beobachtung ist die feinste Unterscheidung, die zwischen einzelnen Da-ten [isolated datum values] gemacht werden kann. Sie bestimmt die kleinsten Ganzheiten, die in einer Untersuchung noch betrachtet werden können." (ALLEN / HOEKSTRA 1991, 50)

- Die Reichweite gibt dagegen die Ausdehnung aller Messungen an, die in einer Untersuchung gemacht werden (vgl. ebd.). In einem Landschaftsplan wäre dies z.B. die Größe des Plange-biets (räumlich) und die Gesamtdauer der zugrundeliegenden Untersuchungen (zeitlich). Die Ausdehnung gibt vor, welches das größte Holon ist, das in einer Untersuchung noch entdeckt werden kann. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß in eine Untersuchung u.U. Kenntnisse von Phänomenen einfließen, die in ihrer 'eigentlichen' Ausdehnung nicht hätten entdeckt wer-den können (z.B. Auswirkungen großräumiger Klimaveränderungen).

Diese Herleitung des Maßstabsbegriffs aus relativ abstrakten Begriffen führt zu etwas, das Land-schaftsplanern aus ihrer täglichen Arbeit vertraut ist: Es gibt keinen absoluten oder 'richtigen' Maß-stab in einem ökologischen System wie z.B. der zu untersuchenden Landschaft. Es muß eine Ent-scheidung über den zu verwendenden Maßstab getroffen werden und diese Entscheidung zieht nach sich, daß bestimmte Phänomene in der Analyse der Landschaft vorkommen werden, während andere nicht erfaßt werden können (vgl. LEVIN 1992, S. 1944). Die in den letzten Absätzen wieder-gegebene abstrakte Herleitung hat aber meiner Ansicht nach den Vorteil, ins Gedächtnis zu rufen, daß jede Maßstabswahl die Festlegung auf eine Perspektive aus im wahrsten Sinne des Wortes unendlich vielen möglichen Perspektiven darstellt - eine Tatsache, die leicht in Vergessenheit gera-ten kann, wenn man sich z.B. daran gewöhnt hat, die Welt in den Maßstäben der verfügbaren to-pographischen Karten zu sehen.

Maßstäbe der Landschaft - einige technische Aspekte

"Landschaftsökologie kann nicht der Beschäftigung mit räumlicher Analyse, räumlichen Maßstäben und aus Maßstabswechseln resultierenden Effekten entkommen. Eine Landschaft mag in dem ei-nen Maßstab heterogen, aber ziemlich homogen in einem anderen erscheinen, das macht den räumlichen Maßstab zu einem Bestandteil der Definitionen von Landschaftsheterogenität und Di-versität." (MEENTEMEYER / BOX 1987, 15)

Wenn es stimmt, daß u.a. die Diversität - also die Vielfalt - einer Landschaft eine Frage des Maß-stabs ist, dann steht beispielsweise schon im ersten Paragraphen des bundesdeutschen Natur-schutzgesetzes, in dem von der zu schützenden "Vielfalt, Eigenart und Schönheit" von Natur und Landschaft die Rede ist, eine Aussage, die ohne Festlegung auf einen bestimmten Maßstab nicht zu handhaben ist. Auch an weniger plakativen Beispielen ließe sich zeigen, wie ausschlaggebend Maßstabsfragen für Landschaftsökologie und die sie verwendende Landschaftsplanung sind. Des-wegen sollen im folgenden einige eher technische Aspekte des Maßstabsbegriffs für diese Diszip-linen aufgeführt werden. Ich orientiere mich dabei am eher aufzählenden und Fragen sammelnden Vorgehen von Meentemeyer und Box, das sich deutlich vom stärker argumentierenden, ableiten-den und auf Theoriebildung abzielenden Verfahren von Allen et al. abhebt.

Meentemyer und Box gehen nicht vom informationstheoretischen Gedanken der Signal- und Bot-schaftsübermittlung aus, sondern vom Landschaftsplanern weitaus vertrauteren Beispiel der Land-karten. "In der Kartografie ist der räumliche Maßstab ein genau definiertes Konzept, daß den Grad [degree] der räumlichen Reduktion ausdrückt, der normalerweise in Angaben wie '1:10.000' ange-geben wird." (ebd., 17) Die Schwierigkeiten beginnen allerdings schon damit, daß Ausschnitte der dreidimensionalen Erdoberfläche - Ausschnitte einer Kugeloberfläche - zweidimensional abgebildet werden müssen, was vor allem bei größeren Ausschnitten zu Verzerrungen führt. Es liegt beim Hersteller der Karte, welche Art von Verzerrung ihm am akzeptabelsten erscheint.

Weitaus schwieriger als die Entscheidung für eine bestimmte kartografische Projektion (Verzer-rung) ist aber die für die Informationen, die im gewählten Maßstab dargestellt werden sollen. Selbst wenn schon die Maßstabswahl viele Informationen wegen ihrer Größe als nicht mehr oder noch nicht darstellbar ausgrenzt, bleiben meist genug Informationen übrig, um einen weiteren Aus-

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wahlprozeß nötig zu machen. Zu viele Informationen können zu Unübersichtlichkeit führen, zu we-nige verfehlen den (häufigsten) Zweck einer Karte, ein möglichst differenziertes Abbild der darge-stellten Gegend zu sein. "Ähnlich können in einer Landschaft kleine und/oder homogene Regionen zu wenig 'Informationen' enthalten, um interessant zu sein, während große und/oder komplexe Re-gionen (oder Landschaften) mehr Informationen enthalten können, als vernünftigerweise [reaso-nably] verarbeitet werden können." (ebd., 17)

Absoluter und relativer Maßstab

Wie in der Kartografie werden in der Ökologie meist absolute Maßstäbe verwendet. Entfernungen in einem Plan lassen sich nach einem festen Verhältnis in die draußen gemessenen Entfernungen zurückrechnen, das gleiche gilt für die Größe von Objekten im Plan. Man kann aber auch relative Maßstäbe verwenden. "Zum Beispiel könnte ein Plan über Fahrzeiten Orte weit auseinanderliegend zeigen, wenn die Fahrzeit lang ist (schlechte Straßen, viel Verkehr) und nahe beieinander, wenn die Fahrzeit kurz ist." (ebd., 17) In diesem Fall wird die räumliche Distanz auf der Karte durch eine Funktion verändert - im Beispiel der Fahrzeitenkarte müßten die Umstände 'schlechte Straße' oder 'viel Verkehr' in einem Faktor ausgedrückt werden, durch den die räumliche Entfernung, die zu-nächst auf der Karte ausgedrückt war, verändert wird. Ein anderes Beispiel für die Veränderung räumlicher Distanz durch eine Funktion bzw. einen Faktor zeigt die Abbildung.

Abb. 3.5: Ein Beispiel für relativen Maßstab: Die Distanz zum Gipfel des Mt. Rainier (Washington) in absoluten Maßeinheiten (A, links) oder in 'Schwierigkeitseinheiten' (B, rechts) dargestellt. Aus: MEENTEMEYER / BOX 1987, 18

Relative Maßstäbe könnten z.B. von Nutzen dafür sein, die Verbreitung von Störungen / Verände-rungen in der Landschaft darzustellen (vgl. ebd., 17). So könnte bei der Ausweisung von Schutzge-bieten dargestellt werden, an welchen Stellen große Pufferzonen vonnöten sind, weil eindringende Störungen sich sehr leicht und schnell ausbreiten können. Darstellungen von Biotopverbundsyste-men könnten stärker darauf bezogen werden, welche Organismen welche Biotope wie schnell er-reichen können.

Maßstabswechsel

Betrachtet man dieselbe Gegend in Karten unterschiedlichen Maßstabs, dann sieht man mit jedem Maßstabswechsel eine 'andere' Gegend - abhängig von den Einzelheiten oder Einordnungen, die den einzelnen Karten entnommen werden können. Jede ökologische Untersuchung trifft auf das gleiche Phänomen. Der Untersuchungsgegenstand ändert sich mit jedem Maßstabswechsel, Phä-nomene tauchen auf und verschwinden wieder.

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Meentemeyer und Box stellen die in diesem Zusammenhang interessanten Phänomene in einer tabellarischen Übersicht dar.

Tab. 3.1: Einige Effekte von Maßstabswechseln auf Analysen und Modellbildung. Aus: MEENTEMEYER / BOX 1987, 18; übersetzt und leicht verändert

Die Tabelle zeigt, daß sich Maßstabswechsel unterschiedlich auf die verschiedenen möglichen Be-standteile einer Analyse auswirken können.

Selbstverständlich sind feinere Details zu erkennen, wenn man feine Auflösungen wählt bzw. kleine Landschaftsausschnitte untersucht. Nur in solch kleinen Ausschnitten sind experimentelle Manipula-tionen (direkt oder im Labor) möglich, bei denen sich die relevanten Variablen noch einigermaßen kontrollieren lassen. So sind z.B. in BORNKAMM / DARIUS 1995, wo es um terrestrische Ökotoxiko-logie und die Anwendung fraktaler Geometrie zur Strukturanalyse geht die Versuchsflächen 'nur' 1 m? groß. Theoriebildung zur Auswirkung chemischer Stressoren auf terrestrische Ökosysteme (z.B. Konsequenzen verschiedener Agrartechnologien) ist dagegen letztlich bis hinauf in den Land-schaftsmaßstab von Bedeutung.

Auf den ersten Blick unlogisch kann die These erscheinen, daß die Anzahl wichtiger Variablen in großen Untersuchungsgebieten / kleineren Maßstäben abnimmt, denn absolut ist die Anzahl von Variablen in einem größeren Gebiet höher als in einem kleinen. Die Betonung in der These liegt auf 'wichtig': Wenn es z.B. um die Zusammensetzung der Vegetation geht, dann sind in einem großen Maßstab (kleines Untersuchungsgebiet) eine Vielzahl von Faktoren interessant, die von Klima- und Bodenverhältnissen über Konkurrenzverhältnisse zwischen verschiedenen Arten bis zu den Auswir-kungen von Beweidung und menschlichen Einflüssen reichen kann, um nur einige Beispiele zu ge-ben. Wird der Maßstab aber im Extremfall so verkleinert, daß das Untersuchungsgebiet z.B. ganz Mitteleuropa umfaßt, dann ist fast nur noch der Faktor 'gemäßigte Klimazone' und die großräumige geologische Einordnung von Bedeutung. Alle anderen Variablen sind weiter vorhanden, können aber für einen so großen Raum wegen ihrer Vielzahl und Widersprüchlichkeit keine wichtige Rolle mehr spielen. Mit diesem Gedankengang steht auch die in der nächsten Tabellenzeile formulierte These im Zusammenhang, daß in kleinen Untersuchungsräumen eher chemische und biotische, in großen dagegen eher abiotische (physikalische) eine wichtige Rolle spielen. Anders ausgedrückt: Die große Variationsbreite lokal ermittelter chemischer und biotischer Variablen ist auf größere Regionen bezogen weniger praktikabel bzw. interpretierbar als abiotische Faktoren (hauptsächlich Klimadaten).

Durch Maßstabswechsel kommt es generell zu - möglicherweise bedeutenden - Veränderungen in den Strukturen der Modelle bzw. gedanklicher Konzepte, die man zur Analyse eines Phänomens oder zum Verständnis der Vorgänge in einem bestimmten Landschaftsausschnitt entwickelt (ebd., 19). Die Gründe dafür liegen in den einzelnen Phänomenen, die im vorigen Absatz bzw. in der Ta-

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belle angeführt wurden. Für die Landschaftsplanung ist diese zusammenfassende Aussage von großer Bedeutung, weil sie oft eher auf einer Ebene arbeitet, auf der verschiedene Variablen be-reits zu einem Modell / Konzept zusammengezogen wurden. Dabei kann das auch von Allen et al. verwendete Konzept der emergenten Eigenschaften eine Rolle spielen:

"Auch wenn der Wechsel zu einem gröberen Maßstab mit einem Verlust an Details einhergehen kann, führt er möglicherweise zum Erscheinen emergenter Eigenschaften infolge von Synergien auf höheren Ebenen der Integration des Systems. Diese Mechanismen [interactions] wurden in fei-neren Maßstäben nicht gesehen und traten dort möglicherweise nicht auf, wenn ein feinerer Maß-stab auch eine niedrigere Stufe der Systemintegration bedeutet. Hierarchie-Theorie (z.B. Allen und Starr 1982) kann daher eine wichtige Auswirkung auf die Beschäftigung mit Maßstäben haben, denn Systeme sind normalerweise in Raum und Zeit eingebettet [nested]. Wenn man sich in der Hierarchie aufwärts bewegt (was normalerweise bedeutet in größeren Gebieten und / oder länge-ren zeitlichen Perioden, d.h. in gröberen Maßstäben), werden die insgesamt beschränkenden / be-grenzenden [constraining] Variablen auffälliger und / oder beherrschender (und, wie bereits gesagt, weniger)." (ebd., 21)

3.6 Grenzen und Oberflächen

Mit den Überlegungen zu Hierarchien und Beschränkungen sind Möglichkeiten geschaffen, komple-xe Sachverhalte zu strukturieren. Die Zielrichtung dieser Begriffe ist dabei eine Strukturierung der Zusammenhänge zwischen den auf unterschiedlichen Hierarchieebenen angesiedelten Elementen (Holons) des gedanklichen Modells. Dazu ist es wichtig, die Maßstabsverhältnisse (scales), mit denen man es zu tun hat, zu berücksichtigen.

Grenzen und Oberflächen sind ein weiteres Element in dem 'Set' von Begriffen, anhand derer ich hier einen Überblick über ökologische Hierarchie-Theorie geben will. Sie sind aus der Perspektive des Alltagsdenkens weniger abstrakt als z.B. 'Information' oder 'Signal', weil es uns vertraut ist, daß wir und alles andere um uns herum eine Oberfläche haben und daß wir auf eine Vielzahl von Ober-flächen stoßen, die für uns Grenzen darstellen. In gewisser Weise kommen die 'Dinge', die in der Erkenntnistheorie von Allen et al. zunächst ziemlich radikal (de)konstruiert werden (siehe S. 43 ff.) jetzt wieder in die Betrachtung zurück, denn auch mit dem Bewußtsein, daß sie nicht 'wirklich' da sind, bleibt unsere Welt voller robuster und haltbarer Dinge. Mit dem Eingehen auf Grenzen und Oberflächen wird ein Konzept dafür entworfen, wie man sich das vorstellen kann und warum die uns vertrauten Einheiten - z.B. der Mensch - als Dinge so gut funktionieren, während erkenntnis-theoretisch ebenso gerechtfertigte Einheiten - z.B. der Mensch ohne seine Haut - abstrakt und un-praktisch scheinen.

Ökologische Hierarchie-Theorie

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Grenze

"Eine Übergangsregion zwischen zwei individuellen Einheiten [individuals]. Beispiele wären Membranen, Ökotone, steile Gradienten von z.B. Kräften oder Umständen wie Temperaturen etc. Ohne Grenzen könnte es keine Objekte, Dinge, Entitäten oder Individuen geben." (SALTHE 1985, 282)

"Eine von einem Beobachter gemachte Unterscheidung. Künstliche Grenzen sind willkürlich [arbitrarily and haphazardly] gezogen. Natürliche Grenzen sind immer noch willkürlich, neigen aber dazu, auch bei Transformationen robust zu bleiben. Das bedeutet, daß sich natürliche Grenzen für viele unterschiedliche [distinct] Krite-rien überschneiden." (ALLEN / STARR 1982, 262)

Grenzen bzw. Oberflächen sind dadurch definiert, daß sich an ihnen etwas ändert. Es bleibt dem Beobachter überlassen, nach welcher Veränderung er sucht. Wenn man Kriterien abseits der All-tagserfahrungen oder des menschlichen Wahrnehmungsspektrums untersucht, z.B. die Konzentra-tion eines bestimmten Stoffes in der Luft oder im Boden, wird man möglicherweise auf Grenzen (in diesem Fall einen steilen Gradienten der Konzentration) stoßen, wo man sie nicht vermutet hätte. Andererseits gibt es 'offensichtliche' Grenzen - ein Waldrand wird von jedem als die Grenze zwi-schen dem Wald und z.B. dem angrenzenden Feld empfunden werden. Allen und Starr erklären das damit, daß solche 'natürlichen Grenzen' Veränderungen für viele verschiedene Kriterien signalisie-ren, der Wald z.B. für die Zusammensetzung der Vegetation, die Temperaturwerte, die Biomasse etc. (vgl. ALLEN / HOEKSTRA / O'NEILL 1987, 76 f.). Sie sind also robust auch bei Kriteri-umswechsel48 (vgl. PLATT 1969, 203).

Grenzen können dann besser als Oberflächen bezeichnet werden, wenn sie für mehrere Kriterien robust sind undder Betrachter zunächst die hinter ihnen stattfindende Dynamik nicht wahrnehmen kann, weil sie für ihn undurchsichtig sind (z.B. die Haut für das menschliche Auge). "Auch wenn man Oberflächen als passiv und irrelevant für dynamische Prozesse wahrnehmen könnte, sind O-berflächen Orte, an denen die dynamischen Kräfte, welche die internen Funktionen einer Einheit [entity] dominieren, ihre funktionelle Grenze erreichen." (ALLEN / HOEKSTRA 1992, 26) Bei vielen untersuchten Einheiten (z.B. Organismen oder Wälder) findet daher eine weit größere Dynamik - bezogen auf das jeweils untersuchte Systemverhalten - im Inneren der Einheit statt, als zwischen der Einheit und ihrer Umgebung (vgl. AHL / ALLEN 1996, 155).

Über die Wahrnehmung und Festlegung solcher Grenzen wird also bereits am Anfang einer Unter-suchung festgelegt, was als Ganzheit wahrgenommen und untersucht werden wird. Die Änderung der Kriterien oder die Veränderung der Auflösung der Untersuchung (im Beispiel 'Haut' denkbar als Einsatz von Röntgengeräten oder Miskroskopen) können diese Ganzheiten aber wieder 'durchsich-tig' machen. Die am Anfang einer Untersuchung getroffenen Entscheidungen über Auflösung und Ausdehnung der Untersuchung (zeitlich wie räumlich) nennen Allen et al. das 'Beobachtungssetting' [observation set], dessen man sich möglichst genau bewußt sein sollte (vgl. ALLEN / HOEKSTRA / O'NEILL ebd., 65 f.)

Diese theoretischen Überlegungen sind besonders für die Landschaftsökologie relevant. In Ab-schnitt 2.4 wurde erwähnt, daß landschaftsökologische Definitionen von Landschaft sich oft auf das 'Muster' [pattern] beziehen, das verschiedene Landschaftselemente bilden. Diese Muster sind am besten auf Luftbildern und Karten zu erkennen und werden zunächst visuell wahrgenommen.

48 Wahrscheinlich allerdings nicht für alle Kriterien.

Ökologische Hierarchie-Theorie

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Diese visuelle Wahrnehmung beruht auf der Wahrnehmung von Grenzen. Um eine Verbindung die-ser Wahrnehmung zu anderen ökologischen Kriterien und Phänomenen herzustellen, kann unter-sucht werden, was visuell wahrgenommene Grenzen für verschiedene Kriterien bedeuten. Eine Reihe neuerer Veröffentlichungen in der Landschaftsökologie befaßt sich mit diesem Thema (vgl. z.B. HANSEN / DI CASTRI 1992, darin zum ersten Überblick FORMAN / MOORE 1992). Christine Schonewald-Cox und Jonathan Bayless haben bereits 1986 ein auf der Untersuchung von Grenz-typen und -gestalten und damit zusammenhängenden Auswirkungen beruhendes Konzept zur Ges-taltung von Schutzgebieten skizziert (vgl. SCHONEWALD-COX / BAYLESS 1986).

3.7 Das Hierarchie-Modell der Hierarchie-Theorie

Mit dem bis hier dargestellten Set an Begriffen und Konzepten läßt sich jetzt sagen, worin sich öko-logische Hierarchie-Theorie von der Suche nach der 'wahren ökologischen Hierarchie' unterschei-det: Es wird kein Modell entworfen, in dem bestimmte ökologische Einheiten auf bestimmten Stu-fen stehen. Stattdessen bieten Allen et al. eine Denkmethode an, um sich Zusammenhänge zwi-schen Holons auf verschiedenen Leveln klarzumachen. Dabei liegt die Definition aller verwendeten Teile des Modells beim Betrachter: Er sucht die Kriterien, definiert Einheiten bzw. Holons, wählt den Maßstab etc. Eindeutig beschrieben ist dagegen, wie diese Definitionen zu erfolgen haben, um den formalen Standards der Hierarchie-Theorie zu genügen.

Die dabei enstehende Grundstruktur hat O'Neill mit dem Ausdruck 'Triadic Structure' charakterisiert (vgl. O'NEILL 1989, 144): Die Ordnung der Level erfolgt durch die Frequenz der berücksichtigten Prozesse [process rates] (siehe S. 52 f.), schnellere Frequenzen gehören zu unteren Leveln, lang-samere zu höheren (vgl. ebd., 143).

Es gibt den 'fokalen Level', d.h. denjenigen, auf dem der Betrachter seine Untersuchung beginnt. Das kann z.B. die Lebensgemeinschaft (im Sinne der Anzahl und Verteilung der Arten auf dem Standort) auf einer Offenfläche in der Döberitzer Heide sein. Auf unteren Leveln finden Mechanis-men statt, die bestimmte (nicht alle) Eigenschaften des fokalen Levels erklären, im Beispiel u.a. physiologische Eingeschaften der einzelnen Pflanzen, die mit schnelleren Frequenzen verbunden sind als Veränderungen der ganzen Lebensgemeinschaft.

Höhere Level üben constraints aus. "Das übergeordnete Holon schränkt die möglichen Zustände der untergeordneten Ebene ein. Mikroskopische Prozesse werden durch einen makroskopischen Level koordiniert, z.B. im Sinne der Vorgabe von Randbedingungen." (BRECKLING et al. 1997, 115) Im Beispiel wären das u.a. die Topographie oder das Klima, aber auch menschliche Einflüsse wie die Militärnutzung.

Abb. 3.6: Schematische Darstellung der 'Triadic Structure'. Aus: BRECKLING et al. 1997, 115

Ökologische Hierarchie-Theorie

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3.8 Von den 'konventionellen Kriterien' zu einer 'vereinten Ökologie'

Die in den bisherigen Abschnitten geschilderten einzelnen Elemente, mit denen in der ökologischen Hierarchie-Theorie komplexe Probleme bearbeitet werden und auch das Modell der 'Triadic Struc-ture' können 'pur' sehr abstrakt wirken, besonders, wenn man weniger an ökologischer Theorie an sich als an ihrer Anwendung, z.B. im Naturschutz oder in der Landschaftsplanung, interessiert ist. Als Abschluß dieses Kapitels will ich auf das Verhältnis des hier Vorgestellten zu anderen Berei-chen der Ökologie und zu praktischen Anwendungen eingehen, vor allem anhand des Buches 'To-ward a unified ecology' (1992) von T.F.H. Allen und Thomas W. Hoekstra. Das Buch stellt eine Brücke zwischen theoretischen Thesen und ihrer Anwendung dar und geht auch auf ökologische Management-Probleme ein. Es bildet für mich daher eine Basis, von der aus Elemente der Hierar-chie-Theorie an die Landschaftsplanung herangeführt werden können.

Der in 'Toward a unified ecology' verfolgte Ansatz baut zunächst auf den schon vorgestellten Ele-menten der Hierarchie-Theorie auf, die unter der Überschrift 'Die Prinzipien ökologischer Integrati-on' zusammengefaßt werden. Im Prinzip gibt es in der von Allen et al. vertretenen theoretischen Richtung keine ökologischen Begriffe oder Konzepte, die 'wahrer' oder 'wirklicher' sind als bereits existierende andere oder Neuentwicklungen (siehe S. 43 ff.). Da es ihnen aber nicht primär um die Entwicklung eines völlig neuen Vokabulars geht, nehmen Allen und Hoekstra die Stufen der 'Leiter des Lebens' als Ausgangspunkt, auch weil sich verschiedene Schulen der Ökologie an einzelnen Stufen orientieren (Populationsökologie, Pflanzensoziologie (Stufe 'Gemeinschaft'), Landschafts-ökologie etc.) (vgl. ALLEN / HOEKSTRA 1992, 7).

Abb. 3.7: Acht ökologische Level als aufwärts führende 'Stufenleiter' dargestellt. Aus: ALLEN / HOESKTRA 1990, 7

Allerdings wird diese Hierarchie nur als Ausgangspunkt verwendet. Speziell die in diese Hierarchie oft hineininterpretierte Reihenfolge vom kleinen ins große (Zelle --> Biosphäre) wird nur als in Spe-zialfällen gültig angesehen. Große Tiere wie z.B. Elefanten oder Wale (Stufe: Organismus) können weitaus größer sein als ganze Populationen von Würmern, eine einzige Zelle kann zur Umwelt ei-ner in sie eindringenden Bakterienpopulation werden (vgl. ebd, 4 und AHL / ALLEN 1996, 78 oder auch SALTHE 1985, 173). In die Hierarchie eine Größenzunahme hineinzuinterpretieren, bedeutet, Organisations- bzw. definierte Level mit beobachteten Leveln durcheinanderzubringen (vgl. AHL / ALLEN 1996, 81 ff.). Diese Unterscheidung ist zentral für das Ökologie-Konzept der Autoren bzw. für ihre ökologische Hierarchie-Theorie: Beobachtete Level sind mit einem Maßstab verbunden, mit dem die Beobachtungen geordnet werden können, während Organisations-Level vorab nach

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Definitionen geordnet werden und keine Stufenfolge im Sinne einer maßstabsbezogenen Ordnung darstellen.

Unklarheiten, die durch die Verwechslung dieser gänzlich unterschiedlichen Arten, das Studienma-terial zu organisieren, entstehen, aufzuklären (vgl. dazu auch ALLEN / HOEKSTRA 1990) und eine konzeptionelle Verbindung verschiedener definierter Level unter Berücksichtigung des Aspekts 'Maßstab' [scale] herzustellen ist das Ziel von 'Toward a unified ecology'. Die Level der konventio-nellen Hierarchie werden als 'Kriterien' bezeichnet und einzeln betrachtet: Kriterium 'Landschaft', 'Ökosystem', 'Lebensgemeinschaft', 'Organismus', 'Population' und 'Biom und Biosphäre' (im Buch aus Gründen der Argumentation in dieser Reihenfolge). Als Modell der möglichen Zusammenhänge dieser Kriterien wird das 'Schichttorten-Modell' für ökologische Systeme benutzt. "Die Schichten werden nicht nach der ungefähren Größe repäsentativer Organismen, Populationen oder Ökosys-teme angeordnet [wie in der konventionellen Hierarchie, ms] sondern aufgrund streng maßstabs-bezogener Kriterien, die auf dem Prinzip der Beschränkung [constraint] aufbauen und bei denen Auflösung [grain] und Reichweite [extent] benutzt werden, um den Maßstab der Beobachtung zu definieren." (ALLEN / HOEKSTRA 1992, 51) In diesem Modell kommen die verschiedenen Kriterien nicht in einer bestimmten Schicht bzw. auf einer bestimmten Stufe vor, sondern in jeder Schicht. Es hängt immer davon ab, mit welchem Kriterium man an welchen Maßstab herangeht. Höhere Level, die langsamere Verhaltensfrequenzen aufweisen oder räumlich größer bzw. dauerhafter sind bilden den Kontext niedrigerer Level (vgl. die Erläuterung des Standpunktes von Allen und Hoekstra in NAVEH / LIEBERMANN 194, S2-9).

Aus der Perspektive der Landschaftsplanung ist von besonderem Interesse, daß 'Landschaft' hier nicht automatisch anderen ökologischen Kriterien übergeordnet und 'Ökosystem' im Sinne von Al-len und Hoekstra kein räumlich zu verortender Begriff [intangible] ist. Stattdessen wird 'Ökosystem' über die Verhaltensarten und -frequenzen [turnover times] der betrachteten Systemkompartimente definiert (vgl. ebd. und ALLEN / HOEKSTRA 1992, 89 ff.). Mit diesem Konzept von 'Landschaft' und 'Ökosystem' befinden sich Allen und Hoekstra in deutlichem Gegensatz zum 'common sense' der Ökologie.

Ökologische Hierarchie-Theorie

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Abb. 3.8: Das Schichttorten-Modell für ökologische Kriterien und ökologische Maßstäbe. Die große Basis versinnbildlicht eine große Anzahl kleiner Entitäten, die schmal zulaufende Spitze eine kleine Anzahl großer Entitäten. Die mittlere Etage repräsentiert die Maßstä-be eines mittleren Levels. In der Abbildung ist nur eine Zwischenetage eingezeichnet, aber es könnten eine beliebige Anzahl, jede auf ihrem eigenen Maßstabs-Level, eingefügt werden. Jeder Buchstabe steht für ein ökologisches Kriterium: O = Organismus; P = Popula-tion; C = Lebensgemeinschaft [community]; E = Ökosystem [ecosystem]; L = Landschaft; B = Biom. Die sechs Scheiben mit den Buch-staben zeigen an, wo die abstrakten, maßstabsunabhängigen Kriterien sich mit einem Maßstab überschneiden und einen auf dieser Stufe gegebenen Weg ergeben, eine ökologische Entität / einen ökologischen Sachverhalt zu identifizieren. Für sich repräsentieren die Säulen ein Kriterium, mit dem man das materielle System betrachten kann, z.B. die abstrakte Idee der Lebensgemeinschaft. Die C-Scheibe ist eine tatsächliche Gemeinschaft auf einem bestimmten Maßstab. In der C-Säule erscheinen kontextgebende Gemeinschaf-ten eines größeren Maßstabs über dieser Gemeinschaft während Gemeinschafts-Subsysteme eines kleineren Maßstabs weiter unten erscheinen. Der Lebensgemeinschafts-Kontext eines Organismus wäre eine C-Scheibe diagonal über einer bestimmten O-Scheibe; das Ökosystem 'Magen einer Kuh' wäre eine E-Scheibe diagonal unter der O-Scheibe, die für die Kuh steht. Abbildung entnommen und Text übersetzt und leicht verändert aus: ALLEN / HOEKSTRA 1992, 53)

Ökologische Hierarchie-Theorie

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Im 'Schichttortenmodell' wird konsequent für alle ökologischen Kriterien postuliert, was im Zusam-menhang mit der Beschäftigung mit Maßstäben von anderen Ökologen bereits für einzelne Krite-rien hervorgehoben wurde: Es gibt keinen allein gültigen Maßstab für bestimmte ökologische Kon-zepte. Abb. 3.9 zeigt ein Beispiel zum Kriterium 'Lebensgemeinschaft' aus BEGON / HARPER / TOWNSEND 1991.

Abb. 3.9: Eine Hierarchie ineinander geschachtelter Habitate auf unterschiedlichen Maßstäben. Aus: BEGON / HARPER / TOWNSEND 1991, 681

Aus Allens und Hoekstras Modell wird deutlich, wie mit Hilfe der in den ersten Abschnitten dieses Kapitels vorgestellten Begrifflichkeiten (Hierarchien, Levels, Entitäten, Einschränkungen / Begren-zungen [constraints], Maßstäbe etc.) eine Vereinheitlichung der Ökologie erreicht werden soll: Die Vereinheitlichung besteht nicht darin, die bestehenden Strukturen der Disziplin völlig abzuschaffen oder die Ergebnisse der verschiedenen Schulen für ungültig zu erklären. Vielmehr soll es möglich gemacht werden, die vielen verschiedenen Erkenntnisse miteinander durch eine 'vereinheitlichende' Konzeption in Verbindung zu bringen.

Im ersten Kapitel habe ich die Aufgabe der Landschaftsplanung erwähnt, Informationen verschie-dener ökologischer Ebenen auszuwerten und womöglich in Konzepten und Plänen zusammenzu-führen, die sich auch bei der Konzepterstellung für die Döberitzer Heide stellt. Mit dem bis hierher geschilderten Vokabular läßt sich das dabei auftretende Problem jetzt genauer formulieren: Land-schaftsplanung muß mit Informationen umgehen, mit denen die jeweiligen ökologischen Systeme sowohl nach unterschiedlichen Kriterien bzw. definierten Leveln als auch in verschiedenen Maßstä-ben bzw. beobachteten Leveln beschrieben werden.

Mit dem Koordinatensystem aus Kriterien (Definitionen) und Maßstäben kann an verschiedene Be-reiche der Ökologie herangegangen werden. Wie nach ihrem Verständnis in diesen verschiedenen Bereichen ökologischer Forschung und Praxis die jeweilige Konstellation von Kriterien und Maß-stäben beschaffen ist, stellen Allen und Hoekstra im folgenden Schaubild dar.

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Anzahl der Kriterien

1 Viele

1 (ein vorgeschrie-bener Maßstab)

Restaurations ökologie49

Ressourcen Management

(den Maßstab 'schweben' las-sen, bis er paßt

Grundlagen- forschung

NEUE THEORIE

Abb. 3.10: (Umwelt)Manager müssen vielfältige Kriterien benutzen und sind dazu gezwungen, sich an den Maßstab der zu managen-den Einheit (des zu verwaltenden Gebiets) zu halten. Restaurations-Ökologen haben einen festgelegten Maßstab, indem sie an einer bestimmten Wiederherstellung nach einem bestimmten Kriterium arbeiten. Grundlagenforscher benutzen ein Kriterium, aber experimen-tieren mit dem Maßstab, bis er ihnen paßt. Neue Theorie wird gebraucht, um Kriterien zu verbinden ohne an einen bestimmten Maß-stab gefesselt zu sein. Tabelle und Text übersetzt und leicht verändert aus: ALLEN / HOEKSTRA 1992, 283

Auch hier liegt der Versuch der Vereinheitlichung nicht in neuen Definitionen, sondern in dem Ent-wurf einer Struktur, die es ermöglicht, die Unterschiede zwischen verschiedenen Bereichen der Disziplin benennbar zu machen.

Eine ganze Reihe von Argumenten, die in ökologischen Hierarchietheorien entfaltet werden - ich habe mich hier vor allem auf die Publikationen von Allen et al. bezogen - sprechen dafür, daß es aus prinzipiellen Gründen nicht möglich ist, Ökologie zu einer 'harten' Wissenschaft zu machen, als deren Idealtyp wohl die Physik angesehen werden kann50: Ökologie hat es mit Systemen mittlerer Teilchen-Zahlen [middle-number-systems] zu tun. Sie beinhaltet verschiedene Perspektiven, die sich durch die verwendeten Kriterien und / oder die untersuchten Maßstäbe voneinander unter-scheiden. Insgesamt befaßt sie sich, wenn man die genannten Argumente nachvollziehen kann, mit einem relativ 'weichen' Untersuchungsbereich (vgl. ebd., 308).

Diese Analyse gilt gerade auch für die ökologischen Aufgabenstellungen der Landschaftsplanung. Sie beinhalten wie eben dargestellt, verschiedene Kriterien und Maßstäbe. Darüber hinaus muß Landschaftsplanung sich nicht 'nur' zwischen diesen verschiedenen Kriterien und Maßstäben zu-rechtfinden, auch die unterschiedlichen Werthaltungen und Erwartungen, die es bei der Konzepti-onsfindung zu berücksichtigen gilt, sorgen für 'Durcheinander'.

49 Restaurationsökologie ist die in der deutschen Übersetzung von BEGON / HARPER / TOWNSEND 1990, 671

ff. benutzte Übersetzung des von Allen und Hoekstra benutzten Begriffs 'Restoration Ecology'. Gemeint ist in etwa 'Renaturierung' innerhalb des Spektrums von 'Restauration' über 'Rehabilitation' bis 'Erset-zung'. Ökologische Forschung wird dazu benutzt, an einem gegebenen Ort, meist vorher als Acker, Wei-de, Bodenabbaufläche etc. genutzt, "jene Pflanzen und Tiere wiederanzusiedeln, die als natürliche Be-wohner des betroffenen Gebietes betrachtet werden" (ebd., 672). Ähnlich wie im Konzept der potentiell natürlichen Vegetation (pnV) ist hier eine Differenzierung des Begriffs 'natürlich' nötig (vgl. ebd.). Ein ers-tes berühmtes Beispiel für Forschung in diese Richtung war der Aufbau des Arboretums der Universität Wisconsin durch Aldo Leopold. Einen Überblick über Geschichte und Wissenstyp der Restoration Eco-logy geben JORDAN / GILPIN / ABER 1987.

50 Einmal außer Acht gelassen, daß es im Rahmen der hier vorgestellten Standpunkte 'harte' Wissenschaft-lichkeit im Sinne von 'unumstößlicher Objektivität' ohnehin nicht geben kann.

Maßstab

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Eine Methode für das Durcheinander

Durcheinander [mess] ist ein Ausdruck, den Allen und Hoekstra von dem Chemiker, Betriebsbera-ter und Professor für Systemwissenschaften Peter Checkland übernehmen. "'Durcheinander' ist hier ein technischer Ausdruck, der eine Situation in einer Weise formuliert, die einander widerspre-chende Interessen zur Kenntnis nimmt. Nutzungsanforderungen verschiedener Parteien in einem verwalteten Gebiet sind ein Durcheinander51, genauso wie es eine Frage der Grundlagenforschung wäre, die verschiedene Subdisziplinen [der Ökologie, ms] mischt." (ALLEN / HOEKSTRA 1992, 309) Die Autoren bringen als Beispiel für ein 'Durcheinander' die der US-amerikanischen Forstverwal-tung (USDA Forest Service) vom Gesetzgeber übertragene Aufgabe, 'die biologische Vielfalt auf-rechtzuerhalten' (vgl. ebd., 314), was auch ein Teil der in Paragraph 1 des bundesdeutschen Natur-schutzgesetzes formulierten Aufgaben der Landschaftsplanung ist. "Das Problem ist, daß die 'Auf-rechterhaltung der biologischen Vielfalt' eine undefinierte Aktion ist, die einer Vielzahl von Sichtwei-sen Raum läßt, von denen jede ihre eigene Agenda besitzt." (ebd., 314)

Für Situationen, die sich dem Bearbeiter als Durcheinander präsentieren, hat Checkland eine Me-thode entworfen, die er als 'Soft Systems Methodology' bezeichnet (vgl. CHECKLAND 1981 und

Checkland / Scholes 1991). Die Arbeitsschritte sind dabei:

1. Wahrnehmung eines Problems, das möglicherweise noch nicht genau ausgedrückt werden kann.

2. Selbst soviele Perspektiven wie möglich auf das untersuchte System entwerfen, 'ein detail-reiches Bild malen'.

3. Das Bild wieder einengen, indem die 'Grunddefinitionen' [root definitions] gefunden werden. Hier kommt die sog. CATWOE-Prozedur zur Anwendung (siehe unten).In diesem Stadium werden Abstraktionen zur Beschreibung des Systems entwickelt.

4. Eines oder mehrere Modelle auf der Basis von Schritt 3 entwerfen.

5. Sich vom Modell wieder der beobachtbaren Welt zuwenden und das Modell mit dem verglei-chen, was passiert.

6. Machbare und / oder erwünschte Veränderungen des Systems identifizieren.

7. Die Durchführung von Veränderungen (bzw. der Beginn der Maßnahmen, die zu Verände-rungen führen sollen).

8. Den Blick noch einmal so weit wie möglich machen; Evaluation - hat es funktioniert?

(vgl. ALLEN / HOEKSTRA 1992, 308 ff.)

"Wir müssen betonen, daß dies keine festgelegte Reihenfolge ist, weil man von einer Stufe zur anderen springen und Veränderungen, die für einen passen, vornehmen kann.52" (ebd., 314) Der entscheidende Punkt in diesem Ablaufvorschlag zur Bearbeitung von Durcheinander ist der dritte Schritt, in dem das detailreiche Bild der zweiten Stufe zu einem in den nächsten Schritten bearbeit-baren Modell eingeengt werden soll. Dazu müssen die 'Grunddefinitionen' [root definitions] gefun-den werden. An dieser Stelle spielt u.a. die aus der Hierarchie-Theorie kommende Unterscheidung von definierten Kriterien und beobachteten Phänomenen in einem bestimmten Maßstab eine Rolle. Checkland hat für diesen Teil des Prozesses einen Arbeitsschritt entwickelt, den er als CATWOE-Prozedur bezeichnet. Dabei bedeuten die Buchstaben folgendes:

C [client] - ist der Klient des Systems und der Analyse; das kann auch jemand sein, für den das System gerade nicht arbeitet oder der darunter sogar leidet.

51 "Multiple use in a managed unit is a mess..." 52 "..., for one can jump from stage to stage, modifying as appropriate...."

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A [actor] - bezieht sich auf den Akteur / die Akteure im System; in ökologischen Systemen kann das z.B. ein Wald sein.

T [trans-

formation] - Was tut das System, was sind wichtige Veränderungen im Ablauf?

W [weltanschau-

ung]53 - meint die implizite Weltanschauung, die den Beobachter dazu bringt, das System auf eine bestimmte Weise zu betrachten bzw. zu untersuchen

O [owner] - Besitzer des System, 'Wer kann den Stecker rausziehen?'; in ökologischen Syste-men - im Gegensatz zu sozialen - kurzfristig meist nicht vorhanden, längerfristig z.B. Klimaveränderungen (Eiszeiten, Erwärmung etc.).

E [envi-

ronment] - Umwelt des Systems; alles, was länger existiert oder sich langsamer bewegt, bildet den Kontext des Systems.

(vgl. ebd., 311 ff.)

"Checklands Genie lag darin, die Systemeigenschaften zu identifizieren, die Maßstab und Struktur mit Phänomenen verbinden, und zwar gerade nicht in einem akkuraten intellektuellen Schema wie dem unsrigen, sondern in Form einer arbeitsfähigen Problemlösungsmaschine." (ebd., 311)

Es kann für ein betrachtetes Durcheinander mehrere CATWOEs geben, in den meisten Fällen soll-te es das sogar. Im Beispiel 'Erhaltung der biologischen Vielfalt' gibt es - hat man den ersten Schritt hinter sich und also erkannt, daß es auf eine noch näher zu bestimmende Weise ein Prob-lem bzw. etwas zu tun gibt - im detailreichen Bild des Systems soviele Perspektiven, daß diese nicht auf ein Modell verengt werden können. Die Perspektiven von Jägern, Förstern, Erholungsu-chenden oder Naturschützern (die wiederum z.B. nach ihrem Interesse an bestimmten Arten diffe-renziert werden könnten) verfügen über jeweils eigene Grunddefinitionen. Selbstverständlich kön-nen Interessenkonflikte so nur offengelegt und nicht 'automatisch' ausgeräumt werden, aber die ihnen zugrundeliegenden Perspektiven lassen sich wenigstens klar strukturiert nebeneinander stel-len. "Rhetorische oder verborgene Vorgehensweisen [rhetoric or hidden agendas] können aufge-deckt und die unter ihnen, die unaufrichtig sind, zurückgewiesen werden." (ebd., 315)

Mit dem 'Schichttortenmodell' ökologischer Systeme und der von Checkland übernommenen Me-thode für das Zurechtkommen im Durcheinander stellen Allen und Hoekstra zwei erste Elemente eines 'Werkzeugkastens' vor, mit dem theoretische Überlegungen aus ökologischen Systemtheo-rien für (planungs)praktische Probleme genutzt werden können. Während das Modell ökologischer Systeme direkt aus diesen Überlegungen entwickelt ist und genau zu seinen Begrifflichkeiten paßt, ist Checklands Methode eine für sich stehende und ursprünglich nicht für ökologische Probleme gedachte Entwicklung. Sie bietet an mehreren Stellen Möglichkeiten, die in früheren Abschnitten dargestellten Begriffe und Definitionen einzusetzen, um ein möglichst genaues und transparentes Systemmodell zu erzeugen.

53 Im amerikanischen Original wird der deutsche Ausdruck benutzt.

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