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1 „Wer bin ich?“ Oder: Warum es so schwer ist, sich selbst zu erkennen

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Page 1: 1 Wer bin ich? Oder: Warum es so schwer ist, sich selbst zu erkennen

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„Wer bin ich?“ Oder: Warum es so schwer ist, sich selbst zu erkennen

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Zur Psychologie der Selbsterkenntnis

Über niemanden wissen wir so viel wie über uns selbst Wir sind 24 Stunden am Tag mit uns selbst zusammen Wir können nicht nur unser eigenes Verhalten beobachten,

sondern kennen auch unsere Gefühle und Gedanken Introspektion ist immer nur bei uns selber möglich

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Zur Psychologie der Selbsterkenntnis

Über wenige Menschen wissen wir so wenig wie über uns selbst Wir sehen uns niemals von außen Wir können niemals uns selbst mit anderen aus der

Beobachterperspektive vergleichen

Beispiele Nonverbale Signale: Reden mit Händen und Füßen Paraverbale Signale: Unsere eigene Stimme hören wir immer

deutlich tiefer als andere uns hören

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Selbsterkenntnis: Wollen wir das eigentlich?

Motive bei der Selbstwahrnehmung Validitätsmotiv

Effiziente Steuerung des eigenen Verhaltens

Beispiel: Wie attraktiv bin ich?

Motiv der Erhöhung von Glück und Zufriedenheit

Beispiel: Welchen Beruf sollte ich wählen?

Motiv des Selbstwertschutz bzw. der Selbstwerterhöhung

Schutz vor unangenehmen Wahrheiten

Furcht vor „seelischen Abgründen“

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Zur Psychologie der Selbsterkenntnis

Dimensionen der Selbsterkenntnis

Identifikation der eigenen Position auf kontinuierlichen Merkmalen (Attraktivität, Intelligenz, Sportlichkeit usw.)

Wie bin ich (im Vergleich zu anderen)?

Identifikation der eigenen Motive und Antriebe

Was will ich?

Was macht mich glücklich?

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Wie kann man die Validität unserer Selbstwahrnehmung prüfen?

Objektive Testwerte (z.B. sportliche Leistungen, Intelligenzquotienten)

Verhaltenskriterien (z.B. Beförderungen, Berufserfolg)

Fremdbeurteilungen (z.B. hinsichtlich sozialer Merkmale wie “Freundlichkeit” oder “Humor”) Viele soziale Merkmale sind durch das Urteil von anderen geradezu

definiert Beispiel: Beliebtheit, körperliche Attraktivität

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Meta-Analyse über eine Vielzahl an Studien

Durchschnittliche Korrelation zwischen Selbstbeurteilung und Kriterium: r = .20 bis r = .30

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Beispiel: Korrelation zwischen selbst eingeschätztem Intelligenzquotienten und tatsächlichem Testwert: r = .32

Studie von Borkenau et al. (1993) Vpn sahen Videos von Stimuluspersonen, die einen vorformulierten

Wetterbericht vorlasen

Anschließend sollten die Vpn den Intelligenzquotienten der Stimuluspersonen einschätzen

Korrelation zwischen Intelligenzquotienten der Stimuluspersonen und den Einschätzungen durch die Vpn: r = .30

Das bedeutet: Nach 30 Sekunden wissen Fremde über unseren Intelligenzquotienten genauso viel wir wir selbst (nach einem ganzen Leben)!

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Der „Better than average“ Effekt

Die meisten Menschen glauben positive Eigenschaften stärker

aufzuweisen als die meisten anderen Menschen

Die meisten Menschen glauben negative Eigenschaften in

geringerem Maße aufzuweisen als die meisten anderen Menschen

Diese Effekte konnten für eine große Anzahl an Eigenschaften

nachgewiesen werden

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Beispiele für den „Better than Average“ Effekt: Sportlichkeit (amerikanische High School Studenten):

60 % hielten sich für sportlicher als der Durchschnitt

34 % hielten sich für genauso durchschnittlich wie der Durchschnitt

6 % hielten sich für weniger sportlich als der Durchschnitt

Fähigkeit, „mit anderen Menschen zurecht zu kommen“: Niemand beschrieb

sich als unterdurchschnittlich, 25 % sahen sich im obersten Prozent auf

dieser Dimension

Der “Better than Average” Effekt gilt selbst für die Fähigkeit, „sich selbst

unvoreingenommen und zutreffend einzuschätzen“

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Zur Vermeidung des “Better than average” Effekt hilft auch ein hoher Intelligenzquotient nicht :

94 % aller Universitätsprofessoren glauben bessere Professoren zu sein als der Durchschnitt aller Professoren

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Aufbau einiger Studien von Dave Dunning (2005)

Versuchspersonen nahmen an einem Test teil

Anschließend sollten sie einschätzen, wie gut sie im Vergleich zu den anderen Testteilnehmern abgeschlossen hatten

Gegenstand der Studien von Dunning waren eine Vielzahl an Dimensionen Wissen

Fähigkeit zu logischem Denken

Humor (“Was ist ein guter Witz?”)

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Zusammenfassung der Studien von Dunning

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Ergebnisse der Studien von Dave Dunning (2005) Im Schnitt überschätzen die Vpn ihre Kompetenz

Positiver - aber nur mäßig starker - Zusammenhang zwischen Leistung und Selbstbeurteilung

Die “Inkompetenten” erkennen ihre eigene Inkompetenz nicht

Die “Kompetenten” erkennen ihre eigene Kompetenz nicht

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Warum erkennen Menschen ihre eigene Inkompetenz nicht? Beispiel: “Deutschland sucht den Superstar”

Erklärung von Dunning: Zur Erkenntnis der eigenen Inkompetenz braucht es genau jene Kompetenz, über welche die Inkompetenten nicht verfügen

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Warum erkennen Menschen ihre eigene Kompetenz nicht? „False Consensus Effect“: Kompetente Menschen überschätzen wie

weit verbreitet ihre eigene Kompetenz ist

Problem vieler Universitätsprofessoren und Dozenten Vor allem in technisch / mathematischen Fächern

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Warum den Inkompetenten auch der Vergleich mit anderen nicht hilft (Kruger & Dunning, 1999)

Erste Teilstudie: Grammatiktest

Zweite Teilstudie: Einige Wochen nach dem Test wurden die Personen, die besonders gut oder besonders schlecht waren, noch einmal untersucht

Diese Vpn bekamen fünf Tests anderer Vpn vorgelegt, welche das gesamte Spektrum der erbrachten Leistungen abdeckten

Kompetente waren in der Lage, die fünf Tests in eine ordinale Rangfolge zu bringen

Inkompetente waren dazu nicht in der Lage

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Wie valide ist unsere Selbstwahrnehmung?

Warum den Inkompetenten auch der Vergleich mit anderen nicht hilft (Kruger & Dunning, 1999)

Im Anschluss daran wurde den Vpn noch einmal ihr eigener Test vorgelegt und sie sollten erneut einschätzen, wie viel Prozent aller anderen besser bzw. schlechter waren als sie

Ergebnis:

Bei den Kompetenten stieg diese Einschätzung von 70 % auf 80 %

Bei den Inkompetenten blieb diese Einschätzung bei 60 %

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Selbstwertdienliche Attributionen und die Erkenntnis eigener Inkompetenz

Auch wenn wir unser Scheitern in einer bestimmten Situation wahrnehmen schließen wir daraus nicht notwendig auf eine grundsätzliche Inkompetenz Bei Misserfolg Attribution auf instabile situationale Faktoren (z.B.

Pech)

Bei Erfolg Attribution auf stabile personale Faktoren (z.B. Begabung und Talent)

Beispiele für Fehlattributionen von eigener Inkompetenz Schwerhörigkeit

Sehschwäche

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Lohnt sich Selbsterkenntnis?

“So what?”

Was spricht dagegen, in einer permanenten Illusion zu leben?

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Der Zusammenhang zwischen Selbstbild und Realität

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Nutzen der Selbstüberschätzung Die Wahrnehmung eigener Kompetenz führt zu einem erhöhten

Selbstwertgefühl und zu mehr Beharrlichkeit bei der Verfolgung der eigenen Ziele

Kosten der Selbstüberschätzung Die Überschätzung eigener Fähigkeiten und Kompetenzen führt

zu einer Verfolgung von Zielen, die man niemals erreichen wird

Aus funktionalistischer (evolutionstheoretischer) Sicht sollten deshalb die Selbsteinschätzungen von Menschen nicht allzu sehr von ihrem wahren Wert abweichen

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Beispiel: Die eigene sexuelle Attraktivität

Leichte Überschätzung u.U. hilfreich Objektive Attraktivität nur schwer einzuschätzen, subjektive Sicherheit

dient deshalb als Hinweis auf die Attraktivität einer Person Selbstsicherheit erhöht die Attraktivität einer Person

Massive Überschätzung führt hingegen zu „blutigen Nasen“ bzw. dauerhafter Einsamkeit

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Beispiel: Die eigene sexuelle Attraktivität Studie: Bei Frauen und Männern (Collegestudenten) wurde vor einem

Tanzfest die Attraktivität erfasst

Anschließend wurde das “Paarungsverhalten” auf dem Tanzfest untersucht, auf dem die beiden Gruppen zusammen geführt wurden

Frage: Wer ging mit wem nach Hause?

Antwort: Es gab eine hohe Korrelation zwischen der zuvor eingeschätzten Attraktivität beider Partner („assortative matching“)

Offensichtlich waren die Teilnehmer der Tanzveranstaltung sehr gut in der Lage, ihre eigene Attraktivität valide einzuschätzen und sich auch entsprechend zu verhalten

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Beispiel: “Wer wird Millionär?” Viele Fernsehzuschauer haben das Gefühl, sie würden viel mehr

gewinnen als der durchschnittliche Kandidat Zuschauer erinnern sich selektiv an Fragen, deren Antworten sie

wussten, der Kandidat aber nicht

Zuschauer vergessen selektiv Fragen, deren Antworten sie nicht wussten, der Kandidat aber sehr wohl

Mit anderen Worten: Fernsehzuschauer zeigen das weitverbreitete Phänomen eines „Overconfidence Bias“

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Beispiel: “Wer wird Millionär?” Und die Kandidaten?

Bei “Wer wird Millionär?” gibt es zwei Gründe, warum ein Spiel beendet wird

1. Alternative: Kandidat gibt eine falsche Antwort und verliert einen erheblichen Teil des Geldes, der bislang gewonnen wurde

2. Alternative: Kandidat verzichtet auf die Beantwortung der Frage und erhält den bislang gewonnenen Betrag

Befund: Das Spiel endet meistens im Sinne der 2. Alternative Dies bedeutet: Kandidaten sich recht gut in der Lage, ihre eigene

Leistungsfähigkeit einzuschätzen

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Beispiel Diäten Eine leichte Überschätzung der eigenen Erfolgswahrscheinlichkeit ist

positiv

Untersuchung in einer Diät-Klinik (Oettingen, 1996): Unterschätzung der Zeit, die nötig war, um ein bestimmtes Diätziel zu

erreichen war positiv mit dem Diät-Erfolg korreliert

Die Fähigkeit, sich genau vorzustellen, wie schön es wäre, dünn zu sein, war hingegen negativ mit dem Diät-Erfolg korreliert

Schlussfolgerung: Man sollte sich besser auf den Weg als auf das Ziel konzentrieren, wenn man ein Ziel erreichen will

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Buehler et al. (1994): „Planning Fallacy“: Menschen unterschätzen die Zeit, die sie für die Fertigstellung

komplexer Aufgaben brauchen (Beispiel: Vorbereiten einer Vorlesung)

Dieses Phänomen ist weitgehend unabhängig von Lernerfahrungen

Dennoch hohe Korrelation zwischen geschätzter und tatsächlich benötigter Zeit

Funktionalität dieses Verhaltens: Eine realistische Einschätzung des erforderlichen Zeitbedarfs hätte eine demotivierende Wirkung

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Evolutionspsychologische Erklärung dieser Befunde Auf einer abstrakten Ebene

überschätzen die meisten Menschen ihre eigene relative Position auf einer Vielzahl positiv bewerteter Eigenschaften

unterschätzen sie den Aufwand bei der Bewältigung schwieriger und komplexer Aufgaben

Wenn es um konkrete Entscheidungen für oder gegen ein bestimmtes Verhalten geht sind die meisten Menschen jedoch recht gut in der Lage, ihre eigene Kompetenz valide einzuschätzen

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Nutzen und Kosten der Selbstüberschätzung

Allerdings Überlebenswahrscheinlichkeit von Bergsteigern

Bislang haben ca. 1.500 Bergsteiger den Gipfel des Mount Everest erreicht. 150 von ihnen sind nicht mehr lebend zurückgekehrt!

Überlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen (Cooper et al., 1988) 81 % aller befragten Unternehmer gab an, die Überlebenswahr-

scheinlichkeit ihres Unternehmens liege bei über 70 % 33 % aller befragten Unternehmer war sich sicher, dass ihr

Unternehmen überlegen wird Tatsächlich überlebten nur 25 % die nächsten fünf Jahre