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Die Wiener und die französische Paukenschule im Vergleich VERSION OKT. 2003 Amélie Kruse-Regnard INSTRUMENTAL- UND GESANGSPÄDAGOGIK * DIPLOMARBEIT * AMÉLIE KRUSE-REGNARD * LINZ * 2003

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Wiener Paukenschule im Vergleich mit französischer Paukenschule

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Die Wiener und die französische Paukenschule im Vergleich

VERSION OKT. 2003

Amélie Kruse-Regnard

INSTRUMENTAL- UND GESANGSPÄDAGOGIK * DIPLOMARBEIT * AMÉLIE KRUSE-REGNARD * LINZ * 2003

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Im Vordergrund Hans Schnellar um die Jahrhundertwende Im Hintergrund vielleicht Heinrich Knauer? Foto: Privatbesitz Kurt Prihoda

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Die Wiener und die französische Paukenschule im Vergleich

Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................................................. 4 1 Die Wiener Paukenschule

1.1 Richard Hochrainer, die Gründerfigur ................................................................ 5 (a) Leben (b) Schüler (c) Werke

1.2 Grundzüge der Technik und Klangvorstellung ...................................................... 7

(a) „Die Qualität des Schlages ist das Wichtigste“

(b) „Die Hand gehört nicht auf das Fell“ und „der gute Geschmack“ (c) Tempo und Rhythmus (d) „Ein Tier schlägt man nicht auf den Bauch“

(e) Die Kraft im Fortissimo-Wirbel (f) Töne ausbessern?

1.3 Die Schlägel ....................................................................................................... 11

(a) Der Flanellschlägel (b) Der Holzschlägel (c) Der Hartfilzschlägel (d) Die Stiele

1.4 Die Wiener Pauke mit Handhebelsystem............................................................ 12

(a) Der Erfinder: Hans Schnellar (b) Beschreibung (c) Klanganalyse

1.5 Pädagogische Literatur.................................................................................. 18

2 Zwei Vertreter der Wiener Paukenschule heute Interviews mit:

2.1 Gerald Fromme, Radio Symphonie Orchester Wien............................................ 19 2.2 Michael Vladar, Wiener Symphoniker ................................................................ 22

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3 Blick über die Berge: das französische Paukenspiel

3.1 Die Gründerfiguren ............................................................................................. 25 (a) Félix Passerone (b) Jacques Delécluse (c) François Dupin

3.2 Grundzüge der Technik und Klangvorstellung .................................................... 27 (a) Der Schlag (b) Schlägelhaltung und Gestik (c) Der Wirbel (d) Melodische Pauken? (e) Die Instrumente (f) Die Schlägel 3.3 Pädagogische Literatur ......................................................................................... 32

4 Ein prominenter Vertreter der französischen Paukenschule heute Interview mit: Didier Benetti, Orchestre National de France ............................................................. 33

Zusammenfassung ........................................................................................................... 37 Quellenverzeichnis .......................................................................................................... 38 Einige Adressen .................................................................................................................. 39

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VORWORT

In der Gruppe der europäischen Schlaginstrumente ist die Kesselpauke ein Instrument mit sehr langer Tradition. Schon im 15. Jahrhundert verbreitete sich die „hohe Kunst des Paukenschlagens“ von Ungarn und Polen aus in ganz Westeuropa.1 Bis heute gibt es in den verschiedenen europäischen Ländern verschiedene Paukenschulen: verschiedene Schulen vor allem hinsichtlich der Technik (Schlägelhaltung, Schlag...), aber auch hinsichtlich der Ästhetik des Paukenklanges (erstrebter Klang, Klangstil). Daraus resultieren, sowohl akustisch als auch visuell, verschiedene Paukenstile.

In dieser Arbeit soll es weniger um einen weit zurückgehenden geschichtlichen Rückblick als

um unsere heutige Praxis gehen. Die verschiedenen Spieltechniken haben sich erst durch die Etablierung der Musikschulen und Musikuniversitäten in den letzten fünfzig Jahren verbreitet.

Was versteht man heute unter „Wiener Paukenschule“ oder „Timbales françaises“? Wer waren ihre Gründerfiguren? Was haben sie über Paukentechnik und Klang gedacht? Welche Rolle spielten dabei die Instrumente und Felle? Eine Frage im Rahmen einer pädagogischen Ausbildung ist natürlich immer auch: Was sollen wir unterrichten? Wie begründen wir unsere Ratschläge? Was sind die Vorteile und Nachteile der jeweiligen Technik? Kann ich dadurch neue Möglichkeiten meines Instrumentes entdecken?

Über die verschiedenen Spielweisen der Pauke gibt es wenig schriftliche Quellen. Daher habe ich mit einigen prominenten Vertretern der Paukenkunst Interviews geführt und sie um ihre Meinung gebeten. Dabei habe ich versucht, sowohl die allgemeine Merkmale der jeweiligen Tradition dingfest zu machen als auch die einzelnen Musiker als individuelle Künstlerpersönlichkeiten sprechen zu lassen. Denn obwohl man „Schule“ mit Institutionen, Gebäuden und Büchern verbindet, besteht auch eine „Instrumentalschule“ eigentlich aus Menschen: Musiker und Lehrer, die man bewundert, beobachtet, nachahmt und vielleicht gesunderweise auch bekämpft.

Ist in einer globalisierten Klassikwelt, wo Berufsmusiker immer mehr zur geographischen Mobilität gezwungen sind, wo die verschiedenen Orchesterklänge durch das Zerstückelungswerk der modernen Aufnahmetechnik zum perfekten Einheitsbrei verschmolzen werden, noch Platz für Lokalkolorit? Oder ist das nur mehr der Volksmusik vorbehalten? Können verschiedene Paukenstile gleichberechtigt nebeneinander bestehen oder gibt es eine „gute“ und eine „schlechtere“ Spielweise der Pauke? Vergleiche anzustellen ist immer eine heikle Angelegenheit: Entweder man sammelt Informationen, um zu bewerten: „So ist es richtig, so ist es besser“ oder man läuft, alles gleichermaßen tolerierend, Gefahr zu nivellieren: „Es ist alles dasselbe“. Die Herausforderung scheint mir, einen Mittelweg zu beschreiten: Ähnlichkeiten feststellen, Unterschiede bestehen lassen und schließlich selbst ausprobieren und bewusste Entscheidungen treffen. Denn über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten!

Ganz besonders danken möchte ich meinen Interview-Partnern für ihr Engagement und ihre

Bereitschaft, mir ihre Zeit und ihr Wissen zur Verfügung zu stellen, meinem Lehrer Prof. Leonhard Schmidinger danke ich für die Idee zu dieser Arbeit und für seine fachkundige Offenheit, Herrn Prof. Kurt Prihoda danke ich dafür, dass er mir historische Fotos anvertraute, Herrn Prof. Wolfgang Schuster danke ich für hilfreiche Auskünfte über Wiener Pauken und Felicitas Kruse, für das Fotografieren der Wiener Pauker Gerald Fromme und Michael Vladar.

Amélie Kruse-Regnard

1 H. Tobischek, Die Pauke, Tutzing, 1977, S.20-22

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1 Die Wiener Paukenschule

1.1 Richard Hochrainer, die Gründerfigur

(a) Leben2

Richard Hochrainer, der „Gralshüter der Wiener Tradition und Erzieher einer

ganzen Generation von Schlagwerkern“3, wurde am 26. September 1904 in Wien geboren. Er war der Sohn eines Schuldirektors und maturierte 1926 an der Lehrerbildungsanstalt in Wien. Er besuchte die Musikakademie und lernte bei Prof. Hans Schnellar und bei Prof. Gärtner.

Er spielte zunächst in verschiedenen Orchesterformationen Konzerte, Opern, Operetten, Werke für Salonorchester und Jazz, in Österreich, aber auch in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich. 1938 wurde er Pauker am Opernhaus der Stadt Wien. Am 1. März 1940 wurde er an der Staatsoper Wien als Pauker engagiert und am 1. September 1940 Mitglied der Wiener Philharmoniker. In dieser Position spielte er unter den bedeutendsten Dirigenten: unter Bruno Walter, Richard Strauss, H. Knappertsbusch, Klemens Krauß, Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm, Herbert von Karajan, Georg Solti, Leonhard Bernstein und viele anderen.

Am 1. Dezember 1944 wurde er als Soldat eingezogen und war bis Oktober 1945 in russischer Gefangenschaft.

Auf Drängen eines dänischen Kollegen (Ritz-Andersen) arbeitete er an einer Verbesserung der Pauke von Prof. Schnellar und lässt 1952 die ersten „Hochrainer-Pauken“ bauen. Bis 1976 waren es 53 Paar Pauken, die unter seiner Obhut hergestellt wurden. Ab 1955 beschäftigt er sich intensiv mit dem Instrumentenbau und lässt auch zehn kleine Trommeln, zwölf Glockenspiele, zweihundert Triangeln und ein elektronisches Stimmgerät bauen.

Von 1960 bis September 1983 unterrichtet er an der Hochschule für Musik in Wien. Im Jahr 1970 wird er von der Wiener Staatsoper und den Wiener Philharmonikern pensioniert und 1979 erhält er den „Hall of Fame-Award“ von der Percussive Arts Society.

Am 3. Mai 1986 stirbt Richard Hochrainer an den Folgen einer schweren Herz- und Lungenerkrankung.

(b) Schüler

Viele Schüler von Richard Hochrainer wurden in große Orchester engagiert: Wiener Philharmoniker und Staatsopernorchester: Prihoda, Schmidinger, Altmann, Zamazal. Bühnenorchester: Veigl, Henkes, Seidl. Volksoper: Pigisch, Rot, Spitzer, Reithofer, Hengst. Theater an der Wien: Svec, Schabata. Wiener Symphoniker: Wetzer.

2 Die meisten Informationen stammen aus dem von R. Hochrainer selbst verfassten Lebenslauf, Privatbesitz M.Vladar 3 Kurt Prihoda, Die Wiener Schlagwerkschule, in: Das Orchester 1979

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Tonkünstler: Wimmer, Bjelik, Kossich, Schiefer. ORF-Orchester (heute Radio Symphonie Orchester) Fromme, Mühlhofer, Otsuka, Krasser. Grazer Opernhaus (heute Grazer Philharmonisches Orchester) Ithaler, Meth. Linzer Landestheater (heute Bruckner-Orchester) Gschwandtner, Hundstorfer. Flensburg: Bieber, Offelder. Duisburg: Witzel. (c) Werke Hochrainer schrieb einige pädagogische Lehrbücher und zahlreiche Fachartikel. Pädagogische Literatur: „Wiener Schlagwerkschule“ – Verlag Doblinger Etüden für Timpani I, 1950 Etüden für Timpani II, 1954 Etüden für Timpani III, 1983 Übungen für die kleine Trommel, 1951 Duette für Trommler, 1974 Cinellen, große Trommel und anderes, 1975 Trommlerspiele, 1977 Fachartikel: Der Pauker In: Das Orchester, Schott Mainz, Juni 1967 Engl.: Percussive Arts Society, USA, Mch 1968 Der Schlag In: Das Orchester, Schott Mainz, Sept. 1968 Engl.: The Instrumentalist, USA, Feb. 1972 Engl.: Percussionist, USA, Winter 1979 Ein vollklingender Beckenschlag In: Zildjan, Boston USA 1969 Engl.: PAS März 1970 Timpani bei Beethoven In: Das Orchester, Schott Mainz, Juli 1970 Der Orchesterstimmer In: Das Orchester, Schott Mainz, Sept. 1970 Reaktionen zum Artikel in: Das Orchester, Jan. 1971 Keine Angst vor dem kleinen Trommelwirbel In: NNN, Stelzhammer, 1971 Etwas zum Thema Vorschläge In: Das Orchester, Schott Mainz, Feb. 1972 Rechts oder Links - „Das ist die Frage“ In: Das Orchester, Schott Mainz, Dez. 1973 Der Orchesterklang In: Das Orchester, Schott Mainz, Juni 1974 The Waterdrops

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In: PAS, USA Sommer 1974 A remarkable man round the world In: PAS, Herbst 1974 Drum talk from Vienna In: PAS, Sommer 1975 Die Cassa In: Das Orchester, Schott Mainz, September 1977 The viennese Timpani and Percussion School In: PAS, Winter 1980 1.2 Grundzüge der Technik und Klangvorstellung

Unübersehbar hatte Richard Hochrainer eine Vorliebe für Wortspiele und markante Sprüche. Seine Lehrbücher sind durchsetzt von kleinen Merksätzen und Definitionen und auch im Gespräch mit seinen Schülern fällt auf, wie zentral und prägend diese Sprüche sind. Also habe ich den folgenden Abschnitt über die Grundzüge der Wiener Paukenschule entlang solcher Merksätze (aus den „Etüden für Timpani“ Band I & II und aus den Interviews) aufgebaut. (a) „Auf den Schlag kommt es an“4

Ein Grundsatz der Wiener Schlagwerkschule ist die Qualität des einzelnen Schlages. Die Pauken sollen „timp“ und nicht „pauk“ klingen. Wie erzeugt man nun einen solchen wohlklingenden Schlag? Und wovon hängt die Qualität eines Schlages ab? Ist es Klopfen? Hinhauen? Hämmern? Stoßen? Werfen? Drücken? Stampfen? Schleudern? Fallen lassen? Für Hochrainer sind dies alles verwandte Tätigkeiten, doch kein echtes Schlagen! Seine Definition lautet: „Schlagen ist: ausholen, beschleunigen, loslassen“5 Ausholen, damit Arm und Hand beschleunigen können. Beschleunigen, damit die kleine Masse des Schlägels durch einen starken Impuls das Instrument zum Schwingen bringt. Loslassen nach dem Schlag – das Wichtigste! –, damit die ersten Schwingungen des Felles nicht behindert werden.

Angeregt durch das Beispiel des Klavierhammers hat Hochrainer zwei Haltungen beschrieben, um den Rückschlag des Schlägels auf keinen Fall zu behindern: die Piano- und die Forte-Haltung. „Beim Pianospiel werden die Schlägel zwischen dem Daumen und der ersten Beuge (Gelenk) des Zeigefingers genommen, während dritter und vierter Finger anliegen und spielen (...) für das Spiel im Forte ist es besser, die Bewegungsachse des Schlägels zwischen Daumen und dem letzten Glied des dritten Fingers zu halten, wobei dritter, vierter und fünfter Finger spielen und die Schlägel frei pendeln lassen. Niemals sollten sie zwischen Daumen und zweitem Glied des Zeigefingers gehalten werden, weil da ihre Bewegungsmöglichkeit zu eingeschränkt ist.“ 6

Michael Vladar: „Hochrainer war sicher der Erste, der ganz speziell auf die Haltung des

Schlägels zwischen Mittelfinger und Daumen Wert gelegt und es artikuliert hat. Allerdings gibt es schon eine Radierung von Ferdinand Schmutzer „Die Philharmoniker beim Proben“ 1926 und da sieht man, dass schon Schnellar diese typische Haltung hat. Er hält den Arm sehr hoch oben und hat den Schlägel ganz vorn soe wie es der Hochrainer gewollt hat.“

Gerald Fromme: „Man sollte das Fell nicht am Klang hindern. Wir haben gelernt, dass man mit der Hand den „Rebound“ nie so schnell nachvollziehen kann als das Fell schwingt, daher muss 4 „Etüden für Timpani“, Bd. I zur Etüde Nr. 54 5 „Etüden für Timpani“, Bd. II zur Etüde Nr. 51 6 R. Hochrainer, Artikel „Der Schlag“ in: Das Orchester, September 1968

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man den Schlägel frei lassen, er muss einen ungehinderten Rebound haben. Es ist auch im Forte so, dass man alles aus dem Handgelenk spielt und der Schlägel nicht festgehalten wird.“

Michael Vladar: „Der Rückschlag des Schlägels hängt nicht mit der Form des Schlägels zusammen, jeder Schlägel kommt zurück. Natürlich haben sich hier eine bestimmte Länge und Kopfgröße etabliert. In England sind die Stiele dünner und länger. Die Geschwindigkeit des Rückschlages hängt hauptsächlich vom Haltungspunkt und vom Griff ab.“

Die Bilder in Richard Hochrainers Unterrichtszimmer auf der Musikhochschule: Richard Hochrainer demonstriert die Schlägelhaltung.

Forte-Haltung von unten Forte-Haltung von der Seite

Piano-Haltung von unten Piano-Haltung von der Seite

So nicht! (Das Bild wurde von Hochrainer selbst durchgestrichen!)

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(b) „Die Hand gehört nicht auf das Fell“ und „der gute Geschmack“

Manche meinen, dass Schlaginstrumente oft mit kleineren Werten notiert werden, weil der

Klang nicht länger anhält. Dies kann nicht die Erklärung sein, weil auch Große Trommel, Becken und Triangel oft kurz notiert werden, obwohl sie länger nachklingen. Hochrainer meinte, dass der Notenwert die Art des Schlages anzeigt. „Der Notenwert bezieht sich auf den Schlag“.7

Michael Vladar: „Hochrainer hat immer wieder gepredigt, dass die geschriebenen Notenlängen, sich eher auf den Charakter beziehen und nicht genau eingehalten werden müssen.“

Gerald Fromme: „Wir beziehen den Notenwert auf den Schlag und nicht auf die Klangdauer. Sechzehntel werden anders als Halbenoten artikuliert. Je größer der Notenwert, desto weicher der Anschlag. Wenn ich bei einem Schluss eine Viertelnote habe und das Orchester hält den ganzen Takt die gleiche Harmonie, würde ich nie den Paukenton dämpfen bis die Harmonie zu Ende ist.“

Wie lange also soll der angeschlagene Ton nachklingen? Die erste Regel lautet: „Solange die

Harmonie liegen bleibt bzw. sich nicht ändert“. Wenn das ganze Orchester eine Viertelnote spielt, darf die große Trommel nicht nachklingen. Es muss also manchmal gedämpft werden und zwar „im Takt“ und nicht früher. Die zweite Regel lautet: „nach dem guten Geschmack des Paukers“8. Die Frage ist nur, woraus besteht der „gute Geschmack“?

Gerald Fromme: „Da gilt es sich viel Verschiedenes anzuhören, sich Wissen anzueignen, Interpretationen zu vergleichen, damit man überhaupt in der Lage ist, zu entscheiden, was gut oder was geschmacklos ist.“

(c) „Lerne Tempo halten“9

Das Tempo ist für Richard Hochrainer eine Unterteilung der Zeit während der Rhythmus mit

seinen differenzierten Gewichten eine Frage des musikalischen Raumes ist. So unterscheidet er vier Arten musikalischer Tempi: das stetig gleichbleibende, das schneller werdende und das langsamer werdende, das freie Tempo oder Tempo Rubato.

Für den Musiker gibt es zwei Schwierigkeiten: „das Tempo erfassen“ und das „Tempo halten“. „Man braucht sich ein Thema nur überzeugt vorzusingen und schon ist sein Tempo gegeben. Jedes Werk hat sein Tempo in sich und kann nicht in einem anderen gespielt werden, ohne seinen Charakter zu verlieren. Die italienischen Bezeichnungen beziehen sich nicht auf die exakte Geschwindigkeit sondern sind ein Hinweis auf den Charakters des Musikstückes. So heißt Andante: „Du gehst mit deinem Freund durch den Park spazieren und erzählst ihm etwas“. Maestoso: „Schreite wie ein Kaiser durchs Klassenzimmer“ und Allegro: „Du gehst flott, um zum Unterricht noch rechtzeitig zu kommen!“10

Eine viel schwierigere Kunst ist die des „Tempohaltens“. Die verbreitete Ansicht, dass uns das Gefühl für das stetig gleichbleibende Tempo durch unseren Pulsschlag eingegeben wird, dürfte kaum zutreffen. Kleine Kinder haben trotz ihres jungen Herzens noch kein Gefühl dafür, ein Schüler muss es erst lernen: durch Gehen, Wandern, Musizieren und durch Zählen. Das Metronom ist eine große Hilfe, um das Tempogefühl zu schulen, für eine künstlerische Wiedergabe ist es jedoch unbrauchbar, weil dieses „Produkt der Technik nicht atmet“. Weil Tempohalten sehr viel mit Übung zu tun hat, ist es klar warum „bei Aufmarsch der Blaskapellen immer ältere Männer die Große Trommel spielen!“ (Oder ist es nicht eher, weil ihnen zum Trompetenspielen die Zähne fehlen? Anm. d. A.)

Gerald Fromme: „Der Rhythmus ist der Wechsel zwischen betont und weniger betont. Aus diesem Satz entwickelt sich das Verständnis für eine musikalische Phrase: Phrasieren heißt 7 Etüden für Timpani, Bd. II zur Etüde Nr. 1 8 R. Hochrainer, Artikel „Der Schlag“ in: Das Orchester, September 1968 9 „Etüden für Timpani, Bd. II, zur Etüde Nr.18 10 R. Hochrainer, Artikel „Gedanken zu Tempo und Rhythmus“, Privatbesitz M. Vladar

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Gewichte verteilen. Und für die stärkeren Gewichte, verwenden wir nach Möglichkeit die stärkere Hand.“

Rhythmus ist dieser ewige Wechsel von stark und schwach, betont und unbetont. Wie in der Dichtkunst gibt es nur den zweiteiligen und den dreiteiligen Rhythmus. Alles was darüber hinaus geht, sind Kombinationen daraus. Zwei Schläge hintereinander können ein starker und ein schwacher oder umgekehrt sein. „Das ist wie im Leben, wo nur einer Generaldirektor sein kann oder nur einer „brüllen“ darf“11. Daher sind auch zur Verständlichkeit des Rhythmus die Schlägelwechsel von großer Bedeutung: Wenn es möglich ist, wird der starke Taktteil mit Rechts gespielt und der schwache mit Links.

„Rechts oder Links ist für den Rhythmus entscheidend!“12

(d) „Ein Tier schlägt man nicht auf den Bauch“ und „Die Klangmöglichkeiten des Fells ausnützen“13

Gerald Fromme: „Man sagt, dass man auf einem Naturfell eine gewisse Spielkultur haben soll,

sonst „leidet“ das Fell. Das ist bei Plastikfellen nicht der Fall. Bei einem Naturfell sind die Zellen weich, da wo der Bauch ist und härter, wo der Rücken ist. Und wir wollen nicht „auf den Bauch“ schlagen, weil sonst dort ein Schlagfleck entsteht und das Fell sich dann verstimmt. Daher spielen wir öfters, wenn wir laut spielen oder wirbeln, zu den härteren Zellen des Rückens hin. Das gibt auch ein schönes Volumen, das Fell wird „ausgespielt“.“

Michael Vladar: „Ich verwende eine ziemlich große Schlagfläche. Der Ton klingt viel voller, nicht nur bei den Wirbeln sondern auch bei rhythmischen Figuren. Außerdem hält das Fell auch länger. (Trick für die Deutlichkeit in Brahms Nr 4, 3. Satz). Außerdem spiele ich Vorschläge, immer vom Rand aus zur Mitte hin, es ist klarer.“

„Vorschlagsnoten ganz beim Rand spielen!“14

(e) „Nicht schnell, nicht dicht, sondern klangvoll wirbeln!“ Den Wirbel als Klangverlängerung, dem Tremolo der Streicher ähnlich, hat Hochrainer als

wenig instrumentgemäß empfunden. Das Grundtraining von beiden Händen soll ermöglichen, gleichmäßig und klangvoll zu wirbeln, dabei sollte der Wirbel „nicht zu schnell sein“15. Die Erklärung, wann ein Wirbel „zu schnell“ ist bringt uns Wolfgang Schuster: „eine zu rasche Schlagfolge würde die Tonabgabe hemmen und einzelne Schläge aus dem ausgehaltenen Notenwert herausstechen lassen.“16 Die Wirbelgeschwindigkeit soll sich also der Frequenz des Felles anpassen: schnell auf den hohen Tönen und langsamer auf den tiefen.

Michael Vladar: „Die Kraft beim Wirbel kommt nur vom Gewicht des Armes, nur mit Vorderarm und Handgelenk, sonst kriege ich die Geschwindigkeit nicht hin. Der Oberkörper bleibt ruhig.“

Gerald Fromme: „Im Forte-Wirbel verwende ich ausschließlich die Handgelenke, beim Fortissimo kommen noch die Unterarme dazu.“

11 R. Hochrainer, Artikel „Gedanken zu Tempo und Rhythmus“, Privatbesitz M. Vladar 12 Etüden für Timpanu Bd. II, zur Etüde Nr. 17 13 Etüden für Timpani, Bd. II, zur Etüde Nr. 46 14 Etüden für Timpani, Bd. II, zur Etüde Nr. 26 15 R. Hochrainer, Aus der Wiener Schlagwerkschule, 10. Folge, in: Österreichische Blasmusik 16 Wolfgang Schuster, Konstruktionsmerkmale und Klangstil des Wiener Schlagwerks, in: Klang und Komponist, ein Symposium der Wr. Philharmoniker, 1992, S.295

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(f) Paukentöne ausbessern? „ Das Ausbessern sogenannter „falscher Paukentöne“ ist in der Wiener Tradition verpönt, auch

die Terz oder Sept eines Akkordes kann durchaus in der Pauke liegen. Es ist überliefert, dass Johann Strauß, in dessen Werken gerne geändert wird, sich stets solches verbeten hat.“17

Michael Vladar: „Ich weigere mich, Töne auszubessern. Wenn die Komponisten, die Terz oder die Septim der Harmonie an der Pauke geschrieben haben, dann spiele ich es auch so... z.B. im Schlusschoral der ersten Brahms Symphonie. Manche spielen da: F G C. Ich denke, wenn Brahms das gewollt hätte, hätte er das geschrieben. Dabei zwei Ausnahmen: In Verdis Requiem steht ein B an der Pauke, wo das Orchester G-Dur spielt. Ich denke das ist ein Fehler. Auch in Bizets Symphonie, die er als Siebzehnjähriger geschrieben hat, steht die Pauke in C und G obwohl das Orchester in Es-Dur spielt... Das sind die zwei Ausnahmen, sonst bessere ich keine Töne aus!“

1.3 Die Wiener Paukenschlägel

Typisch für den Wiener Paukenklang sind auch die Paukenschlägel. Man kann die Schlägel in drei Familien einordnen. „Zwei Paar Flanellschlägel verschiedener Größe, zwei Paar unterschiedliche Filzschlägel und ein paar sogenannte Holzschlägel sind wohl notwendig, um der Art der Musik, der Größe des Orchesters und des Raumes gerecht zu werden.“18

Von links nach rechts: Flanellschlägel, Hartfilzschlägel, Holzschlägel

(a) Der Flanellschlägel Gerald Fromme: „Der bedeutendste ist der Flanellschlägel. Das ist der Schlägel, der die

Wiener Schlagwerktradition seit dem vorigen Jahrhundert begleitet hat. Jemand - ich weiß leider nicht wer - hatte seinerzeit die Idee, anstatt die Schlägelköpfe mit Filz zu überziehen, Flanellscheiben zu verwenden. Stoffblätter, in dem Fall weißer Lodenstoff, haben mehr Attacke. Denn der Filz schlägt mit seiner Fläche auf das Fell, der Flanell aber lässt sich nicht zusammendrücken, er gibt nicht so nach, daher ist die Attacke eines Flanellschlägels sehr 17 Kurt Prihoda, Die Wiener Schlagwerkschule, in: Das Orchester, 1979 18 R. Hochrainer, Aus der Wiener Schlagwerkschule, 10. Folge, in: Österreichische Blasmusik

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spezifisch, sehr spontan. Es werden Blätter gleichen Durchmessers herausgestanzt, früher waren das zweiundzwanzig, heute nimmt man vielleicht noch mehr, vierundzwanzig oder so, es kommt darauf an, wie stark der Stoff ist, und dann zieht man die Blätter mit einer Mutter zusammen. Dann muss man die Flanellscheiben grob fassonieren und mit einem starken Schleifpapier schleifen. Danach werden die Fransen mit einer Schere abgeschnitten. Es ist ein langwieriger Arbeitsprozess und man braucht dazu einen speziellen Stoff.“ (b) Der Holzschlägel

Gerald Fromme: „Der zweite Schlägeltyp, der aus dieser Tradition stammt, ist der Wiener Holzschlägel. Sein Kopf besteht aus Kork, der mit einem Billard-Filz überzogen ist. War in den Paukenstimmen „Holzschlägel“ vorgeschrieben, spielte niemand über Forte mit dem „nackten“ Holz, um das Ziegenfell nicht zu beschädigen. Man kann also bis zum Mezzoforte ohne weiteres reines Holz spielen, darüber hinaus sollte man den Holzschlägel verwenden. Der Holzschlägel hat fast denselben Charakter wie nacktes Holz, außer im Piano, weil man dann den Filz hört.

(c) Der Hartfilzschlägel Gerald Fromme: „Es gibt noch einen weiteren Schlägeltyp, den Hartfilzschlägel. Eine

Erfindung von mir, die sich Hochrainer an den Hut gesteckt hat: eine 1cm dicke Hartfilzscheibe wird vom Drechsler abgerundet. Hochrainer war begeistert und nannte ihn „Mikrofon-Schlägel“ Er gibt einen sehr klaren Ton, den damals die Plattenfirma DECCA im Studio der Sophiensäle auf ihren Premier-Pauken bevorzugte.“

Michael Vladar: „Die Wiener Philharmoniker spielen auch alles auf Hochrainer Pauken. Außer bei Open-Air-Konzerten, wenn das Wetter unsicher ist. Und auch bei früheren Aufnahmen, weil die Technik der Mikrofone nicht so entwickelt war, um Wiener Pauken gut aufnehmen zu können (z.B. die Aufnahmen des Ringes unter Solti), da haben sie nur für die Studio Aufnahmen, Premier-Pauken mit Kalbfellen verwendet. Für diese Aufnahmen hat auch der Fromme diese „Mikro“-Schlägel entwickelt, aus ganz hartem Filz!“

(d) Die Stiele Der Stiel der Wiener Schlägel besteht aus zähem Holz. Er beginnt etwa einen Zentimeter stark

und verjüngt sich zum Kopf hin auf etwa 0,5 cm.19

Gerald Fromme: „Die Stiele macht natürlich ein Drechsler. Jeder lässt sie nach seinem Geschmack anfertigen, ich aber führe die Schlägeltradition der Wiener Philharmoniker weiter: Die Standardstiele sind aus Weißbuche, da dieses Holz ein gutes Gewicht hat und ziemlich bruchfest ist. Die Standardlänge ist ca. 37cm inkl. Kopf. Das Gewicht variiert zw. 40 und 50 Gramm. Wenn jemand schwerere Stiele möchte, nimmt man vorzugsweise Rotbuche.“

1.4 Die Wiener Pauke mit Handhebelsystem

(a) Der Erfinder

Die Pauken, die heute noch in den Wiener Orchestern in Verwendung sind und oft als „Hochrainer Pauken“ bezeichnet werden, wurden ursprünglich von seinem Vorgänger Hans 19 Aus G. Avgerinos, „Über die Paukenschlägel“ in: Das Musikinstrument, Frankfurt am Main, 1967, S. 216

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Schnellar entwickelt. Die erste Erwähnung von Schnellars Erfindung findet sich in den Ergänzungen von Richard Strauss zur Neuauflage von Berlioz‘ „Großer Instrumentationslehre“ aus 1905: „ die von Herrn Schnellar erfundenen Pedalpauken scheinen (...) durch eine Reihe sinnreicher Erfindungen, die schon lange erstrebte Leichtigkeit des Mechanismus und die höchste Feinfühligkeit des Stimmens erreicht zu haben“20

Hans Schnellar hat verschiedene Pauken entwickelt. Beim ersten Modell wurde das Fell auf den Kessel gedrückt, es wurde mit einem Jugendstilfuß gebaut. Dann entwickelte er die Pauke, die wir heute noch kennen, wo der Kessel mittels eines Metallstiftes gegen das Fell gedrückt wird. 1920 meldete er die Erfindung eines dritten Paukenmodells, wo der Stimmspindel mitten durchs Fell geführt wird, als Patent an. Dieses letzte Modell konnte sich aber nicht durchsetzen.21

Schnellars erstes Modell mit Jugendstilfuß Im Hintergrund: die Schnellar Reisepauke

Hans Schnellar wurde am 25.09. 1865 bei Prag geboren. 1879-1883 war er Musikeleve für Flöte und Schlagzeug. Später trat er in Wien in die Regimentmusik ein und spielte im Sommer in verschiedenen Kurorchestern. Ab Sommer 1889 spielte er im Tonhalle-Orchester in Zürich und 18891/92 unternahm er Konzertreisen als Zither- und Xylophonvirtuose; von 1893 bis 1894 gehörte er dem Concertgebouw Orchester in Amsterdam an. 1894 holte ihn Hans Richter nach Wien, wo er bis zu seinem Tod (1945) blieb. Er war Pauker der Wiener Philharmoniker (1894-1932) und Lehrer an der Musikakademie. Von Schnellar erschien im Selbstverlag „Die Pauke als Kunstinstrument“.

Ferdinand Schmutzer: Die Philharmoniker beim Proben, 1926 Hans Schnellar an der Pauke 20 H. Berlioz, Große Instrumentationslehre, erg. und rev. von R. Strauss; Leipzig 1905, S. 411 21 Deutscher Reichspatent Nr 87629, erteilt am 15.10. 1921, beschrieben in: H. Tobischek, Die Pauke, Tutzing 1977, S. 232

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(b) Beschreibung22

Konstruktionsmerkmale Die meisten internationalen Orchester verwenden Pedalpauken

des „Dresdner Typus“, die Wiener Orchester hingegen ziehen ihnen für das Repertoire der Vorklassik bis zur Wiener Schule ihre „altmodischen“ Hochrainer Pauken mit Handhebelsystem vor. Beim Dresdner System mit Zentralhebel, das schon 1830 in Gebrauch war, ist der Paukenkessel starr und das Fell wird mittels eines Spannringes nach unten gedrückt und somit die Tonhöhe verändert. Beim Wiener System, das Schnellar entwickelt hat, ist der Kessel freischwingend. Zwischen Paukenfuß und Fell besteht allein die Verbindung der sechs Zugstangen. Der fein gehämmerte, aus 0,8mm starkem Kupferblech bestehende Kessel wird mittels eines Stiftes, der am Scheitel des Kessels angesetzt ist, gegen das Fell gedrückt und somit die Stimmung verändert. Dieser Metallstift wird durch einen Hebel, der durch die nach oben führende Hauptschraube bewegt wird, nach oben gedrückt. Der Handhebelmechanismus soll gegenüber den mit dem Fuß zu stimmenden Pauken eine größere Feinfühligkeit beim Stimmvorgang erlauben.23 Das Schallloch sitzt etwas dezentriert und geht durch die für den Metallstift notwendige Verstärkung, die dem Kesselscheitel förmlich als Pfanne dient. Neu an den Pauken Schnellars ist auch, dass er auf einen separaten Spannreifen verzichtet. Bei ihm wird der Fellreifen direkt durch die sechs zum Gestell laufende Spannschraube gehalten.

24 Richard Hochrainer vereinfachte die Fußkonstruktion der Schnellar-Pauken: Er ersetzte den

schweren Eisenguss durch einen viel leichteren Aluguss. Er verbesserte auch die Fellpratzenkonstruktion, die später von Wolfgang Schuster überarbeitet wurde. Weiter hat dieser noch den Neigungswinkel der Fellhalterung nachjustiert und einige Verbesserung in der Stimmhebellagerung vorgenommen.

Die Felle Die Wiener Pauken werden mit Ziegenfellen bespannt im Unterschied zu den

anderen Pauken, die mit Kalb- oder Plastikfellen aufgezogen werden. Das Ziegenfell hat eine ganz typische Klangfarbe. Es ist dünner als das Kalbfell, beide weisen aber die Klangqualität der Naturfelle auf, haben allerdings auch ihre Nachteile: Naturfelle sind empfindlicher gegen Luftfeuchtigkeit und Temperaturschwankungen und daher schwieriger zu stimmen, ihre Herstellung ist aufwändiger und daher teurer.

Michael Vladar: „Hochrainer-Pauken werden mit Ziegenfellen aufgezogen. Es sind sehr dünne Felle, die wie Pergament hergestellt werden. Der einzige Produzent ist meines Wissens die Gerberei Edlauer in Enns, Oberösterreich, er macht auch die Nobelpreis-Urkunde. Man kann sie

22 Die Beschreibung stammt aus: Wolfgang Schuster, Konstruktionsmerkmale und Klangstil des Wiener Schlagwerks, in: Klang und Komponist, ein Symposium der Wr. Philharmoniker, 1992, S. 295 und H. Tobischek, Die Pauke, Tutzing 1977, S. 232 23 aus: www.wienerphilharmoniker.at/german/klangstil.htm 24 Schema aus: H. Tobischek, Die Pauke, Tutzing 1977, S. 233

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auch mit Kalbfellen aufziehen, aber der Klang ist nicht so schön. Das Kalbfell ist dick. Es wird abgespalten und dadurch wird die innere Struktur des Felles wird zerstört.“

Wolfgang Schuster: „Unter „gespalten“ versteht man eine Bearbeitungsform bei der auf zwei gegeneinander laufenden Walzen die Unebenheiten des Felles geschliffen werden. Kalbfelle aus industrieller Produktion werden grundsätzlich so bearbeitet, Ziegenfelle werden auf der Fleischseite von Hand geschärft. Aufgrund der äußeren Merkmale entsteht der Eindruck, dass das Kalbfell dünner als das Ziegenfell ist. Objektiv gesehen ist das falsch, von einzelnen Ausnahmen vielleicht abgesehen.“

Gerald Fromme: „Man hat am technischen Aufwand gespart. Die Wiener Pauke besteht nur aus dem Kessel, dem Gestell und dem Fell. Man hat sogar an den Zugstangen gespart: Hier gibt es nur sechs, während die üblichen Pauken acht haben! Das Charakteristische an diesen Pauken ist, dass der Kessel frei schwingt und nicht in einem Reifen hängt. Aus der Überzeugung heraus, so nah wie möglich an der Natur zu bleiben, sind sie mit Ziegenfellen bezogen. Das Ziegenfell kann man nicht übersteuern, man kann den Klang nicht verzerren. Wenn man auf Plastikfellen (oder auch auf Kalbfellen, die regelmäßig geschärft sind) Fortissimo spielt oder wirbelt, kann manchmal ein verzerrter Klang entstehen. Das Ziegenfell bleibt auch im Fortissimo immer schön.“

Aufstellung In Österreich und in Deutschland steht die tiefe Pauke rechts und die hohe links. Es gibt allerlei Hypothesen, warum das so ist, allerdings sind alle eher ungewiss. Manchmal heißt es, es würde daher kommen, dass zu der Zeit, als die Pauken von Pferden getragen wurden, die große Pauke rechts hing. Auch gibt es die Vermutung, dass die Pauken früher von den Kontrabassisten gespielt wurden, die es von ihren Instrumenten her gewohnt waren, die tiefen Töne rechts zu greifen. Letzteres ist aber unwahrscheinlich, da es um 1500 aufgrund der Standesregeln keinem Kontrabassisten - oder Gambisten – erlaubt war, Pauke zu spielen. Richard Hochrainer hat auch eine eigene Erklärung: „Bei den Pauken steht die hohe immer links vom Spieler und die tiefe rechts, weil die tiefen Töne weniger tragfähig sind und etwas mehr Kraft beim Anschlag erfordern. Auch ist bei den gebräuchlichen Paukenstimmungen der tiefe Ton die so wichtige Dominante.“25

Im deutschsprachigen Raum werden die Pauken oft im Sitzen gespielt. Die mittleren Pauken werden mit 1 und 2 nummeriert, weil sie meistens auf den Grundton und die Dominante des Stückes gestimmt sind.

Maße und Tonumfang Standardmaße:

2 Kessel: 69 cm

E2 c3 82,4 131,8 Hz

5 Kessel: 55 cm

f3 a3 174,6 220 Hz

1 Kessel: 63 cm

B2 f3 116,5 174,6 Hz

4 Kessel: 69 cm

E2 c3 82,4 131,8 Hz

3

Kessel: 63 cm B2 f3

116,5 174,6 Hz

Es werden auch Wiener Pauken in Sondermaßen angefertigt. Die Maße der 1. und 2. Pauke sind in diesem Fall 57 und 75cm. Der Tonumfang beträgt ca. eine Oktav, wobei natürlich die

25 R. Hochrainer, Rechts oder Links- „das ist die Frage“, in: Das Orchester, Dez. 1973

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Randtöne dieses Tonumfangs wegen der reduzierten dynamischen Möglichkeiten praktisch nicht mehr zu nutzen sind. Herstellung und Verbreitung26 Die Wiener Pauken werden in der Firma „Wiener Schlaginstrumentenbau“ von Prof. Wolfgang Schuster hergestellt. Diese Firma verkauft derzeit 2 bis 6 Paar Pauken pro Jahr. Wiener Pauken werden in fast allen österreichischen Orchestern verwendet, wenn auch nicht ausschließlich. Es gibt aber auch andere Orchester, die Wiener Pauken besitzen. Das Concertgebouw Orchester Amsterdam besitzt die größte Sammlung von Schnellar-Pauken des Wiener Systems, da Hans Schnellar dort einige Zeit als Gast verpflichtet war. Dieses Orchester hat auch eines der beiden Paare, die sich Mahler nach New York kommen ließ (auch dort sollte Schnellar als Gast auftreten), aus den USA zurückgekauft. Das kürzlich aufgelöste Orchester Philharmonia Hungarica (in Marl/Westfalen) besaß ein Paar Schnellar-Pedalpauken, wir wissen aber nicht, wo diese jetzt sind. Das Tonhalle-Orchester Zürich spielt ebenfalls auf Pauken aus der Erzeugung von Prof. Wolfgang Schuster.

Im vergangenen Jahr ist die Meisterklasse für Industrielle Gestaltung von Paulo Piver an der Universität für Angewandte Kunst mit dem Entwurf neuer Paukenfüße nach dem Wiener System beauftragt worden: sie sollen den Aluguss durch lasergeformte Aluminiumbleche ersetzen. Gegenwärtig wird ein Prototyp-Paar fertiggestellt.

(c) Klanganalyse der Wiener Pauken, eine Studie von Dr. Matthias Bertsch27

Das Institut für Wiener Klangstil der Musikuniversität Wien hat sich eine praxisbezogene

Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der musikalischen Akustik zur Aufgabe gemacht. Durch Vorlesungen, Seminare und andere Veranstaltungen wird Instrumentalisten die Möglichkeit geboten, die Funktionsweise der Musikinstrumente im Allgemeinen sowie die akustischen Besonderheiten der „Wiener Instrumente“ im Besonderen besser zu verstehen bzw. zu nützen. Einer der Dozenten und Mitarbeiter dieses Instituts, Dr. Matthias Bertsch hat im September 2001 die Ergebnisse seiner Studien über die Schwingungsmuster der Wiener Pauke herausgegeben.

Das erste Experiment: Im Jahr 1999 wurde der Klang zweier Wiener Pauken (Schuster) und zweier internationaler Pedalpauken (Premier) im reflexionsarmen Raum des Instituts aufgenommen. Der Anschlag wurde durch eine elektronisch gesteuerte Maschine mit drei Schlägeltypen (weich, mittel und hart) und auf drei verschiedene Fellspannungen (hohe, mittlere und tiefe Spannungen) betätigt.

Die Ergebnisse: Diese Laserspektrographie dokumentiert die Schwingungsmuster der Felle und zeigt, dass die Modenverteilung der Wiener Pauken zwar prinzipiell identisch mit der von Pedalpauken mit Kunststoffmembran sind, dass jedoch die Amplituden der Teiltöne (Quinte und Oktave), die für den „quasi-harmonischen“ Klang sorgen, deutlich stärker sind. Die ausgeprägteren Schwingungsmodi erklären also den weicheren grundtönigen Klang der Wiener Pauke.

Abbildungen

Abbildung 1: Dreidimensionale Darstellung eines Paukenschlages, oben: Wiener Pauke mit Ziegenfell, unten: Pedalpauke mit Kunstfell. Die Zeit läuft von hinten nach vorne, die Frequenzen nehmen von links nach rechts zu und die Stärke ist auf der senkrechten Achse aufgetragen. Die einzelnen Teiltöne erkennt man als mit der Zeit niedriger werdende „Bergrücken“. Der Grundton (Mode 11) ist schwarz, die Quinte (Mode 21) blau und die Oktave (Mode 31) rot markiert.

26 Auskünfte von Prof. Wolfgang Schuster 27 M. Bertsch, Vibration patterns and sound analysis of the viennese timpani, in: International Symposium on Musical Acoustics, Perugia, 2001

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Wie bei allen Musikinstrumenten wird die Klangfarbe der Pauke von der Anzahl und Stärke der

Teiltöne bestimmt. Diese wiederum werden von den Moden (=Schwingungsformen des Fells) erzeugt. Die Klanganalyse der Abbildung 1 zeigt deutlich, dass der Klang einer mit Kunststoff-Fell bezogenen Pedalpauke einen höheren Geräuschanteil (verbunden mit vielen inharmonischen Frequenzen) als die Wiener Pauke aufweist. Bei der Wiener Pauke sind die harmonischen, ganzzahlig vielfachen Moden stärker ausgeprägt, ihr Klang besitzt also einen stark tonalen Charakter. Inharmonische Teiltöne und Schwebungen im Klang erschweren bei der kunststoffbezogenen Pedalpauke die Zuordnung einer eindeutigen Tonhöhe.28

Abbildung 2: Stärke der Membranbewegungen für alle Moden, in Nanometer

Die Abbildung 2 zeigt die maximale Bewegung des Felles in Nanometer für den Grundton. Auf der Wiener Pauke (VT) beträgt der Wert 4000nm und auf der internationalen Pauke (IT) 3000nm. Dieser Wert bleibt bei den zwei Spannungen gleich (Töne G und B). Dieser Wert ist für den Ton B 5000nm (VT) versus 2200nm (IT) und für den Ton D 2800 nm (VT) versus 1400 nm (IT). Auch die Moden 21 und 31 (jeweils die Quinte und die Oktave von Modus 11) sind bei der Wiener Pauke stärker ausgeprägt als bei der internationalen Pauke. Das zweite Experiment: Da dieser Unterschied zwischen VT und IT entweder am Fell oder am Kessel des Instrumentes liegen könnte, wurde im Jahr 2000 ein weiteres Experiment mit ein und derselben Pedalpauke (Aehnelt) durchgeführt und aufgezeichnet. Zuerst war diese Pauke mit einem Ziegen-, dann mit einem Plastikfell (Remo weatherking) bezogen. Das ermöglichte den Vergleich 28 Erklärung der Resultate von Gregor Widholm, „Die Wiener Instrumente“, in: Das Orchester, September 2002

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zwischen Plastik- und Ziegenfell. Den Anschlag führte ein professionneller Pauker aus und hochmoderne Laserspektrographie analysierte die Bewegung des Paukenfells in all ihren Schwingungsarten. Die Ergebnisse der Laserspektrographie können auf Abbildung 3 abgelesen werden:

Abbildung 3

Die Ergebnisse zeigen hier ähnliche Schwingungsmoden für Plastik- und Ziegenfell, aber auch unterschiedliche Schwingungsstärken. Die Hauptmoden M11, M21 und M31 rufen beim Ziegenfell größere Schwingungen als beim Plastikfell hervor. Dies könnte durch die unhomogene Struktur des Naturfelles verursacht sein, insbesondere durch der Verstärkung des Felles am Rücken des Tieres. Die Analysen der Klangaufnahmen zeigen auch weniger hohe Obertöne beim Ziegenfell, aber die stärkeren, tieferen „quasiharmonischen Teiltöne“ konnten nicht gefunden werden. Da dieses Experiment aber mit einem menschlichen „Paukenschläger“ durchgeführt wurde, können sehr viele Gründe für die Variation der Klangqualität angenommen werden. Schluss: Die Wiener Pauken unterscheiden sich von den international verwendeten Pedalpauken durch ihre Bauweise, ihr Fell und ihre Stimmvorrichtung. Zusätzlich zeigt aber diese Studie, dass Hochrainer-Pauken besondere Klangmerkmale aufweisen. Die Schwingungen des Ziegenfelles bei den Moden 11 (Grundton) und 31 (Oktave) sind stärker ausgeprägt als bei den internationalen Pedalpauken mit Plastikfellen - besonders unter hohen Spannungen. Wegen dieser stark tonalen Klangeigenschaften halten die Wiener Orchester an ihren Pauken fest, obwohl diese empfindlich auf Luftfeuchtigkeit und Temperaturunterschiede reagieren und daher schwieriger zu stimmen sind. 1.5 Pädagogische Literatur

Nach Hochrainers Etüdenbänden ist wenig pädagogische Literatur für Pauke in Österreich entstanden. Zwei Werke sind mir in die Hände gekommen:

Martin Kerschbaum (geb. 1961), Solopauker der Wiener Symphoniker und Professor an der Musikuniversität in Graz: Schlagzeug elementar Band 2 Pauke. Eine Paukenschule für Anfänger mit Bildern, Ensemblestücken und Stimmungsübungen, 1992

Bruno Hartl (geb. 1963), Solopauker der Wiener Philharmoniker: Etüden für zwei Pauken, Marmor Verlag, Wien, 1997. 25 musikalische Etüden in Anlehnung an Orchesterstudien. Mit vorbereitende Übungen.

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2 Zwei Vertreter der Wiener Paukenschule heute 2.1 Interview mit Mag. Gerald Fromme, Solopauker des Radio Symphonie Orchesters Wien

Darf ich Sie zuerst um ein paar Lebensdaten bitten: Wann und wo sind Sie geboren? Wo haben Sie studiert?

Ich bin 1947 in Wien geboren und habe bei Prof. Richard Hochrainer studiert. Bis 1975 gab es beim Schlagwerk keine Diplomprüfung: das Studium wurde lediglich als Lehrveranstaltung angeboten. Man hat sich auf die wesentlichen Instrumente konzentriert: Pauke, Kleine Trommel, Becken. Auf die Orchesterinstrumente also. Der Lehrgang hat drei Jahre gedauert, ich habe 1963 begonnen und war somit 1966 fertig. Es gab keine zwingende Abschlussprüfung, wir haben viel durch Praxis gelernt: viel angehört, viel gespielt! Danach bin ich noch zwei weitere Jahre bei Hochrainer geblieben und habe nebenher Klavier, Gesang und Komposition studiert. Ab 1970 haben sich die Schlaginstrumente und ihre Spieltechniken rasant entwickelt und vieles habe ich mir selber beibringen müssen, als Autodidakt.

Und dann haben Sie direkt im RSO-Orchester angefangen?

Da hat es zuerst das „Große Rundfunkorchester“ gegeben, das seit Kriegsende bestand. 1969 wurde das ORF-Symphonie Orchester gegründet, das hauptsächlich Unterhaltungsmusik gespielt hat. Meinen ersten Dienst habe ich im März 1966 gespielt. Im Jahr 1995 wurde es zum Radio Symphonie Orchester umbenannt. Was sind Ihrer Meinung nach die Merkmale der Wiener Paukenschule?

Ich muss immer schmunzeln, wenn ich diesen Begriff definieren soll. Ich meine, man kann ihn auf die Summe einiger Ansichten reduzieren: z.B. auf Klang und Instrumentenbau. Mit dem Begriff „Wiener Schlagwerkschule“ habe ich meine Schwierigkeiten, er klingt nach Kompositionstechniken, ich möchte eher von Wiener Schlagwerkkultur sprechen. Diese Klangkultur ist beschränkt auf wenige Instrumente: Pauke aber auch Kleine Trommel, Triangel und Glockenspiel, und der Grundgedanke ist immer, das Instrument möglichst frei schwingen zu lassen und den Klang so wenig wie möglich durch Halterungen und Gestelle zu dämpfen. Früher sind die Philharmoniker im Musikvereinssaal auf Holzsesseln gesessen und es hat fabelhaft geklungen. Man hat vor 30 Jahren Polstersessel hineingestellt und schon war der Klang anders. Es ist faszinierend festzustellen, wie der Geigenklang durch einen natürlichen Schallträger wie einen Holzsessel besser auf das Podium übertragen wird als durch einen Polster dazwischen. Das sind Kleinigkeiten, die viel ausmachen können. Gibt es Punkte in denen Sie sich von Hochrainer distanziert haben?

Nein, interessanterweise nicht. Ich war ein Revolutionär - zum Leidwesen meines Lehrers, der mir gegenüber sehr nachsichtig war. Ich liebe ihn heute mehr denn je. Ich habe oft anders gespielt als er es uns lehrte. Wenn wir im Akademie-Orchester gespielt haben, habe ich die Pedalpauken der Symphoniker verwendet und nicht unsere. Sie hatten Pedale und Kalbfelle und dieser neue Klang hat mich fasziniert. Ich habe auch Filzschlägel genommen und nicht unsere traditionellen Flanellschlägel. Hochrainer war bei den Akademie-Orchester Konzerten immer präsent. Danach gab’s stets Kritik. Er hat mir trotzdem meistens meine „Seitensprünge“ nachgesehen. Das habe ich

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ihm sehr hoch angerechnet. Ich habe Verschiedenes probiert, habe eine Zeit lang härter gespielt aber seit ungefähr 10 Jahren spiele ich wieder adäquate Hochrainer-Schule, da ich mich mit ihr voll identifiziere. Wie haben Sie gelernt, wie man Schlägel herstellt?

Ich habe es bei Hochrainer gelernt, ich habe vieles selbst ausprobiert und er hat davon profitiert: Wenn ich eine Erfindung gemacht habe, hat er sie für sich in Anspruch genommen. Er hat sich schon revanchiert! Sie legen großen Wert auf die Schlägelhaltung, aber wie ist es mit der Verwendung des Armes oder der Schulter?

Es ist mir ein Anliegen, dass die Bewegungen keine Showelemente sind. Viele Leute machen beim Schlag eine große Bewegung und wollen sich dabei in Szene setzen. Wenn ich einen schweren Einsatz spielen will, dann hat das mit dem Körper zu tun, doch nicht nur mit der Masse, sondern vor allem mit dem Mentalen, dem Suggestiven. Wenn sich in einer musikalischen Phrase ein durch ein Ritardando eingeleiteter Höhepunkt befindet, so muss ich im Stande sein dessen Punkt zu erkennen. Solches geschieht nicht allein mit dem Körper, sondern auch mit einem emotionalen Gewicht. Natürlich werde ich dann diesen Einsatz hoch spielen und versuchen viel Ton zu geben, doch das Wichtigste ist dabei innerlich emotional zu verbrennen. Durch meine mentale Vorstellung beeinflusse ich den Hörer. Ich kann z.B. durch Mentalsuggestion den Hörer beeinflussen, ja sogar Töne scheinbar verlängern. Aber das ist „höhere Mathematik“. Aber glauben Sie nicht, dass man durch die Vorstellung, die man hat, auch tatsächlich die Anschlagart verändert?

Ja natürlich, aber ich meine, Sie werden den Ton nicht schöner machen durch das Körpergewicht, Sie müssen diesen Ton innerlich empfinden. Sie unterrichten auch an der Hochschule in Graz. Welche Lehrbücher verwenden Sie für die Pauke?

Ich verwende hauptsächlich die drei Bände von Hochrainer. Erstens finde ich interessant, dass sie mit sehr guten Lehrsprüchen gespickt sind. Und diese „Slogans“ sollte man nicht leicht nehmen, sondern genau lesen und danach handeln. Und zweitens sind die Etüden meistens in Liedform geschrieben, sodass sie für junge Leute auch leicht zu merken sind. Drittens beinhalten die meisten seiner Etüden versteckt die Orchesterliteratur, vor allem die Opernliteratur. Es gibt sozusagen immer eine Affinität zur Praxis. Ich würde sagen, der erste Band ist am Besten aber in allen Bänden sind die Etüden formal sehr gut gestaltet und sehr musikalisch, und das ist das Wichtigste. Gute Etüden sollten auch musikalische Phrasen einbinden und nicht nur Technikübungen. Oft kommt es bei Keune so heraus. Exzeptionell in dieser Hinsicht ist auch der Carter mit seinem March. Es ist auch eine Liedform, mit hervorragenden polyrhythmischen Stimmführungen. Das ist ein phantastisches Stück für den fortgeschrittenen Spieler. Aber es gibt keine neueren österreichischen Lehrbücher?

Es gibt Paukenschulen von Kerschbaum und Hartl, vielleicht schreibe ich auch bei Gelegenheit eine... Walter Veigl, der auch ein Schüler von Hochrainer war, hat eine Xylophon- und Vibraphonschule herausgegeben.

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Das wäre meine letzte Frage: Welche Pauken haben Sie und wie verwenden Sie sie? Wir besitzen 6 Stück Hochrainer Pauken natürlich mit Ziegenfell, einen Satz Ringer Pauken

und einen Satz Aehnelt Pauken, beide mit Renaissance-Fellen. Das schätze ich sehr an meiner Arbeit hier am RSO, dass wir verschiedenes Repertoire spielen, von Klassik bis Modern. Grundsätzlich spiele ich die Klassik und Romantik auf den Hochrainer-Pauken aber ich genieße es auch, bei modernen Stücken auf den Pedalpauken zu spielen! Ich entscheide das von Stück zu Stück.

Welchen Einfluss hatte das Repertoire auf die Spielweise? Oder war es umgekehrt?

Ich glaube insbesondere Mahler wurde mehr von seinem Schlagwerker beeinflusst als umgekehrt. Bei seinen Partituren kommt klar heraus - wie auch bei Strauss -, dass er sich sehr mit dem Schlagwerk auseinander gesetzt hat. Mahler hatte sicher beim Komponieren diesen speziellen Paukenklang im Ohr. Deshalb sage ich man sollte sich mit dem Wiener Klangstil vertraut machen, wenn man solche Partituren wie Mahler und Strauss spielen will. Mahler hat auch gewusst, dass die Intonation der Naturfelle sich oft bewegt. Er schreibt z.B. über das Solo A am Schluss vom 2. Satz der 5. Symphonie „gut stimmen“ damit der Pauker die Intonation kontrolliert. Strauss hatte freundschaftliche Beziehungen zu Schlagwerkern. Es gibt dieAnekdote, dass ein Schlagzeuger zu wenig Dienste hatte, woraufhin Strauss bei einer Oper extra eine Tamburin-Stimme komponierte, um dem Musiker das Mitspielen zu ermöglichen. Oder so ähnlich... Vielen Dank für das Gespräch!

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2.2 Interview mit Michael Vladar, Solopauker der Wiener Symphoniker

Darf ich Sie zuerst um ein paar Lebensdaten bitten: Wann und wo sind Sie geboren? Wo haben Sie studiert? Ich bin 1962 in Wien geboren. Ab 1978 habe ich bei Prof. Berger an der Musikhochschule Wien studiert. Offiziell habe ich nicht mit Richard Hochrainer studiert aber ich kannte ihn gut. Ich war „Versuchskaninchen“ für den dritten Band seiner „Etüden für Timpani“. Sind Sie dann gleich nach dem Studium bei den Symphonikern engagiert worden? Nein, ich bin erst 1990 bei den Symphonikern als Solopauker engagiert worden. Zuerst habe ich in verschiedenen Orchestern und Ensembles gespielt: im Mozarteum Orchester, im Concentus Musicus, bei der Camerata Academica... Und Sie haben mit den Lehrbüchern von Hochrainer gelernt?

Ich habe mit den zwei ersten Bänden gelernt. Parallel auch Knauer und Krüger, denn mein Lehrer Prof. Berger wollte auch diese Etüden hören. Und das ist bezeichnend, dass, obwohl es so viel neue Literatur für Pauken gibt, bei Probespielen immer noch dieselben Stücke verlangt werden - gerade jetzt beim Tonkünstlerprobespiel aber auch in Japan, wo ich regelmäßig unterrichte - es werden immer wieder ganz alte Knauer Etüden, ganz alte Krüger Etüden und natürlich einige Hochrainer Etüden bei den Probespielen verlangt. Diese Stücke sind zwischen 60 und 100 Jahre alt, das sollte einem zu denken geben: Darin wird einfach das verlangt, worauf es ankommt. Wenn ich die Variation Etüde spielen kann, kann ich auch das Orchesterrepertoire spielen. Wenn ich jetzt eine moderne amerikanische Sonate spielen kann, zeigt es vielleicht unglaubliche Technik und große Virtuosität mit den Pedalen, aber ob ich eine Schumann Symphonie spielen kann oder nicht, das ist daraus nicht ersichtlich... Diese Etüden sind auch von mir beim Probespiel verlangt worden und ich kann nur sagen, dass der erste Band und auch der dritte Band von Hochrainer Etüden eine gute Vorbereitung sind. Spielen Sie immer noch genau wie es Hochrainer gelehrt hat?

Ich habe mich nur insofern von Hochrainers Vorstellung entfernt, wie sich allgemein der Orchesterklang unter dem Einfluss der historischen Aufführungspraxis in den letzten Jahren gewandelt hat: Ich spiele Mozart mit kleineren Schlägel und überhaupt viel differenzierter in Bezug auf die Dynamik als es früher üblich war. Auch habe ich schon beim Studium ein bisschen eine andere Schlägelhaltung gehabt: Ich spiele alles in der sogenannten „Forte Haltung“. Manchmal musste ich mit Hochrainer Übungen machen, wo man beim Spielen zwischen Forte- und Piano-Haltung hin und her wechseln musste. Und ich habe als Student dieses Spiel mit ihm gemacht - man muss sich das vorstellen, ich als 17-Jähriger und er als hochdekorierter Professor! - er hat sich umgedreht und sollte erkennen, ob ich nach seinen Anweisungen das Piano spielte oder nicht. Und er hat immer wieder das Falsche geraten.

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TRICK“ FÜR 4. BRAHMS FORTE HALTUNG PIANO HALTUNG Die Klangvorstellung ist also wichtiger als die genaue Schlägelhaltung?

Natürlich! Jeder hat eine andere Hand, und es sind sicher auch kleine Elemente, die da mitspielen. Wichtig ist das was rauskommt! Der Hochrainer hat immer wieder gesagt – und das halte ich auch wirklich hoch - „Das Wichtigste ist vor dem Schlag“. Wenn der Schlag vorbei ist, ist alles andere schon Zirkus. Es ist Show für das Publikum, es hat nichts mit dem Klang zu tun. Wie verändern Sie die Klangfarben?

Wenn das Fell frei klingt, das heißt, wenn ich den Rückschlag des Schlägels überhaupt nicht behindere, dann habe ich die ganze Obertonpracht und es klingt am Längsten. Im Gegensatz, wenn ich minimal Druck auf den Schlägel ausübe und somit leicht dämpfe, kann ich die Klangfarbe und auch die Länge beeinflussen: ich kann diesen harten Anschlag ganz gezielt für Staccato-Schläge einsetzen. Sehr viele Pauker spielen leider ohne in der Lage zu sein, das Fell frei schwingen zu lassen. Der Hochrainer hat dafür nur gesagt: Es knallt! Und Sie spielen nur auf Wiener Pauken, obwohl Ihr Kollege, der andere Solopauker der Symphoniker, deutsche Pauken mit Plastikfellen verwendet?

Ich spiele nur Wiener Pauken: Als ich 1990 bei den Symphonikern angefangen habe, hat das Orchester einen Satz Hochrainer-Pauken für mich gekauft. Die tiefe Pauke ist sogar eine Sonderanfertigung für mich: der Kessel ist 4cm breiter als normal. Es war natürlich sehr teuer, weil es dafür keine Schablone gibt, aber dadurch haben die tiefen Töne ein unglaubliches Volumen (z.B. das tiefe Des bei Mahler). Es gibt nur wenige Ausnahmen, wo ich andere Pauken verwende: Die wenigen Stücke, wo es sehr viele Glissandi gibt, die spiele ich auf den Pedalpauken. Und bei den Bregenzer Festspielen: durch die hohe Feuchtigkeit der Seebühne bedingt, da spiele ich auf Pedalpauken mit Plastikfellen. Man könnte natürlich mit Wiener Pauken spielen aber da wären nach zwei Wochen die Felle hin und das ist zu schade! Sogar auf den Reisen spiele ich immer auf den Wiener Pauken und gerade auf den Reisen habe ich immer die schönsten Erlebnisse. Die Leute kennen diese Pauken nur von den Wiener Philharmonikern, und ich werde oft nach den Konzerten angesprochen. Das ist mir z.B. in einer amerikanischen Universitätsstadt passiert: Da standen nach dem Konzert drei ältere Menschen um mich herum und sie haben sich nicht mehr beruhigen können, so einen Paukenklang hätten sie noch nie gehört!!! Es hat was, was auffällt. Ich verabscheue Plastikfelle und wo es geht, verwende ich meine Wiener Pauken! Auch im modernen Repertoire?

Ja, ich habe neulich Penderecki drauf gespielt und Strawinskis Sacre. Das Konzert für Orchester von Bartók spiele ich grundsätzlich drauf: Ich muss dann dem einen Schlagzeuger ein Achtel Wein zahlen, damit er mir das eine Glissando raufdreht. Sonst kann man alles drauf spielen. Die Kollegen von den Wiener Philharmonikern spielen auch alles drauf, alle Strauss Opern, das ist nicht leicht!

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Wie ist es mit der Wartung der Instrumente, machen Sie das selbst? Ja, ich wechsle die Felle ca. zweimal in der Saison. 500 Euro pro Fell, das ist eine Investition.

Ich suche immer selber meine Felle beim Produzenten aus und ziehe sie selber auf den Rahmen auf. Die mittleren Felle wechsle ich früher, meistens hält das Fell auf der tiefen Pauke ein bisschen länger. Lernt man das Aufziehen der Felle an der Hochschule?

Nein, ich habe es von Hochrainer gelernt. Heutzutage bin ich der Einzige (außer dem neuen Pauker der Tonkünstler), der das selber macht. Wolfgang Schuster, das Drumhouse und auch Kolberg überlassen das anderen. Ich möchte das nicht: Das ist eine so mühsame Arbeit, wenn man den ganzen Tag nur das macht, kann es nicht so sorgfältig und liebevoll gemacht sein! Die Ringer-Fabrik macht es selber auf speziellen Spannungsringen. Ringer sind übrigens hervorragende Pauken. Auch wenn ich mich so leidenschaftlich für die Wiener Pauken einsetze, heißt das nicht, dass es die einzigen guten sind. Welchen Einfluss hatte das Repertoire auf die Spielweise oder war es umgekehrt?

Wenn man sich die Partituren anschaut, sieht man, dass Mahler eine sehr präzise Vorstellung des Schlagwerks gehabt hat. Strauss hat sich nicht gekümmert, mit welchen Pauken, dieses oder jenes Werk gespielt wird. Das eine Werk wurde in Dresden uraufgeführt, das andere da. Aber er hat sich sehr wohl Gedanken gemacht, wie man das spielt. Und in der Salome, gibt es diese Stelle: jatatita jatatita... auf den Pauken, eine ganz schnelle Stelle, da hat er sogar geschrieben wie die Pauken stehen müssen, damit man diese Bewegung ausführen kann, nämlich: C, Es, D, Cis. Er hat genau geschrieben, wo man welchen Ton einstimmen muss. Hochrainer ist in den 30-er Jahren zu den Wiener Philharmonikern gekommen, er hat also noch unter R. Strauss gespielt und auch viele Musiker gekannt, die Mahler erlebt hatten. Daher hat er gewusst, worauf er ankommt. Wie wird sich Ihrer Meinung nach das Repertoire der Pauke in den nächsten Jahren entwickeln?

Mahler, Strauss, Bartók, Nielsen, all diese großen Komponisten haben hervorragend für die Pauke komponiert und die Klangmöglichkeiten ausgeschöpft. Ich glaube nicht, dass eine melodische Funktion der Pauke sich durchsetzen wird... Es gibt ein Thema in der Domestica Symphonie von R. Strauss, das das Orchester im Tutti spielt. Man sagt, dass Schnellar es für Strauss‘ Geburtstag auch auf der Pauke mitgespielt hätte. Seitdem spielen wir es in Wien auch immer mit, obwohl es nicht auf der Partitur steht. Aber es bleibt die Ausnahme. Vielen Dank für das Gespräch!

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3 Ein Blick über die Berge: das französische Paukenspiel 3.1 Die Gründerfiguren

Félix Passerone (1902-1958) wird oft als der „Gründer der französischen Schlagwerkschule“29, „ein Mann mit großer Kultur, fasziniert und faszinierend“30 und als „Vater der französischen Schlagwerkschule“31 bezeichnet. Wahrscheinlich wegen seines frühen Todes ist er nicht mehr dazu gekommen, seine Lehre und Klangvorstellung zu erläutern und zu verbreiten. Diese Aufgabe haben zwei seiner Schüler übernommen, die an Frankreichs einzigen Musikausbildungsstätten mit Universitätsstatus zu Professoren berufen wurden: Jacques Delécluse am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris (kurz: CNSM) und François Dupin am Conservatoire National Supérieur de Musique de Lyon. (a) Félix Passerone

Lebenslauf32 Félix Marius Passerone wurde am 25. April 1902 in Marseille geboren. Sein erster Unterricht erhielt er von seinem Vater Jean-Baptiste, der die örtliche Blasmusik leitete. Schon mit sechs wurde er für seine Trommelkunst bewundert. In 1914 wird er an der Oper von Marseille engagiert. In 1920 zieht er nach Paris um und spielt zuerst in verschiedenen Jazz-Orchestern. Er wurde zuerst Solopauker der „Société des concerts“ (heute Orchestre de Paris) und später Solopauker des „Orchestre National de l’Opéra de Paris“. Am 1. November 1947 wurde er als erster Hochschulprofessor für das Fach „Schlagwerk“ am Conservatoire National Supérieur de Paris berufen und hat somit mehrere Generationen von Schlagwerkern geprägt. Er ist am 7. April 1958 während einer Aufnahme von Berlioz‘ Requiem unter der Leitung von Hermann Scherchen in Paris an einem Herzinfarkt gestorben. Bekannte Schüler Aus seiner neu gegründeten Schlagzeugklasse stammen viele Musiker, die brillante Orchesterkarrieren machten (unter vielen anderen): Orchestre de Paris: Jacques Delécluse und François Dupin Opéra National de Paris: Sylvio Gualda (der auch Psapha und Rebond von Iannis Xenakis uraufführte) Orchestre du Domaine Musical (Boulez) und Orchestre de Paris Jacques Rémy Orchestre Philharmonique de Strasbourg, Gründer der Percussions de Strasbourg Jean Batigne Percussions de Strasbourg Georges van Gucht Viele andere Schüler von Félix Passerone wurden anerkannte Dirigenten oder Komponisten: Serge Baudo, Jean-Claude Casadessus, Pierre Henry, Maurice Jarre, Olivier Messiaen... 29 François Dupin, Lexique de la percussion, in: La Revue Musicale, Paris 1971 30 René Roth, in: Percussions Nr. 35, Chailly-en-Bière, 1994 31 Benoit Cambreling, in: Percussions Nr. 43, Chailly-en-Bière, 1996 32 Informationen wurden telefonisch vom „Opéra National de Paris“, vom CNSM de Paris erhalten und aus dem Nachruf in: Paris- Hebdo, Woche?, 1958, S.2 entnommen.

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Werke Außer drei kurzen pädagogischen Etüden hat uns Félix Passerone keine schriftliche Darstellungen seiner Spieltechnik und seiner Philosophie hinterlassen:

Traits Difficiles von der Orchester- und Opernliteratur inspiriert Test: für 4 Pauken. Paraphrase über bekannte Themen. Verschiedene Verwendungen des Wirbels. Verlag Alphonse Leduc Petites Pièces: 1952. Sieben kleine Stücke für Schlaginstrumente und Klavier. Vier davon für Pauke. Leduc

(b) Jacques Delécluse Lebenslauf33 Jacques Delécluse wurde am 15. September 1933 in Béthune geboren. Er war zuerst Pianist an der „Opéra National de Paris“, dann Solopauker der „Société des concerts“ (heute Orchestre de Paris) bis er am 1. Oktober 1965 als Nachfolger von Robert Tourte zum Professor am CNSM in Paris berufen wurde. Er hatte diese Stellung bis zu seiner Pensionierung im September 1998 inne. Kompositionen und Lehrbücher Auch er hat kaum Texte und Artikel verfasst, aber sehr viel komponiert, daher erwähne ich hier nur die Kompositionen für Pauken

Trente Etudes pour timbales, Leduc, 1970. Drei Hefte für 2, 3 und 4 Pauken Vingt Etudes pour timbales, Leduc, 1968 Cinquante exercices journaliers, Leduc, 1979. Tägliche technische Übungen für Geschwindigkeit und Ausdauer. A la manière de...n°4, Leduc, für vier Pauken und Klavier Drumstec III, Leduc, Suite für vier Pauken und Klavier Challenge I & II, Orchesterstellen mit Klavier, Eigenverlag des Komponisten

(c) François Dupin

Lebenslauf34 François Dupin wurde am 25. September 1931 in Marcq en Baroeul geboren. In seiner Familie findet man zurück bis ins 18. Jahrhundert Musiker. Mit 16 Jahren wird er am CNSM aufgenommen: Er studiert Schlagwerk bei Prof. Félix Passerone, Kammermusik und Komposition bei Darius Milhaud. 1949 schließt er das Fach Schlagwerk mit Auszeichnung ab, dann auch Kammermusik (1950) und Komposition (1961). Er hatte in seiner beruflichen Laufbahn mehrere Orchesterstellen inne: im Orchestre de Strasbourg (1951-1955), im Orchestre Philharmonique de Radio-France (1961-1967) und im Orchestre de Paris (1967-1994). Später nahm er Unterricht bei

Leigh Howard Stevens, um seine Marimbatechnik zu verbessern und verbreitete dessen Schlägelhaltung in Frankreich. 1981 wurde er Professor am CNSM in Lyon. Am 17.07. 1994 ist er in Paris gestorben. Veröffentlichungen verschiedener Artikel für die International Percussive Arts Society und in der Zeitschrift „Percussions“. Eine ganze Ausgabe der Revue Musicale: Lexique de la Percussion, Paris, 1971. Kompositionen und Lehrbücher (für Pauke)

Le Roi Igor, Drei Pauken und Klavier, Leduc, 1981 Prélude et rude, Fünf Pauken, Fred Hinger gewidmet, Leduc Courtes pièces vol 2 & 3, Timbales, Leduc, 1972

33 Informationen telefonisch vom CNSM in Paris erhalten 34 Das Meiste aus: Geary Larrik, Biographical Essays on Twentieth-Century Percussionists, Lewiston-USA, 1992. Die Auskünfte stammen von F. Dupin selbst, im September 1989.

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Le Parcours du timbalier, Leduc, 1978 Les Baguettes du timbalier, Leduc, 1978 L’oreille du timbalier, Leduc, 1982

3.2 Grundzüge der Technik und Klangvorstellung (a) Der Schlag

Am häufigsten wird der Schlag mit einem kleinen Ball erklärt: Lässt man einen Ball auf ein

Paukenfell fallen, so springt dieser von selbst zurück. Der Paukenspieler soll versuchen dies auf den Schlägelkopf zu übertragen. „Je länger der Schlägel das Fell berührt, desto mehr hindert er es am Schwingen (...) Das Instrument spielt den Schlägel ebenso wie der Schlägel das Instrument spielt, weil das Schwingen des Felles automatisch den Schlägel wegschiebt.“35 Dupin unterscheidet zwei Arten von Technik: die reine Muskeltechnik und die Klangtechnik. „Beide ergänzen sich und hängen voneinander ab. Aber auf keinen Fall darf die Frage des Klanges von Fragen der Technik oder des Denkens verdrängt werden. Natürlich kann der Pauker, wenn er bewusst einen sehr harten Schlag erzeugen möchte, ganz ohne Finger und Handgelenk oder mit dem ganzen Gewicht des Armes spielen. Er sollte jedoch den Hammerschlag vermeiden. Das ist der Gewaltschlag in den Filmen von Louis de Funès als Gendarm.“36

Didier Benetti : « Der ideale Schlag ist der, wo man vordergründig die Tonhöhe hört. Weder den Anschlag noch den Schlägel. Wie bei den Bläsern, wo man nicht die Luft sondern den Ton hören sollte. Der Schlägel fällt auf das Fell und wird wieder aufgefangen. »

(b) Die Schlägelhaltung und Gestik

Dupin erwähnt, dass es auch in Frankreich verschiedene Haltungen gibt.37 Doch die häufigste Haltung ist die, wo die Hand senkrecht steht, der Schlägel auf dem Zeigefinger aufliegt und vom Daumen befestigt wird - jedoch nicht so fest, dass sich der Schlägel nicht mehr bewegen könnte. Der Schlägel wird durch eine Rotation des Vorderarmes auf und ab bewegt. Handgelenk, Finger und eventuell Ellbogen und Schulter sind gleichsam Rotationsachsen und Federung.

Didier Benetti demonstriert die französische Schlägelhaltung Federung durch das Handgelenk

35 F. Dupin, Rede vom 23.11. bei der Pasic 1991, in: Percussions Nr. 26, 1992, S.18-24 36 F. Dupin, a.a.O. 37 F. Dupin, Übungsanweisung, in: Parcours du timbalier, Paris

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Didier Benetti : « Ich halte den Schlägel nie steif in der Hand. Wie eine Eisenhand in einem Samthandschuh : Du hältst den Schlägel, dass er nicht wegfliegt aber er bleibt ganz frei. Für mich ist im Forte die Rotation mit dem Daumen oben leichter als die mit dem Handrücken oben. Der Schägel kommt von sich aus wieder zurück. »

Nicht die Haltung der Hand, sondern viel öfter den gesamten Bewegungsablauf erläutert die pädagogische Literatur. Der Schlag wird als eine Kombination von Hand- und Armbewegung verstanden. „Der Arm trägt den Klang, das Handgelenk prägt den Anschlag“38. Die starke Dynamik sollte durch die Höhe der Ausholbewegung und nicht mit Kraft oder gar Gewalt erzeugt werden. Der Arm bringt den Schlägel hoch über das Fell und bewegt den Schlägel dann erst hinunter. „Man sollte sich nicht damit begnügen, dass der Schlägel nach einer großen Bewegung einfach auf dem Fell landet“39. Besonders Jean Batigne in Strasbourg hat sehr viel Wert darauf gelegt. Weil die Instrumente an sich schon viel Platz brauchen, sollen die Bewegungen des Paukers „Weite, Präsenz und Autorität vermitteln“40. Man kann sich vorstellen, warum ihm Pierre Boulez liebevoll den Beinamen „der Zar“ gegeben hat. „Der schönste Klang wird ohne jegliche Verkrampfung produziert. Zwischen brutaler Kraft und hoher Gestik, soll der Vorrang immer der letzteren gegeben werden. Musikalität ist die Sorge um die Ästhetik und ihr einziger Bote ist die Gestik.“41 Jean Batigne wurde oft der Schauspielerei bezichtigt, worauf er immer geantwortet hat, dass die Gestik „eine szenische Handlung im Dienste der Musik “42 sei.

(c) Wirbel

Didier Benetti : « Beim Wirbel verwende ich nur das Handgelenk und kaum den Vorderarm. Ich weiß, dass mein Kollege Bernard Katz vom Orchestre Philharmonique de Radio-France die hinteren Finger viel verwendet. Ich habe es probiert, fand es aber nicht bequem und habe auch nie die Notwendigkeit dafür gesehen. Man darf nicht zu schnell wirbeln sonst behindert man das Klingen der Pauke. Als junger Pauker habe ich oft zu schnell gewirbelt, besonders auf den tiefen Pauken. »

(d) Melodische Pauken? Neben der „Bewegungsvirtuosität“ legt die pädagogische Literatur für Pauken hohen Wert auf

hohe „Umstimmungsvirtuosität“. Dupin hat mit seinen Übungen „Das Gehör des Paukenschlägers“ den Anfang gesetzt. Benoit Cambreling, seit 1973 Solopauker des Orchestre National de Lyon, empfiehlt diese Intonationsarbeit, wobei das Augenmerk mehr auf das Hören und Korrigieren als auf die Augen- und Fußgymnastik gerichtet sein sollte. Das Äußerste verlangt wieder Jean Batigne, unser Provokateur aus dem Elsass: „Es ist unverständlich, dass am Ende des 20. Jahrhunderts, die Pauken in der Literatur ohne ernsthafte Erklärung wenig verwendet und immer nur als Begleitung oder rhythmische Unterstützung verwendet werden. Die heutige musikalische Sprache muss sich zur melodischen Pauke hin entwickeln, da diese allein oder mit anderen Instrumenten präzise musikalische Inhalte tragen kann. Seit 1882 besitzen die Pauken Stimmungspedale doch bleiben die Pauker oftmals beinlose Krüppel“43 Jean Batigne hat einige Werke für melodische Pauken komponiert, die ich im Abschnitt „pädagogische Literatur“ anführe.

38 Jean Batigne, Anmerkung in: „les nouvelles timbales françaises“, 2e cahier, S.33 39 F. Dupin, Übungsanweisung, in: Parcours du timbalier, Paris 40 J. Batigne, a.a.O., S.30 41 J. Batigne, a.a.O., S.35 42 J. Batigne, a.a.O., S.30 43 J. Batigne, Vorwort zu „les nouvelles timbales françaises“, Leduc

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(e) Instrumente

In Frankreich werden in den meisten Orchestern und Konservatorien Pauken der Marke Premier mit Plastikfellen verwendet. Dupin spielte am „Orchestre de Paris“ auch Premier Pauken und begründete seine Wahl so: „Der Klang der Pauke soll breit, rund, lang und nobel sein. Manchmal sind sogar die besten Pauken der verschiedenen Marken ungleich, manche sind edel und manche derb. Ich werde Ihnen einige Gründe nennen, warum ich mich für Premier entschieden habe. Ich denke es ist wichtig zu verstehen, welche Rolle die Distanz zwischen Kessel und Druckrahmen spielt. Premier hat das Modell Elite auf meine Vorschläge hin ausgearbeitet und der Klang dieser Pauke ist um das Zehnfache größer geworden. Meinen Grundgedanken habe ich von der Geige : Die Saiten werden auch da nicht direkt hinterm Steg befestigt. Die größere Distanz bewirkt das Gleiche bei der Pauke: Das Fell kann freier ausschwingen, weil es besser am „Kessel-Steg“ schaukeln kann.“44

Benoit Cambreling erklärt, wieso gerade Premier Pauken in Frankreich so verbreitet sind: „Die Vorteile der Premier Pauken sind der günstige Einkaufspreis, die leichte Wartung, die Unempfindlichkeit gegenüber der Witterung, die Strapazierfähigkeit und die Bequemlichkeit des Spieles. Als in

den 60-er Jahren viele neue französische Orchester gegründet wurden, war der internationale Ruf der Ringer Pauken nicht zu übertreffen. Allerdings war diese „Haute Couture“ der Pauken kaum zu bezahlen. Zur gleichen Zeit wurden auch hochwertige amerikanische Ludwig Pauken angeboten. Der Import war aber sehr schlecht organisiert. Und so nutzte die englische Instrumentenfirma die Gelegenheit und eroberte den französischen Markt. Dazu kommt noch, dass die Pauken dieser Zeit oftmals schlecht und mit mittelmäßigen Fellen bespannt waren. So kann man den Triumph der Premier Pauken erklären. Und leider kennen die französischen Pauker seit ca. 30 Jahren nur diesen Klang.“45 Neben seinem Einsatz für Naturfelle hat Benoit Cambreling auch kleine Barock Pauken nach einem Modell des 17. Jahrhunderts bauen lassen. Mit einem Durchmesser von 60 und 55cm, wird ein Naturfell mit 8 Stimmschlüsseln gespannt (wobei 2 dieser Stimmschlüssel abnehmbar sind). Sie werden von der Firma Alphonce Production verkauft. Die Premier Pauken: Beschreibung und Umfang Das Fell wird anhand eines Pedals durch einen Rahmen und Zugstangen auf und niedergedrückt. Die Stimmung wird auf der Seite angezeigt. Es gibt keinen Feinstimmer. Der Kessel ist beim Elite Modell aus Kupfer.

5 22,5 Zoll

2 30 Zoll

3 28 Zoll

4 25 Zoll

1

32 Zoll

44 F. Dupin, Rede vom 23.11. bei der Pasic 1991, in Percussions Nr. 26, 1992 45 B. Cambreling, „le timbalier d’orchestre“ in: Percussions, Nr. 43, 1996

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Tonumfang:

Dieser Umfang wird von F. Dupin in seinem „Lexique“ für Pedalpauken mit Plastikfellen als

Töne, die gut klingen, angegeben. Er erwähnt, dass der Umfang eines Naturfelles ca. eine Quinte ist, während man mit einem Plastikfell einen Umfang bis zu einer kleinen Sept erreichen kann.46

Aufstellung Die tiefen Pauken stehen links vom Spieler. Dieser spielt meistens im Stehen, was ihm eine größere Bewegungsfreiheit und Konzentration ermöglicht. Manche sitzen allerdings, um die notwendige Fußfreiheit zum häufigen Umstimmen zu haben oder wenn sie zu groß sind: da der Anschlagwinkel im Stehen nicht mehr stimmen würde. Das Come-back des Naturfelles Dupin und die Pauker seiner Generation haben ausschließlich auf Plastikfellen gespielt. Für ihn halten sich die Stimmvorteile der Plastikfelle und die Klangqualität der Naturfelle die Waage und er hat sich deshalb für Plastikfelle entschieden. Obwohl viele französische Pauker die runde edle Klangfarbe der Naturfelle übereinstimmend anerkennen, haben wenige die Umstellung gewagt. Der kürzere Nachklang und die Schwierigkeit der Intonation schreckte sie ab. Viele hatten einfach nie die Gelegenheit, auf guten Pauken mit Naturfellen zu spielen, so dass sich Naturfelle in Frankreich nicht durchsetzen konnten. Als einer der Ersten (außer Batigne) plädierte Benoit Cambreling dezidiert für Naturfelle. Seine Argumente für das Kalbfell sind:

„ - Die Genauigkeit der Tonhöhe, die auch nach dem Anschlag stabil bleibt. - Der Tonhöhenunterschied zwischen pp und ff ist geringer. - Auf ein und demselben Paukensatz erzeugen Kalbfelle einen breiteren Klang und ein reicheres Timbre, so dass man mit mehr Schattierungen spielen kann. - Und zuletzt ist die Klangqualität ausgeglichener in allen Spannungslagen.“47

Didier Benetti über seine noch nicht lange Erfahrung mit Naturfellen : « Man merkt, dass man mehr in die Pauke hineinspielt, man muss auch die Schlägel anpassen, aber der Klang ist sehr zentriert und daher auch sehr angenehm. » (f) Schlägel

Die Wahl der Schlägel bestimmt die Klangfarbe, die Deutlichkeit und die Genauigkeit des Spieles. Schon Hector Berlioz machte auf die entscheidende Rolle des Schlägels beim Paukenklang aufmerksam. Er rügte die Komponisten für ihre Nachlässigkeit, wenn sie nicht erwähnten mit welchen Schlägeln gespielt werden sollte.48 Er bedauerte, dass in vielen Orchestern immer nur Holz- oder Lederschlägel verwendet wurden, und soll auf einer Tournee in Deutschland 1842/43 „Schwammschlägel“ verbreitet haben. Die Verwendung eines Meeresschwammes war damals eine Revolution und diente dazu, eine schönen weichen Klang zu erzeugen. Vermutlich der Erste, der auf diese Idee kam, war Poussard, der Pauker an der Pariser Oper war.49

46 F. Dupin, Lexique de la Percussion, La Revue Musicale n°284, Paris, 1971. S. 42-45 und S. 70 47 B. Cambreling, „le timbalier d’orchestre“ in: Percussions, Nr. 43, 1996 48 H. Berlioz, Instrumentationslehre, Leipzig, 1904, S. 406 49 G. Avgerinos, „Über die Paukenschlägel“, in: Das Musikinstrument, Frankfurt/M, 1967, S. 215

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Heute verwenden die meisten französischen Pauker Filzschlägel aus Klavierdämpferfilz. Der Kopf ist aus Holz oder Kork – was für das Gewicht des Schlägels entscheidend ist – und wird mit bis zu drei Lagen Filz überzogen, die um den Stock genäht werden. Die Härte des Schlägels wird von der Anzahl der Stoffschichten und der Dicke des Stoffes sowie vom Grad der Spannung bestimmt. Die Bambusstiele haben eine Länge von ca. 38cm und eine Stärke von 12 bis 15mm. Dupin war der Meinung, dass der Paukenschläger seine Schlägel selber machen sollte wie auch Oboisten ihre Röhre selber bauen. Es gibt in Frankreich hauptsächlich einen Handwerker, der Schlägel herstellt und verkauft: Daniel Laville. Sonst kaufen die Franzosen in Deutschland (ehemalige Rossmann Schlägel) oder in England ein (Firma David Morbey), wobei in diesen zwei Ländern die Rohre dünner sind (9 bis 11mm). Dupin weigerte sich einstmals, die Schlägel für Carters March umzudrehen, weil das die Felle zu sehr beschädigt hätte. Stattdessen verwendete er Filz- und Holzkombischlägel. Wie jeder Orchestermusikermachte auch er die Erfahrung, dass man sich dem jeweiligen Geschmack der Dirigenten anpassen muss: „In jener Mozart Symphonie möchte Georg Solti, dass die Pauken verschwinden, also verwenden wir da „Zuckerwatte“-Schlägel, Daniel Baremboim seinerseits mag den Hinger-Klang nicht und verlangt kleine Staccato-Schlägel.“50

Benettis Reiseauswahl von links nach rechts: Filzschlägel David Morbey, Modell Saul Goodman, Hinger Schlägel, 3 Filzschlägel Daniel Laville

Didier Benetti : « Ich besitze etliche unterschiedliche Schlägel, doch schlussendlich merke ich, dass ich doch nur eine begrenzte Anzahl wirklich verwende : harte und weiche, schwere und leichte und das ist es schon ! Meine Schlägel haben meistens Bambusstiele außer die Ringer Schlägel, die Holzstiele haben. Die Köpfe sind aus Holz oder Kork, sie haben verschiedene Größen und Gewichte. Ich kaufe sie bei Laville, der sie selber herstellt. Sonst spiele ich noch mit industriellen Schlägeln von Hinger und Vic Firth. Ich mag auch das Modell « Saul Goodman » : mit einem Holzkopf und einer Schicht buntem Filz. Ihr Nachteil ist, dass sie eine Naht haben, man muss immer gut zielen ! Wir spielen nie mit nacktem Holz. Vor kurzem habe ich Britten gespielt. An einer Stelle verlangt er Trommelstöcke, weil er offensichtlich einen ganz spitzen Klang möchte. Das kommt aber selten vor... »

50 F. Dupin, Rede vom 23.11. bei der Pasic 1991, in Percussions Nr. 26, 1992, S. 18-24

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3.3 Pädagogische Literatur

Im Unterschied zu Österreich sind in Frankreich in den letzten zwanzig Jahren etliche Werke für Pauke herausgegeben worden. Die Autoren wollen eine „lustige“ Literatur für Kinder und Jugendliche anbieten, das harmonische Denken des Paukers durch die Arbeit mit Klavier oder CD fördern und die Rolle der Pauke erweitern, indem sie diese als „Melodieinstrument“ verwenden.

Jean Geoffroy: Timbale. 1987. Verlag Henry Lemoine.

Lernbuch für Kinder. Duette Pauken und Stabspiele. Gehör- und Stimmungsübungen.

Gérard Berlioz: 30 pièces progressives, Heft 1 & 2. 1992, Verlag Leduc. Kurze Stücke für 2 Pauken und Klavier mit ausgeprägten musikalischen Charakteren. Allerdings darf der Lehrer das Pflichtfach Klavier nicht zu sehr vernachlässigt haben!

Patrice Sciortino: Pièces Classiques, Heft 1 bis 4 ansteigend. 1996, Verlag Billaudot. Für 4 Pauken (mit Umstimmen) und Klavier. Bekannte klassische Themen oder Volkslieder. Hefte 1& 2 sind schon ziemlich schwer dafür ist die Klavierbegleitung leicht!

Denis Riedinger: Eclipses, 1999 Verlag Alphonce Production. 2, 3 und 4 Pauken mit CD-Begleitung. Mission Impossible bis Rosenkavalier.

Jean Batigne: alle Verlag Leduc. Etüden für 4 melodische Pauken und Klavier:

Caractères, schwer Hamac, sehr schwer Vade retro, mittel

Lehrbücher: Les timbales françaises Bd. 1. Training des Handgelenkes Les nouvelles timbales française. Bd. 2. Cahier 1. Klang und Gestik Les nouvelles timbales française. Bd. 2. Cahier 2. Klang und Gestik

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4 Ein prominenter Vertreter der französischen Paukenschule heute: Interview mit Didier Benetti, Solopauker des Orchestre National de France

Darf ich Sie zuerst um ein paar Lebensdaten bitten: Wann sind Sie geboren und welche musikalische Ausbildung haben Sie ? Wie war Ihre berufliche Laufbahn ? Ich bin 1960 geboren. Meinen ersten Schlagwerkunterricht hatte ich an einem Konservatorium in der Pariser Vorstadt. Ich hatte das Glück bei Guy Cipriani zu lernen. Er ist Schlagzeuger an der Pariser Oper. Seine Kleine Trommel ist sehr elegant, er hat eine schöne Technik, die das Instrument zum Klingen bringt. Er spielt immer sehr « gefedert », ohne zu « hauen ». Mit 16 Jahren bin ich zu Delécluse ans CNSM gekommen, wo ich zwei Jahre studierte - von 1976 bis

1978. Ich habe da und dort ausgeholfen bis ich bald eine Stelle als Schlagzeuger am Orchestre Philharmonique de Monte Carlo bekommen habe. Nach eineinhalb Jahren wurde ich als Schlagzeuger vom Orchestre Philharmonique de la Radio engagiert . Ein paar Monate später wurde ich im Orchestre National aufgenommen, das war 1984. Da der zweiter Pauker verunglückte, musste ich oft einspringen. 1987 wurde ich 2. Pauker und 1989 Solopauker. Welche Schlägelhaltung spielen Sie ?

Ich spiele die traditionelle französische Haltung mit dem Daumen oben. Allerdings merke ich, dass ich im Piano meine Hand wende (quasi die Hochrainer Piano-Haltung Anm. d. A.), da spiele ich fast mit dem Handrücken oben. Wie sieht es mit der Schlagfläche aus ?

Meine Schlägel sind ziemlich weit auseinander. Am Anfang hat man mir beigebracht, ich soll mit den Händen vor dem Bauchnabel spielen. Das ist unbequem, man ist eingeklemmt. Ich halte meine Schlägel in Schulterbreite und schlage ca. 10cm vom Rahmen entfernt.

Festes Griff für einen Staccato Klang Schlagfläche in Schulterbreite

Wie erhalten Sie verschiedene Klangfarben ?

Für mich ist die Geste von großer Wichtigkeit. Für einen schweren Klang, mache ich eine große Ausholbewegung und verwende das ganze Gewicht des Armes. Oder im Gegenteil, für ein Staccato nutze ich nur einen Impuls des Handgelenkes. Mir scheint, dass wir uns gar nicht so sehr von den Streichinstrumenten unterscheiden : Wenn ein Geiger einen fetten schweren Klang möchte,

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wird er das Gewicht seines Armes einsetzen und eine weite Bewegung machen. Der Schlägel allein kann nicht alles ausmachen. Man kann auch mit hartem Schlägel einen samtweichen Anschlag erzeugen, wenn das Handgelenk weich ist.

Fest im Griff Abfedern mit dem Handgelenk Mit dem Gewicht des Armes

Was sind Ihrer Meinung nach die Merkmale der französichen Paukenschule ?

Ich habe es mir im Hinblick auf dieses Gespräch überlegt : Es ist gar nicht einfach ! Wenn ich ganz ehrlich bin, meine ich, dass es gar keine « Schule » in dem Sinn gibt. Niemand bringt dir in Frankreich bei, wie man im Orchester spielt. Ich habe schon die Haltung gelernt und auch Etüden gespielt, aber ich meine, dass sich jeder - auch im Konservatorium (CNSM) in Paris - seinen Paukenklang aussucht. Viele Etüden und Konzerte, die wir da gespielt haben, haben nichts mit unserem Orchesterjob zu tun. Niemand hat mir gezeigt, wie man Cinellen spielt oder Tricks für die heiklen Tamburinstellen gegeben. Jeder findet es mit mehr oder weniger Glück alleine heraus. Jetzt hat Michel Cerrutti die Professur am CNSM bekommen : Er kennt sich durch seine Tätigkeit am Ensemble Intercontemporain sehr gut mit moderner Literatur aus, aber ich fürchte, dass man das Paukenspiel auch dort nicht lernen wird. Vielleicht hat Dupin am CNSM in Lyon mehr Wert drauf gelegt... Sie meinen, dass die Schlaginstrumente vor allem Orchesterinstrumente sind ?

Ich meine, dass die Pauken Orchesterinstrumente sind. Natürlich gibt es einige Solostücke, die interessant sind (wie die Etüden von Carter oder die Sonate von Bartók, das ist aber ziemlich begrenzt). Aber man sollte die Pauken anders angehen. In Frankreich haben die guten und erfahrenen Orchesterpauker nicht unterrichtet. Und so ist der französische Paukenklangstil mündlich oder durch Konzertbesuche nur sehr bruchstückweise überliefert worden. Sie haben sich das Paukenspiel sozusagen selber beigebracht ?

Ja, ich habe angefangen das Paukenspiel zu verstehen, ab dem Moment, wo ich Pauken im Orchester gespielt habe. Durch meinen ersten Lehrer war ich ein schlankes Spiel gewohnt. Ich habe stets einen schönen Klang gesucht, einen Klang, der nicht hineindrückt, der nicht hämmert. Das habe ich auch an der Pauke angewendet. So kann das Instrument schwingen. Dann ist es leichter bei Bedarf Gewicht, Attacke oder Härte hinzuzufügen. Auf welchen Instrumente spielen Sie ?

Ich habe mein ganzes Leben auf Pedalpauken mit Plastikfellen gespielt. Das Orchester besitzt einen Satz Pauken Premier Elite. Seit drei oder vier Jahren beziehe ich sie mit « Renaissance

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Fellen », das finde ich eine sehr gute Entwicklung. Die haben eine ganz andere Textur. Vor zehn Jahren habe ich Adams Pauken gekauft, aber mir gefällt der Klang gar nicht. Der Kessel klingt nicht, ich verwende sie kaum mehr. Dann hat uns Kurt Masur gefragt, ob wir nicht Naturfelle hätten. Als typischer Deutscher wollte er diesen Klang haben. Da haben wir unsere Ringer Imitate (Ringer Pauken von Ludwig hergestellt) mit Kalbfellen montieren lassen. Das war für uns die Gelegenheit das auszuprobieren und es war ein Genuss! Allerdings ist das ein ganz anderer Klang und man muss sich erst daran gewöhnen: Der Nachklang ist kürzer, aber es klingt gut und kommt im Orchester besser raus. Diese Pauken wollen wir jetzt für das ganze große klassische und romantische Repertoire verwenden. Die Tonhöhe ist sehr definiert und rein, es gibt weniger problematische Resonanzen. Gibt es andere französische Pauker, die auf Naturfellen spielen ?

Der erste, der das wieder einführte, war Benoit Cambreling in Lyon. Sonst macht das noch Denis Riedinger in Strasbourg. Strasbourg liegt zwar in Frankreich, aber es ist so geprägt von der deutschen Kultur, dass das dort fast selbstverständlich ist. Und in Monte Carlo hat der junge Pauker auch Instrumente mit Naturfellen gekauft. Und wie geht es Ihnen damit ?

Wir müssen erst lernen damit umzugehen : Bei meiner ersten Probe auf diesen Pauken, war die große Pauke schlecht aufgezogen, sie ist innerhalb von zehn Minuten eine Terz raufgegangen. Ich konnte den Ton nicht mehr kriegen, der Maestro war verständnisvoll, aber ich war furchtbar verlegen. Einmal habe ich einen feuchten Schwamm verwendet, das war eine Katastrophe : Das Fell hat sich gewellt. Ich konnte nur warten bis es wieder trocknet! Zusätzlich problematisch ist, dass wir viel reisen. Wir proben oft in verschiedenen Studios des Rundfunks und spielen dann am Theatre des Champs Elysées. Bei diesen vielen « Umzügen » sind die Ringerpauken eine Plage : Sie wiegen drei Tonnen, ihre Zugstangen sind zerbrechlich und die Naturfelle mögen das auch nicht besonders. Was besonders gut an den Ringer Pauken ist, ist dieser Feinstimmer, aber man könnte ein modernes Modell entwickeln, das besser unseren Arbeitsbedingungen entspricht. Ich habe auch die Firma Kolberg gefragt, ob man nicht Naturfelle auf meine Premierpauken montieren könnte, das würde mich interessieren. Vielleicht hat man deswegen so lange an den Plastikfellen festgehalten ?

Ja, man hat lange geglaubt, dass die Intonationsprobleme mit Plastikfellen verschwinden. Natürlich scheinen viele Probleme auf einen Schlag gelöst zu sein. Aber auch die Plastikfelle nützen sich ab, verlieren ihre Elastizität. Die neuen Felle klingen von selbst, die alten machen nur mehr « krtsch » und man kann sie nicht mehr regulieren. Als ich zum Orchestre National kam, hat ein alter Herr die Einkäufe gemacht und er hat es gar nicht eingesehen, dass man die Felle wechseln sollte, solange sie nicht zerissen sind. Und es passiert mir halt selten, dass ich ein Fell durchsteche! (Lachen). Für ihn war Plastik fürs ganze Leben « ad vitam eternam ». Heutzutage ist das natürlich anders, wir wechseln die Felle zweimal im Jahr.

Ein anderer Unterschied, der mir bei den Naturfellen auffällt, ist, dass der Rhythmus deutlicher ist, die Naturfelle vertragen einen härteren, nervöseren Anschlag ohne zu knallen. Auf die Plastikfelle muss man oft hart spielen, damit es im Saal überhaupt hörbar ist. Es ist manchmal frustrierend Schlägel benutzen zu müssen, die für den Musiker selbst hart und häßlich klingen, damit der Klang im Saal deutlich ist. Wir haben in Paris keinen guten Konzertsaal. Der Saal ist das Instrument des Orchesters. Hier im Wiener Musikverein klingt es gut, da macht das Musizieren besonders Spass. Könnten Sie sich vorstellen hier im Orchester zu spielen ?

Ich denke, dass kein französischer Pauker hier ins Orchester engagiert werden würde. Und umgekehrt auch nicht. Dazu sind unsere Hörgewohnheiten zu unterschiedlich.

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Welchen Einfluss hatte das Repertoire auf die Spielweise oder war es umgekehrt ? Ich denke, dass vor allem das Repertoire die Spielweise und den Instrumentenbau

vorangetrieben haben. Der Komponist hatte im Kopf die Vorstellung eines Klanges, den er hören wollte. Ich frage mich, ob Berlioz seine « Fantastique » entsprechend seiner Vorstellung gehört hat, denn die Pauken waren noch nicht entsprechend. Bei Strawinsky und Bartók hat man die Pauke fast melodisch auffassen müssen. Bis Berlioz hatte die Pauke eine ausschließlich rhythmische und harmonische Aufgabe : G C G C D A D A. Das war schon eine sehr wichtige Rolle aber Berlioz hat diese bedeutend erweitert. Dann später auch Debussy und Ravel, die die Pauke als Stimmungsmacher und als Klangfarbe eingesetzt haben. Auch Wagner hat sie so verwendet. Vielen Dank für das Gespräch !

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ZUSAMMENFASSUNG

Die zentralen Ausbildungstätten (Universität für Musik in Wien und die beiden französischen CNSM in Paris und Lyon) vermitteln im jeweiligen Land eine ziemlich einheitliche Paukenspielweise: Richard Hochrainer, der Gründer der Wiener Paukenschule, hat mit großer Sorgfalt seine Thesen über das Paukenspiel schriftlich festgehalten. Zweifellos wollte er diese der nächsten Generation weitergeben. In Frankreich hingegen gibt es keine entsprechende Quelle: Félix Passerone, der durch seine Stellung als erster Pariser Professor für Schlagwerk eine ähnliche Rolle gespielt haben dürfte, hat uns leider nichts Schriftliches hinterlassen und ein Überblick über die verschiedenen Spielweisen seiner Schüler wird durch die Größe des Landes erschwert. Der Gegensatz dieser Umstände spiegelt auch einen grundsätzlichen kulturellen Unterschied wider: In Wien spürt man deutlich ein bewusstes Fortführen der Tradition, während eine Tradition als solche in Frankreich kaum gepflegt wird. Nichtsdestoweniger kann man auch in Frankreich eine gewisse Verwandschaft zwischen Dupin, Batigne, Cambreling und Benetti feststellen. Sie sind auf jeden Fall Hauptfiguren der heutigen französischen Paukenszene und weisen sowohl in Veröffentlichungen als auch bei Meisterkursen (vor allem im Rahmen der nationalen Schlagzeuger-Vereinigung „Association française pour la percussion“ und ihre Zeitschrift „Percussions“) auf das Erbe von Félix Passerone hin. Deshalb konnte ich ihre Äußerungen als Grundlage für diese Arbeit heranziehen. Da ich im Rahmen dieser Arbeit und anhand des mir zur Verfügung stehenden Materials jedoch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erfüllen konnte und wollte, geschah der Vergleich der beiden Schulen ansatzweise an einzelnen Punkten.

Zwischen der Wiener und der französischer Paukenschule konnte ich neben den Unterschieden auch bestimmte Ähnlichkeiten feststellen: Beim Schlag soll da wie dort das Fell möglichst kurz berührt werden. Der Anschlag soll nicht knallen oder hämmern sondern er soll klangvoll und elegant sein. Unbeantwortet muss aber die Frage bleiben, ob diese Vorstellung eines „schönen“ Klanges da und dort wirklich die gleiche ist. Denn obwohl französische und österreichische Pauker dasselbe wollen, gehen ihre Klangvorstellungen zwangsläufig, vor allem durch die Unterschiede der Instrumente, weit auseinander. Die traditionsbewussten Wiener haben an ihren Pauken mit Ziegenfellen festgehalten, obwohl auch diese einige Schwachstellen haben: Die Fixierung des Felles an den Zugstangen ist nicht sehr stabil und das Klangvolumen der tiefen Pauken ist kaum ausreichend für moderne Konzertsäle. Die Franzosen hingegen haben es in den 60-er Jahren für modern gehalten, zu Pedalpauken mit Plastikfellen überzugehen, ohne wirklich zu merken, was ihnen dabei verloren ging. Prof. Kurt Prihoda fasst die Konsequenz davon kurz und bündig zusammen: „Ihr spielt harte Instrumente weich und wir spielen weiche Instrumente hart.“ Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Durch das Ausholen des Vorderarmes entsteht bei der Wiener Technik ein schneller und direkter Anschlag. Der Klang ist sehr deutlich aber nicht hart. Bei der französischen Technik kann der Schlägel durch das Drehen des Vorderarmes aus Schulterhöhe fallen gelassen werden. Auf Grund einer lockeren Daumen-Zeigefinger-Zange wird der Rückschlag nicht behindert: Der Klang ist rund und schlank. Und gerade dieser schlanke Ton entspricht dem Geschmack der französischen Pauker, wobei mir dabei die Deutlichkeit des Rhythmus‘ der Schwachpunkt zu sein scheint. Vielleicht können Naturfelle das in Zukunft ausgleichen, weil diese härtere Schlägel vertragen. Die französischen Musiker, die Gelegenheit hatten auf Naturfellen zu spielen, bestätigen sowohl den schönen Klang als auch die exaktere Tonhöhe. Der kommerzielle Schachzug der Firma Premier hat aber dazu geführt, dass die meisten jungen Pauker nie auf Naturfellen gespielt haben und Naturfelle klangstilistisch dem deutschen Raum zugeordnet werden.

Was den Einsatz des Körpers betrifft, glaube ich, dass die Unterschiede gering sind: Jeder verwendet das Gewicht (des Schlägels, des Armes), den Druck der Finger und mehr oder weniger Impuls vom Handgelenk, um die Klangfarben zu ändern. Klar ist, dass auch das musikalischen Umfeldes und die mentale Vorstellung der Musiker ausschlaggebend sind. Die Betonung des Bewegungsablaufes hängt mit der Liebe der Franzosen für „Show“, Virtuosität und Prunk zusammen. Herbert Tobischek bemerkt, dass sich seit Berlioz die Wege der Verwendung der Pauke

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trennen: Die Franzosen verwenden eine große Anzahl von Pauken und betonen ihre harmonische Rolle, während man im deutschen Sprachgebiet seit Beethoven die Pauken rhythmisch differenziert und melodisch einsetzt.51 Vielleicht hängt die Betonung der Gestik in Frankreich auch mit der Notwendigkeit, die „Vielpaukerei“ zu meistern, zusammen. Dabei geht es allen (auch Batigne) im Grunde um die Bewegung vor dem Schlag, die allein den Klang beeinflusst, und nicht um irgendwelche Showelemente nach dem Anschlag - wobei natürlich die Bewegung nach dem Schlag fortgeführt werden muss. Zur Federung des Schlages auf ihren „harten“ Instrumenten setzen die Franzosen auch Handgelenk und Ellbogen ein: Der Anschlag wird nicht abgeblockt sondern im „elastischen“ Arm fortgesetzt, wodurch die Ausholbewegung für den nächsten Schlag entsteht: eine Art Welle. Diese Technik wird international auch auf der Kleinen Trommel und auf der Marimba verwendet.

Die österreichische Orchestertradition hat jahrzehntelang die Ausbildung geprägt und dafür gesorgt, dass die jungen Musiker auf Orchesterprobespiele vorbereitet werden. Langsam gewinnt aber auch in Österreich eine Pädagogik Raum, die auf das Spielerische und das Ensemblespiel ausgerichtet ist. Spaß ist der beste Motor beim Lernen, das hat auch Hochrainer schon gewusst als er seine Trommelduette komponierte.52 Für den heutigen Schüler klingt „Rap“ und „Blues“ verheißungsvoller als „Marsch“ und „Walzer“! So passen sich die Lehrer an und sind aber gerade damit weiterhin ganz auf Hochrainers Linie. Interessant ist auch, dass in beiden Länder ehrgeizige Musiker wie Bruno Hartl und Jean Batigne eine melodische Virtuosität entwickeln und die Grenzen der Möglichkeiten ihrer Instrumente erweitern.

Im künstlerischen wie im kulturellen und sprachlichen Bereich bleibt die Vielfalt Europas

bestehen. Sollen wir weiterhin an der jeweiligen Tradition festhalten? Tradition ist sicher eine Schatzkiste, der man Altbewährtesentnehmen kann. Aber Tradition kann auch einengen, so dass wir nur mehr mit Scheuklappen durchs Leben gehen. Gustav Mahler soll gesagt haben: „Tradition heißt, die Glut am Glühen zu halten, nicht die kalte Asche aufzubewahren.“ Wenn wir alles, wie die Alten machen wollen, werden wir es gerade nicht wie sie machen, denn die Alten waren oftmals erfinderische Pioniere. Gerade die Konfrontation verschiedener Traditionen kann uns inspirieren und etwas weiterentwickeln helfen.

QUELLENVERZEICHNIS

Avgerinos, Gerassimo: „Über die Paukenschlägel“ in: Das Musikinstrument, Frankfurt/M., 1967 Batigne, Jean: „les nouvelles timbales françaises“, Band II, 2e cahier Berlioz, Hector: Große Instrumentationslehre, erg. und rev. von R. Strauss, Leipzig 1905 Bertsch, Matthias:Vibration patterns and sound analysis of the viennese Timpani, in:

International Symposium on Musical Acoustics, Perugia, 2001 Cambreling, Benoit: „le timbalier d’orchestre“ in: Percussions, Nr. 43, Chailly-en-Bière, 1996 Dupin, François: Lexique de la Percussion, La Revue Musicale n°284, Paris, 1971 Dupin, François: Rede vom 23.11. bei der Pasic 1991, in Percussions Nr. 26, 1992 Dupin, François: Le Parcours du timbalier, Paris, 1978 Hochrainer, Richard: Etüden für Timpani“, Bd. I Hochrainer, Richard:„Etüden für Timpani“, Bd. II Hochrainer, Richard: Artikel „Der Schlag“, in: Das Orchester, September 1968 Hochrainer, Richard: Artikel „Gedanken zu Tempo und Rhythmus“, Privatbesitz M. Vladar Hochrainer, Richard: „Aus der Wiener Schlagwerkschule“, 10. Folge, in: Österreichische

Blasmusik 51 H. Tobischek, a.a.O., S. 105 52 R. Hochrainer, „Trommeln macht Spaß, erst gar zu zweit“, Vorwort in: Duette für Trommler, Wien, 1974

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Hochrainer, Richard: Rechts oder Links- „das ist die Frage“, in: Das Orchester, Dez. 1973 Hochrainer, Richard: Lebenslauf, Privatbesitz M.Vladar Prihoda, Kurt: Die Wiener Schlagwerkschule, in: Das Orchester 1979 Roth, René: in Percussions Nr. 35, Chailly-en-Bière, 1994 Schuster, Wolfgang: Konstruktionsmerkmale und Klangstil des Wiener Schlagwerks, in: Klang und

Komponist, ein Symposium der Wr. Philharmoniker, 1992 Tobischek, Herbert: Die Pauke, Tutzing, 1977 Wiener Philharmoniker: www.wienerphilharmoniker.at/german/klangstil.htm Widholm, Gregor: „Die Wiener Instrumente“, in: Das Orchester, September 2002

EINIGE ADRESSEN

FRANKREICH:

Association Francaise pour la percussion (afpercu) 21, rue Armand Carrel F-93100 Montreuil Tél : +33- (0) 1 48 57 54 14 [email protected] www.afpercu.com Michel Faligand (der Hauptinitiator der afpercu) [email protected]

Forum International des Percussions Actuelles (FIPA) Jährlicher Meisterkurs in den Französischen Südalpen. Treffpunkt für die „Crème de la crème“ der Schlagzeugszene. Infos: www.percussionsclaviersdelyon.com/Fipa.htm Alphonce Production (Verlag mit neuer pädagogischen Literatur) 20, rue Ste Rose F-63000 Clermont-Ferrand Tel: +33- (0)4 73 37 70 00 ;Fax: +33- (0)4 73 36 84 09

ÖSTERREICH Wiener Schlaginstrumentenbau, Prof. Wolfgang Schuster Papagenogasse 5/12 A-1060 Wien (office hours: 08:00-11:00 CET) Tel: +43-1-585 45 31-2 Fax: +43-1-585 45 31-9 [email protected] www.ioia.at

Institut für Wiener Klangstil Singerstrasse 26a A-1010 Wien Tel.: +43-1-71155 – 4301 Fax.: +43-1-71155 - 4399 [email protected] http://iwk.mdw.ac.at/Welcome.htm

Wienerschlägel: Prof. Gerald Fromme Manfred Kaufmann Alserstraße 32/6 Enzianweg 1B; A- 1090 Wien A - 2353 Guntramsdorf Tel: +43-1-4068522 Tel. +43 (0) 2236/ 52251 Fax: +43-1-4071793 Fax + 43 (0) 2236/ 532 94 [email protected] E-mail: [email protected]

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