17. internationaler kongress des vod

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31 Osteopathische Medizin BERICHT 15. Jahrg., Heft 4/2014, S. 31, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed 17. Internationaler Kongress des VOD Im Rahmen seiner „Deutschlandrund- reise“ fand dieses Jahr der 17. Interna- tionale Kongress des Verbandes der Osteopathen Deutschland, VOD, im kleinen Bad Nauheim statt. Vom 3. bis 5. Oktober 2014 beschäſtigten sich dort drei Tage lang 450 Osteopathen aus ganz Europa praktisch, didaktisch und philosophisch mit dem ema „Suther- lands Vision“. Zeitgleich informierten am 4. Oktober 2014 Verbandsmitglieder die Bevölke- rung in der Innenstadt über den prak- tischen Nutzen des eigenständigen medizinischen Diagnose- und Behand- lungssystems Osteopathie. Zum Kon- gress waren 37 Dozenten des Sutherland Cranial College of Osteopathy (SCCO) geladen, die meisten aus England. Unterstützt wurden sie von 16 Tutoren und zehn Übersetzern, alles Mitglieder oder in der Ausbildung an der SCCO. Beim SCCO handelt es sich um die eu- ropäische Tochterorganisation der ame- rikanischen Sutherland Cranial Teaching Foundation (SCTF), welche 1953 von W.G. Sutherland und seinem Ausbildungsteam innerhalb der Cranial Academy gegründet wurde mit dem Ziel, die Osteopathie im kranialen Be- reich nach den Prinzipien zu etablieren, wie sie von Sutherland entwickelt und verstanden worden waren. Eva Möckel D.O., eine der wenigen deutschen Dozentinnen des Teams, eröffnete den inhaltlichen Teil des Kon- gresses mit der Vorstellung der Geschichte und der Lehr- und Lern- konzepte des SCCO. Sutherlands Ver- ständnis, dass nur, was selbst erfahren wurde, wirklich verstanden werden kann, bildet die Basis der Ausbildung. Gelernt und gearbeitet wird in Klein- gruppen mit einem Verhältnis Tutor zu Studenten von 1:4. Die Pause ist ein in- tegraler Bestandteil des Lernens, es geht um Experimentieren und Aus- nes Organismus auſtauchen lässt. Mit dieser Grundhaltung wurden weitere emen wie die Behandlung von Neu- geborenen, Kindern, auch speziell mit Koliken, in der eorie vorgetragen und praktisch in Workshops vertieſt. Am zweiten Vortragsvormittag standen die historischen Grundlagen der geistes- wissenschaſtlichen Philosophie von Sutherland und damit die argumenta- tive Begründung seines Konzepts auf dem Plan (Susan Turner D.O.). Weiter- hin eine der vielen möglichen Antwor- ten A.T. Stills auf die Frage, was denn Osteopathie sei – „Osteopathy is Nature! We are all related! Und Osteopathy is Philosophy!” (John Lewis D.O.). In „standing ovations“ drückten berührte Zuhörer ihre Begeisterung zu beiden Vorträgen aus. Beim samstagabendlichen Festakt wur- den das 20-jährige Bestehen des VOD, die Verdienste seiner Vertreter und Vertreterinnen, insbesondere seiner Vorsitzenden Prof. Marina Fuhrmann D.O., gewürdigt und die Verleihung der Urkunden an sechs neue D.O. gefeiert. Im Grunde ein gelungener Kongress – möchte man denken und fühlen. Nur ließ das große Verbundenheitsgefühl, das an diesem Wochenende unter Teil- nehmern und Vortragenden so selbst- verständlich war, manche, die nicht in dieser speziellen Form der Osteopathie leben und arbeiten, sich unbehaglich fühlen. Wissen und Handeln ist für viele in der Osteopathie plausibler als Wahrnehmen und Zulassen. Auch im Umgang damit lässt sich das Credo der SCCO erfolgreich anwenden: Einfach betrachten, anerkennen was ist, nicht werten – bei sich selbst bleiben. Der Mechanismus weiß am besten, was zu tun ist, und nimmt sich, was er braucht. Friederike Kaiser, Berlin tausch, alle lernen voneinander, ohne Druck, ohne Wertung, in gegenseiti- gem Respekt und wertschätzender Ak- zeptanz. Es wird anerkannt, was sich bei der Palpation darstellt, dem Körper (dem eigenen und dem des Patienten) vertraut in der tiefen Überzeugung, dass das, was gezeigt werden möchte, sich auch zeigen wird, das, was sich ver- ändern möchte, sich auch verändern wird. Das heißt nicht, dass nicht gelernt werden muss. Die Kenntnis der Anato- mie bleibt das Kernstück, bildet den Raum, in dem Veränderung stattfinden darf. Diese grundsätzliche Haltung des „Nicht-Tuns“, des Zuhörens, des Nicht- Wertens zu erlernen unterscheidet den Unterricht an der SCCO und seiner Mutterorganisation der SCTF von dem an klassischen Osteopathieschulen. Hier scheiden sich aber auch die Geis- ter, was die Sinnhaſtigkeit und den Ef- fekt osteopathischer Behandlungen nach diesem Konzept angeht. Und tat- sächlich, es ist ein schmaler Grat, der sowohl für Patienten als auch für Kol- legen eine wirksame, respektvolle, nicht invasive Behandlung im „Crani- alen Feld“ vom zumindest im osteopa- thischen Sinne unspezifischen Hand-Auflegen unterscheidet. Wo genau diese Grenze verlaufen kann, wurde bei diesem Kongress in den Vor- trägen und Workshops deutlich. So führte unter anderem Liz Hayden D.O. die Kongressteilnehmer in eorie und Praxis durch die Physiologie und Ana- tomie des Gefäßsystems, Sybil Grund- berg D.O. durch das System des Liquor cerebrospinalis und Tim Marris D.O. durch die Faszien. Genaue anatomische und physiologische Kenntnisse bilden die Voraussetzung dafür, sich bei der Palpation nicht in den Sensationen zu verlieren, die eine geschärſte Wahrneh- mungsfähigkeit bei der Betrachtung ei-

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Osteopathische MedizinB E R I C H T

15. Jahrg., Heft 4/2014, S. 31, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed

17. Internationaler Kongress des VOD

Im Rahmen seiner „Deutschlandrund-reise“ fand dieses Jahr der 17. Interna-tionale Kongress des Verbandes der Osteopathen Deutschland, VOD, im kleinen Bad Nauheim statt. Vom 3. bis 5. Oktober 2014 beschäft igten sich dort drei Tage lang 450 Osteopathen aus ganz Europa praktisch, didaktisch und philosophisch mit dem Th ema „Suther-lands Vision“. Zeitgleich informierten am 4. Oktober 2014 Verbandsmitglieder die Bevölke-rung in der Innenstadt über den prak-tischen Nutzen des eigenständigen medizinischen Diagnose- und Behand-lungssystems Osteopathie. Zum Kon-gress waren 37 Dozenten des Sutherland Cranial College of Osteopathy (SCCO) geladen, die meisten aus England. Unterstützt wurden sie von 16 Tutoren und zehn Übersetzern, alles Mitglieder oder in der Ausbildung an der SCCO. Beim SCCO handelt es sich um die eu-ropäische Tochterorganisation der ame-rikanischen Sutherland Cranial Teaching Foundation (SCTF), welche 1953 von W.G. Sutherland und seinem Ausbildungsteam innerhalb der Cranial Academy gegründet wurde mit dem Ziel, die Osteopathie im kranialen Be-reich nach den Prinzipien zu etablieren, wie sie von Sutherland entwickelt und verstanden worden waren. Eva Möckel D.O., eine der wenigen deutschen Dozentinnen des Teams, eröff nete den inhaltlichen Teil des Kon-gresses mit der Vorstellung der Geschichte und der Lehr- und Lern-konzepte des SCCO. Sutherlands Ver-ständnis, dass nur, was selbst erfahren wurde, wirklich verstanden werden kann, bildet die Basis der Ausbildung. Gelernt und gearbeitet wird in Klein-gruppen mit einem Verhältnis Tutor zu Studenten von 1:4. Die Pause ist ein in-tegraler Bestandteil des Lernens, es geht um Experimentieren und Aus-

nes Organismus auft auchen lässt. Mit dieser Grundhaltung wurden weitere Th emen wie die Behandlung von Neu-geborenen, Kindern, auch speziell mit Koliken, in der Th eorie vorgetragen und praktisch in Workshops vertieft . Am zweiten Vortragsvormittag standen die historischen Grundlagen der geistes-wissenschaft lichen Philosophie von Sutherland und damit die argumenta-tive Begründung seines Konzepts auf dem Plan (Susan Turner D.O.). Weiter-hin eine der vielen möglichen Antwor-ten A.T. Stills auf die Frage, was denn Osteopathie sei – „Osteopathy is Nature! We are all related! Und Osteopathy is Philosophy!” (John Lewis D.O.). In „standing ovations“ drückten berührte Zuhörer ihre Begeisterung zu beiden Vorträgen aus. Beim samstagabendlichen Festakt wur-den das 20-jährige Bestehen des VOD, die Verdienste seiner Vertreter und Vertreterinnen, insbesondere seiner Vorsitzenden Prof. Marina Fuhrmann D.O., gewürdigt und die Verleihung der Urkunden an sechs neue D.O. gefeiert.Im Grunde ein gelungener Kongress – möchte man denken und fühlen. Nur ließ das große Verbundenheitsgefühl, das an diesem Wochenende unter Teil-nehmern und Vortragenden so selbst-verständlich war, manche, die nicht in dieser speziellen Form der Osteopathie leben und arbeiten, sich unbehaglich fühlen. Wissen und Handeln ist für viele in der Osteopathie plausibler als Wahrnehmen und Zulassen. Auch im Umgang damit lässt sich das Credo der SCCO erfolgreich anwenden: Einfach betrachten, anerkennen was ist, nicht werten – bei sich selbst bleiben. Der Mechanismus weiß am besten, was zu tun ist, und nimmt sich, was er braucht.

Friederike Kaiser, Berlin

tausch, alle lernen voneinander, ohne Druck, ohne Wertung, in gegenseiti-gem Respekt und wertschätzender Ak-zeptanz. Es wird anerkannt, was sich bei der Palpation darstellt, dem Körper (dem eigenen und dem des Patienten) vertraut in der tiefen Überzeugung, dass das, was gezeigt werden möchte, sich auch zeigen wird, das, was sich ver-ändern möchte, sich auch verändern wird. Das heißt nicht, dass nicht gelernt werden muss. Die Kenntnis der Anato-mie bleibt das Kernstück, bildet den Raum, in dem Veränderung stattfi nden darf. Diese grundsätzliche Haltung des „Nicht-Tuns“, des Zuhörens, des Nicht-Wertens zu erlernen unterscheidet den Unterricht an der SCCO und seiner Mutterorganisation der SCTF von dem an klassischen Osteopathieschulen. Hier scheiden sich aber auch die Geis-ter, was die Sinnhaft igkeit und den Ef-fekt osteopathischer Behandlungen nach diesem Konzept angeht. Und tat-sächlich, es ist ein schmaler Grat, der sowohl für Patienten als auch für Kol-legen eine wirksame, respektvolle, nicht invasive Behandlung im „Crani-alen Feld“ vom zumindest im osteopa-thischen Sinne unspezifischen Hand-Aufl egen unterscheidet. Wo genau diese Grenze verlaufen kann, wurde bei diesem Kongress in den Vor-trägen und Workshops deutlich. So führte unter anderem Liz Hayden D.O. die Kongressteilnehmer in Th eorie und Praxis durch die Physiologie und Ana-tomie des Gefäßsystems, Sybil Grund-berg D.O. durch das System des Liquor cerebrospinalis und Tim Marris D.O. durch die Faszien. Genaue anatomische und physiologische Kenntnisse bilden die Voraussetzung dafür, sich bei der Palpation nicht in den Sensationen zu verlieren, die eine geschärft e Wahrneh-mungsfähigkeit bei der Betrachtung ei-